21

»Sie halten sich entlang der Nordküste auf, Ehlana-Königin«, übersetzte Norkan Königin Betuanas Antwort. »Diese Zotteligen, die Ihr Trolle nennt, sind in den vergangenen zwei Jahren in großen Scharen über das Wintereis gekommen. Zuerst dachten unsere Leute, es seien Bären, doch dem war nicht so. Anfangs gingen sie uns aus dem Weg, und in der verschneiten und nebeligen Winterlandschaft waren sie schwer auszumachen. Als sich dann bereits viele von ihnen hier befanden, wurden sie dreister. Doch daß sie keine Bären waren, erkannten wir erst, als wir einen von ihnen töteten.«

König Androl war nicht zugegen. Seine geistigen Qualitäten waren beschränkt, und es war ihm lieber, wenn seine Gemahlin sich der Staatsgeschäfte annahm. Der atanische König sah sehr eindrucksvoll aus. Doch seine besten Auftritte hatte er bei zeremoniellen Anlässen; denn da waren keine Überraschungen zu erwarten.

»Frag sie, ob auch weiter im Süden Trolle gesichtet wurden«, murmelte Sperber seiner Gemahlin zu.

»Warum fragst du sie nicht selbst?«

»Wir wollen die Form wahren, Ehlana. Im Grunde genommen ist dies ein Gespräch zwischen euch beiden. Ich glaube nicht, daß wir anderen uns einmischen sollten. Gehen wir lieber nicht das Risiko ein, irgendeine Etikette zu verletzen, von der wir nichts wissen.«

So stellte Ehlana die Frage, und Oscagne übersetzte.

»Nein«, dolmetschte Norkan Betuanas Antwort. »Die Trolle haben sich offenbar in den Wäldern entlang der Nordhänge niedergelassen. Soweit wir wissen, sind sie nicht weiter vorgedrungen.«

»Sie sollen die Bevölkerung warnen, daß Trolle sich in Wäldern sehr gut verstecken können«, riet Ulath.

»Das können wir auch«, kam die übersetzte Entgegnung.

»Fragt sie, ob ein taktischer Rat sie kränken würde«, bat der genidianische Ritter seufzend. »Wir Thalesier haben viel Erfahrung mit Trollen – und die meisten unserer Begegnungen waren nicht gerade angenehm.«

»Wir sind stets gern bereit, auf die Stimme der Erfahrung zu hören«, antwortete die atanische Königin.

»Wenn wir in Thalesien Trolle sehen, ziehen wir uns für gewöhnlich ein Stück zurück und schießen ihnen ein paar Pfeile in den Pelz«, sagte Ulath zu Ehlana. »Töten kann man sie damit nicht, denn ihr Fell und ihre Haut sind zu dick, aber es macht sie ein wenig langsamer. Trolle sind viel, viel flinker, als man ihrem Aussehen nach schließen würde, und sie haben sehr lange Arme. Sie können einen Reiter schneller aus dem Sattel ziehen, als der Beklagenswerte blinzeln kann.«

Ehlana wahrte den förmlichen Rahmen des Gesprächs, indem sie Ulaths Worte für ihren Dolmetscher wiederholte.

»Was macht ein Troll dann?« fragte Betuana interessiert.

»Zuerst reißt er seinem Gefangenen den Kopf ab, dann verschlingt er die übrigen Körperteile. Aus irgendeinem Grund fressen Trolle keine Köpfe.«

Unwillkürlich würgte Ehlana.

»Wir benutzen Bogen nicht im Kampf«, übersetzte Norkan Betuanas fließendes Tamulisch, »nur bei der Jagd, um Tiere als Nahrung zu erlegen.«

»Nun«, meinte Ulath ein wenig zweifelnd, »man könnte einen Troll wahrscheinlich essen, wenn man möchte. Aber ich weiß nicht, ob er gut schmeckt.«

»Ich weigere mich, das zu wiederholen, Ritter Ulath!« entrüstete sich Ehlana.

»Fragt, ob in der atanischen Kultur Wurfspeere Kampfwaffen sind«, schlug Tynian vor.

»Ich glaube schon«, antwortete Norkan. »Ich habe Ataner mit Wurfspeeren üben sehen.«

Betuana sprach rasch und lange auf ihn ein.

»Ihre Majestät ersuchte mich, ihre Worte zusammenzufassen«, sagte Norkan. »Die Sonne steht bereits hoch, und Ihre Majestät weiß, daß ihr aufbrechen wollt. Oscagne erwähnte eure Absicht, die Straße nach Lebas in Tamul zu nehmen. Die atanische Gesellschaft setzt sich aus einzelnen Clans zusammen, und jeder Clan hat sein eigenes Gebiet. Auf eurem Weg nach Osten werdet ihr von Clan zu Clan weitergeleitet. Es wäre eine Mißachtung der Etikette, würde ein Clan das Gebiet eines anderen betreten, und hier in Atan geht Etikette über alles.«

»Ich frage mich warum«, murmelte Stragen.

»Oscagne«, bat Norkan, »schick mir zwanzig Reichskuriere mit schnellen Pferden, sobald ihr wieder in die Zivilisation kommt. Ihre Majestät möchte während der Krise enge Verbindung zu Matherion halten.«

»Eine sehr gute Idee«, lobte Oscagne und versprach, ihm die Kuriere so schnell wie möglich zu senden.

Dann erhob sich Betuana. Sie umarmte Ehlana und Mirtai herzlich und gab damit zu verstehen, daß es Zeit sei, ihre Reise gen Osten fortzusetzen.

»Dieser Besuch bei Euch wird mir immer in guter Erinnerung bleiben, liebe Betuana«, versicherte Ehlana.

»Ebenso wie mir, liebe Schwesterkönigin«, entgegnete Betuana in fast akzentfreiem Elenisch.

Ehlana lächelte. »Ich fragte mich schon, wie lange Ihr uns verheimlichen würdet, daß Ihr unserer Sprache mächtig seid, Betuana.«

Die atanische Königin blickte sie überrascht an. »Ihr habt es gewußt?«

Ehlana nickte. »Es ist sehr schwierig, Gesicht und Augen so im Zaum zu halten, daß sie nichts verraten, während man auf die Übersetzung wartet. Warum macht Ihr ein Geheimnis daraus, daß Ihr Elenisch beherrscht?«

»Die Zeit, die der Dolmetscher zur Übersetzung benötigt, nutze ich, meine Antwort zu überlegen.« Betuana zuckte die Schultern.

»Das ist eine sehr nützliche Taktik«, sagte Ehlana bewundernd. »Ich wünschte, ich könnte mich ihrer in Eosien bedienen, aber dort spricht jeder Elenisch.«

»Verbindet Euch die Ohren«, riet Ulath ihr.

»Siehst du, wie wenig ernst man mich nimmt?« beklagte Ehlana sich bei Sperber.

»Es war nur ein Vorschlag, Majestät.« Ulath lächelte. »Täuscht vor, taub zu sein, und schart ein paar Leute um Euch, die sich die Finger verrenken, als würden sie für Euch übersetzen.«

Ehlana blickte ihn entrüstet an. »Das ist absurd, Ulath. Könnt Ihr Euch denn nicht vorstellen, wie hinderlich das wäre?«

»Es war ja nur ein Vorschlag, Majestät«, entgegnete er. »Aber kein besonders guter, das stimmt.«

Nach einer formellen Verabschiedung, die wieder hauptsächlich Mirtai galt, verließen die elenische Königin und ihre Begleitung Atana und begaben sich auf die Landstraße nach Lebas. Als die Stadt außer Sicht war, schlug Oscagne – der an diesem Tag darauf beharrt hatte, zu reiten – Sperber, Stragen und Vanion vor, sich an die Spitze ihres Zuges zu begeben und sich mit den übrigen Gefährten zu besprechen.

Tynian war soeben dabei, die anderen mit einer sehr ausgeschmückten Geschichte über eines seiner vermutlich erfundenen Liebesabenteuer zu unterhalten.

»Was gibt es?« erkundigte sich Kalten, als Sperber und die anderen sich zu ihnen gesellten.

»Sperber und ich haben uns gestern abend mit Sephrenia und Zalasta beraten«, antwortete Vanion. »Wir dachten, wir sollten euch einweihen – außerhalb Ehlanas Hörweite.«

»Hört sich geheimnisvoll an«, bemerkte der blonde Pandioner.

»Vielleicht geheimnisvoller, als es ist.« Vanion lächelte. »Unsere Schlußfolgerungen stehen noch nicht ganz auf festem Boden, und wir möchten die Königin nicht beunruhigen, solange wir uns nicht ganz sicher sind.«

»Dann gibt es also einen Grund zur Beunruhigung, Hochmeister Vanion?« fragte Talen.

»Dazu gibt es immer irgendeinen Grund«, sagte Khalad zu seinem Bruder.

»Wir sind zu der Ansicht gelangt, daß unser Gegner ein Gott ist«, erklärte Vanion den anderen. »Aber ich bin sicher, ihr vermutet das bereits.«

»Mußtest du mich diesmal wirklich mitnehmen, Sperber?« beklagte sich Kalten. »Ich leg' mich nicht gern mit Göttern an. Dieser Art von Auseinandersetzung fühle ich mich nicht ganz gewachsen.«

»Wer kann das schon von sich behaupten?«

»Du! Wie du in Zemoch bewiesen hast.«

»Reines Glück wahrscheinlich.«

»Unsere Überlegungen«, fuhr Vanion fort, »sind wie folgt. Ihr habt diesen Schatten und die Wolke wieder gesehen. Zumindest oberflächlich betrachtet scheinen sie göttliche Manifestationen zu sein. Und diese aus der Vergangenheit beschworenen Streitkräfte – die Lamorker und die Cyrgai – können nicht von Sterblichen erweckt worden sein. Zalasta sagte, er habe es einmal versucht, und dabei sei alles schiefgegangen. Wenn einem Mann wie Zalasta so etwas passiert, können wir ziemlich sicher sein, daß es keinem anderen Menschen gelingt.«

»Logisch.« Bevier nickte.

»Danke. Also, die Trolle haben vor einiger Zeit Thalesien verlassen und sind hier in Atan aufgetaucht. Wir waren uns einig, daß sie es nicht ohne einen Befehl getan hätten, und diesen Befehl kann ihnen nur jemand gegeben haben, dem sie gehorchen. Diese Schlußfolgerung sowie das Wiederauftauchen des Schattens deuten auf die Trollgötter hin, zumal Sephrenia nicht sicher ist, daß sie für alle Zeiten im Bhelliom gefangen sind. Also müssen wir uns damit abfinden, daß den Trollgöttern irgendwie die Flucht gelungen ist.«

»Das alles hört sich gar nicht gut an«, murmelte Talen seufzend.

»Stimmt. Es ist keine frohe Botschaft«, stimmte Tynian zu.

Vanion hob eine Hand. »Es kommt noch schlimmer. Wir sind zu der Ansicht gelangt, daß die Planung all dieser Vorfälle mit Helden aus grauer Vorzeit, Ungeheuern, gewaltsamen Aufständen und dergleichen die Fähigkeiten der Trollgötter übersteigt. Es ist nicht anzunehmen, daß sie viel von Politik verstehen, deshalb müssen wir die Möglichkeit in Betracht ziehen, daß sie sich mit jemandem zusammengetan haben. Dieser Jemand – ob nun Sterblicher oder Unsterblicher – ist der Kopf, und die Trollgötter sind die Muskeln. Sie beherrschen die Trolle, und sie können diese Krieger aus den Gräbern holen.«

»Die Trolle werden benutzt?« sagte Ulath nachdenklich.

»Es sieht so aus.«

»Das ergibt keinen Sinn, Hochmeister Vanion.« Ulath schüttelte den Kopf.

»Wieso?«

»Was gewinnen die Trolle dadurch? Welchen Sinn hätte ein Bündnis für die Trollgötter, wenn es den Trollen keinen Vorteil bringt? Sie können nicht über die Welt herrschen, weil sie nicht aus den Gebirgen herunterkommen können.«

»Warum nicht?« fragte Berit.

»Wegen ihres Pelzes und ihrer dicken Haut. Sie müssen in kalten Gegenden bleiben. Zwei Tage in der Sommersonne sind der Tod für jeden Troll. Ihre Körper sind dafür geschaffen, die Wärme drinnen zu halten und nicht, sie abzugeben.«

»Das bringt Eure Theorie in der Tat ernsthaft ins Wanken, Hochmeister Vanion«, meinte auch Oscagne.

»Ich hätte vielleicht eine Erklärung«, warf Stragen ein. »Unser Feind – oder Feinde – will die Welt auf den Kopf stellen, nicht wahr?«

»Nun, zumindest die Oberschicht«, berichtigte Tynian. »Ich habe noch nie gehört, daß irgend jemand so weit gehen wollte, die Bauernschaft an die Macht zu bringen.«

»Das kommt vielleicht später einmal.« Stragen lächelte. »Unser namenloser Freund da draußen will die Welt verändern, doch seine Macht ist nicht groß genug, das allein zu schaffen. Er braucht die Trollgötter für seine Pläne. Doch was kann er ihnen als Gegenleistung bieten? Auf was sind die Trolle versessen?«

»Auf Thalesien«, antwortete Ulath finster.

»Genau. Die Trollgötter würden jede Gelegenheit beim Schopfe packen, die Elenier und Styriker in Thalesien auszurotten, damit die Trolle die Halbinsel wieder für sich allein haben. Wenn jemand eine Möglichkeit gefunden hat, die Jüngeren Styrischen Götter zu vertreiben – oder es zumindest behauptet – wäre das nicht ein unwiderstehlicher Köder für die Trollgötter? Zumal die Jüngeren Götter sie verjagt haben, so daß sie sich verkriechen mußten. Nur einmal angenommen, unser unbekannter Freund hat eine Möglichkeit gefunden, die Trollgötter zu befreien. Dann bot er ihnen einen Pakt an. Als Gegenleistung für ihre Unterstützung versprach er ihnen, die Elenier und Styriker aus Thalesien und möglicherweise auch von den Nordküsten beider Kontinente zu vertreiben. Die Trolle bekommen den Norden und unser Freund die übrige Welt. Wenn ich ein Troll wäre, könnte ich einem solchen Angebot nicht widerstehen. Was meint ihr?«

»Er könnte den Nagel auf den Kopf getroffen haben!« gestand Ulath.

»In der Tat«, meinte auch Bevier. »Vielleicht ist das nicht genau die Abmachung zwischen unserem Freund und den Trollgöttern, doch eine solche Abmachung erscheint mir sehr wahrscheinlich. Was werden wir jetzt unternehmen?«

»Wir müssen die Verbündeten wieder auseinanderbringen«, antwortete Sperber.

»Das wird nicht so einfach sein, da wir eine der Parteien gar nicht kennen«, gab Kalten zu bedenken.

»Jedenfalls sind wir ziemlich sicher, wer die andere ist, und die werden wir uns vornehmen. Eure Theorie läßt mir keine große Wahl mehr, Vanion. Ich werde den Trollen wohl den Krieg erklären müssen.«

»Ich verstehe nicht ganz, weshalb«, gestand Oscagne.

»Die Götter gewinnen ihre Macht durch ihre Anhänger, Exzellenz«, erklärte Bevier. »Je mehr Anbeter, desto mächtiger der Gott. Es wird den Trollgöttern nicht entgehen, wenn Sperber Trolle zu töten beginnt. Tötet er genügend, werden sie den Pakt aufkündigen. Sie haben keine Wahl, wenn sie überleben wollen. Und in Zemoch haben wir festgestellt, daß sie sehr am Überleben interessiert sind. Als Sperber drohte, Bhelliom zu vernichten – und mit ihm die Trollgötter – wurden sie ganz kleinlaut.«

»Ja, danach waren sie recht umgänglich«, bestätigte Sperber.

»Meine Freunde«, sagte Ulath, »uns erwartet ein großes Vergnügen. Trolle zu bekämpfen ist außerordentlich unterhaltsam.«

An diesem Abend schlugen sie ihr Lager auf einer Wiese neben einem rauschenden Wildbach auf, der eine tiefe Klamm im Gebirge ausgehöhlt hatte. Unten waren die Hänge der Schlucht baumbewachsen und führten steil zu den kahlen, fast senkrechten Felswänden empor, an denen das Auge hundert Fuß und mehr himmelwärts glitt. Es war eine gute Verteidigungsstellung, erkannte Sperber, als er den Blick über das Lager schweifen ließ. Die Nacht kam in diesen Schluchten früh. Die Feuer flackerten gelb in der zunehmenden Dämmerung, und der Abendwind trug ihren dünnen blauen Rauch bachabwärts.

»Habt Ihr einen Augenblick Zeit für mich, Prinz Sperber?« Es war Zalasta, dessen weißes styrisches Gewand sich aus dem Halbdunkel abhob.

»Selbstverständlich, Weiser.«

»Ich fürchte, Eure Gemahlin kann mich nicht leiden. Sie bemüht sich, höflich zu sein, doch ihre Abneigung ist ziemlich offensichtlich. Habe ich sie ungewollt auf irgendeine Weise gekränkt?«

»Das glaube ich nicht, Zalasta.«

Die Lippen des Styrikers verzogen sich flüchtig in einem bitteren Lächeln. »Dann ist es wohl das Phänomen, das mein Volk ›das elenische Übel‹ nennt.«

»Das bezweifle ich. Ich habe Ehlana mehr oder weniger großgezogen. Von mir hat sie gelernt, daß das übliche elenische Vorurteil jeder Grundlage entbehrt. Meine Ansichten haben die ihren geformt. Und die Ordensritter mögen die Styriker. Das gilt vor allem für die Pandioner, da Sephrenia unsere Lehrerin war. Wir lieben sie sehr.«

»Ja, das habe ich bemerkt.« Der Magier lächelte. »Auch wir sind in dieser Hinsicht nicht ohne Fehl. Unsere Vorurteile gegen Elenier sind beinahe so vernunftwidrig wie die euren uns gegenüber. Die Mißbilligung Eurer Gemahlin muß dann wohl einen anderen Grund haben.«

»Vielleicht liegt es an etwas so Unbedeutendem wie Eurem Akzent, Weiser. Meine Gemahlin ist eine vielschichtige Persönlichkeit. Sie ist außerordentlich intelligent, aber mitunter dennoch ein wenig unvernünftig.«

»Dann ist es wahrscheinlich das beste, wenn ich ihr aus dem Weg gehe. Von nun an werde ich unsere Reise auf einem Pferd fortsetzen. Daß ich dauernd in der Kutsche sitze, trägt sicherlich nicht dazu bei, die Antipathie Eurer Gemahlin zu mildern. Ich hatte schon früher mit Menschen zu tun, die mich nicht mochten; aber damit kann ich leben. Mit der Zeit wird es mir sicher gelingen, die Sympathie Ihrer Hoheit zu gewinnen.« Er lächelte kurz. »Ich kann sehr liebenswürdig sein, wenn ich will.« Er blickte die Klamm entlang, wo der reißende Bach in der zunehmenden Dunkelheit weiß über aufragende Steine schäumte. »Seht Ihr irgendeine Möglichkeit, den Bhelliom zurückzuholen, Prinz Sperber?« fragte er ernst. »Ich fürchte, ohne den Stein stehen unsere Chancen nicht gut. Wir brauchen ein Rüstzeug, mit dem wir den Göttern gewachsen sind, denen wir entgegentreten wollen. Könnt Ihr mir sagen, wo Ihr den Bhelliom ins Meer geworfen habt? Vielleicht vermag ich Euch zu helfen, ihn zurückzuholen.«

»Es wurde mir nicht auferlegt, darüber zu schweigen, Weiser«, antwortete Sperber bedauernd. »Das war nicht notwendig, da ich selbst nicht die geringste Ahnung habe, wo ich den Stein ins Meer warf. Aphrael wählte die Stelle aus und achtete sorgfältig darauf, daß wir den Ort nicht zu erkennen vermochten. Ihr könnt sie fragen, aber ich glaube nicht, daß sie es Euch sagen wird.«

Zalasta lächelte. »Sie setzt gern ihren Kopf durch, nicht wahr? Aber wir lieben sie alle.«

»Stimmt. Ihr seid ja in derselben Ortschaft wie sie und Sephrenia aufgewachsen.«

»O ja. Und ich bin stolz, daß ich sie meine Freunde nennen darf. Aphrael hat jeden in Atem gehalten. Immer war sie voller Ideen. Hat sie erwähnt, weshalb sie den Ort geheimhalten wollte?«

»Sie hat es nicht direkt gesagt, aber ich glaube, sie betrachtete den Stein als ein zu großes Risiko für die Welt. Bhelliom ist ewiger als die Götter, und wahrscheinlich auch mächtiger. Die Frage nach seinem Ursprung übersteigt meine Vorstellungskraft. Offenbar ist er einer dieser Elementargeister, die an der Erschaffung des Universums beteiligt waren.« Sperber lächelte. »Es war ein ziemlicher Schock, als ich davon erfuhr. Keine sechs Zoll von meinem Herzen entfernt trug ich einen Gegenstand, der ganze Universen erschaffen kann! Insofern kann ich Aphraels Besorgnis verstehen. Sie erzählte uns einmal, daß Götter die Zukunft nur vage sehen können, und daß sie selbst nicht vorhersagen kann, was geschehen würde, wenn Bhelliom in falsche Hände geriete. Wir haben nicht weniger als den Untergang der Welt riskiert, um zu verhindern, daß Azash den Stein in die Finger bekam. Aphrael wollte Bhelliom an einen Ort bringen, wo niemand ihn je wieder finden und benutzen würde.«

»Sie denkt nicht logisch, Prinz Sperber.«

»Das würde ich ihr an Eurer Stelle nicht sagen. Sie könnte es als Kritik auffassen.«

Zalasta lächelte. »Sie kennt mich, deshalb nimmt sie mir Kritik nicht übel. Wenn der Bhelliom eine der Kräfte ist, die an der Erschaffung des Universums beteiligt waren, wie Ihr sagtet, dann muß ihm unbedingt die Möglichkeit gegeben werden, sein Werk fortzusetzen. Andernfalls wird das Universum Schaden nehmen.«

»Aphrael sagte, daß diese Welt nicht ewig bestehen wird.« Sperber zuckte die Schultern. »Irgendwann wird sie untergehen, und Bhelliom wird wieder frei sein. Der Verstand scheut vor dieser Vorstellung zurück, aber ich denke, daß die Zeitspanne von dem Augenblick an, da Bhelliom von unserer Welt eingefangen wurde, bis zu dem Moment, an dem sie verglühen wird, wenn unsere Sonne explodiert, für den Geist, den dieser Stein beherbergt, nicht mehr als ein Lidschlag ist.«

»Auch mir macht die Vorstellung von Ewigkeit und Unendlichkeit zu schaffen, Prinz Sperber«, gestand Zalasta.

»Ich glaube, wir werden uns damit abfinden müssen, daß Bhelliom für immer verloren ist, Weiser«, sagte Sperber. »Somit sind wir im Nachteil, aber damit müssen wir uns wohl abfinden. Ich fürchte, wir sind ganz auf uns selbst gestellt.«

Zalasta seufzte. »Vielleicht habt Ihr recht, Prinz Sperber. Aber wir brauchen den Bhelliom wirklich! Meines Erachtens hängen Erfolg oder Mißerfolg unseres Kampfes von diesem Stein ab. Ich glaube, wir sollten unsere Bemühungen auf Sephrenia konzentrieren. Sie hat großen Einfluß auf ihre Schwester.«

»Das ist mir auch aufgefallen«, pflichtete Sperber ihm bei. »Wie waren sie als Kinder?«

Zalasta blickte in die fast schon nächtliche Dunkelheit. »Nach Aphraels Geburt hatte sich unser Dorf sehr verändert. Wir wußten sofort, daß sie kein gewöhnliches Kind war. Alle Jüngeren Götter sind regelrecht vernarrt in sie. Sie ist das einzige Kind unter ihnen, und sie haben Aphrael durch die Äonen hindurch unbeschreiblich verwöhnt.« Er lächelte leicht. »Sie hat die Kunst, ein Kind zu sein, zur Vollendung geführt. Alle Kinder sind liebenswert. Doch Aphrael versteht sich so geschickt darauf, die Liebe aller zu erobern, daß sie selbst Herzen aus Stein schmelzen läßt. Die Götter bekommen immer, was sie wollen. Doch Aphrael bringt uns dazu, aus Liebe zu tun, was sie will.«

»Das ist mir nicht entgangen«, sagte Sperber trocken.

»Sephrenia war ungefähr neun Jahre alt, als ihre Schwester geboren wurde, und von dem Augenblick an, da sie die Kindgöttin zum erstenmal sah, hat sie ihr ganzes Leben dem Dienst an ihr geweiht.« Ein eigenartiger Schmerz schwang bei diesen Worten in der Stimme des Magiers mit.

»Das Säuglingsalter hat Aphrael gewissermaßen übersprungen«, fuhr Zalasta fort. »Vom Augenblick ihrer Geburt an konnte sie sprechen, und das Zähnekriegen und Gehenlernen übersprang sie gewissermaßen. Ich war mehrere Jahre älter als Sephrenia und hatte mein Studium längst begonnen, doch ich verfolgte Aphraels Entwicklung voller Faszination. Es kommt nicht oft vor, daß man miterleben darf, wie eine Gottheit aufwächst.«

»Sehr selten«, murmelte Sperber.

Zalasta lächelte. »Sephrenia verbrachte jede Sekunde mit ihrer Schwester. Von Anfang an war offensichtlich, daß zwischen den beiden eine ganz besondere Bindung bestand. Es gehört zu Aphraels Eigenarten, daß sie in die Rolle des hilflosen Kindes schlüpft. Sie ist eine Göttin und sollte gebieten, aber das tut sie nicht. Beinahe hat es den Anschein, als würde es ihr Spaß machen, gescholten zu werden. Sie ist gehorsam – sofern es ihr paßt –, aber dann und wann tut sie etwas ganz und gar Unmögliches – wahrscheinlich nur, um die Leute daran zu erinnern, wer sie wirklich ist.«

Sperber dachte an die Schar Elfen, die im Schloßgarten von Cimmura die Blumen bestäubt hatten.

»Sephrenia war immer ein vernünftiges Kind, das sich fast wie eine Erwachsene benahm. Ich vermute, daß Aphrael, noch ehe sie geboren war, ihre Schwester auf eine lebenslange Aufgabe vorbereitet hatte. Sephrenia wurde im wahrsten Sinne des Wortes zu Aphraels Mutter. Sie versorgte sie, fütterte sie, badete sie – obwohl das hin und wieder zu heftigem Aufbegehren führte. Aphrael haßt es, gebadet zu werden – und sie braucht es auch gar nicht, da sie jeglichen Schmutz jederzeit verschwinden lassen kann. Ich weiß nicht, ob Euch aufgefallen ist, daß sie stets Grasflecken an den Füßen hat, auch an Orten, wo kein Gras wächst. Aus irgendeinem Grund, der mir beim besten Willen nicht einfallen will, scheint sie diese Flecken zu brauchen.« Der Styriker seufzte. »Als Aphrael etwa sechs war, mußte Sephrenia wirklich zu ihrer Mutter werden. Wir drei waren im Wald, als eine Meute betrunkener Elenier unser Dorf überfiel und alle Bewohner umbrachte.«

Sperber holte bestürzt Luft. »Das erklärt einiges«, sagte er. »Allerdings wirft es andere Fragen auf, die noch schwerer zu beantworten sind. Was kann Sephrenia nach einer solchen Tragödie veranlaßt haben, die Mühe auf sich zu nehmen, Generationen von Pandionern zu unterrichten?«

»Wahrscheinlich hat Aphrael es ihr aufgetragen. Vergeßt nie, Prinz Sperber, Aphrael mag zwar vorgeben, ein Kind zu sein, aber in Wahrheit ist sie es nicht. Sie gehorcht, wenn es ihr Spaß macht, aber sie vergißt niemals, daß sie es ist, die letztendlich die Entscheidungen trifft. Und sie bekommt immer, was sie will.«

»Was geschah, nachdem euer Dorf zerstört worden war?« fragte Sperber.

»Wir hielten uns eine Zeitlang im Wald auf; dann gewährte ein anderes styrisches Dorf uns Aufnahme. Als ich sicher sein konnte, daß die beiden Mädchen gut untergebracht waren und nichts zu befürchten hatten, verließ ich sie, um wieder meinen Studien nachzugehen. Und als ich sie schließlich wiedersah, war Sephrenia die schöne Frau, die sie jetzt ist. Aphrael hingegen war noch immer ein Kind – nicht einen Tag älter als zu dem Zeitpunkt, als ich sie verlassen hatte.« Er seufzte erneut. »Die Zeit, die wir als Kinder miteinander verbracht hatten, war die glücklichste meines Lebens. Die Erinnerung daran gibt mir Kraft und tröstet mich, wenn ich Sorgen habe.«

Er blickte zum Himmel, wo die ersten Sterne blinkten. »Bitte entschuldigt mich, Prinz Sperber. Ich möchte heute nacht mit meinen Erinnerungen allein sein.«

Sperber legte dem Styriker freundschaftlich die Hand auf die Schulter. »Selbstverständlich, Zalasta.«

»Wir mögen ihn«, sagte Danae.

»Warum gibst du dich ihm dann nicht zu erkennen?«

»Ich weiß es selbst nicht recht, Vater. Vielleicht nur, weil Mädchen gern Geheimnisse haben.«

»Das ist nicht gerade eine vernünftige Antwort, weißt du.«

»Möglich, aber ich muß ja nicht vernünftig sein. Das ist das Schöne, wenn man von aller Welt verehrt wird.«

Sperber entschied sich für den direkten Weg. »Zalasta meint, daß wir Bhelliom brauchen.«

»Nein!« entgegnete Aphrael entschieden. »Ich habe zuviel Zeit und Mühe darauf verwendet, ihn an einen sicheren Ort zu bringen, als daß ich ihn jedesmal hervorhole, wenn die Situation sich ändert. Stets will Zalasta mehr Macht, als die Lage wirklich erfordert. Falls wir es nur mit den Trollgöttern zu tun haben, werden wir auch ohne Bhelliom mit ihnen fertig.« Sie hob eine Hand, als Sperber widersprechen wollte. »Mein Entschluß ist endgültig!«

»Ich könnte dich übers Knie legen, bis du ihn änderst.«

»Nur, wenn ich dich lasse.« Sie seufzte. »Die Trollgötter werden ohnehin nicht mehr lange ein Problem sein.«

»Ach?«

»Die Trolle sind dem Untergang geweiht«, sagte sie, beinahe ein wenig traurig. »Und wenn es sie nicht mehr gibt, werden ihre Götter machtlos sein.«

»Warum sind die Trolle dem Untergang geweiht?«

»Weil sie sich nicht ändern können, Sperber. Auch wenn es uns nicht immer gefällt – so ist es nun mal auf der Welt. Alle Geschöpfe müssen sich weiterentwickeln, oder sie sterben. So war es mit den Urmenschen. Sie hatten das Ende ihrer Entwicklung erreicht, und die Trolle nahmen ihre Stelle ein. Und jetzt ist es an den Trollen, den Platz zu räumen. Sie brauchen zuviel Lebensraum. Ein einzelner Troll benötigt etwa hundertfünfzig Quadratmeilen, und die teilt er mit keinem Artgenossen. Es ist auf der Welt einfach nicht mehr genügend Platz für sie, zumal es nun auch die Elenier gibt, die Wälder roden, um Häuser zu bauen und Landwirtschaft zu betreiben. Mit uns Styrikern allein hätten die Trolle vielleicht überleben können. Styriker fällen keine Bäume.« Sie lächelte. »Das liegt nicht daran, daß wir Bäume besonders lieben, sondern daß wir keine guten Äxte haben. Als ihr Elenier das Geheimnis des Stahls entdeckt habt, begann das Ende der Trolle – und das ihrer Götter.«

»Das spricht für die Annahme, daß die Trollgötter sich mit jemandem zusammengetan haben«, bemerkte Sephrenia. »Wenn sie begreifen, was geschieht, sind sie gewiß verzweifelt und zu allem entschlossen. Ihr Überleben hängt von der Erhaltung der Trolle und ihres Lebensraumes ab.«

»Das erklärt vielleicht auch eine Sache, die mich beunruhigt«, sagte Sperber.

»Ach?« Sephrenia blickte ihn an.

»Wenn außer den Trollgöttern noch jemand hinter all dem Chaos steckt, erklärt dies möglicherweise die Unterschiede, die mir aufgefallen sind. Ich habe immer wieder dieses bohrende Gefühl, daß die Dinge nicht ganz so sind wie beim letzten Mal – daß es irgendwie nicht zusammenpaßt, wenn ihr versteht, was ich meine. Das Auffälligste ist, daß dieser ausgeklügelte Plan, sich alter Volkshelden wie Fyrchtnfles und Ayachin zu bedienen, den plumpen Verstand der Trollgötter schlichtweg übersteigt.« Er verzog das Gesicht. »Aber das wirft sofort eine neue Frage auf. Wie kann sich der Urheber all dessen der Mithilfe der Trollgötter versichern, wenn er ihnen nicht begreiflich machen kann, was er tut und warum?«

»Würde es deinen Stolz verletzen, wenn ich eine ganz einfache Antwort darauf hätte?« fragte Danae.

»Nein, ich glaube nicht.«

»Die Trollgötter wissen, daß andere klüger sind als sie, und derjenige, den du ›unseren Freund‹ nennst, kann sie unter Druck setzen, indem er ihnen droht, sie Millionen Jahre lang in der Schatulle mit dem Bhelliom auf dem Meeresgrund zu versenken, falls sie nicht tun, was er ihnen befiehlt. Vielleicht sagt er ihnen nur, was sie tun sollen, ohne sich die Mühe zu machen, ihnen den Grund dafür zu nennen. Und den Rest der Zeit läßt er sie schalten und walten und Furcht und Schrecken verbreiten. Das wäre eine gute Tarnung für alles, was er macht, oder?«

Sperber starrte sie lange an, dann lachte er. »Ich liebe dich, Aphrael!« Er hob sie auf die Arme und küßte sie.

»Er ist ein so netter Junge«, sagte die kleine Göttin strahlend zu ihrer Schwester.

Zwei Tage später änderte sich das Wetter schlagartig. Dicke Wolken trieben vom Hunderte von Meilen entfernten Tamulischen Meer im Osten herbei, und der Himmel wurde plötzlich düster und drohend. Und die allgemein trübe Stimmung wurde noch gedrückter, als es zu einem jener für Regierungsmissionen typischen Organisationsprobleme kam. Sie erreichten gegen Mittag eine Clangrenze, die durch einen mehrere hundert Meter breiten kahlen Streifen zu erkennen war, und mußten feststellen, daß keine Ablösung ihrer Eskorte sie dort erwartete. Der Clan, der sie bis hierher geleitet hatte, durfte diesen Streifen nicht überqueren und blickte bereits unruhig zum sicheren Waldrand auf dem eigenen Territorium zurück.

»Es gibt böses Blut zwischen diesen beiden Clans, SperberRitter«, sagte Engessa ernst. »Und es ist schwerster Bruch von Sitte und Anstand, sowohl für den einen wie den anderen Clan, sich dem Niemandsland zwischen ihnen auch nur auf fünfhundert Schritte zu nähern.«

»Dann schickt sie heim, Atan Engessa«, bat Sperber. »Wir sind genug Streiter, um die Königin zu schützen, und wir wollen keinen Clankrieg auslösen. Der andere Clan dürfte bald hier sein. Es besteht keine echte Gefahr.«

Engessa schien seine Zweifel zu haben, doch er sprach mit dem Führer ihrer Eskorte, und die Ataner kehrten dankbar in das Gebiet ihres Clans zurück.

»Was nun?« fragte Kalten.

»Wie wär's mit einer warmen Mahlzeit?« antwortete Sperber.

»Ich dachte schon, du würdest nie darauf kommen.«

»Sorg dafür, daß die Ritter und die Peloi um die Kutsche herum lagern, und daß etwas gekocht wird. Ich werde Ehlana Bescheid geben.« Er ritt zur Karosse zurück.

»Wo ist die Eskorte?« fragte Mirtai scharf. Jetzt, als Erwachsene, war sie noch gebieterischer.

»Ich fürchte, sie verspätet sich«, erklärte Sperber. »Während wir warten, könnten wir uns eine warme Mahlzeit gönnen.«

»Das ist eine großartige Idee, Sperber.« Emban strahlte.

»Ich wußte, daß dieser Vorschlag Euch gefällt, Eminenz. Bis wir gegessen haben, müßte die Eskorte hier sein.«

Doch das war sie nicht. Sperber stapfte verärgert hin und her, und schließlich verließ ihn die Geduld. »Jetzt reicht es!« sagte er laut. »Machen wir uns zum Weitermarsch bereit.«

»Wir sollen doch warten, Sperber«, erinnerte Ehlana ihn.

»Nicht mitten auf einer Lichtung! Ich habe nicht vor, möglicherweise zwei Tage hier herumzusitzen und darauf zu warten, bis ein atanischer Clanhäuptling aus einer offiziellen Botschaft klug wird.«

»Ich glaube, wir tun lieber, was er sagt«, wandte Ehlana sich an die anderen. »Ich kenne diese Miene. Mein Liebster wird ungeduldig.«

»… er«, fügte Talen hinzu.

»Was hast du gesagt?« fragte Ehlana.

»Ungeduldiger. Sperber ist immer ungeduldig. Es ist jetzt nur ein bißchen schlimmer. Man muß ihn schon sehr gut kennen, um den Unterschied zu bemerken.«

»Hat er recht, Liebling? Bist du jetzt ungeduldiger?« neckte sie ihn.

»Mag schon sein, Ehlana. Wir brechen auf. Die Straße ist gut markiert, wir können also kaum vom Weg abkommen.«

Die Bäume jenseits der Lichtung waren dunkle Zedern mit breiten, fast bis zum Boden reichenden Zweigen, die alles verbargen, was sich weiter als ein paar Meter waldeinwärts befand. Die Wolken, die vom Osten herantrieben, ballten sich mehr und mehr zusammen, und zwischen den Bäumen wurde es zusehends dämmriger.

Die fast unbewegte Luft war schwül, und das Summen von Mücken nahm zu, je tiefer sie in den Wald kamen.

»Wenn's so viele Mücken gibt, bin ich dankbar für den Panzer«, sagte Kalten. »Dann stelle ich mir immer vor, wie Schwärme dieser kleinen Blutsauger mit winzigen Hämmern herumsitzen und versuchen, ihre Rüssel wieder geradezuklopfen.«

»Sie werden gar nicht versuchen, Euch durch den Stahl zu stechen, Ritter Kalten«, erklärte Zalasta. »Geruch lockt sie an, und ich glaube nicht, daß irgendein Lebewesen den Gestank elenischer Rüstungen appetitanregend findet.«

»Ihr seid ein Spaßverderber, Zalasta.«

»Verzeiht, Ritter Kalten.«

Im Osten grollte Donner.

»Das perfekte Ende für einen Tag, an dem alles schiefging«, bemerkte Stragen. »Ein aufmunterndes Gewitter mit vielen Blitzen, Donner, Hagel, peitschendem Regen und heulendem Wind.«

Plötzlich erklang aus einer entfernten Schlucht tiefer im Wald der Widerhall eines heiseren Brüllens. Gleich darauf ertönte eine Antwort aus der entgegengesetzten Richtung.

Ritter Ulath fluchte.

»Was ist los?« fragte Sperber heftig.

»Erkennst du es denn nicht, Sperber?« entgegnete der Thalesier. »Du hast es schon mal gehört – am Vennesee.«

»Was ist es?« erkundigte Khalad sich besorgt.

»Ein Signal, daß es höchste Zeit ist, sich zur Verteidigung bereit zu machen. Da draußen sind Trolle!«