22

»Es ist nicht ideal, Freund Sperber«, sagte Kring skeptisch, »aber ich glaube nicht, daß die Zeit reicht, nach etwas Besserem zu suchen.«

»Da hat er recht, Sperber«, pflichtete Ulath bei. »Die Zeit ist im Augenblick das größte Problem.«

Die Peloi hatten den Wald ringsum nach einer Stelle durchkämmt, die gute Verteidigungsmöglichkeiten bot. Bei ihrem angeborenen Unbehagen in bewaldetem Terrain hatten Krings Reiter mit dieser Suche viel Mut bewiesen.

»Könnt Ihr mir Einzelheiten nennen?« fragte Sperber den kahlgeschorenen Domi.

»Es ist eine Schlucht, die nirgendwohin führt, Freund Sperber.« Kring spielte nervös mit dem Griff seines Säbels. »Ein ausgetrocknetes Bachbett verläuft in der Mitte. So wie's aussieht, würde ich sagen, daß es sich im Frühjahr füllt. Am oberen Ende scheint ein ausgetrockneter Wasserfall zu sein. An seinem Fuß fanden wir eine Höhle, die Schutz für die Damen bieten dürfte und gut zu verteidigen ist, falls die Lage verzweifelt werden sollte.«

»Ich dachte, das wäre sie bereits«, murmelte Tynian.

»Wie breit ist der Zugang zur Schlucht?« erkundigte sich Sperber.

»Der Eingang selbst ist etwa zweihundert Schritte breit«, antwortete Kring. »Aber wenn man ein Stück hindurch ist, verengt er sich bis ungefähr auf zwanzig Schritt. Dann weitet er sich wieder zu einer Art Becken, wo der jetzt ausgetrocknete Wasserfall herabkommt.«

»Das Schlimme an einer Schlucht ist, daß man unten in der Falle hockt«, sagte Kalten düster. »Die Trolle werden rasch herausfinden, daß sie uns bequem von oben mit Steinen bewerfen können.«

»Haben wir eine Wahl?« fragte ihn Tynian.

»Nein, aber ich dachte, ich sollte darauf aufmerksam machen.«

»Es gibt keinen geeigneteren Ort?« fragte Sperber den Domi.

Kring zuckte die Schultern. »Ein paar Lichtungen, zwei Buckel, über die ich spucken könnte.«

»Dann bleibt es also bei der Schlucht«, bestimmte Sperber grimmig. »Beeilen wir uns, damit wir die Schmalstelle noch einigermaßen befestigen können.«

Sie scharten sich dicht um die Karosse und bahnten sich ihren Weg durch den Wald. Die Kutsche holperte über den unebenen Boden, und hin und wieder mußten ein paar umgestürzte Baumstämme beiseite geräumt werden. Nach etwa hundert Metern begann das Gelände anzusteigen, und der Wald wurde lichter.

Sperber lenkte Faran neben die Karosse.

»Wir fahren zu einer Höhle, Ehlana«, sagte er zu seiner Gemahlin. »Krings Männer hatten keine Zeit, sie zu erforschen, deshalb wissen wir nicht, wie tief sie ist.«

»Was spielt das schon für eine Rolle?« Ehlanas Gesicht war noch bleicher als sonst. Das ferne Brüllen der Trolle im Wald hatte sie offensichtlich erschreckt.

»Es könnte sehr wichtig sein«, antwortete Sperber. »Wenn ihr dort seid, soll Talen sich gründlich in der Höhle umschauen. Falls sie tief genug in den Berg reicht oder sich verzweigt, könnt ihr euch um so besser darin verstecken. Sephrenia begleitet euch. Sie kann den Eingang versperren und Abzweigungen verbergen, damit die Trolle euch nicht finden können, falls es ihnen gelingt, an uns vorbei zu kommen.«

»Warum verstecken wir uns nicht alle in der Höhle? Du und Sephrenia, ihr könnt den Eingang mit Magie verschließen. Dann warten wir einfach ab, bis die Trolle die Lust verlieren und verschwinden.«

»Kring meint, daß die Höhle nicht groß genug ist. Seine Männer suchen nach einer anderen, doch die Zeit drängt. Falls wir ein besseres Versteck finden, ändern wir den Plan. Fürs erste ist die Höhle das Beste, was wir haben. Du begibst dich mit den anderen Damen sowie Patriarch Emban, Botschafter Oscagne und Talen hinein. Berit und acht bis zehn weitere Ritter werden den Höhleneingang bewachen. Bitte, widersprich nicht, Ehlana. Dies ist eine der Situationen, da ich die Entscheidungen treffe. Du hast dich in Chyrellos damit einverstanden erklärt.«

»Er hat recht, Majestät«, warf Emban ein. »Wir brauchen jetzt einen General, keine Königin.«

»Falle ich euch zur Last, meine Herren?« fragte Ehlana spitz.

»Nicht im geringsten, Majestät« entgegnete Stragen galant. »Eure Anwesenheit spornt uns an. Wir werden Euer Herz mit unserer Tüchtigkeit und unserem Heldenmut erfreuen.«

»Am meisten könnten die Trolle mein Herz erfreuen, indem sie wieder verschwinden«, sagte Ehlana besorgt.

»Wir könnten ihnen diese Botschaft zukommen lassen«, meinte Sperber, »aber Trolle sind sehr schwer zu überreden – schon gar, wenn sie Hunger haben.« Obwohl die Lage ernst war, machte Sperber sich keine allzu großen Sorgen um die Sicherheit seiner Gemahlin, denn Sephrenia war da, um sie zu beschützen. Und sollte die Situation tatsächlich bedrohlich werden, konnte auch Aphrael eingreifen. Sie würde niemals zulassen, daß ihrer Mutter etwas zustieß, selbst wenn sie dafür ihre göttliche Natur preisgeben müßte.

Die Schlucht hatte ihre Nachteile, daran bestand kein Zweifel. Der offensichtlichste war der, auf den Kalten hingewiesen hatte. Wenn die Trolle den Schluchtrand über ihnen erklommen, wurde ihre Stellung unhaltbar. Kalten betonte dies wortreich, und »ich habe es euch ja gleich gesagt« kam in seinem Redeschwall immer wieder vor.

»Ich glaube, du überschätzt die Klugheit der Trolle«, widersprach ihm Ulath. »Sie werden mit Gebrüll auf uns einstürmen; denn wir sind keine Feinde für sie, sondern Futter, und das ist ihnen wichtiger als ein militärischer Sieg.«

»Du verstehst es heute wirklich, uns aufzumuntern, Ulath«, sagte Tynian. »Was meinst du, wie viele Trolle werden es sein?«

Ulath zuckte die Schultern. »Schwer zu sagen. Ich habe zehn verschiedene Stimmen gezählt – wahrscheinlich die der Familienoberhäupter. Das dürfte bedeuten, daß sich da draußen mindestens hundert herumtreiben.«

»Könnte schlimmer sein«, meinte Kalten.

»Aber nicht viel«, widersprach Ulath. »Hundert Trolle hätten selbst Warguns Armee in ernste Schwierigkeiten bringen können.«

Bevier, ihr Fachmann für Verteidigungsstellungen, hatte sich in der Schlucht umgesehen. »Im Bachbett sind genügend Steine und Felsbrocken für eine Brustwehr, und es gibt ein wahres Dickicht von Schößlingen, die sich als Pfähle verwenden lassen. Ulath, was meinst du, wie lange es noch dauert, bis sie angreifen?«

Ulath kratzte sich am Kinn. »Daß wir angehalten haben, verschafft uns ein bißchen mehr Zeit«, überlegte er laut. »Wären wir weitergezogen, hätten sie wahrscheinlich sofort angegriffen. Aber jetzt werden sie wohl erst einmal alle zusammentrommeln, die in der Nähe sind. Übrigens solltest du deine Verteidigungsmaßnahmen überdenken, Bevier. Trolle haben keine Bogen, somit ist eine Brustwehr unnötig. Sie würde uns mehr behindern als die Trolle. Unser Vorteil sind die Pferde – und unsere Lanzen. Man soll sich einen Troll so weit wie möglich vom Leibe halten. Gut zugespitzte Pfähle allerdings sind hilfreich. Ein Troll nimmt stets den kürzesten Weg, um an etwas heranzukommen, das er haben will – in diesem Fall uns. Wenn wir den Engpaß so verbarrikadieren, daß nur ein paar Trolle auf einmal hindurch können, verbessert das zweifellos unsere Lage. Je weniger von diesen haarigen Bestien wir gleichzeitig vor uns haben, desto besser.« Er seufzte. »Jetzt hätte ich gern mindestens ein Dutzend von Kuriks Armbrüsten.«

»Ich habe eine, Ritter Ulath«, rief Khalad.

»Und viele Ritter haben Langbogen«, fügte Bevier hinzu.

»Wir halten sie mit Pfählen auf, damit wir sie mit Pfeilen treffen können?« fragte Tynian.

»Das ist der beste Plan«, bestätigte Ulath. »Wann immer es geht, sollte man einen Nahkampf mit Trollen meiden.«

»Worauf warten wir dann noch?« forderte Sperber seine Freunde auf.

Die nächste Stunde arbeiteten alle fieberhaft. Die Schmalstelle wurde mit Felsblöcken aus dem Bachbett verengt, und davor errichteten sie einen Wald aus schräg nach außen ragenden, zugespitzten Pfählen. Die Seiten des Eingangs waren so dicht damit gespickt, daß ein Durchkommen unmöglich war, während auf dem Weg zum Becken des ausgetrockneten Wasserfalls erkennbar weniger standen, um die Ungeheuer zu ermutigen, diesen Weg zu nehmen. Krings Peloi fanden ein großes Dornengestrüpp. Sie entwurzelten die Dornbüsche und warfen sie zwischen die dichten Pfähle an den Eingangsseiten, um das Vorankommen der Angreifer noch mehr zu behindern.

»Was macht Khalad dort?« keuchte Kalten unter dem Gewicht des großen Felsbrockens, den er herbeischleppte.

»Er baut irgend etwas«, antwortete Sperber.

»Jetzt ist wahrhaftig nicht die richtige Zeit, sich um Annehmlichkeiten im Lager zu kümmern.«

»Er ist ein sehr vernünftiger junger Mann. Ich bin sicher, er tut etwas Nützliches.«

Am Ende der Stunde hielten sie inne, um die Früchte ihrer Plackerei zu begutachten. Die Schmalstelle war nun zu einer Höchstbreite von knapp acht Fuß verengt und zu beiden Seiten mit brusthohen Pfählen gespickt. Sie würden dafür sorgen, daß die Trolle nicht vom rechten Weg abwichen. Tynian sorgte noch für eine kleine Zugabe, indem er mehrere seiner Alzioner Pflöcke mitten in den Weg schlagen und die herausragenden Enden zuspitzen ließ.

»Trolle tragen doch keine Schuhe, oder?« fragte er Ulath.

»Man würde ein halbes Kuhfell für ein einziges Paar brauchen.« Ulath zuckte die Schultern. »Und da sie Kühe mit Haut und Haaren fressen, haben sie nie genug Leder dafür.«

»Gut. Wir möchten, daß sie in der Schluchtmitte bleiben, wollen es ihnen aber nicht zu leicht machen. Barfüßige Trolle werden in diesem Stoppelfeld nicht rennen – jedenfalls nicht mehr nach den ersten paar Metern.«

Ulath grinste. »Ich mag deine Einfälle, Tynian.«

»Würden die Herren bitte zur Seite treten?« rief Khalad. Er hatte zwei bereits ziemlich stämmige Schößlinge so abgeschnitten, daß ihre Stümpfe etwa kopfhoch waren, und einen dritten quer daran gebunden. Dann hatte er einen Strick an den Enden des waagerechten Schößlings befestigt und ihn so zusammengezogen, daß dieser einen großen Bogen bildete. Der Bogen war gespannt, die Sehne an einem weiteren Baumstumpf festgebunden, und ein zehn Fuß langer Wurfspeer war eingelegt.

Sperber und die anderen begaben sich in sicheren Abstand, und Khalad schoß den Speer ab, indem er den Strick durchschnitt, der den Bogen gespannt hielt. Der Wurfspeer schoß pfeifend durch die Luft und bohrte sich tief in einen gut hundert Meter entfernten Baum.

Kalten lächelte. »Ich mag diesen Jungen. Er ist in solchen Dingen fast schon so gut, wie sein Vater es war.«

»Ja, es ist eine sehr vielversprechende Familie«, pflichtete Sperber ihm bei. »Postieren wir jetzt unsere Schützen so, daß sie unbehindert zum Engpaß schießen können.«

Kalten nickte. »Und dann?«

»Warten wir.«

»Das mag ich am wenigsten. Wie wär's, wenn wir uns einen Bissen gönnen? Natürlich nur, damit die Zeit schneller vergeht.«

»Natürlich.«

Das Gewitter, das sich im Osten bereits seit dem Vormittag zusammenbraute, war näher gekommen. Blitze zuckten tief in der fast schwarzen Wolkenbank, begleitet von Donner, der von Horizont zu Horizont grollte und die Erde erbeben ließ.

Sie warteten. Die Luft war totenstill und schwül, und den Rittern rann der Schweiß unter den Panzerrüstungen über den ganzen Körper.

»Hat noch irgend jemand einen guten Einfall?« fragte Tynian.

»Ich habe ein paar primitive Katapulte zusammengebastelt«, antwortete Bevier. »Allerdings lediglich aus gebogenen Schößlingen. Sie können deshalb keine sehr großen Steine schleudern, und obendrein ist ihre Reichweite beschränkt.«

»Mir ist in einem Kampf gegen Trolle jede Hilfe recht«, sagte Ulath. »Jedes dieser Ungeheuer, das wir unschädlich machen können, ehe es uns erreicht, ist eines weniger, gegen das wir kämpfen müssen.«

»O Gott!« entfuhr es Tynian.

»Was ist?« fragte Kalten erschrocken.

»Ich glaube, ich habe gerade einen am Waldrand gesehen. Sind sie alle so groß?«

»Etwa neun Fuß?« fragte Ulath ruhig.

»Mindestens!«

»Das ist die durchschnittliche Größe, und sie wiegen zwischen gut zwanzig und dreißig Stein.«

»Du nimmst uns auf den Arm!« sagte Kalten ungläubig.

»Wenn du ein bißchen wartest, kannst du dir selber ein Bild davon machen.« Ulaths Blick wanderte über seine Freunde. »Trolle sind schwer zu töten«, warnte er. »Ihr Fell ist ungemein zäh, und ihre Schädelknochen sind fast einen halben Zoll dick. Die Trolle halten eine Menge aus, wenn sie erregt sind. Falls es zum Nahkampf kommt, dann versucht, sie zu verstümmeln. Ein Troll ist nicht mit ein oder zwei Hieben zu erledigen, deshalb mein Rat: Jeder Arm, den ihr abhackt, ist einer weniger, mit dem der Troll euch packen kann.«

»Haben sie Waffen irgendwelcher Art?« erkundigte sich Kalten.

»Allenfalls Prügel. Mit Speeren können sie nicht recht umgehen. Ihre Armgelenke eignen sich nicht dafür, mit einem Speer zuzustoßen.«

»Das ist doch schon mal etwas.«

»Aber nicht viel«, brummte Tynian.

Sie warteten, während das Unwetter grollend näher kam.

In den folgenden zehn Minuten sahen sie weitere Trolle am Waldrand, und das Brüllen dieser Kundschafter rief offenbar den Rest der Meute herbei. Der einzige Troll, den Sperber je zuvor gesehen hatte, war Ghwerig, und der war unter seinesgleichen ein Zwerg und stark verkrüppelt gewesen. Nun gewann Sperber rasch ein vollkommen anderes Bild von diesen Kreaturen. Sie waren, wie Ulath behauptet hatte, durchschnittlich neun Fuß groß und am ganzen Körper mit dunkelbraunem, zotteligem Fell bedeckt. Die Pranken an ihren langen Armen hingen bis unter die Knie. Ihre Gesichter waren tierisch, mit dicken Brauenwülsten, schnauzenähnlichem Mund und hervorstehenden Fängen. Ihre Augen lagen tief in den Höhlen; sie waren klein und glänzten gierig vor Hunger. Die Trolle bewegten sich am Waldrand entlang, ohne auf Deckung zu achten. Sperber sah, daß ihre langen Arme eine wichtige Rolle bei ihrer Fortbewegung spielten. Manchmal dienten sie als zusätzliche Beine, und hin und wieder dazu, sich an Ästen vorwärtszuschwingen. Ihre Bewegungen waren fließend und verrieten ungeheure Behendigkeit.

»Sind wir mehr oder weniger bereit?« fragte Ulath.

»Ich könnte durchaus noch ein bißchen warten«, antwortete Kalten.

»Wie lange?«

»Vierzig oder fünfzig Jahre würden mir genügen. Was hast du vor?«

»Ich habe etwa fünfzehn verschiedene Trolle gesehen«, antwortete der große Thalesier. »Sie kommen einer nach dem anderen an den Waldrand, um nach uns zu sehen. Das bedeutet, daß sie sich gleich dahinter zwischen den Bäumen gesammelt haben. Ich finde, wir sollten ihnen ein paar Beleidigungen an den Kopf werfen. Wenn ein Troll wütend wird, kann er nicht denken. Trolle sind ohnehin keine Geistesleuchten. Ich möchte sie zu einem unüberlegten Angriff herausfordern. Wenn ich sie so richtig wütend mache, werden sie heulen und brüllen und schließlich geifernd aus dem Wald stürmen. Und dann sind sie leichte Zielscheiben für unsere Schützen. Sollten dennoch ein paar durchkommen, können wir sie mit Pferd und Lanze aufhalten. Bevor sie wieder zur Besinnung kommen, könnten wir eine ganze Menge erlegen. Ich möchte ihre Reihen ein wenig lichten, und wütende Trolle sind wirklich gute Zielscheiben.«

»Meinst du, es gelingt uns, so viele zu töten, daß die übrigen fliehen?«

»Ich würde nicht darauf bauen, aber ich nehme an, alles ist möglich. Schließlich wäre ich vor noch gar nicht so langer Zeit jede Wette eingegangen, daß man hundert Trolle nicht dazu bringen kann, auch nur gleichzeitig in dieselbe Richtung zu stapfen. Deshalb ist die Situation hier völlig neu für mich.«

»Laß mich erst mit den anderen reden, ehe wir etwas überstürzen«, sagte Sperber. Er schritt zurück zu den Rittern und den Peloi, die mit ihren Pferden warteten. Vanion stand bei Stragen, Engessa und Kring. »Gleich geht's los«, erklärte Sperber. »Ulath will versuchen, sie zu einem unüberlegten Angriff zu reizen. Die Pfähle werden ihren Ansturm so sehr bremsen, daß unsere Schützen zum Zuge kommen. Es gilt, ihre Reihen zu lichten. Wenn sie tatsächlich durchbrechen, stürmen wir mit den Lanzen auf sie ein.« Er blickte Kring an. »Es liegt nicht in meiner Absicht, Euch zu beleidigen, Domi, aber könntet ihr hinter uns bleiben? Ulath sagt, daß Trolle schwer zu töten sind. Es ist wirklich kein erfreuliches Geschäft, aber jemand muß uns folgen, wenn wir angreifen, und die Verwundeten töten.«

Krings Gesicht verriet sein Mißfallen. »Also gut«, erklärte er sich schließlich einverstanden. »Aber nur aus Freundschaft zu euch.«

»Das weiß ich zu schätzen, Kring. Sobald Ulath die Trolle genug gereizt hat, daß sie losstürmen, werden wir aufsitzen und uns zum Angriff bereitmachen. Ach, noch etwas – nur weil eine abgebrochene Lanze aus einem Troll ragt, bedeutet das noch lange nicht, daß er kein ernstzunehmender Gegner mehr ist. Es ist sicherer, jedem ein paar Lanzen mehr in den Leib zu rammen. Ich werde jetzt den Damen Bescheid geben, und dann geht's los.«

»Ich begleite Euch«, sagte Vanion, und die beiden schritten die Schlucht hinauf zum Höhleneingang.

Berit und eine kleine Gruppe junger Ritter hielten vor dem Eingang Wache. »Kommen Sie?« fragte der gutaussehende junge Mann nervös.

»Wir haben ein paar Kundschafter gesichtet«, antwortete Sperber. »Jetzt wollen wir versuchen, die Meute zu einem Angriff anzustacheln. Wenn wir schon gegen sie kämpfen müssen, ist es mir bei Tageslicht lieber.«

»Und bevor das Gewitter losbricht«, fügte Vanion hinzu.

»Ich glaube nicht, daß sie an uns vorbeikommen«, sagte Sperber zu dem jungen Ritter, »aber seid wachsam. Wenn die Lage zu bedrohlich wird, dann zieht euch in die Höhle zurück!«

Berit nickte.

Da traten Ehlana, Talen und Sephrenia aus der Höhle.

Ehlanas Stimme klang ein wenig schrill, als sie fragte: »Kommen sie?«

»Noch nicht«, antwortete Sperber. »Aber es ist nur eine Frage der Zeit. Wir wollen versuchen, sie ein bißchen in Stimmung zu bringen. Ulath meint, er kann einen Teil von ihnen so wütend machen, daß sie angreifen, bevor die übrigen dazu bereit sind. Wir möchten nicht gegen alle gleichzeitig kämpfen müssen, wenn es sich vermeiden läßt.« Er blickte Sephrenia an. »Seid Ihr zu einem Zauber bereit, kleine Mutter?«

»Das kommt auf den Zauber an.«

»Könnt Ihr die Höhlenöffnung so verschließen, daß die Trolle nicht hinein können?«

»Wahrscheinlich. Und wenn nicht, kann ich die Höhle immer noch einstürzen lassen.«

»Das würde ich nur als letzten Ausweg empfehlen. Wartet auf jeden Fall, bis auch Berit und seine Männer in der Höhle sind.«

Talens vornehme Kleidung war ziemlich schmutzig geworden. »Und, hast du was gefunden?« fragte Sperber ihn.

»Nur eine Höhle, in der ein Bär seinen Winterschlaf gehalten hat.« Der Junge zuckte die Schultern. »Der Zugang war ziemlich schmal und niedrig. Es gibt zwei weitere Gänge, die ich mir erst noch ansehen muß.«

»Geht kein Risiko ein. Falls Sephrenia den Eingang zum Einsturz bringen muß, möchte ich gern, daß ihr alle an einem geschützten Ort seid.«

Talen nickte.

»Paß gut auf dich auf, Sperber«, sagte Ehlana und umarmte ihn heftig.

»Tu' ich doch immer, Liebling.«

Auch Sephrenia umarmte Vanion, und ihre Worte glichen denen Ehlanas. »Jetzt geht, ihr zwei«, sagte sie.

»Jawohl, kleine Mutter«, antworteten die beiden im Chor.

Sie schritten die Schlucht hinunter. »Ihr billigt mein Verhältnis zu Sephrenia nicht, Sperber, nicht wahr?« fragte Vanion ernst. »Es geht mich nichts an, mein Freund.«

»Ich wollte nicht wissen, ob es Euch etwas angeht, sondern ob Ihr es billigt. Eine andere Möglichkeit gab es nicht, wißt Ihr. Die Gesetze unserer beiden Kulturen lassen eine Heirat nicht zu.«

»Ich glaube nicht, daß die Gesetze für euch beide Gültigkeit haben. Ihr, Vanion, und Sephrenia habt eine besondere gemeinsame Freundin, die sich nicht um Gesetze schert, falls sie ihr nicht gefallen.« Sperber lächelte seinen alten Freund an. »Ich freue mich ehrlich. Es war nicht mehr mit anzusehen, wie Euch und Sephrenia eure Situation zu schaffen machte.«

»Danke, Sperber. Ich mußte wissen, wie Ihr darüber denkt. Aber ich werde nie mehr nach Eosien zurückkehren können.«

»Ich finde, das braucht Ihr unter diesen Umständen nicht zu bedauern. Ihr und Sephrenia seid glücklich, und das allein zählt.«

»Da kann ich nur zustimmen. Wenn Ihr nach Chyrellos zurückkehrt, versucht bitte, diese Sache im besten Licht darzustellen. Ich fürchte allerdings, daß Dolmant aus der Haut fährt, wenn er davon erfährt.«

»Da wäre ich mir nicht so sicher, Vanion.«

Sperber stellte erstaunt fest, daß er sich noch an ein paar Worte aus der Trollsprache erinnerte, als Ulath in der Mitte des Engpasses stand und Beleidigungen zum Wald hinüber brüllte.

»Was ruft er?« fragte Kalten neugierig.

»Schwer zu übersetzen«, antwortete Sperber. »Trollische Beschimpfungen beschreiben so allerlei Körperfunktionen.«

»Oh, tut mir leid. Ich nehme die Frage zurück.«

»Es würde dir noch viel mehr leid tun, wenn ich es übersetzen könnte.« Sperber verzog das Gesicht bei einer besonders unflätigen Beleidigung, die Ulath den Trollen soeben entgegengeschleudert hatte.

Die Trolle reagierten heftig auf die Beschimpfungen. Offenbar waren sie nicht fähig, so etwas als rituelles Vorgeplänkel zum Kampf zu betrachten, wie es bei Menschen der Fall ist. Bei jedem neuen Schimpfwort des Genidianers heulten sie auf. Eine Schar Trolle kam aus dem Wald hervor. Sie hatten Schaum vor dem Mund und stampften vor Wut mit den Füßen.

»Wie lange warten sie noch, bis sie angreifen?« fragte Tynian seinen großen blonden Freund.

»Das läßt sich bei Trollen schwer abschätzen«, antwortete Ulath. »Ich glaube nicht, daß sie darin geübt sind, in Gruppen zu kämpfen. Natürlich kann ich es nicht mit Sicherheit sagen, aber ich vermute, einer wird schließlich so in Wut geraten, daß er einfach losstürmt. Dann kommt es darauf an, daß die anderen ihm folgen.« Wieder rief er den riesenhaften Kreaturen am Waldrand ein paar Worte entgegen.

Ein Troll kreischte vor Wut; dann rannte er watschelnd auf zwei Beinen und einem Arm los. Mit der freien Hand schwang er einen gewaltigen Prügel. Erst folgte ihm ein Artgenosse, dann weitere.

Sperber blickte sich nach seinen Schützen um. Khalad hatte seine Armbrust einem anderen jungen Pandioner überlassen und stand schußbereit hinter seiner selbstgebastelten Wurfmaschine.

Der Troll an der Spitze drosch mit seinem Prügel wild nach den gespitzten Pfählen, doch die elastischen Schößlinge bogen sich unter seinen Hieben nur und federten sogleich wieder zurück. Der tobende Troll hob die Schnauze und heulte vor Wut.

Khalad durchschnitt das Seil, das seinen gigantischen Bogen gespannt hielt. Die Arme des Bogens peitschten mit melodischem Sirren nach vorn, und der Wurfspeer flog in einem langen Bogen durch die Luft und drang mit einem dumpfen Laut in die breite, pelzige Brust des Trolls.

Der Troll ruckte heftig zurück und stierte auf den Schaft, der aus seinem Leib ragte. Er berührte ihn zögernd mit einem Krallenfinger, als würde er sich fragen, wie dieses Ding hierhergekommen war. Dann setzte er sich heftig nieder, während Blut aus seinem Maul quoll. Er legte beide Hände zittrig um den Schaft und versuchte ihn herauszuziehen. Ein gewaltiger Schwall Blut schoß aus seinem Rachen. Der Troll seufzte und kippte zur Seite.

»Guter Schuß«, rief Kalten Sperbers Knappen zu, der bereits mit Hilfe von zwei jungen Pandionern seine Maschine neu spannte.

»Gebt den anderen Schützen Bescheid, daß die Trolle stehenbleiben, wenn sie zu den Pfählen kommen«, rief Khalad nach hinten. »Offenbar wissen sie nicht, was sie davon halten sollen, und sie geben gute Zielscheiben ab, wenn sie reglos dastehen.«

»Schon unterwegs.« Kalten begab sich zu den Schützen auf einer Seite der Schlucht, Bevier zu denen auf der anderen, um sie zu informieren.

Die sechs Trolle, die dem ersten gefolgt waren, achteten gar nicht auf den Gefallenen. Ohne anzuhalten, stürmten sie auf das Feld aus spitzen Pflöcken zu.

»Das könnte gefährlich werden, Sperber«, sagte Tynian. »Die Trolle haben nie in Gruppen gekämpft, deshalb achten sie gar nicht auf Gefallene. Ulath sagt, daß es keinen natürlichen Tod für sie gibt. Darum begreifen sie nicht, was mit den Gefallenen geschehen ist, und werden sich wahrscheinlich nicht zurückziehen, ganz gleich, wie viele von ihnen wir töten. Die Trolle kann man nicht mit menschlichen Gegnern vergleichen. Sie greifen an und kämpfen, bis alle tot sind. Das sollten wir bei unserer Taktik berücksichtigen.«

Weitere Trolle brachen aus dem Wald hervor, und Ulath setzte seine Beschimpfungen fort.

Kalten und Bevier kamen zurück. »Mir ist gerade etwas durch den Kopf gegangen«, sagte Kalten zu Ulath. »Werden auch Trollinnen angreifen?«

»Wahrscheinlich.«

»Wie kann man weibliche Trolle von den männlichen unterscheiden?«

»Gelüstet dich nach einer Trollin?«

»Welch abscheulicher Gedanke! Ich möchte nur keine Frauen töten, das ist alles.«

»Frauen? Das sind Trolle, Kalten, keine Menschen. Man kann die weiblichen nicht von den männlichen unterscheiden, es sei denn, sie haben Junge bei sich oder man sieht sie sich aus nächster Nähe an. Aber letzteres ist nicht empfehlenswert. Eine Trollsau wird einem genauso den Kopf abreißen wie ein Eber.« Der Genidianer machte sich wieder daran, Obszönitäten zu brüllen.

Weitere Trolle schlossen sich dem Ansturm an, und schließlich quollen die Ungeheuer in Scharen aus dem Wald hervor und gesellten sich ohne Zögern zu dem angreifenden Haufen.

»Es ist soweit«, stellte Ulath zufrieden fest. »Die ganze Meute kommt herangestürmt. Zu den Pferden!«

Sie rannten zu den anderen zurück, während Cyriniker mit Beviers behelfsmäßigen Katapulten und Pandioner mit Khalads speerwerfendem Riesenbogen ihre Geschosse in die heranstürmende Horde schleuderten. Auch von den Schützen an den Schluchtwänden hagelten Pfeile auf die zotteligen Angreifer nieder.

Gespickt mit Pfeilen stürzten einige Trolle zu Boden, doch andere stürmten weiter, ohne auf die Schäfte zu achten, die aus ihren Körpern ragten.

»Sieht nicht so aus, als könnten wir damit rechnen, daß die Trolle durch den Tod ihrer Freunde verängstigt werden und die Flucht ergreifen«, sagte Sperber zu Vanion und den übrigen, als er sich auf Farans Rücken stemmte.

»Freunde?« meinte Stragen milde. »Trolle haben keine Freunde, Sperber. Sie haben nicht einmal für ihre Familie viel übrig.«

»Ich wollte damit nur sagen, daß die Entscheidung bei diesem einen Ansturm fallen wird«, entgegnete Sperber. »Sie rennen gegen uns an, bis sie uns haben oder tot sind.«

»So ist es auch besser, Freund Sperber.« Kring grinste wölfisch. »Endlose Kämpfe sind langweilig, findet ihr nicht?«

»Oh, das würde ich nicht sagen«, warf Tynian ein. »Was meinst du, Ulath?«

Die Ritter formierten sich mit eingelegten Lanzen und warteten.

Das erste halbe Dutzend Trolle hatte ein Pfeilhagel gefällt. Sie lagen im Sterben oder waren bereits tot. Die nachrückenden Reihen der brüllenden Meute gerieten unter neuerlichem Pfeilbeschuß ins Stocken. Die nachdrängenden Trolle stampften ohne anzuhalten über ihre tödlich getroffenen Artgenossen hinweg und stürmten mit offenen Mäulern und geifernden Fängen weiter.

Die zugespitzten Pfähle leisteten gute Dienste. Nach einigen vergeblichen Versuchen, durch diese Stachelbarriere zu brechen, quollen die Trolle dichtgedrängt in den schmalen Durchlaß, wo die vordersten – dank Tynians aus dem Boden ragenden spitzen Pflöcken – nur langsam vorankamen. Mit blutigen Füßen rennt selbst die wütendste Bestie nicht mehr so behende.

Sperber schaute sich um. Die Ritter hatten sich in Viererreihen formiert und die Lanzen halb gesenkt. Die Trolle setzten humpelnd ihren Vormarsch durch den Engpaß fort, bis die vordersten Angreifer – ebenfalls in Viererreihe – das Ende des gespickten Durchgangs erreichte, wo er sich zum Becken hin öffnete. »Es geht los«, murmelte Sperber. Er richtete sich in den Steigbügeln auf und brüllte: »Angriff!«

Die Taktik, die Sperber für die Ordensritter zurechtgelegt hatte, war einfach. Die Gefährten sollten in Viererreihen angreifen, sobald die Trolle auf das Becken zukamen, dann die vorderste Reihe der Angreifer auf die Lanzen nehmen und sogleich paarweise seitwärts ausweichen, damit die nächste Gruppe attackieren konnte. Nach dem Angriff sollte jede Viererreihe sich der Kolonne hinten anschließen, frische Lanzen aufnehmen und warten, bis sie wieder an die Reihe kam. Im Prinzip war es ein ununterbrochener Angriff. Sperber war recht stolz auf diesen Einfall. Von einem menschlichen Gegner wäre diese Taktik wahrscheinlich rasch durchschaut worden, doch bei den Trollen erwies sie sich als recht wirksam.

Vor dem Durchgang begannen sich zottige Kadaver zu häufen. Ein Troll war offenbar nicht klug genug, sich tot zu stellen. Er setzte seinen Angriff fort, bis er starb oder so schwer verwundet war, daß er sich nicht mehr rühren konnte. Nachdem mehrere Reihen der Ritter die vorderen Angriffsketten der Trolle mit Lanzen gefällt hatten, ragten aus manchen der Ungeheuer drei oder vier abgebrochene Schäfte. Das aber hielt die nachfolgenden Trolle nicht auf; sie kletterten über ihre blutenden Artgenossen hinweg.

Sperber, Vanion, Kalten und Tynian kamen bereits zum zweitenmal in die vorderste Reihe. Wieder rammten sie ihre Lanzen in anstürmende Gegner, knickten die Schäfte mit gekonnter Drehung des Arms und scherten zu beiden Seiten aus.

»Dein Plan geht offenbar recht gut auf«, beglückwünschte Kalten seinen Freund. »Zumal die Pferde zwischen den Angriffen Zeit haben, sich auszuruhen.«

»So war es gedacht«, versicherte Sperber ihm fast ein bißchen selbstgefällig, während er sich aus dem Gestell am Ende der Kolonne eine frische Lanze nahm.

Das Gewitter hatte sie nun fast erreicht. Der Wind fuhr heulend durch die Bäume, und Blitze zuckten blendend aus den blauschwarzen Wolken.

Da erschallte aus dem Wald ein ungeheuerliches Brüllen.

»Was, in Gottes Namen, war das?« rief Kalten. »Nichts kann so laut sein!«

Was immer es gewesen war – es mußte gewaltig sein. Es bahnte sich durch den Wald einen Weg auf sie zu. Der tobende Wind trug einen pestilenzialischen Gestank mit sich, als er gegen die geschlossenen Visiere der Ritter peitschte.

»Das stinkt ja wie in einem Beinhaus!« rief Tynian, um über das Tosen des Sturms und den Lärm der Schlacht hinweg gehört zu werden.

»Habt Ihr eine Ahnung, was das ist, Vanion?« fragte Sperber.

»Nein«, antwortete der Hochmeister. »Aber es muß gigantisch sein. Größer als alles, was mir je begegnet ist.«

Bald fiel der Regen in dichten Schleiern, hinter denen die anstürmenden Trolle nur undeutlich zu sehen waren.

»Weitermachen!« brüllte Sperber. »Nicht nachlassen!«

Der methodische Angriff wurde fortgesetzt, während die Trolle stumpfsinnig durch den Schlamm vor die Lanzen der Ritter watschelten. Die Strategie war erfolgreich, doch es hatte Verluste gegeben. Einige Pferde waren durch Prügelhiebe verwundeter und tobender Trolle niedergestreckt worden, und mehrere Ritter lagen reglos auf dem aufgeweichten Boden.

Plötzlich erstarb der Wind, und der Regen ließ nach, als die Stille im Auge des Sturms über ihnen war.

»Was ist das?« rief Tynian. Er deutete auf irgend etwas, das sich hinter den kreischenden Trollen befand.

Es war ein einzelner Funke, heller als die Sonne, und er schwebte dicht über dem Waldrand. Plötzlich schwoll er bedrohlich an, und ein Strahlenkranz aus grellem, rötlichem Licht umgab ihn.

»Da ist etwas im Innern!« rief Kalten.

Sperber blinzelte angestrengt in das grelle Pupurlicht, welches das Schlachtfeld erhellte. »Es ist lebendig«, sagte er angespannt. »Es bewegt sich!«

Die Kugel aus purpurnem Licht wuchs schneller und schneller; und lodernde, orangefarbene Flammen zuckten aus ihr hervor.

Und in der Mitte dieser flammenden Kugel stand jemand – jemand in einem Kapuzengewand, in grünes Feuer gehüllt. Der Vermummte hob eine Hand, öffnete sie weit – und ein Blitz zuckte aus der Handfläche. Ein anstürmender cyrinischer Ritter und sein Pferd wurden durch den Blitz in verkohlte Stücke gerissen.

Und dann erschien hinter diesem sengenden Licht eine gewaltige Kreatur. Es war unvorstellbar, daß etwas Lebendes so groß sein konnte. Der Schädel war der eines Reptils. Das Wesen war riesig, ohrlos, schuppengepanzert und besaß eine lippenlose krokodilähnliche Schnauze mit ungezählten Zahnreihen. Der Hals der Kreatur war kurz; sie hatte schmale Schultern und winzige Vorderpfoten. Den Rest des ungeheuren Körpers verbargen gnädigerweise die Bäume.

»Dagegen sind wir machtlos!« rief Kalten bestürzt.

Der Vermummte im Innern des purpurnen Feuerballs hob erneut den Arm. Und wieder schoß ein Blitz aus der offenen Handfläche – und explodierte mitten in der Luft in einem Funkenregen.

»Habt Ihr ihn abgewehrt?« brüllte Vanion Sperber zu.

»Nein, Vanion, so schnell bin ich nicht.«

Plötzlich hörten sie im Rücken eine tiefe, hallende Stimme in styrischer Sprache rezitieren. Sperber riß Faran herum.

Es war Zalasta. Der silberhaarige Styriker stand ein gutes Stück über der Talsohle auf dem steilen Nordhang der Klamm. Sein weißes Gewand schimmerte in der Düsternis des Unwetters. Er hatte beide Arme über den Kopf erhoben, und sein Stab, dem Sperber bisher keine Bedeutung beigemessen hatte, leuchtete grell. Zalasta senkte den Stab, dann deutete er damit auf den Vermummten in der Strahlenkugel. Ein blendender Funke schoß aus der Stabspitze, zuckte knisternd über die Köpfe der Peloi und Ordensritter hinweg, traf die feurige Kugel und explodierte in einem grellen Funkenregen.

Die Gestalt im Feuer zuckte, und wieder schoß ein Blitz aus der offenen Hand, diesmal genau auf Zalasta gerichtet. Der Styriker lenkte ihn beiläufig mit seinem Stab zur Seite und erwiderte den Angriff mit einem weiteren blendenden Funken, der wie der vorherige an der Oberfläche der Feuerkugel zerstob.

Aufs neue zuckte der Vermummte zusammen, diesmal heftiger. Die ungeheuerliche Kreatur hinter der Kugel heulte und wich in die Dunkelheit zurück.

Die Ordensritter waren beim Anblick dieser schrecklichen Erscheinung wie versteinert.

»Wir sind noch nicht fertig, meine Herren!« rief Vanion. »Angriff!«

Sperber, aus der Erstarrung gerissen, fuhr zusammen. »Danke, Vanion«, sagte er zu seinem Freund. »Für einen Moment war ich nicht bei der Sache.«

»Besser aufpassen, Sperber«, rügte Vanion in dem Tonfall, dessen er sich stets auf dem Übungsplatz bedient hatte, als Sperber und Kalten vor vielen Jahren Novizen gewesen waren.

»Jawohl, Eminenz«, erwiderte Sperber genauso kleinlaut und verlegen. Dann blickten die beiden Männer sich an und lachten.

»Genau wie in der guten alten Zeit«, sagte Kalten kichernd. »Wie wär's, wenn wir uns wieder mit den Trollen beschäftigen und die Nebensächlichkeiten Zalasta überlassen?«

Die Ritter setzten ihren Dauerangriff fort – wie auch die beiden Magier ihr feuriges Duell hoch über ihnen. Die Trolle waren so wild und ungestüm wie zuvor, doch ihre Zahl war erheblich geschrumpft, und die wachsenden Haufen ihrer Toten behinderten den Ansturm der Kreaturen.

Das blutige Gemetzel nahm seinen Fortgang, während die Luft über dem Schlachtfeld von dem furchterregenden Feuer knisterte und zischte.

»Bilde ich's mir nur ein, oder wird unser purpurner Freund da oben ein wenig blaß und schwach?« fragte Tynian, als sie sich wieder neue Lanzen aus dem Gestell nahmen.

»Sein Feuer strahlt nicht mehr so hell«, bestätigte Kalten. »Und er braucht von Mal zu Mal länger, bis er einen Blitz zustandebringt.«

»Laßt euch das nur nicht zu Kopf steigen, meine Herren!« warnte Vanion. »Wir haben immer noch mehr als genug mit den Trollen zu tun, und vermutlich ist auch noch diese zu groß geratene Echse da draußen im Wald.«

»Und ich hatte mich so bemüht, sie zu vergessen!« sagte Kalten vorwurfsvoll.

So schnell und plötzlich, wie sie angeschwollen war, schrumpfte die Kugel aus purpurnem und orangenem Feuer zusammen. Zalasta verstärkte seinen Angriff. Die Funken schossen in rascher Folge aus seinem Stab und explodierten wie feuriger Hagel an der immer kleiner werdenden Kugel.

Und dann verschwand sie.

Die Peloi stießen Jubelrufe aus, und der Angriff der Trolle stockte.

Mit seltsam entrückter Miene lud Khalad seine Schleudermaschine mit einem weiteren Speer und kappte den Strick. Als der Speer durch die Luft sirrte, schien er sich zu entzünden. Flammend beschrieb er einen höheren und weiteren Bogen als alle Speere zuvor.

Die ungeheuerliche Echse brüllte und streckte den gräßlichen Schädel hoch über die Bäume hinaus. Da bohrte der brennende Speer sich tief in ihre Brust, und die abscheuliche Kreatur röhrte ohrenbetäubend vor Schmerz und Wut. Ihre kleinen Vorderklauen tasteten vergeblich nach dem brennenden Schaft. Ein dumpfer, dröhnender Knall erklang im Innern des Körpers – eine Explosion, die den Boden erbeben ließ. Dann zerbarst die gigantische Echse in Fontänen aus blutigem Feuer, und ihre zerfetzten Überreste sanken zuckend hinab in den Wald.

Ein unsteter Schimmer erschien am Waldrand, der an die flimmernde Luft an einem heißen Sommertag erinnerte. Und dann sahen alle, wie etwas aus diesem Schimmer auftauchte: ein derbes, häßliches Gesicht, von Wut und Enttäuschung verzerrt. Es war zottig; kleine Augen, wie die eines Schweins, brannten tief in den Höhlen.

Das Wesen bleckte seine spitzen, gewaltigen Reißzähne und stieß ein Heulen aus, das die Luft zerriß – und Sperber zuckte zusammen. Die flimmernde Erscheinung brüllte in Troll! Aufs neue heulte die Kreatur und ihre donnernde Stimme bog die Bäume ringsum wie ein gewaltiger Sturm.

»Was, in Gottes Namen, ist das?« rief Bevier.

»Ghworg«, antwortete Ulath. »Der Trollgott des Tötens.«

Das unsterbliche Ungeheuer heulte noch einmal und verschwand.