18

»Wir haben ganz einfach nicht die Zeit dafür, Sperber«, sagte Sephrenia ruhig.

»Ich werde mir die Zeit nehmen, kleine Mutter«, entgegnete er düster. »Ich glaube nicht, daß ich sehr lange brauche. Ich bleibe mit Stragen hier, und wir spüren Krager auf. Er ist kein Styriker; daher wird er nicht schwer zu finden sein. Wir holen euch rasch wieder ein, sobald wir ihn geschnappt und in die Mangel genommen haben. Ich werde ihn ausquetschen, bis ihm das Blut aus den Haaren läuft.«

»Und wer kümmert sich um Mutters Sicherheit, während du dich amüsierst, Vater?« fragte Danae.

»Sie hat eine ganze Armee um sich, Danae.«

»Du bist ihr Streiter, Vater. Oder ist das nur ein bedeutungsloser Titel, den du eine Weile ablegen kannst, wenn du etwas Amüsanteres zu tun findest, als das Leben der Königin zu schützen?«

Sperber blickte seine Tochter an. Dann schmetterte er in hilflosem Zorn die Faust gegen die Wand.

»Ihr werdet Euch die Hand brechen«, murmelte Sephrenia.

Sie befanden sich in der Küche. Sperber hatte sich in aller Frühe zu seiner ehemaligen Lehrerin begeben, um ihr von Talens Entdeckung und seinen eigenen Plänen zu berichten, Krager für dessen ungezählte Vergehen zur Rechenschaft zu ziehen. Danaes Anwesenheit war nicht weiter verwunderlich.

»Warum habt Ihr ihn nicht zu Tode gefoltert, als Ihr in Chyrellos die Gelegenheit hattet, Lieber?« fragte Sephrenia ruhig.

»Sephrenia!« Die Kaltblütigkeit, mit der sie es sagte, bestürzte Sperber mehr als die Worte.

»Ihr hättet es tun sollen, Sperber. Dann könnte er uns nicht ständig neue Schwierigkeiten machen. Ihr wißt, was Ulath immer sagt: Man soll einen Feind nie lebend zurücklassen.«

»Ihr redet fast schon wie ein Elenier, kleine Mutter.«

»Wollt Ihr mich beleidigen?«

»Hat der Schmerz in der Hand dich wieder zur Besinnung gebracht, Vater?« fragte Danae.

Er seufzte bedauernd. »Ihr habt natürlich recht«, gestand er. »Der Gaul ist mit mir durchgegangen. Daß Krager uns noch immer über den Weg läuft, macht mir zu schaffen. Er ist ein Überbleibsel Martels, und unter diesen Teil meines Lebens würde ich gern einen Strich ziehen.«

»Kannst du wirklich jemanden so ausquetschen, daß ihm das Blut aus den Haaren kommt?« fragte seine Tochter.

»Das sage ich dir, sobald ich mit Krager fertig bin.« Er strich über seine wunden Fingerknöchel. »Ja, ich glaube, wir sollten wirklich zusehen, daß wir nach Matherion kommen. Sephrenia, wie steht es wirklich um Vanions Gesundheit?«

»Möchtet Ihr bestimmte Einzelheiten hören?« fragte sie lächelnd.

»Mich interessiert nur, ob er sich eine solche Reise zumuten darf.«

»Da habe ich keine Bedenken. Sein Gesundheitszustand könnte nicht besser sein.«

»Gut. Dann wird es mir eine Freude sein, ihm wieder die Führung zu überlassen.«

»Kommt überhaupt nicht in Frage!«

»Wie bitte?«

»Vanion hat diese Bürde viel zu lange Jahre getragen. Das war ja der Grund für seine Erkrankung. Findet Euch mit der Tatsache ab, daß jetzt Ihr der Hochmeister der Pandioner seid, Sperber. Gewiß wird Vanion Euch gern mit Rat und Tat zur Seite stehen, doch die Entscheidungen müßt Ihr treffen! Ich werde nicht zulassen, daß Ihr ihn umbringt!«

»Dann könnt Ihr und Vanion uns nach Matherion begleiten?«

»Aber natürlich kommen sie mit, Sperber«, versicherte Danae. »Das haben wir längst schon beschlossen.«

»Es wäre nett gewesen, hätte sich jemand dazu herabgelassen, mir darüber Bescheid zu geben.«

»Warum? Du brauchst nicht alles zu wissen, Vater. Tu einfach, was wir dir sagen.«

»Was in aller Welt hat Euch veranlaßt, Euch für Aphrael zu entscheiden, Sephrenia?« fragte Sperber kopfschüttelnd. »Stand denn keine andere Gottheit zur Wahl – einer der Trollgötter vielleicht?«

»Sperber!« stieß Danae schockiert hervor.

Er grinste sie an.

»Zalasta wird ebenfalls mitkommen«, verkündete Sephrenia. »Er wurde ohnedies nach Matherion zurückberufen, und wir brauchen seine Hilfe.«

Sperber runzelte die Stirn. »Das könnte uns Probleme bereiten, kleine Mutter. Ehlana traut ihm nicht.«

»Das ist absurd, Sperber! Ich kenne Zalasta schon mein Leben lang. Ich glaube, er würde sogar sterben, wenn es für mich wichtig wäre.«

»Hat Mutter irgendwelche Gründe für ihr Mißtrauen genannt?« fragte Danae gespannt.

»Vielleicht war es Haß auf den ersten Blick.« Sperber zuckte die Schultern. »Zalastas Ruf als weisester Mann der Welt hat ihn deiner Mutter vermutlich auch nicht sympathischer gemacht. Sie mochte ihn wahrscheinlich schon nicht, als sie ihn noch gar nicht kannte.«

»Und vor allem ist er Styriker.« Sephrenias Stimme klang schneidend.

»Ihr solltet Ehlana wirklich besser kennen, Sephrenia. Ich glaube, es ist höchste Zeit, daß wir Sarsos verlassen. Die allgemeine Meinung hier in der Stadt scheint auf Euch abzufärben.«

»Glaubt Ihr das wirklich?« erwiderte sie mit zorniger Stimme.

»Es ist leicht, eine Abneigung einfach als Vorurteil abzutun. Das ist die schlimmste Art von Gedankenlosigkeit. Es gibt andere Gründe, jemanden nicht zu mögen. Erinnert Ihr Euch an Ritter Antas?«

Sie nickte.

»Ich habe diesen Mann gehaßt!«

»Antas? Ich dachte, er wäre Euer Freund gewesen.«

»Ich konnte ihn nicht ausstehen. Jedesmal, wenn er in meine Nähe kam, kribbelte es mir in den Händen. Könnt Ihr Euch vorstellen, daß ich glücklich war, als Martel ihn tötete?«

»Sperber!«

»Es wäre mir lieber, Ihr würdet Vanion nichts davon erzählen, kleine Mutter. Ich bin nicht stolz darauf. Ich will damit nur sagen, daß es manchmal ganz persönliche Gründe für Abneigung gibt, die nichts mit unserer Rasse oder unserem Stand oder unserer Einstellung zu tun haben. Ehlana kann Zalasta nicht leiden, das ist alles. Ihr solltet immer erst die einfachen Erklärungen bedenken, ehe Ihr nach komplizierten sucht.«

»Gibt es sonst noch etwas, das Ihr gern an mir ändern würdet, Herr Ritter?«

Er betrachtete sie mit ernster Miene von Kopf bis Fuß. »Ihr seid wirklich sehr klein, wißt Ihr. Habt Ihr je in Erwägung gezogen, noch ein bißchen zu wachsen?«

Fast hätte sie erbost geantwortet; dann aber lachte sie plötzlich. »Wenn Ihr es darauf anlegt, könnt Ihr der entwaffnendste Mann der Welt sein, Sperber.«

»Ich weiß. Deshalb liebt man mich ja auch so.«

»Verstehst du jetzt, weshalb ich diese großen elenischen Lümmel so mag?« fragte Sephrenia ihre Schwester.

»Natürlich«, antwortete Aphrael. »Weil sie wie riesige tolpatschige Hündchen sind.« Ihre dunklen Augen wurden ernst. »Nicht viele wissen, wer ich wirklich bin«, sagte sie nachdenklich. »Ihr zwei und Vanion seid so ziemlich die einzigen, die mich in dieser Inkarnation erkennen. Ich halte es für klug, wenn wir's dabei belassen. Unser Feind – wer immer er ist – ist vielleicht unvorsichtiger, wenn er nicht weiß, daß ich in der Nähe bin.«

»Aber Zalasta möchtest du doch einweihen, oder?« fragte Sephrenia.

»Nein, jedenfalls jetzt noch nicht. Er muß es nicht wissen, also behalten wir es für uns. Wenn man jemandem vertraut, muß man notgedrungen auch jenen trauen, denen dieser Jemand vertraut – und dazu zählen manchmal Leute, die man gar nicht kennt.«

»Sie hat eine ausgesprochene Begabung für Logik«, bemerkte Sperber.

»Ich weiß.« Sephrenia seufzte. »Sie ist in schlechte Gesellschaft geraten, fürchte ich.«

Sie verließen Sarsos noch am gleichen Morgen nach dem Frühstück und ritten durch das Osttor, wo sich ihnen die Ordensritter, die Peloi und Engassas zwei Legionen Ataner anschlossen. Es war ein schöner, warmer Tag mit strahlendblauem Himmel. Die Morgensonne stand über der Bergkette im Osten, deren schneebedeckte Gipfel schroff in den Himmel ragten und deren hohe Flanken in die tiefblauen Schatten des Morgens getaucht waren. Das Land vor ihnen sah wild und zerklüftet aus. Engessa schritt neben dem reitenden Sperber her; sein bronzefarbenes Gesicht wirkte ein wenig weicher als sonst. Er deutete auf die Gipfel. »Atan, Sperber-Ritter«, erklärte er. »Meine Heimat!«

»Ein beeindruckendes Land, Atan Engessa«, erwiderte Sperber. »Wie lange seid Ihr ihm fern gewesen?«

»Fünfzehn Jahre.«

»Das ist eine lange Zeit.«

»Das ist es wahrhaftig, Sperber-Ritter.« Engessa warf einen Blick über die Schulter auf die Karosse, die hinter ihnen herrollte. Zalasta hatte Stragens Platz in der Kutsche eingenommen, und Danae saß auf Mirtais Schoß. »Wir kennen einander inzwischen recht gut, nicht wahr, Sperber-Ritter?« sagte der Atan.

»Das will ich meinen«, bestätigte Sperber. »Unsere Völker haben unterschiedliche Sitten und Gebräuche, aber es scheint uns gelungen zu sein, solche Hürden zu nehmen.«

Engessa lächelte leicht. »Ihr wart ein guter Unterhändler für Atana Mirtai und Domi Kring.«

»Vernünftige Menschen finden in der Regel vernünftige Möglichkeiten, mit anderen auszukommen.«

»Elenier halten viel von Vernunft, nicht wahr?«

»Das gehört zu unseren Eigenheiten, würde ich sagen.«

»Ich möchte Euch etwas über eine unserer Sitten erklären, Sperber-Ritter. Vielleicht kann ich das nicht gut; denn ich bin nicht sonderlich gewandt in Eurer Sprache. Aber ich möchte gern, daß Ihr es den anderen erklärt.«

»Ich werde mein Bestes tun, Atan Engessa.«

»Atana Mirtai wird den Reiferitus vollziehen, während sie in Atan ist.«

»Das dachte ich mir schon.«

»Bei unserem Volk ist es Sitte, daß ein Kind vor dem Ritus seine Kindheit in Gedanken wiedererlebt, und es ist wichtig, daß seine Familie dabei ist. Ich habe mit Atana Mirtai gesprochen. Ihre Kindheit war nicht glücklich. Viele ihrer Erinnerungen werden schmerzvoll sein. Die Menschen, die sie lieben, müssen ihr zur Seite stehen, während sie diese Erinnerungen hinter sich läßt. Würdet Ihr EhlanaKönigin und den anderen erklären, was geschehen wird?«

»Das werde ich, Engessa-Atan.«

»Die Atana wird zu euch kommen, wenn sie bereit ist. Es ist ihr Recht, ihre Helfer zu erwählen. Manche Wahl mag Euch überraschen, doch in meinem Volk erachtet man es als Ehre, erwählt zu werden.«

»Es wird auch für uns eine Ehre sein, Engessa-Atan.«

Sperber informierte die anderen kurz darüber, daß Mirtai bald zu einer Zusammenkunft laden würde. Er beließ es dabei, da er selbst noch keine genaue Vorstellung hatte, was sie erwartete.

An diesem Abend schritt die atanische Riesin ungewohnt schüchtern durch das Lager. Sie forderte niemanden, wie man vielleicht erwartet hatte, gebieterisch zur Teilnahme auf, sondern ersuchte fast flehend darum, und sie machte einen sehr verletzlichen Eindruck. Mirtai erwählte hauptsächlich Personen, mit denen Sperber gerechnet hatte – jene Menschen, die ihr während ihrer letzten Sklavenjahre am nächsten gestanden hatten. Doch gab es auch einige Überraschungen; darunter zwei Pandioner, von denen Sperber gar nicht gewußt hatte, daß Mirtai sie kannte, sowie zwei von Krings Peloi und zwei Atanerinnen aus Engessas Legionen. Auch Emban und Oscagne ersuchte sie, sich ihre Geschichte anzuhören.

An diesem Abend kamen sie alle an einem großen Feuer zusammen, und Engessa sprach ein paar Worte zu den Anwesenden, ehe Mirtai begann.

»Es ist Sitte in unserem Volk, die Kindheit abzulegen, ehe man erwachsen wird«, erklärte er feierlich. »Atana Mirtai wird in Kürze durch die Riten der Reife gehen, und sie hat uns gebeten, bei ihr zu sein, wenn sie ihre Vergangenheit ablegt.« Er machte eine Pause, ehe er nachdenklich fortfuhr. »Dieses Kind ist nicht wie andere atanische Kinder. Und auch ihre Kindheit verlief vollkommen anders; denn Atana Mirtai kehrt aus der Sklaverei zurück. Sie hat sie überlebt und ist zu uns heimgekehrt. Ihre Kindheit war länger als die der meisten. Sie hat viel Fremdartiges – und Schmerzliches – erlebt. Wir werden ihr voll Liebe zuhören, auch wenn wir nicht alles verstehen.« Er wandte sich an Mirtai. »Am besten beginnst du mit dem Ort deiner Geburt, meine Tochter«, riet er ihr.

»Ja, Vater-Atan«, antwortete sie höflich. Da Engessa die Elternrolle angenommen hatte, war Mirtais Erwiderung der Tradition entsprechend respektvoll. Jetzt sprach sie mit leiser Stimme; der übliche selbstbewußte Tonfall war verschwunden. Sperber hatte das Gefühl, daß sie plötzlich eine andere Mirtai vor sich hatten – ein sanftes, empfindsames Mädchen, das hinter einer schroffen Fassade verborgen gewesen war.

»Ich wurde in einer Ortschaft westlich von Dirgis geboren«, begann sie, »in der Nähe des Sarnaquellgebiets.« Sie sprach Elenisch, da außer Oscagne, Engessa und den beiden Atanerinnen keiner der ihr Nahestehenden Tamulisch verstand. »Wir lebten tief in den Bergen. Meine Eltern waren sehr stolz darauf.« Sie lächelte schwach. »Alle Ataner glauben, daß sie etwas Besonderes sind, aber wir Gebirgsataner halten uns für etwas ganz Besonderes. Wir fühlen uns verpflichtet, in all unserem Tun die Besten zu sein, da wir ja so offensichtlich allen anderen überlegen sind.« Sie bedachte die Versammelten mit einem verstohlenen Blick. Mirtai war eine ausgezeichnete Beobachterin, und ihre Bemerkung war auf styrischen und elenischen Mienen gleichermaßen nicht ohne Wirkung geblieben. »Ich verbrachte meine früheste Kindheit in den Wäldern und auf den Bergen. Ich lernte eher laufen als andere, und rannte, kaum daß ich gehen konnte. Mein Vater war sehr stolz auf mich. Wie es sich geziemt, habe ich mich oft auf die Probe gestellt. Mit fünf konnte ich einen halben Tag ohne Pause laufen, und mit sechs vom Morgengrauen bis Sonnenuntergang.

Die Kinder in unserem Dorf begannen erst spät mit der Ausbildung – für gewöhnlich, wenn sie fast acht waren –, weil das Übungslager sehr weit vom Dorf entfernt lag und unsere Eltern sich ungern von uns trennten, solang wir noch so klein waren. Bergataner sind sehr gefühlvoll. Das ist unsere einzige Schwäche.«

»Warst du glücklich, Atana?« fragte Engessa sie sanft.

»Sehr glücklich, Vater-Atan«, antwortete sie. »Meine Eltern liebten mich, und ich war ihr ganzer Stolz. Unser Dorf war sehr klein; es gab nur wenige Kinder. Ich war die Beste, und alle Freunde meiner Eltern hielten große Stücke auf mich.«

Sie machte eine Pause, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Dann kamen die Sklavenjäger der Arjuni. Sie waren mit Bogen bewaffnet und hatten es nur auf die Kinder abgesehen. Deshalb mordeten sie alle Erwachsenen. Meine Mutter wurde vom ersten Pfeil getötet.«

Ihre Stimme brach, und sie senkte den Kopf. Als sie das Gesicht wieder hob, strömten Tränen über ihre Wangen.

Prinzessin Danae ging mit ernstem Gesicht zu ihr und streckte die Arme aus. Offenbar ganz unbewußt hob Mirtai das kleine Mädchen auf den Schoß.

Danae strich ihr über die tränennassen Wangen; dann küßte sie ihre große Freundin sanft.

»Ich habe nicht gesehen, wie mein Vater starb«, fuhr Mirtai fort. Ein Schluchzen würgte in ihrer Kehle; dann aber wurden ihre Stimme klar und ihre tränenglänzenden Augen hart.

»Ich tötete den ersten Arjuni, der mich zu fangen versuchte. Sie waren primitive Kerle, die offenbar nicht zu begreifen vermochten, daß auch Kinder bewaffnet sein können. Der Arjuni, der mich faßte, hatte ein Schwert in der Rechten und hielt mich mit der Linken am Arm fest. Mein Dolch war sehr scharf und drang wie in Butter tief in seine Achselhöhle. Blut schoß ihm aus dem Mund, und er fiel auf den Rücken. Ich stach aufs neue nach ihm, unterhalb des Brustbeins, und konnte sein Herz an der Dolchspitze zucken spüren. Ich drehte die Klinge, und er starb.«

»Ja!« rief Kring halblaut. Des Domis Stimme war heiser und wild, und er schämte sich seiner Tränen nicht.

»Ich versuchte wegzulaufen«, erzählte Mirtai weiter, »doch ein anderer Arjuni trat nach meinen Füßen, daß ich stürzte, und wollte mir den Dolch fortreißen. Ich schnitt die Finger seiner rechten Hand ab und stieß ihm die Klinge in den Bauch. Er brauchte zwei Tage, um zu sterben, und brüllte die ganze Zeit vor Schmerz. Seine Schreie waren mein Trost.«

»Ja!« Diesmal rief es Kalten, und auch in seinen Augen standen Tränen.

Die Atanerin lächelte ihn flüchtig an. »Da erkannten die Arjuni, wie gefährlich ich war, und schlugen mich bewußtlos. Als ich zu mir kam, lag ich in Ketten.«

»Und Ihr wart erst acht, als das alles geschah?« fragte Ehlana die Riesin mit kaum hörbarer Stimme.

»Sieben, Majestät.«

»Ihr habt in diesem Alter wirklich einen Mann getötet?« fragte Emban sie ungläubig.

»Zwei, Emban. Der eine, der zwei Tage lang schrie, starb ja ebenfalls.« Die Atana blickte Engessa ein wenig zweifelnd an. »Darf ich ihn dazurechnen, Vater-Atan?« fragte sie. »In den zwei Tagen hätte er auch an etwas anderem sterben können.«

»Du darfst es, Tochter«, entschied er. »Dein Dolch hat ihm den Tod gebracht.«

Mirtai seufzte erleichtert.

»Danke, Vater-Atan. Es läßt einem keine Ruhe, wenn man in einer so wichtigen Sache wie der Zahl getöteter Feinde nicht sicher sein kann.« Sie legte eine Pause ein, um ihre Gedanken zu sammeln. »Danach tötete ich fast ein halbes Jahr keinen Gegner mehr. Die Arjuni verschleppten mich nach Tiana im Süden. Während der ganzen Reise vergoß ich keine Träne. Es wäre falsch, den Feind erkennen zu lassen, daß man leidet. In Tiana brachten die Arjuni mich auf den Sklavenmarkt und verkauften mich an einen dazitischen Kaufmann namens Pelaser. Er war fett und schmierig, roch schlecht und mochte Kinder.«

»Dann war er wohl ein gütiger Herr?« fragte Baroneß Melidere.

»Das habe ich damit nicht gemeint, Melidere. Pelaser mochte kleine Jungen und Mädchen auf abartige Weise. Die Arjuni hatten ihn vor mir gewarnt. Darum sorgte er dafür, daß ich an kein Messer herankam; nur einen Löffel gab er mir, damit ich essen konnte. Pelaser nahm mich mit zu seinem Haus in Verel in Dakonien, und ich nutzte die lange Reise, den Löffelgriff so an meinen Ketten zu schleifen, daß er eine scharfe Schneide bekam. In Verel kettete Pelaser mich an die Wand einer Kammer im hinteren Teil des Hauses. Die Kammer hatte einen Steinboden, und ich verbrachte die ganze Zeit damit, an meinem Löffel zu arbeiten. Ich hing inzwischen sehr an ihm.« Sie bückte sich leicht, und ihre Hand glitt in ihren Stiefelschaft. »Ist er nicht schön?« Sie hielt einen ganz normal aussehenden Löffel mit Holzgriff in die Höhe; dann faßte sie ihn mit beiden Händen, drehte den Griff leicht und zog ihn vom Löffelstiel. Der einstige Löffelgriff war dünn und schmal und besaß eine nadelfeine Spitze. Mirtai hatte ihn poliert, bis er wie Silber glänzte. Nun betrachtete sie ihn kritisch. »Er ist nicht ganz lang genug, das Herz eines Mannes zu erreichen«, sagte sie beinahe entschuldigend. »Man kann nicht sauber damit töten, aber für Notfälle ist er geeignet. Er sieht so sehr wie ein ganz gewöhnlicher Löffel aus, daß niemand je daran dächte, ihn mir wegzunehmen.«

»Brillant«, murmelte Stragen bewundernd. »Stiehl uns ein paar Löffel, Talen, dann machen wir uns gleich an die Arbeit.«

»Eines Nachts kam Pelaser zu mir und wollte Hand an mich legen«, fuhr Mirtai fort. »Ich saß ganz still. Da dachte er, ich würde mich nicht wehren. Er fing zu lächeln an. Mir fiel auf, daß ihm Speichel aus den Mundwinkeln lief, wenn er auf diese Weise lächelte. Er lächelte immer noch so, als ich ihm beide Augen ausstach. Habt ihr gewußt, daß die Augen eines Menschen platzen, wenn man mit etwas Scharfem sticht?«

Melidere gab einen würgenden Laut von sich und starrte die gelassene Atanerin mit unverhohlenem Entsetzen an.

»Pelaser wollte schreien«, fuhr Mirtai ungerührt fort, »doch ich schlang meine Kette um seinen Hals, so daß er keinen Laut hervorbrachte. Eigentlich wollte ich ihn in kleine Stücke hacken, aber ich mußte die Kette mit beiden Händen halten. Er fing an, sich zu wehren. Da blieb mir nichts übrig, als die Kette fester zuzuziehen.«

»Ja!« Erstaunlicherweise kam dieser heisere Beifallsruf diesmal von Ehlanas rehäugiger Kammermaid Alean, und sie umarmte die verdutzte Atana unerwartet heftig.

Mirtai strich zärtlich über die Wangen des sonst so sanften Mädchens, bevor sie weitererzählte. »Pelaser wehrte sich anfangs mit allen Kräften, hörte jedoch nach einer Weile auf. Er hatte die Kerze umgestoßen, deshalb war es dunkel in der Kammer und ich konnte nicht sicher sein, daß er bereits tot war. Ich hielt die Kette bis zum Morgen um seinen Hals zugezogen. Sein Gesicht war schwarz, als die Sonne aufging.«

»Wohlgetan, meine Tochter«, lobte Engessa sie stolz.

Mirtai lächelte und verneigte sich vor ihm. »Ich dachte, man würde mich hinrichten, sobald man den toten Pelaser entdeckte, doch die Süddaziter in den Städten sind eigenartige Menschen. Pelaser war in Verel nicht sehr beliebt. Ich glaube, viele freuten sich insgeheim darüber, daß eines der Kinder, die er üblicherweise schändete, ihn endlich umgebracht hatte. Sein Erbe war ein Neffe namens Gelan. Er war sehr dankbar, daß ich ihn reich gemacht hatte, und legte bei der Obrigkeit ein gutes Wort für mich ein.« Sie machte eine Pause und blickte auf die Prinzessin, die noch auf ihrem Schoß kuschelte und den glänzenden kleinen Dolch hielt. »Bist du so lieb und holst mir Wasser, Danae?« bat sie. »Ich bin es nicht gewöhnt, so viel zu reden.«

Danae rutschte gehorsam von ihrem Schoß und rannte zu einem der Lagerfeuer.

»Sie ist vielleicht noch etwas zu jung, von einigen Dingen zu hören«, murmelte Mirtai. »Gelan war ein recht netter junger Mann, hatte jedoch einen eigenartigen Geschmack. Er liebte junge Männer statt Frauen.«

Ritter Bevier holte erschrocken Luft.

»Ach je!« Mirtai blickte ihn an. »Seid Ihr wirklich so weltfremd, Bevier? Das ist doch nichts Ungewöhnliches. Wie auch immer, ich kam gut mit Gelan aus. Er trat mir nicht zu nahe. Er redete gern, deshalb lehrte er mich Elenisch und sogar ein wenig das Lesen. Menschen mit seiner Veranlagung führen ein lockeres, unstetes Leben, und er brauchte jemanden, der zu ihm hielt. Ich hatte gelernt, daß es sich gehörte, zuzuhören, wenn Ältere sprachen, und das ermutigte Gelan nach und nach, mir sein Herz auszuschütten. Als ich etwas älter wurde, kaufte er mir hübsche Gewänder. Manchmal trug er sie sogar selbst, aber ich glaube, nur aus Spaß. Einige seiner Freunde trugen Frauenkleider, doch keiner nahm das sonderlich ernst. Sie schienen es sehr amüsant zu finden. Damals fing für mich die schwierige Zeit im Leben eines Mädchens an, wenn es zur Frau wird. Gelan war sehr sanft und verständnisvoll und erklärte mir, was mit mir geschah, so daß ich keine Angst hatte. Er ließ mich meine schönsten Gewänder anziehen und nahm mich mit, wenn er Geschäfte mit Leuten tätigte, die seine Neigungen nicht kannten. Dakonien ist ein elenisches Königreich, und Elenier haben eigenartige Ansichten über solche Dinge. Sie scheinen es für ein religiöses Problem zu halten. Und der Umstand, daß Gelan stets ein junges Sklavenmädchen bei sich hatte, zerstreute jeden Verdacht dieser Art.«

Bevier wirkte entsetzt.

»Vielleicht solltet Ihr der Prinzessin helfen, Wasser zu holen, Bevier«, schlug Mirtai beinahe sanft vor. »Das war Teil meiner Kindheit, darum muß ich jetzt darüber sprechen. Aber Ihr müßt nicht zuhören, wenn es Euch so zu schaffen macht. Ich kann es verstehen.«

Ein Schatten zog über Beviers Gesicht. »Ich bin Euer Freund, Mirtai«, erklärte er. »Ich werde bleiben.«

Mirtai lächelte. »Er ist ein so netter Junge«, sagte sie in einem Tonfall, wie Sephrenia es in dieser Situation getan hätte. Sperber staunte, welch aufmerksame und scharfsinnige Beobachterin Mirtai war.

Die Atanerin seufzte. »Gelan und ich liebten einander. Aber nicht auf die Weise, wie andere es sich vorstellen, wenn sie über einen Mann und eine Frau sprechen. Ich glaube, es gibt so viele verschiedene Arten von Liebe, wie es Menschen gibt. Natürlich hatte Gelan Feinde – viele Feinde. Er war ein schlauer Händler und schloß fast jedes Geschäft mit Erfolg ab. Leider gibt es Menschen, die so etwas sehr persönlich nehmen. Einmal erboste es einen edomischen Kaufmann dermaßen, daß er Gelan zu töten versuchte. Ich konnte ihn jedoch mit meinem Löffel beschützen. Wie ich schon sagte, ist die Klinge nicht lang genug für einen glatten tödlichen Stich; deshalb wurde es eine ziemlich blutige Sache, und ich ruinierte ein sehr schönes Seidengewand dabei. Am Abend dieses Tages sagte ich zu Gelan, er solle mir endlich ein paar anständige Dolche kaufen, damit ich töten könnte, ohne meine Kleidung zu besudeln. Der Gedanke, ein zwölfjähriges Mädchen als Leibwächter zu haben, bestürzte ihn zunächst, doch dann erkannte er den Vorteil. Er kaufte mir diese hier«, sie tupfte auf einen der Dolche mit den Silbergriffen an ihrer Taille. »Ich habe sie stets in Ehren gehalten. Ich dachte mir eine Möglichkeit aus, die Dolche unter meinen Kleidern zu verbergen, wenn wir miteinander in die Stadt gingen. Nachdem ich sie ein paarmal benutzt hatte, sprach es sich herum. Seither trachtete keiner von Gelans Feinden ihm mehr nach dem Leben.

In Verel gab es noch andere junge Männer wie ihn, und sie besuchten einander in ihren Häusern, wo sie ihre Gefühle nicht verbergen mußten. Alle waren sehr nett zu mir. Sie erteilten mir Ratschläge und kauften mir schöne Geschenke. Ich mochte sie sehr. Sie alle waren höflich und intelligent und rochen stets reinlich. Ich kann Männer nicht ausstehen, die unangenehm riechen.« Sie bedachte Kring mit einem anzüglichen Blick.

»Ich bade!« versicherte er.

»Dann und wann«, wandte sie ein. »Du reitest viel, Kring, und Pferde haben einen aufdringlichen Geruch. Wir werden uns über regelmäßiges Baden unterhalten, wenn ich dir erst mein Brandzeichen aufgedrückt habe.« Sie lachte. »Ich möchte dich nicht erschrecken, ehe ich mir deiner nicht sicher bin.« Ihr Lächeln verriet ehrliche Zuneigung. Sperber erkannte, daß dies alles zum Reiferitus gehörte, und daß Mirtai wahrscheinlich nie wieder so offen sein würde. Ihre typisch atanische Verschlossenheit war für diese eine Nacht abgestreift. Sperber fühlte sich geehrt, daran teilhaben zu dürfen. Jetzt seufzte Mirtai und wurde traurig. »Gelan hatte einen besonderen Freund, den er sehr liebte – einen schönen jungen Burschen namens Majen. Er war der einzige seiner Freunde, den ich nicht mochte. Er nutzte Gelan aus und sagte absichtlich Dinge, von denen er wußte, daß sie Gelan kränken würden. Majen taugte nichts. Er war selbstsüchtig und ungemein eitel. Außerdem war er untreu, und das ist abscheulich. Mit der Zeit wurde er Gelans überdrüssig und tat sich mit einem anderen schönen Taugenichts zusammen. Ich hätte beide töten sollen, gleich als ich es herausfand, und ich bereue es noch heute, daß ich es nicht getan habe! Gelan hatte Majen törichterweise in ein prächtiges Haus am Stadtrand einziehen lassen und erwähnt, daß er es ihm in seinem Testament vermacht habe, so daß es sein Eigentum sein würde, falls ihm etwas zustieße. Majen und sein neuer Freund wollten dieses Haus schnellstmöglich und schmiedeten ein Komplott gegen Gelan. Eines Abends lockten sie ihn in das Haus. Als Gelan allein kam, wie sie ihn gebeten hatten, töteten sie ihn und warfen seine Leiche in den Fluß. Ich weinte viele Tage, denn ich hatte Gelan wirklich sehr gemocht. Einer seiner anderen Freunde erzählte mir, was geschehen war, doch vorerst schwieg ich und unternahm nichts. Gelans Schwester erbte mich – mitsamt seinem übrigen Besitz. Sie war eine recht nette Dame, aber schrecklich religiös. Sie brachte es nicht fertig, mich als ihren Besitz zu betrachten und sagte, sie wolle meine Freundin sein. Ich aber riet ihr, mich lieber zu verkaufen. Außerdem gestand ich ihr, daß ich erfahren hatte, wer Gelan ermordete, und daß ich seine beiden Mörder töten würde. Deshalb wäre es besser, wenn ich jemandem gehörte, der Verel verließ; dann würde sie, Gelans Schwester, nicht in die lästigen Nachforschungen hineingezogen, zu der es bei unerklärlichen Leichenfunden zweifellos kommen würde. Ich hatte damit gerechnet, daß sie Schwierigkeiten machte, doch sie war erstaunlich hilfsbereit. Sie war ihrem Bruder wirklich sehr zugetan gewesen und billigte mein Vorhaben. So verkaufte sie mich an einen elenischen Händler, der mit dem Schiff nach Vardenais fahren wollte, und versprach ihm, mich am Morgen seiner Abreise an Bord zu bringen. Gelans Schwester kam ihm sehr entgegen, was den Preis für mich betraf, und der Händler war sofort einverstanden.

In der Nacht vor der Abreise meines neuen Besitzers verkleidete ich mich als Junge und begab mich zu dem Haus, in dem Majen und der andere wohnten. Ich wartete, bis Majen das Haus verließ, dann ging ich zur Haustür und klopfte. Majens neuer Freund öffnete, und ich behauptete, mich in ihn verliebt zu haben. Ich hatte sechs Jahre bei Gelan gelebt und wußte deshalb, wie ich mich benehmen mußte, damit der schöne Dummkopf mir glaubte. Es erregte ihn, als ich ihm meine ›Liebe‹ gestand, und er küßte mich mehrmals.« Sie rümpfte verächtlich die Nase. »Manche Menschen können einfach nicht treu sein. Beim Küssen wuchs seine Erregung, und seine Hände gingen auf Forschungsreise. Er entdeckte so manches, was ihn außerordentlich überraschte. Am meisten überraschte es ihn, als ich ihm den Bauch aufschlitzte.«

»Das ist nach meinem Geschmack!« Talens Augen leuchteten.

»Das dachte ich mir«, sagte Mirtai. »Blutrünstige Geschichten hast du immer schon gemocht. Jedenfalls, als ich den Bauch des schönen Jungen weit aufgeschnitten hatte, quoll alles mögliche aus dem Inneren. Er stolperte rückwärts in einen Sessel und versuchte, das Ganze wieder hineinzustopfen. Eingeweide sind jedoch glitschig, und er hatte ziemliche Schwierigkeiten.«

Ehlana stieß einen würgenden Laut aus.

»Habt Ihr das von den Eingeweiden nicht gewußt?« fragte Mirtai sie. »Laßt es Euch einmal von Sperber erklären, er hat wahrscheinlich schon viele gesehen. Nun, ich ließ den jungen Mann sitzen, wo er war, und versteckte mich hinter einer Tür. Eine Zeitlang später kam Majen nach Haus und war furchtbar entsetzt über den Zustand seines Freundes.«

»Das kann ich mir vorstellen.« Talen lachte.

»Aber er war noch viel entsetzter, als ich von hinten den Arm um ihn legte und ihn auf dieselbe Weise aufschlitzte.«

»Das sind aber keine unmittelbar tödlichen Verletzungen, Atana«, gab Engessa zu bedenken.

»Es sollten auch keine sein, Vater-Atan«, versicherte sie ihm. »Ich war mit den beiden noch nicht fertig. Ich erklärte ihnen, wer ich war, und daß ich ihnen soeben ein Abschiedsgeschenk von Gelan gemacht hätte. Das war das Schönste am ganzen Abend. Ich setzte Majen in einen Sessel, seinem Freund gegenüber, damit die beiden einander beim Sterben zusehen konnten. Dann griff ich in ihre Bäuche und zog ihnen die Eingeweide heraus.«

»Und dann habt Ihr Euch verabschiedet?« erkundigte Talen sich eifrig.

Mirtai nickte. »Ja. Aber zuerst legte ich Feuer an das Haus. Weder Majen noch seinem Freund gelang es, genug von ihrem Innenleben in den Bauch zurückzustopfen, um wegrennen zu können. Sie schrien jedoch ziemlich laut.«

»Guter Gott!« würgte Emban.

»Eine geziemende Vergeltung, Atana«, lobte Engessa. »Wir werden sie den Kindern im Übungslager beschreiben, um ihre Ausbildung mit einem Beispiel lobenswerten Verhaltens zu bereichern.«

Mirtai verneigte sich wieder vor ihm, dann blickte sie auf. »Nun, Bevier?«

Er kämpfte mit sich. »Die Sünden Eures Besitzers waren seine eigenen. Das ist eine Sache zwischen ihm und Gott. Was Ihr getan habt, war ein gerechter Dienst für einen Freund. Ich betrachte Eure Handlungsweise nicht als Sünde.«

»Da bin ich aber froh«, murmelte sie.

Bevier lachte ein wenig verlegen. »Das klang etwas gönnerhaft, nicht wahr?«

»Schon gut, Bevier«, beruhigte sie ihn. »Ich liebe Euch trotzdem – dabei solltet Ihr allerdings bedenken, daß ich in meinem Leben einige recht eigenartige Leute geliebt habe.«

»Wohl gesagt!« lobte Ulath.

Danae kehrte mit einem Becher Wasser zurück. »Bist du fertig, über Dinge zu reden, die ich nicht hören sollte?« fragte sie.

»Ich glaube, ich habe nichts vergessen. Danke für dein Verständnis – und für das Wasser.« Nichts brachte Mirtai aus der Fassung.

Im Unterschied zu Ehlana.

»Es wird spät«, stellte Mirtai fest. »Ich werde mich kurz fassen. Der elenische Kaufmann, der mich erstanden hatte, brachte mich nach Vardenais und verkaufte mich an Platime. Ich gab vor, kein Elenisch zu verstehen, und Platime hielt mich für viel älter, weil ich so groß war. In manchen Dingen ist Platime sehr schlau, doch unwissend in anderen. Er konnte einfach nicht verstehen, daß eine Atanerin sich zu nichts zwingen läßt. Er steckte mich in eines seiner Freudenhäuser, wo ich für mein Auskommen arbeiten sollte. Die Dolche nahm er mir weg, aber ich hatte immer noch meinen Löffel. Ich habe nicht allzu viele von den Männern getötet, die mir nahetreten wollten, aber ich habe sie allesamt schwer verletzt. Das sprach sich her um, und das Geschäft in diesem Freudenhaus ging drastisch zurück. Platime holte mich dort heraus; aber er wußte nicht so recht, was er mit mir anfangen sollte. Ich weigerte mich zu betteln und erst recht, zu stehlen, und als ich Platime klarmachte, daß ich nur aus persönlichen Gründen tötete, war er zutiefst enttäuscht. Auf keinen Fall wollte ich mich zur bezahlten Meuchlerin erniedrigen. Dann kam es zu jenen Ereignissen im Schloß, und er schenkte mich Ehlana – wahrscheinlich mit einem tiefen Seufzer der Erleichterung.« Mirtai runzelte die Stirn und blickte Engessa an. »Das war das erste Mal, daß man mich nicht verkauft, sondern verschenkt hatte, Vater-Atan. Hat Platime mich damit beleidigt? Soll ich nach Cimmura zurückkehren und ihn töten?«

Engessa dachte darüber nach. »Nein, meine Tochter. Es war ein Sonderfall. Du könntest es sogar als Kompliment auffassen.«

Mirtai lächelte. »Da bin ich froh, Vater-Atan. Auf gewisse Weise mag ich Platime. Er ist manchmal urkomisch.«

»Und was empfindest du für Ehlana-Königin?«

»Ich liebe sie. Sie ist unwissend und beherrscht keine richtige Sprache. Aber meist tut sie, was ich ihr anrate. Sie ist hübsch, sie riecht gut, und sie ist sehr nett zu mir. Sie ist der beste Besitzer, den ich je hatte. Ja. Ich liebe sie.«

Ehlana schrie leise auf und schlang die Arme um den Hals der goldenen Frau. »Ich liebe Euch ebenfalls, Mirtai«, versicherte sie ihr tief gerührt. »Ihr seid meine beste Freundin.« Sie küßte die Riesin.

»Das ist ein besonderer Anlaß, Ehlana«, sagte die Atana, »darum ist es in diesem einen Fall auch zulässig.« Sie löste sanft Ehlanas Arme von ihrem Hals. »Aber es ist unziemlich, in der Öffentlichkeit soviel Zuneigung zu zeigen – und Mädchen sollten keine anderen Mädchen küssen. Das könnte die Leute auf allerlei dumme Gedanken bringen.«