27

»Wißt Ihr, Majestät, dieses Zeug ist ja recht hübsch, daran besteht kein Zweifel, aber es hat überhaupt keinen praktischen Wert.« Caalador überreichte Ehlana ein Paar Elfenbeinfigürchen.

»Sie sind wunderschön, Caalador!« sagte sie strahlend.

»Ist der Gardist endlich weg?« flüsterte Caalador Sperber zu.

Sperber nickte. »Mirtai hat ihn soeben durch die Tür geschoben.«

»Ich hatte schon befürchtet, wir hätten ihn den ganzen Tag auf dem Hals.«

»Habt Ihr Schwierigkeiten gehabt, hereinzukommen?« fragte Ehlana den Diebeskönig.

»Nicht die geringsten, Majestät.«

»Das will ich auch hoffen – nach allem, was ich in Bewegung gesetzt habe!« Sie betrachtete die Figürchen genauer. »Sie sind wirklich wunderschön, Caalador«, wiederholte sie. »Woher habt Ihr sie?«

»Ich ließ sie aus dem Universitätsmuseum stehlen.« Er zuckte die Schultern. »Es sind Tegans aus dem neunten Jahrhundert – sehr selten und sehr wertvoll.« Er grinste Ehlana spitzbübisch an. »Da Ihr eine Vorliebe für Antiquitäten habt, Majestät, muß es schon was Echtes sein.«

Baroneß Melidere führte die Gefährten in die königliche Gemächerflucht.

»Irgendwelche Probleme?« fragte Stragen seinen Kollegen.

»Bin leichter hier hereingekommen als ein Wiesel in ein Hühnerhaus.«

Caalador arbeitete offiziell als ›Beschaffer von Antiquitäten‹ für Königin Ehlana und sollte auf ihren Befehl hin jederzeit zu ihr vorgelassen werden. Der eine oder andere Ordensritter hatte ihn während der vergangenen Wochen mehrmals am Schloßtor abgeholt und zur Königin geführt, um die Torwachen mit seinem Gesicht vertraut zu machen, doch heute hatte Caalador zum erstenmal versucht, sich allein Zutritt zu verschaffen. »Habt Ihr etwas Interessantes für uns, Meister Caalador?« fragte Zalasta.

Caalador runzelte die Stirn. »Ich bin mir nicht ganz sicher, Weiser. Wir hören immer wieder etwas recht Merkwürdiges.«

»Ach?«

»Alle möglichen Leute reden von einem geheimnisvollen ›Verborgenen Land‹. Da es die Leute sind, die wir beobachten, dachten wir, es könnte möglicherweise etwas Wichtiges sein.«

»Das ist höchst ungewöhnlich«, murmelte Zalasta. »Man sollte eigentlich nicht erwarten, auf der Straße davon zu hören.«

»Dann bedeutet es tatsächlich etwas?«

Zalasta nickte. »Es ist ein alter tamulischer Ausspruch, der etwas mit dem Leben des Geistes zu tun hat. ›Der Weg zum Verborgenen Land ist weit, aber der Lohn für die Mühe sind Schätze von unbezahlbarem Wert.‹«

»Ganz genau, Weiser. Wenn sich zwei auf der Straße treffen, zitiert einer den ersten Teil und der andere den zweiten.«

Zalasta nickte. »Ja, das ist der alte tamulische Ausspruch. Mit den Schätzen sind die des Wissens und der Erkenntnis gemeint. In diesem Fall schließe ich jedoch auf eine andere Bedeutung. Habt Ihr es auch schon von Nichttamulern gehört?«

Caalador nickte. »Zwei elenische Kaufleute haben sich gestern an einer Straßenecke mit diesem Spruch begrüßt.«

»Das hört sich ganz wie eine Losung an«, sagte Vanion nachdenklich.

»Es wäre nicht ratsam, sich jetzt ganz auf eine solche Sache zu konzentrieren und alles andere außer acht zu lassen«, mahnte Zalasta vorsichtig.

»Oh, so viel Aufwand ist's auch wieder nicht«, beruhigte Caalador ihn. »Ich hab' keinen Mangel an Bettlern und Huren und Taschendieben. Ein Überangebot an Fachkräften, wenn Ihr so wollt.«

Ulath zog die Brauen zusammen. »Ich bin mir nicht sicher«, sagte er, »aber mir ist, als hätte ich vor ein paar Tagen zwei Schloßwachen über das ›Verborgene Land‹ sprechen hören. Da sind möglicherweise mehr Leute in die Sache verwickelt, als wir dachten.«

Vanion nickte. »Vielleicht bringt es uns nicht weiter, aber schaden kann es auch nicht, wenn wir die Ohren offenhalten. Falls Caalador über die Losung der anderen Seite gestolpert sein sollte, könnte es uns helfen, Verschwörer zu erkennen, die wir ansonsten übersehen würden. Stellen wir eine Liste auf. Tragen wir die Namen all dieser Leute zusammen, die nach dem ›Verborgenen Land des Geistes‹ hungern und dürsten. Falls das wirklich die Parole sein sollte und irgendeine Verbindung zu dem erkennbar ist, wonach wir suchen, wird diese Namensliste sehr hilfreich sein.«

»Ihr hört Euch fast schon wie ein Scherge an, Hochmeister Vanion«, sagte Talen ein wenig vorwurfsvoll.

»Kannst du mir je verzeihen?«

»Ach, übrigens, ich habe an der Universität einen alten Freund gesehen.« Bevier lächelte leicht. »Baron Kotyks Schwager ist nach Matherion gekommen, um die Studenten zeitgenössischer Literatur mit seinen schauderhaften Machwerken zu berieseln.«

»Wäre ›quälen‹ nicht das passendere Wort dafür, Bevier?« warf Ulath ein. »Ich habe einige von Elrons ›Gedichten‹ gehört.«

»Wer ist Elron?« erkundigte sich Sephrenia.

Sperber wechselte einen langen Blick mit Emban. Sie waren noch durch das Versprechen gebunden, das sie Erzmandrit Monsel gegeben hatten. »Äh …«, begann Sperber, ohne recht zu wissen, was er sagen sollte. »Er ist ein Asteler – eine Art Halbedelmann, der sich einbildet, ein begnadeter Poet zu sein. Wir wissen nicht, inwieweit er mit den Unruhen in Astel zu tun hat, aber seine Meinung und seine Sympathien deuten darauf hin, daß er ein tatkräftiger Anhänger des als Säbel bekannten Aufrührers ist.«

»Ist es nicht ein merkwürdiger Zufall, daß er die Reise nach Matherion zur selben Zeit gemacht hat, als wir das Gefühl bekamen, daß auf den Straßen etwas faul ist?« fragte Tynian. »Warum reist er ausgerechnet zum kulturellen Zentrum der gottlosen gelben Teufel, die er angeblich so verabscheut?«

»Ungewöhnlich«, bestätigte Ulath.

»Alles Ungewöhnliche ist verdächtig«, warf Kalten ein.

»Das ist eine krasse Verallgemeinerung«, meinte Sperber.

»Stimmt es etwa nicht?«

»In diesem Fall hast du möglicherweise recht. Wir sollten besser ein Auge auf Elron haben. Talen, hol deinen Zeichenblock wieder hervor.«

»Wißt Ihr, Sperber«, wandte der Junge ein, »ich könnte mit Bilderzeichnen eine Menge Geld verdienen, wenn Ihr nicht so versessen darauf wärt, mich zu einem Pandioner zu machen und mir all diese hehren Ideale aufzubürden.«

»Zu dienen ist Lohn genug, Talen«, versicherte Sperber ihm salbungsvoll.

»Caalador«, sagte Sephrenia nachdenklich.

»Ja, hohe Zauberin?«

»Bitte, nennt mich nicht so«, wehrte sie ab. »Es treiben sich, wie mir scheint, eine Menge von diesen Unruhestiftern in Tamuli herum. Haltet Ihr es für möglich, daß die hiesigen Diebe welche davon gesehen haben?«

»Ich werde mich umhören, erhabene Sephrenia, auch in den anderen Königreichen, falls Ihr es für erforderlich haltet. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob Beschreibungen viel nutzen. Wenn Ihr sagt, der Mann ist mittelgroß, trifft das auf die halbe Bevölkerung zu.«

»Die Erhabene kann für mehr als nur eine Beschreibung des Äußeren sorgen, Caalador«, versicherte Talen ihm. »Sie wackelt mit den Fingern und zaubert ein Abbild der Person, die Ihr gesehen habt, in eine Schüssel voll Wasser. Danach kann ich eine Zeichnung anfertigen.«

»Es wäre wahrscheinlich keine schlechte Idee, Bilder dieser verschiedenen Patrioten in Umlauf zu bringen«, murmelte Sephrenia. »Wenn Elron und Krager hier sind, entschließen sich vielleicht noch andere, Matherion zu besuchen. Falls sie hier eine Zusammenkunft planen, wäre es gut, wenn wir davon wüßten.«

»Solltet ihr nicht auch ein Bild von Graf Gerrich zeichnen?« schlug Danae vor.

»Aber er befindet sich die halbe Welt entfernt in Lamorkand, Prinzessin«, gab Kalten zu bedenken.

»Trotzdem gehört er zu den Leuten, die in diese Sache verwickelt sind. Wenn ihr etwas tun wollt, dann tut es gleich richtig. Was kostet es schon? Ein paar Blatt Papier, Talens Bleistift und für eine halbe Stunde seine Mühe?«

»Na gut. Ich glaube zwar nicht, daß Gerrich je hier auftauchen wird, aber laß sein Bild von Talen zeichnen, wenn du möchtest.« »O danke, Kalten. Danke, danke, danke.«

»Ist es nicht Zeit, daß sie ins Bettchen kommt?« brummte Kalten verärgert.

»Weil wir gerade von Krager sprachen«, sagte Sperber, »ist er inzwischen wieder gesehen worden?«

»Nur die zwei Kerle, die ich nannte«, antwortete Caalador. »Gehört dieser Krager zu denen, die sich gern verkriechen?«

Kalten nickte heftig. »Das kann man wohl sagen. Sogar bei den Kanalratten fühlt er sich wohl – weil er selbst schon fast eine ist. Solange er jemanden hat, der ihm Wein holt, ist er's zufrieden, sein Loch nicht zu verlassen, und kriecht sechs Monate nicht heraus.«

»Ich will ihn haben, Caalador«, knirschte Sperber. »Alle meine Freunde haben es besser gewußt, und das muß ich mir nun lange genug anhören!«

Caalador blickte ihn verwirrt an. »Ich fürchte, ich hab' Euch nicht verstanden.«

»Sie sind alle der Meinung, daß ich Krager hätte töten sollen. Sogar Sephrenia dürstet nach seinem Blut.«

»Also, ich weiß nicht. Ich finde es gut, daß Ihr ihn nicht getötet habt. Ihr und Eure Freunde kennt diesen Kragerhalunken«, gab Caalador zu bedenken, »und wißt, daß er bei den andern so was wie ein hohes Tier ist. Das wär' aber nicht der Fall, wenn Ihr ihm die Kehle durchgeschnitten hättet, nicht wahr? Diesen Krager kennen wir, und irgendwann finden wir ihn schon und bringen ihn zum Reden. Das könnten wir aber nicht, wenn wir nicht wüßten, nach wem wir Ausschau halten müssen, oder?«

Sperber lächelte seine Freunde selig an. »Seht ihr«, sagte er. »Ich hab' euch damals gleich gesagt, daß ich weiß, was ich tue!«

Später an diesem Tag trafen sich Sperber und Ehlana mit Kaiser Sarabian und Außenminister Oscagne zu einer Besprechung. »Könnte jemand in der Regierung schon von dieser Losung Notiz genommen haben, Exzellenz?« fragte Sperber Oscagne.

»Durchaus, Prinz Sperber. Der Innenminister hat seine Spione überall. Aber ihre Berichte werden frühestens in sechs Monaten, vielleicht erst in einem Jahr eintreffen. Im Innenministerium irren Berichte endlos herum.«

»Subat hat seine eigenen Spitzel«, sagte Sarabian düster, »aber er würde mir nicht sagen, ob er auf irgend etwas gestoßen ist. Ich glaube, er würde mich nicht einmal informieren, wenn jemand die Insel Tega vom Meeresboden losgemacht und fortgeschafft hätte.«

»Alle Traditionen seines Amtes verlangen, daß er Euch vor sämtlichen Ungelegenheiten bewahrt, Kaiserliche Majestät«, sagte Oscagne. »Trotz des kleinen Gespräches, das Ihr mit ihm hattet, werdet Ihr ihm jede Information wahrscheinlich einzeln aus der Nase ziehen müssen. Er hält es immer noch für seine oberste Pflicht, Euch den Schmerz schlechter Neuigkeiten zu ersparen.«

»Wenn mein Haus brennt, wüßte ich über diesen schmerzlichen Umstand aber lieber Bescheid!« sagte Sarabian heftig.

»Ich habe Informanten in den anderen Ministerien, Majestät. Ich werde sie darauf ansetzen. Übrigens, da wir gerade dabei sind – im Innenministerium gehen eine Menge Meldungen über Zwischenfälle ein. Die Zahl dieser Berichte steigt dramatisch. Kolata ist mit seiner Weisheit am Ende.«

»Kolata?« fragte Sperber.

»Der Innenminister«, erklärte Sarabian. »Der Polizeioberste des Reichs. Ihm gelingt es fast so gut wie Subat, mich im dunkeln zu lassen. Was macht ihm so zu schaffen, Oscagne?«

»Die Leichenäcker haben ihre Toten ausgespien, Majestät! Jemand hat kürzlich Verstorbene ausgegraben und wiederbelebt. Sie schlurfen stöhnend und mit leerem Blick umher. Ganze Ortschaften in Edom wurden ihretwegen verlassen. In Dakonien streunen Werwölfe in Rudeln umher; in den Urwäldern von Arjuna schwärmen Vampire herum wie Zugvögel; und die Leuchtenden terrorisieren die Gegend um Dasan. Nimmt man hinzu, daß in Nordatan die Trolle auf dem Marsch sind, und die Stadt Sarna bereits zweimal von Angreifern gestürmt wurde, bei denen es sich um Cyrgai zu handeln scheint, dann können wir daraus nur eines schließen: die Dinge spitzen sich zu. Bisher waren diese Unruhen sporadisch und örtlich begrenzt. Jetzt gibt es sie überall.«

»Großartig«, brummte Sarabian mißmutig. »Ich glaube, ich werde mich irgendwohin ins Exil begeben.«

»Dann würdet Ihr den ganzen Spaß versäumen, Majestät«, sagte Sperber.

»Welchen Spaß?«

»Wir haben noch gar nicht angefangen, Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Vielleicht können wir nicht allzuviel gegen Vampire und dergleichen ausrichten, sehr wohl aber gegen die Trolle und die Cyrgai. Engessa bildet die hiesigen Ataner in einigen elenischen Taktiken aus. Ich glaube, dann könnten sie durchaus mit den Trollen und den Cyrgai fertig werden.«

Sarabian wirkte erstaunt. »Atan Engessa ist der Kommandant der Canaer Garnison in Astel. Er hat hier in Matherion keine Befehlsgewalt.«

»O doch, die hat er durchaus, Majestät«, widersprach Sperber. »Soviel ich weiß, besitzt er eine Sondervollmacht von König Androl oder wohl eher von Königin Betuana. Andere atanische Befehlshaber wurden angewiesen, Engessas Empfehlungen zu folgen.«

»Warum erfahre ich diese Dinge nie?«

»Imperiale Politik, Majestät.« Oscagne lächelte. »Wenn Ihr zu viel wüßtet, würdet Ihr Euch vielleicht in die Regierungsgeschäfte einmischen.«

»Jedenfalls«, fuhr Sperber fort, »war Engessa sehr beeindruckt von unseren Taktiken bei den Kämpfen auf dem Weg hierher. Wir haben einige seiner Ataner in westlichen Techniken ausgebildet.«

»Das überrascht mich«, gestand Sarabian. »Ich hätte nicht gedacht, daß Ataner auf irgend jemanden hören, wenn es um militärische Dinge geht.«

»Engessa ist Berufssoldat, Majestät«, erklärte Sperber. »Berufssoldaten sind immer an Fortschritten in Waffentechnik und Taktik interessiert. Es ist uns gelungen, ein paar sehr kräftige Pferde für einige seiner Ataner zu beschaffen, und Kalten und Tynian haben ihnen Unterricht im Gebrauch der Lanze erteilt. Das ist die sicherste Kampfesweise gegen Trolle. Bevier bildet einen anderen Trupp im Bau und der Bedienung von Belagerungsmaschinen aus. Als wir vor Sarsos auf diese Cyrgai stießen, haben Beviers Katapulte ihre Phalanx zerschmettert. Es ist sehr schwierig, eine militärische Formation aufrechtzuerhalten, wenn es Felsbrocken auf einen herabhagelt. Ach, da ist noch etwas, das Ihr wissen solltet. Khalad hat vor der Stadt einen Baum entdeckt, der mit Stahlbolzen gespickt war. Da hat jemand mit einer Armbrust geübt.«

»Was ist eine Armbrust?« fragte Sarabian.

»Eine lamorkische Waffe, Majestät.« Sperber zeichnete eine grobe Skizze. »Sie sieht etwa so aus. Die Arme dieser Waffe sind viel stärker als die eines gewöhnlichen Langbogens, deshalb hat sie eine größere Reichweite und Durchschlagskraft. Eine Armbrust ist eine ernste Bedrohung für einen gepanzerten Ritter. Jemand hier in Matherion versucht den Vorteil wettzumachen, den uns unsere Rüstung bietet.«

»Allmählich habe ich das Gefühl, daß ich nur noch mit den Fingerspitzen an meinem Thron hänge«, sagte Sarabian. »Darf ich Euch um politisches Asyl bitten, Ehlana?«

»Es wäre mir eine große Freude, Euch bei uns aufnehmen zu dürfen, Sarabian«, versicherte sie ihm. »Aber so schnell sollten wir die Klinge nicht ins Korn werfen. Sperber ist erstaunlich einfallsreich.«

»Wie ich schon sagte«, fuhr Sperber fort, »können wir nicht allzuviel gegen Ghuls, Werwölfe, Leuchtende und Vampire unternehmen, aber für die Trolle und Cyrgai haben wir ein paar Überraschungen bereit. Ich möchte, daß die Ataner noch ein wenig mehr Übung auf ihren Pferden und mit Beviers Maschinen bekommen. Dann werden wir unserem Gegner klarmachen, daß er keinen Spaziergang vor sich hat. Vor allem möchte ich die Zahl der Trolle dezimieren. Unser Feind stützt sich ziemlich stark auf die Unterstützung der Trollgötter, die jedoch sehr schnell aus dem Bündnis ausscheiden werden, falls zu viele ihrer Anhänger ihr Leben lassen. Ich glaube, Anfang nächster Woche sind wir soweit, daß wir zwei Expeditionen ausschicken können – eine hinauf ins Trollgebiet, die andere hinunter nach Sarna. Es wird Zeit, daß sie Wunden zu lecken bekommen.«

»Und was geschieht hier?« fragte Oscagne. »Mit all den Hinweisen auf das Verborgene Land des Geistes?«

»Caalador wird sich darum kümmern. Wir haben jetzt ihre Losung, und das kann uns alle möglichen Türen öffnen. Vanion stellt eine Namensliste auf. Es wird nicht lange dauern, und er kennt jeden in Matherion, der von dem Verborgenen Land gesprochen hat.« Er blickte Sarabian an. »Habe ich Eure Erlaubnis, Majestät, diese Personen festzunehmen, falls es sich als nötig erweist? Wenn wir zuschlagen und sie alle in Verwahrung haben, ehe sie ihr Komplott ausführen können, zerschlagen wir es am gründlichsten.«

»Nehmt nach Herzenslust fest, Sperber.« Sarabian grinste. »Wir haben eine Menge Gebäude, die sich in Gefängnisse umwandeln lassen.«

»Also gut, meine junge Dame«, sagte Sperber ein paar Tage später zu seiner Tochter. »Einer von Caaladors Bettlern hat Graf Gerrich auf einer Straße ganz in der Nähe gesehen. Woher hast du gewußt, daß er nach Matherion kommen würde?«

»Ich habe es nicht gewußt, Sperber, nur vermutet.« Danae saß ruhig in einem großen Sessel und kraulte ihre Katze hinter den Ohren. Murr schnurrte zufrieden.

»Eine Vermutung?«

»Eingebung, wenn dir das besser gefällt. Es kam mir einfach seltsam vor, daß Krager und Elron hierherkommen sollten, ohne daß auch die anderen kämen. Was Gerrich logischerweise einschloß, meinst du nicht auch?«

»Bringe die Dinge nicht durcheinander, indem du Logik und Intuition in einem Atemzug nennst.«

»Oh, Sperber! Wann wirst du endlich erwachsen? Logik ist doch nur ein Wort, mit dem du deine Eingebungen rechtfertigst. Oder ist dir schon mal jemand begegnet, der Logik benutzt hat, um etwas zu widerlegen, an das er längst glaubte?«

»Na ja, nicht persönlich. Aber ich bin sicher, daß es ein paar gab.«

»Ich warte, bis du einen gefunden hast. Ich bin unsterblich, also spielt die Zeit keine große Rolle für mich.«

»Legst du es auf einen Streit an, Aphrael?«

»Verzeih, Vater«, sagte sie, aber es klang nicht besonders reumütig. »Dein Verstand erhält auf hunderterlei Weise Informationen – was du hörst, was du siehst, was du anfaßt und auch, was du riechst. Er verarbeitet all diese Informationen und zieht daraus Schlüsse. Das sind die Eingebungen. Intuition ist ebenso präzise wie Logik, nur kann sie das langweilige, anstrengende Verfahren überspringen, alles Schritt für Schritt zu beweisen, da die Intuition sofort vom Offensichtlichen zur Schlußfolgerung gelangt. Sephrenia mag Logik nicht, weil sie so langweilig ist. Sie kennt die Antworten bereits, die du so mühsam zu beweisen versuchst – und du ebenfalls, wenn du ehrlich zu dir bist.«

»Aber es gibt eine Vielzahl überlieferter Weisheiten, die nicht auf Logik beruhen – und sie sind für gewöhnlich falsch. Was ist beispielsweise mit der alten Annahme, daß von einem Gewitter die Milch sauer wird?«

»Das ist ein logischer Fehler, Sperber, und kein Fehler der Intuition.«

»Würdest du das bitte erklären?«

»Man könnte genausogut sagen, daß saure Milch Gewitter verursacht.«

»Das ist verrückt.«

»Natürlich ist es verrückt. Gewitter und saure Milch sind beides Wirkungen, nicht Ursachen.«

»Du solltest mit Dolmant reden. Ich möchte sehr gern zuhören, wenn du ihm erklärst, daß er all die Jahre seine Zeit mit Logik vergeudet hat.«

»Das weiß er längst.« Sie zuckte die Schultern. »Dolmant ist viel intuitiver, als du glaubst. Als er mich sah, wußte er sofort, wer ich bin – ganz im Unterschied zu dir, Vater! Eine Zeitlang dachte ich schon, ich müßte fliegen, um dir die Augen zu öffnen!«

»Jetzt übertreibst du. Sei brav.«

»Bin ich doch. Ich weiß nämlich viel mehr über dich, als ich dir gesagt habe. Was brütet Krager aus?«

»Das weiß niemand.«

»Wir müssen ihn unbedingt finden, Sperber!«

»Ich weiß. Ich bin sogar noch versessener darauf als du! Es wird mir eine Wonne sein, ihm den Hals auszuwringen wie eine nasse Socke!«

»Klopf keine Sprüche, Sperber. Du kennst Krager. Er erzählt dir seine ganze Lebensgeschichte, wenn du ihn nur schief ansiehst!«

Er seufzte. »Du hast wahrscheinlich recht, aber das verdirbt einem den ganzen Spaß an der Sache!«

»Du bist ja auch nicht hier, um Spaß zu haben, Sperber. Was ist dir lieber – Information oder Rache?«

»Gibt es denn keine Möglichkeit, beides zu haben?«

Sie rollte die Augen himmelwärts. »Elenier!«

Anfang der folgenden Woche zog Bevier mit einer Einheit frisch ausgebildeter atanischer Pioniere nach Westen in Richtung Sarna. Am nächsten Tag führten Kalten, Tynian und Engessa zweihundert berittene Ataner gen Norden zu den Landen, die von den Trollen verwüstet wurden. Auf Vanions dringenden Rat hin verließen die Truppen Matherion in winzigen Gruppen von zwei oder drei Personen, die sich dann außerhalb der Stadt sammelten. »Es wäre unklug, jemandes Nase auf unser Vorhaben zu stoßen«, sagte er.

Ein paar Tage nach dem Abmarsch der beiden Expeditionen reiste Zalasta nach Sarsos. »Ich werde nicht lange fortbleiben«, versicherte er den Gefährten. »Wir haben eine verbindliche Zusage der Tausend; aber ich möchte mich trotzdem gern vergewissern, daß sie ihr Versprechen auch einhalten. Worte sind schön und gut, doch wir möchten auch Taten sehen – als Beweis, daß wir uns auf den Rat verlassen können! Ich kenne meine Brüder! Nichts wäre ihnen lieber, als die Vorteile zu genießen, die ihnen ein Bündnis bringt, das nur auf dem Papier besteht – ohne die Ungelegenheit, tatsächlich verpflichtet zu sein, etwas für uns zu tun. Am besten eignen die Tausend sich dazu, sich dieser übernatürlichen Manifestationen anzunehmen. Also werde ich sie aus ihren weichen Sesseln in Sarsos holen und auf diese Unruheherde verteilen.« Er bedachte Vanion mit einem dünnen Lächeln. »Zudem werden ausgedehnte Reisen zu ihrer körperlichen Ertüchtigung beitragen, Eminenz«, fügte er hinzu. »Wenn Ihr ihnen beweisen wollt, wie schlapp und faul sie sind, braucht Ihr dann nicht mehr Eure Knöchel in Gefahr zu bringen.«

Vanion lachte. »Das weiß ich zu würdigen, Zalasta.«

Stets war mehr zu tun, als es Zeit gab. Die Zeremonien und mehr oder weniger offiziellen Anlässe rund um den Staatsbesuch Königin Ehlanas kosteten die Gefährten die Nachmittage und Abende; so blieb Sperber und den anderen nichts übrig, als bis spät in die Nacht zu arbeiten und schon früh aufzustehen, um ihre heimlichen Unternehmungen in der Stadt und der Schloßanlage durchzuführen.

Bald machte der Mangel an Schlaf sich bemerkbar. Mirtai beklagte sich bei Sperber wegen des Gesundheitszustands seiner Gemahlin. Tatsächlich waren dunkle Ringe unter Ehlanas Augen zu erkennen, und wie alle anderen reagierte sie mit zunehmender Gereiztheit.

Der Durchbruch kam ungefähr zehn Tage nach dem Aufbruch der Expedition nach Sarna und den von den Trollen neu besetzten Landen. Eines Morgens traf Caalador in aller Frühe ein – mit kaum verhohlener Begeisterung und einem großen Segeltuchbeutel in der Hand. »Es war reines Glück, Sperber«, frohlockte er, als die beiden sich in der königlichen Gemächerflucht trafen.

»Davon können wir auch ein wenig brauchen!« antwortete Sperber. »Was habt Ihr herausgefunden?«

»Würdet Ihr gern den genauen Zeitpunkt – Tag und Stunde – erfahren, wann diese Geheimbündler des ›Verborgenen Landes‹ loslegen?«

»Ich kann nicht leugnen, daß es mich interessieren würde. Euer selbstzufriedenes Gesicht verrät, daß Ihr so allerlei erfahren habt.«

»Und ob, Sperber! Noch dazu ist es mir wie ein überreifer Pfirsich in den Schoß gefallen. Diese Burschen von der anderen Seite gehen recht sorglos mit ihren schriftlichen Anweisungen um. Einer meiner Taschendiebe hat einem feisten dazitischen Kaufmann den Beutel aufgeschlitzt, und da ist außer einer Handvoll Münzen noch dieser Zettel mit der geheimen Nachricht herausgefallen, den ihm einer seiner Mitverschworenen verstohlen zugesteckt hatte. ›Der Tag der Offenbarung des Verborgenen Landes steht bevor! Es ist alles bereit. Wir treffen uns um die zweite Stunde nach Sonnenuntergang, zehn Tage von heute, in Eurem Lagerhaus.‹ Ist das nicht interessant?«

»Allerdings, Caalador. Aber die Nachricht könnte eine Woche alt sein.«

»Ist sie nicht. Der Idiot, der sie schrieb, hat sie datiert!«

»Das kann doch nicht wahr sein!«

»Möge meine Zunge sich grün färben, wenn ich lüge.«

»Kennt Euer Taschendieb diesen dazitischen Kaufmann? Ich möchte dieses Lagerhaus gern aufsuchen und feststellen, welche Art von Waffen dort bereitliegen.«

»Da bin ich Euch weit voraus, Sperber.« Caalador grinste. »Wir haben diesen Daziter aufgespürt, und ich habe meine große Erfahrung als Hühnerdieb genutzt, um in das Lager zu gelangen.« Er öffnete den großen Segeltuchbeutel und zog eine nagelneue Armbrust heraus. »Davon gab es Hunderte, und dazu eine riesige Menge billige Schwerter, vermutlich alles in Lebros in Cammorien hergestellt – die Stadt ist berüchtigt für ihre Ramschware, die sie an Hinterwäldler liefert.«

Sperber drehte die Armbrust in den Händen. »Wirklich primitiv gemacht«, stellte er fest.

»Aber schießen wird man trotzdem damit können – einmal wenigstens.«

»Das erklärt den Baum mit den vielen Armbrustbolzen, den Khalad entdeckte. Hat ganz den Anschein, als erwarte man uns. Unser Freund würde keine Armbrüste brauchen, wenn er nicht wüßte, daß der Gegner Rüstung trägt. Gegen ungerüstete Krieger ist der Langbogen wesentlich wirkungsvoller. Man kann schneller damit schießen.«

»Eines können wir jetzt mit Sicherheit annehmen, Sperber«, sagte Caalador ernst. »Mehrere hundert Armbrüste bedeutet mehrere hundert Verschwörer – ganz von jenen zu schweigen, welche die Schwerter benutzen werden. Das läßt auf äußerst unfreundliche Zeiten sowohl hier in Matherion wie im Hinterland schließen. Ich glaube, wir sollten auf Pöbelhaufen und Straßenkämpfe vorbereitet sein.«

»Da könntet Ihr nur allzu recht haben, mein Freund. Laßt uns überlegen, wie wir diesem Mob die Zähne ziehen.«

Sperber trat an die Tür und öffnete. Wie üblich saß Mirtai unmittelbar davor, mit ihrem Schwert auf dem Schoß. »Würdet Ihr so nett sein und Khalad zu mir schicken, Atana?« ersuchte Sperber sie höflich.

»Und wer bewacht die Tür, während ich fort bin?« fragte sie.

»Ich kümmere mich darum.«

»Warum holt Ihr Khalad dann nicht gleich selbst? Ich werde hier bleiben und für Ehlanas Sicherheit sorgen.«

Sperber seufzte. »Bitte, Mirtai – tut mir den Gefallen.«

»Falls Ehlana irgend etwas zustößt, während ich nicht hier bin, werde ich Euch zur Rechenschaft ziehen, Sperber!«

»Ich werde es mir merken.«

»Hübsches Mädchen, nicht wahr?« sagte Caalador, nachdem die Riesin sich auf die Suche nach Sperbers Knappen gemacht hatte.

»Solche Bemerkungen würde ich vorsichtshalber unterlassen, wenn Kring in der Nähe ist, mein Freund. Er ist mit Mirtai verlobt und sehr eifersüchtig.«

»Sollte ich denn lieber sagen, daß sie häßlich ist?«

»Das wäre auch keine so gute Idee! Dann könnte es nämlich sein, daß sie Euch umbringt.«

»Ein bißchen empfindlich die beiden, nicht wahr?«

»O ja! Ihre Ehe dürfte alles andere als langweilig werden.«

Mirtai kehrte bereits wenige Minuten später mit Khalad zurück. »Ihr habt nach mir gerufen, Ritter Sperber?« fragte Kuriks Sohn.

»Wie würdest du diese Armbrust unbrauchbar machen, ohne daß gleich auffällt, daß jemand sich daran zu schaffen gemacht hat?« Sperber reichte dem jungen Mann die Waffe, die Caalador mitgebracht hatte.

Khalad untersuchte sie. »Ich würde die Sehne fast ganz durchschneiden – hier oben, wo sie angebracht ist«, riet er. »Sie wird reißen, sobald jemand sie zu spannen versucht.«

Sperber schüttelte den Kopf. »Die Gegner laden die Waffen vielleicht schon zuvor. Wie es aussieht, wird jemand damit auf uns schießen wollen, und er soll nichts merken, ehe es zu spät ist.«

»Ich könnte den Abzugsmechanismus unbrauchbar machen«, meinte Khalad. »Der Schütze könnte die Armbrust aufziehen und laden, aber nicht damit schießen – jedenfalls nicht gezielt.«

»Bleibt sie gespannt, bis er abdrückt?«

»Wahrscheinlich. Es ist eine billige Waffe, also erwartet der Schütze vermutlich gar nicht, daß sie sonderlich gut funktioniert. Ihr müßt lediglich diesen langen Stift entfernen, der den Abzug hält, und an seiner Stelle kurze Stifte in die Löcher stecken; dann fällt nicht auf, daß der durchgehende Stift nicht mehr da ist. Die Sehne wird von einer Feder gespannt, ohne den Stift gibt der Abzug die Feder nicht frei. Der Schütze wird die Waffe zwar spannen, aber nicht schießen können.«

»Ich verlasse mich ganz auf dich. Wie lange würdest du brauchen, das Ding auf diese Weise unbrauchbar zu machen?«

»Zwei Minuten.«

»Dann hast du eine lange Nacht vor dir, mein Freund. Es gibt mehrere Hundert dieser Armbrüste, an denen eine solche Änderung vorzunehmen ist – und du wirst es leise und bei schlechtem Licht tun müssen. – Caalador, könnt Ihr meinen Freund in das Lagerhaus dieses dazitischen Kaufmanns schmuggeln?«

»Wenn er leise ist.«

»Da macht Euch keine Sorgen. Khalad stammt vom Lande, genau wie Ihr, und ich vermute, daß er auch genauso geschickt ist, wenn es darum geht, Hasenfallen anzufertigen und Hühner zu stehlen.«

»Sperber!« rief Khalad entrüstet.

»Diese Fähigkeiten sind zu wertvoll, als daß wir sie bei deiner Ausbildung vernachlässigen könnten, Khalad. Und ich habe deinen Vater gekannt, wie du weißt.«

»Sie wußten, daß wir kamen, Sperber«, sagte Kalten verärgert. »Wir haben uns in kleine Gruppen aufgeteilt und uns von den Städten und Dörfern ferngehalten – und trotzdem wußten sie es! Sie haben uns am Westufer des Samasees mit einem Hinterhalt erwartet.«

»Trolle?« fragte Sperber angespannt.

»Schlimmer. Eine ziemlich große Schar übler Burschen, alle mit Armbrüsten bewaffnet. Sie haben lediglich den Fehler gemacht, alle gleichzeitig zu schießen. Hätten sie das nicht getan, wäre vermutlich keiner von uns zurückgekommen, euch davon zu berichten. Unter Engessas berittenen Atanern hat der Feind allerdings tüchtig aufgeräumt. Das machte Engessa so wütend, daß er ein paar von den heimtückischen Kerlen mit den bloßen Händen zerrissen hat.«

Kalte Angst drückte plötzlich auf Sperbers Bauch. »Wo ist Tynian?«

»Er wird gerade von einem Arzt versorgt. Er hat einen Bolzen in die Schulter abgekriegt.«

»Kommt er wieder in Ordnung?«

»Wahrscheinlich. Seine Laune hat es allerdings nicht gerade gebessert. Er kann sein Schwert mit der Linken fast so gut führen wie mit der Rechten. Wir mußten ihn zurückhalten, als die Schurken die Flucht ergriffen. Er wollte jeden einzelnen zur Strecke bringen, obwohl er wie ein abgestochenes Schwein geblutet hat. Ich glaube, wir haben Spitzel hier in dieser nachgebauten Burg, Sperber. Die Kerle hätten den Hinterhalt nicht ohne genaue Informationen über unseren Weg und unser Ziel vorbereiten können!«

»Wir werden die möglichen Verstecke noch einmal sorgfältig durchsuchen.«

»Und wenn wir wieder einen Spitzel erwischen, sollten wir ihn nicht bloß rügen. Mit zwei gebrochenen Beinen beispielsweise kann ein Spion schlecht durch Geheimgänge kriechen.« Das Gesicht des blonden Pandioners wirkte grimmig. »Und ich persönlich werde ihm die Beine brechen!« fügte er hinzu. »Ich möchte nicht, daß es gleich zu wundersamen Heilungen kommt. Ein gebrochenes Schienbein heilt in ungefähr zwei Monaten. Aber wenn man jemandes Knie mit einen Vorschlaghammer bearbeitet, setzt man ihn viel länger außer Gefecht.«

Bevier, der die Überlebenden seiner Truppe zwei Tage später nach Matherion zurückbrachte, ging mit seinem Vorschlag sogar noch weiter. Er hielt es für angebrachter, aufgestöberten Spitzeln die Beine an den Hüften zu amputieren. Der fromme cyrinische Ritter war sehr wütend über den Hinterhalt, den man ihm gestellt hatte, und er kleidete seinen Zorn in Worte, wie Sperber sie bisher noch nie von ihm gehört hatte. Als Bevier sich schließlich beruhigt hatte, suchte er zerknirscht Absolution bei Patriarch Emban. Emban vergab ihm nicht nur, er gewährte ihm sogar Ablaß – für den Fall, daß er es mit weiteren solcher Halunken zu tun bekäme.

Eine gründliche Durchsuchung der opaleszierenden Burg deckte keine versteckten Lauscher auf, und am Tag nach Beviers Rückkehr fanden sich alle zu einer Besprechung mit Kaiser Sarabian und Außenminister Oscagne ein. Um der Sicherheit willen trafen sie sich hoch oben im mittleren Turm, und Sephrenia sprach zusätzlich noch einen styrischen Zauber, der jeden Lauscher zum Scheitern verurteilen würde.

»Ich beschuldige niemanden«, sagte Vanion, »also nehmt das bitte nicht persönlich. Doch auf irgendeine Weise dringt etwas über unsere Pläne nach außen. Daher bin ich der Meinung, wir alle sollten schwören, daß wir nichts, was wir hier besprechen, außerhalb dieses Raums erwähnen.«

»Ein Schweigeeid, Hochmeister Vanion?« fragte Kalten sichtlich überrascht. Diese pandionische Tradition war im vergangenen Jahrhundert abgeschafft worden.

»Nun, jedenfalls etwas Ähnliches. Schließlich sind wir nicht alle Pandioner.« Er blickte in die Runde. »Also gut, fassen wir die Situation zusammen. Hier in Matherion ist zweifellos weit mehr im Spiel als nur Spionage. Ich glaube, wir müssen uns auf einen Angriff auf das Schloß gefaßt machen. Unser Feind wird offenbar ungeduldig.«

»Oder hat Angst«, meinte Oscagne. »Die Anwesenheit der Ordensritter – und Prinz Sperbers – hier in Matherion stellt eine Bedrohung für ihn dar. Mit Terror, Unruhen und Aufständen in den einzelnen Königreichen des Imperiums ist er bisher recht erfolgreich gewesen, doch nun scheint sich etwas ergeben zu haben, was raschere Fortschritte erfordert. Jetzt muß er gegen das Zentrum imperialer Macht losschlagen.«

»Und direkt gegen mich, nehme ich an«, fügte Kaiser Sarabian hinzu.

»Das ist ganz und gar unvorstellbar, Majestät«, widersprach Oscagne. »In der langen Geschichte des Imperiums hat noch nie jemand die Person des Kaiser bedroht.«

»Bitte, Oscagne«, sagte Sarabian ein wenig ungehalten, »behandelt mich nicht wie einen Idioten. Mehr als einer meiner Vorgänger hatte einen ›Unfall‹ oder starb an einer eigenartigen ›Krankheit‹. Man hat sich auch in früheren Zeiten schon des öfteren unbequemer Kaiser entledigt.«

»Doch nie so offen, Majestät. Das ist schrecklich unhöflich.«

Sarabian lachte. »Ich bin sicher, daß die drei Reichsminister, die meinen Ururgroßvater vom höchsten Turm des Schlosses warfen, es dabei nicht an allergrößter Höflichkeit mangeln ließen, Oscagne. Diesmal müssen wir also mit bewaffneten Pöbelhaufen auf den Straßen rechnen, die alle lautstark nach meinem Blut schreien?«

»Ich würde die Möglichkeit nicht von der Hand weisen, Majestät«, warf Vanion ein.

»Ich hasse es!« brummte Ulath verärgert.

»Was haßt du?« fragte Kalten.

»Ist das nicht offensichtlich? Wir haben hier eine elenische Burg.

Sie ist vielleicht nicht ganz so gut wie eine Burg, die Bevier hätte erbauen lassen, dennoch ist sie eines der bestbefestigten Gebäude Matherions. Uns bleiben drei Tage, bis die Straßen sich mit bewaffneten Bürgern füllen. Das läßt uns keine große Wahl. Wir müssen uns in diesen Mauern verschanzen, bis die Ataner wieder Ruhe und Ordnung herstellen können. Ich verabscheue Belagerungen!«

»Ich glaube, so weit wird es nicht kommen, Ritter Ulath«, widersprach Oscagne. »Als ich von der Nachricht erfuhr, die Meister Caalador entdeckt hat, sandte ich einen Kurier nach Norkan in Atana. Dort sind, keine sechzig Meilen von hier, zehntausend Ataner stationiert. Die Verschwörer werden an dem bestimmten Tag vor Einbruch der Dunkelheit nichts unternehmen. Ich kann die Straßen noch vor Mittag dieses Tages mit sieben Fuß großen Atanern überschwemmen. Der beabsichtigte Überraschungsschlag ist praktisch schon gescheitert, bevor er richtig begonnen hat.«

»Und damit ist die Chance vertan, alle Gegner zu fassen?« protestierte Ulath. »Das ist militärisch nicht gut durchdacht, Exzellenz. Diese Burg läßt sich ausgezeichnet verteidigen. Bevier könnte sie mindestens zwei Jahre halten.«

»Fünf!« berichtigte Bevier. »Innerhalb der Mauern gibt es einen Brunnen, so daß wir drei Jahre länger durchhalten könnten.«

»Um so besser. Wir werden so unauffällig wie möglich, hauptsächlich des Nachts, an der Befestigung arbeiten«, fuhr Ulath fort. »Wir schaffen Fässer mit Pech und Naphta herbei. Bevier baut die Maschinen. Dann, kurz ehe die Sonne untergeht, schaffen wir die gesamte Regierung und die reguläre atanische Garnison in die Burg. Der Mob wird die Schloßanlage stürmen und durch die Reichsgebäude wüten. Er wird auf keinen Widerstand stoßen – bis er hierherkommt. Er wird gegen unsere Mauern anrennen, siegessicher, weil sich ihm in den anderen Gebäuden niemand in den Weg gestellt hat. Bestimmt wird der Pöbel keinen Hagel großer Steine und keinen Regen aus siedendem Pech erwarten. Nimmt man die Tatsache hinzu, daß die Armbrüste des Feindes nicht funktionieren werden, weil Khalad sie während der letzten zwei Nächte im dazitischen Lagerhaus unbrauchbar gemacht hat, werden wir es mit einer großen Menschenmasse zu tun bekommen, die wütend und verwirrt um unsere Mauern herumtobt, bis schließlich, etwa gegen Mitternacht, die neue atanische Einheit das Schloß erreicht und den Pöbel in den Boden stampft.«

»Ja!« rief Engessa begeistert.

»Das ist ein brillanter Plan, Ritter Ulath«, lobte Sarabian den riesenhaften Thalesier. »Was gefällt Euch daran nicht?«

»Ich kann mich für Belagerungen nicht erwärmen, Majestät.«

»Ulath«, Tynian zuckte leicht zusammen, als er seine gebrochene Schulter bewegte, »meinst du nicht, daß du mit diesen Sprüchen Schluß machen solltest? Wenn die Lage es erfordert, bist du so schnell wie jeder andere von uns bereit, Befestigungen zu errichten.«

»Von Thalesiern erwartet man, daß sie Belagerungen hassen, Tynian. Das gehört zu unserem Volkscharakter. Angeblich sind wir aufbrausend und ungeduldig und neigen eher zu roher Gewalt als zu wohlüberlegtem Durchhalten.«

Bevier lächelte leicht. »Ulath, König Warguns Vater stand eine siebzehn Jahre währende Belagerung durch, ohne daß es ihm irgendwie geschadet hätte.«

»Schon, aber es gefiel ihm nicht, Bevier. Darum geht es!«

»Ich glaube, wir übersehen eine Möglichkeit, meine Freunde«, warf Kring ein. »Der Mob wird zum Schloß kommen, richtig?«

»Ja, wenn wir mit unserer Einschätzung recht haben«, bestätigte Tynian.

»Einige werden politische Fanatiker sein – aber nicht sehr viele, glaube ich. Der Großteil interessiert sich hauptsächlich für die Plünderung des Schlosses und der anderen Gebäude.«

Sarabian erbleichte. »Hölle und Verdammnis!« fluchte er. »Daran hatte ich überhaupt nicht gedacht!«

»Macht Euch deshalb keine übergroßen Sorgen, Freund Kaiser«, beruhigte der Domi ihn. »Ob nun Politik oder Gier die Meute hierher führt, spielt keine Rolle. Die Mauern rundum sind hoch, und das Tor ist unüberwindlich. Wie wär's, wenn wir sie alle hereinließen – und dann dafür sorgen, daß sie nicht mehr hinaus können? Ich kann Männer in der Nähe des Wachthauses am Tor verstecken. Nachdem der Mob durchs Tor ist, schließen wir es einfach. Dann haben wir die Kerle allesamt auf einem Haufen, wenn die Ataner eintreffen. Die Beute wird den Mob hereinlocken, und die Tore werden ihn einsperren. Natürlich werden diese Leute plündern – aber die Beute gehört einem erst, wenn man damit entkommen kann. Auf diese Weise schnappen wir sie alle und brauchen sie später nicht aus verborgenen Schlupflöchern zu holen.«

»Das hat eine Menge für sich, Kring«, lobte Kalten.

»Ich habe nichts anderes von ihm erwartet«, bemerkte Mirtai. »Er ist ja ein brillanter Krieger – und mein Verlobter!«

Kring strahlte.

»Noch etwas«, fügte Stragen hinzu. »Ich bin sicher, wir alle verspüren eine brennende Neugier, was gewisse Dinge betrifft, und wir haben diese Liste von Personen aufgestellt, die möglicherweise Antworten auf einige unserer dringendsten Fragen geben können. Schlachten sind riskant, und mitunter lassen dabei wichtige Leute ihr Leben. Da draußen in Matherion gibt es einige Herrschaften, die in Sicherheit gebracht werden sollten, ehe der Kampf ausbricht.«

»Gute Idee, Durchlaucht Stragen«, pflichtete Sarabian ihm bei. »Ich werde am Morgen des großen Tages ein paar Einheiten ausschicken, um jene Personen in Gewahrsam zu nehmen, die am Leben bleiben sollen.«

»Äh – vielleicht gibt es eine bessere Methode, Majestät. Überlassen wir das doch Caalador. Als Gruppe sind Ordnungshüter zu auffällig, wenn sie Leute festnehmen – Uniformen, Ketten, Gleichschritt und dergleichen mehr. Berufsmörder sind viel unauffälliger. Man muß niemandem Ketten anlegen, wenn man ihn verhaftet. Eine Dolchspitze, unbemerkt an empfindlicher Stelle angesetzt, ist ebenso wirkungsvoll, wie ich weiß.«

»Ihr sprecht aus Erfahrung, nehme ich an?« fragte Sarabian mit forschendem Blick.

»Mord ist ein Verbrechen, Majestät«, erwiderte Stragen. »Und als Anführer von Verbrechern muß ich Erfahrung in allen Sparten dieses Berufs besitzen. Man muß schließlich wissen, wovon geredet wird.«