12

»Es ist schwierig, die Sache auf den Punkt zu bringen, Prinz Sperber«, sagte Baroneß Melidere an diesem Abend, nachdem sich die königliche Familie und deren engste Vertraute in ihre geräumige Gemächerflucht zurückgezogen hatten. Auf den ausdrücklichen Wunsch der Königin waren auch Melidere, Mirtai und Alean hier Zimmer überlassen worden. Ehlana brauchte aus mehreren Gründen – aus praktischen, politischen und einigen sehr obskuren – Frauen um sich. Die Damen hatten sich ihrer Prunkgewänder entledigt und waren, mit Ausnahme von Mirtai, in bequeme, pastellfarbene Nachtgewänder geschlüpft. Melidere bürstete Mirtais dichtes blauschwarzes Haar, und die rehäugige Alean die aschblonde Haarpracht Ehlanas.

»Ich weiß nicht so recht, wie ich es beschreiben soll«, fuhr die honigblonde Baroneß fort. »Es ist eine Art allgemeine Traurigkeit. Schaut euch nur die Gesichter an!«

»Das ist mir auch aufgefallen, Sperber«, wandte Ehlana sich an ihren Gemahl. »Alberen hat kaum gelächelt, und ich kann wirklich jeden zum Lächeln bringen.«

»Allein Eure Anwesenheit genügt, ein Lächeln auf unsere Lippen zu zaubern, meine Königin«, versicherte Talen ihr galant. Er gehörte als Ehlanas Page zur erweiterten königlichen Familie. Der junge Dieb war heute ungemein elegant in einen pflaumenfarbenen Samtwams und eine Kniehose aus demselben Stoff gekleidet. Kniehosen kamen zur Zeit in Mode, und Ehlana hatte alles mögliche versucht, ihren Gemahl zu überreden, in eine solche zu schlüpfen. Nachdem Sperber sich kategorisch geweigert hatte, war der Königin nichts anderes übriggeblieben, als ihren Pagen zu zwingen, eines dieser lächerlichen Kleidungsstücke zu tragen.

»Man möchte einen Ritter aus dir machen, Talen«, sagte Melidere anzüglich, »keinen süßholzraspelnden Höfling.«

Talen zuckte die Schultern. »Stragen sagt, daß es immer gut ist, sich für den Notfall eine Ausweichmöglichkeit offenzuhalten, Baroneß.« Seine Stimme schwankte zwischen Sopran und Bariton.

Die Baroneß rümpfte die Nase. »Das sieht ihm ähnlich!« Sie ließ kein gutes Haar an Stragen, doch Sperber hatte seine Zweifel an Melideres zur Schau gestelltem Mißfallen.

Talen und Prinzessin Danae saßen auf dem Boden und rollten einen Ball zwischen sich hin und her. Murr beteiligte sich begeistert an diesem Spiel.

»Offenbar glauben alle insgeheim, die Welt geht übernächste Woche unter.« Die Baroneß zog langsam die Bürste durch Mirtais Haar. »Nach außen hin geben die Leute sich heiter, aber sobald man sie näher beobachtet, erkennt man, wie schwermütig sie in Wirklichkeit sind. Und alle geben sich dem Trunk hin! Ich kann es natürlich nicht beweisen, aber ich habe das Gefühl, jeder von ihnen ist überzeugt, schon sehr bald sterben zu müssen.« Nachdenklich zupfte sie an Mirtais Haar. »Ich glaube, ich werde eine goldene Kette hineinflechten, meine Liebe«, sagte sie zu der Riesin.

»Nein, Melidere«, wehrte Mirtai ab. »Es steht mir noch nicht zu, Gold zu tragen.«

»Jeder Frau steht es zu, Gold zu tragen, Mirtai.« Melidere lachte. »Vorausgesetzt, sie kann einen Mann betören, es ihr zu schenken.«

»Nicht bei meinem Volk«, widersprach Mirtai. »Gold ist nur für Erwachsene, nicht für Kinder.«

»Ihr seid kein Kind mehr, Mirtai.«

»Doch. Bis ich eine bestimmte Zeremonie über mich ergehen lasse. Nehmt Silber, Melidere – oder Stahl.«

»Aber Stahl eignet sich nicht für Geschmeide.«

»Warum nicht? Wenn man es genug poliert …«

Melidere seufzte. »Hol mir bitte die Silberkettchen, Talen.«

Als Talen zur Tür ging, wurde höflich angeklopft, und Botschafter Oscagne trat ein, nachdem der Knappe ihm geöffnet hatte. Oscagne verbeugte sich vor Ehlana. »Ich habe mit Fontan gesprochen, Majestät«, berichtete er. »Er beordert zwei atanische Legionen von der Garnison in Canae als Geleitschutz für uns ab, wenn wir nach Matherion weiterziehen. Ich bin überzeugt, daß wir uns in ihrer Gegenwart sicherer fühlen werden.«

»Was ist eine Legion, Exzellenz?« erkundigte sich Talen, als er das Gemach durchquerte und in der Geschmeideschatulle zu wühlen begann.

»Eintausend Krieger«, antwortete Oscagne. Er lächelte Ehlana an. »Mit zweitausend Atanern zu Eurer Verfügung, Majestät, könntet Ihr Edom erobern. Möchtet Ihr einen Stützpunkt auf dem daresischen Kontinent errichten? Das wäre gar nicht so unpraktisch. Wir Tamuler werden ihn für Euch verwalten – zur üblichen Gebühr, versteht sich – und Euch zum Ende jeden Jahres einen mehr als befriedigenden Bericht senden. Diese Berichte werden natürlich nicht der Wahrheit entsprechen, aber wir werden sie trotzdem schicken.«

»Mitsamt dem Gewinn?« fragte Ehlana interessiert.

»O nein, Majestät.« Oscagne lachte. »Aus irgendwelchen Gründen macht kein einziges Königreich im ganzen Imperium Gewinn – außer Tamul selbst natürlich.«

»Warum sollte ich ein Reich wollen, das nichts einbringt?«

»Aus Prestigegründen, Majestät, und aus Eitelkeit. Ihr würdet einen zusätzlichen Titel und eine zweite Krone Euer eigen nennen.«

»Ich brauche keine zweite Krone, Exzellenz. Ich habe nur einen Kopf. Nein, nein. Lassen wir lieber dem König von Edom sein Reich, wenn's nichts einbringt.«

»Ich glaube, das ist eine kluge Entscheidung, Majestät«, pflichtete Oscagne ihr bei. »Edom ist langweilig. Man baut dort Getreide an, und die Bauern sind schwerfällige Menschen, die sich allenfalls für das Wetter interessieren.«

»Wie lange wird es voraussichtlich dauern, bis diese Legionen eintreffen?« erkundigte sich Sperber.

»Etwa eine Woche. Sie marschieren, kommen also schneller voran, als wenn sie reiten würden.«

»Ist es nicht umgekehrt, Exzellenz?« fragte Melidere. »Ich war immer der Meinung, daß Pferde schneller sind als Menschen zu Fuß.«

Mirtai lachte.

»Habe ich etwas Komisches gesagt?« wunderte sich Melidere.

»Als ich vierzehn war, hat mich drunten in Dakonien mal ein Mann belästigt«, sagte die Riesin. »Er war betrunken. Als er am nächsten Morgen nüchtern wurde, erkannte er, was er getan hatte, und flüchtete auf seinem Pferd, noch vor Sonnenaufgang. Ich holte ihn kurz vor Mittag ein. Sein Pferd war tot; der Mann hatte es zuschanden geritten. Mir haben Pferde immer schon leidgetan. Ein ausgebildeter Krieger kann den ganzen Tag laufen – ein Pferd vermag das nicht, da es zum Fressen anhalten muß. Wir aber können beim Marschieren Nahrung zu uns nehmen und brauchen deshalb keine Rast zu machen.«

»Was habt Ihr mit dem Kerl gemacht, der Euch belästigt hat?« fragte Talen.

»Möchtest du das wirklich wissen?«

»Äh – nein, Mirtai«, antwortete er. »Wenn Ihr mich so fragt, lieber nicht.«

Und so hatten sie eine Woche für sich. Baroneß Melidere verbrachte die Zeit damit, scharenweise Herzen zu brechen. Die jungen Edelmänner an König Alberens Hof scharwenzelten auf Schritt und Tritt um sie herum. Melidere machte ihnen schöne Augen, gab allerlei Versprechen – von denen sie keines hielt – und ließ sich hin und wieder von einem sehr hartnäckigen Verehrer in einer dunklen Ecke küssen. Es machte ihr großen Spaß, und vor allem erfuhr sie sehr viel Nützliches. Ein junger Mann, der einem hübschen Mädchen nachstellt, erzählt ihm so manches Geheimnis, das er besser für sich behalten hätte.

Zu Sperbers und seiner Freunde Erstaunen brach Berit fast ebenso viele Mädchenherzen wie Melidere Männerherzen.

»Es ist fast unheimlich«, sagte Kalten eines Abends. »Er tut im Grund genommen überhaupt nichts. Er unterhält sich nicht mit den Mädchen, er lächelt sie nicht mal an. Er tut gar nichts! Ich weiß nicht, woran es liegt, aber jedesmal, wenn Berit ein Zimmer betritt, verlieren die jungen Damen den Kopf.«

»Er ist ja auch ein sehr gutaussehender junger Mann, Kalten«, gab Ehlana zu bedenken.

»Berit? Er muß sich noch nicht einmal regelmäßig rasieren.«

»Was hat das damit zu tun? Er ist hochgewachsen, hat breite Schultern und gute Manieren. Außerdem hat er die blauesten Augen, die ich je gesehen habe – und die längsten Wimpern.«

»Aber er ist doch noch ein Junge.«

»Nicht mehr. Ihr habt ihn in letzter Zeit offenbar nicht richtig beobachtet. Außerdem sind die jungen Damen, die seinetwegen in ihr Kissen seufzen und schluchzen, selbst kaum den Kinderschuhen entwachsen.«

»Das Verrückte daran ist, daß Berit gar nicht weiß, welche Wirkung er auf alle diese armen Mädchen hat«, warf Tynian ein. »Es fehlt nicht viel, und sie reißen sich die Kleider vom Leib, nur um seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Und der Junge hat nicht die leiseste Ahnung, was da vor sich vorgeht.«

»Diese Ahnungslosigkeit macht einen Teil seines Charmes aus, Herr Ritter.« Ehlana lächelte. »Ohne seine Unschuld fänden die Mädchen Berit nicht halb so attraktiv. Ritter Bevier hat eine ähnliche Anziehungskraft, nur daß Bevier weiß, was für ein außerordentlich gutaussehender junger Mann er ist. Es ist lediglich seine religiöse Einstellung, die ihn abhält, davon Gebrauch zu machen. Berit hingegen ist völlig ahnungslos.«

»Vielleicht sollte ihn einer von uns einmal ein bißchen darüber aufklären«, schlug Ulath vor.

»Laßt das lieber bleiben«, warnte Mirtai. »Der junge Mann ist schon richtig, so wie er ist.«

»Mirtai hat recht«, warf Ehlana ein. »Laßt Berit in Ruhe. Wir möchten, daß er seine Unschuld noch eine Zeitlang behält.« Ein schelmischer Ausdruck huschte über ihre Züge. »Bei Bevier hingegen sieht die Sache anders aus. Es wird Zeit, daß wir eine Gemahlin für ihn finden. Er wird einen prachtvollen Ehemann abgeben.«

Bevier lächelte schwach. »Ich bin bereits verheiratet, Majestät – mit der Kirche.«

»Verlobt vielleicht, Bevier, aber noch nicht verheiratet. Kauft einstweilen noch keine geistliche Kleidung, Herr Ritter. Ich habe Euch noch nicht aufgegeben.«

»Wäre es nicht einfacher, Ihr würdet Euch in Eurer näheren Umgebung umschauen, Majestät? Wenn Ihr das Bedürfnis habt, jemanden zu vermählen, wäre Ritter Kalten der richtige Mann.«

»Kalten?« rief Ehlana entsetzt. »Das ist verrückt, Bevier! Das würde ich keiner Frau antun!«

»Majestät!« entrüstete sich Kalten.

Ehlana lächelte den blonden Pandioner an. »Ich mag Euch sehr, Kalten. Aber Ihr seid nicht aus dem Stoff, aus dem man Ehemänner macht. Ich wüßte niemanden für Euch. Und ich könnte es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, einer Frau zu befehlen, Euch zu heiraten. Bei Tynian bestünde eine vage Möglichkeit. Aber Gott hat Euch und Ulath dazu bestimmt, Junggesellen zu bleiben.«

»Was? Mich auch?« fragte Ulath erstaunt.

»Ja, Euch auch.«

Stragen und Talen traten ein, beide in der einfachen Kleidung, die sie für gewöhnlich trugen, wenn sie draußen auf den Straßen etwas zu tun hatten.

»Hattet ihr Glück?« fragte Sperber.

»Wir haben ihn gefunden«, antwortete Stragen, während er Alean seinen Umhang reichte. »Er ist wirklich nicht nach meinem Geschmack. Er ist ein Taschendieb, und Taschendiebe eignen sich nach meinem Dafürhalten nicht zum Führer. Ihr Charakter weist erhebliche Mängel auf.«

»Stragen!« empörte sich Talen.

»In Wahrheit bist du doch gar kein Taschendieb, mein junger Freund«, beruhigte Stragen ihn. »Bei dir ist es lediglich ein Zeitvertreib, bis du erwachsen bist. Wie auch immer, der Name dieses hiesigen Diebes ist Kondrak. Er hat eingesehen, daß wir ein gemeinsames Interesse an einer stabilen Regierung haben – das zumindest muß ich ihm zugute halten. In Krisenzeiten ist mit dem Ausplündern von Häusern zwar leichte Beute zu machen, aber auf lange Sicht kommt ein guter Dieb in friedlichen Zeiten zu mehr Wohlstand. Natürlich kann Kondrak nicht für alle anderen Diebe mitentscheiden. Er muß erst mit seinen Kollegen in anderen Städten des Imperiums palavern.«

»Ich schätze, das wird ein Jahr dauern«, sagte Sperber trocken.

»Kaum«, widersprach Stragen. »Diebe sind viel schneller als ehrliche Menschen. Kondrak wird Botschaften schicken, in denen er unsere Ziele beschreibt, und er wird sich dafür stark machen. Ich glaube, die Chancen stehen recht gut, daß sich die Diebe aller Königreiche des Imperiums auf unsere Seite schlagen.«

»Wie erfahren wir, welche Entscheidung sie getroffen haben?« fragte Tynian.

»Ich werde in jeder größeren Stadt, durch die wir ziehen, einen Höflichkeitsbesuch machen.« Stragen zuckte die Schultern. »Früher oder später bekomme ich eine formelle Antwort. Das dürfte nicht allzu lange dauern. Wir werden die endgültige Entscheidung haben, ehe wir Matherion erreichen.« Er blickte Ehlana nachdenklich an. »Eure Majestät haben in den letzten Jahren viel über die Unterweltsorganisation erfahren. Wäre es möglich, dies zum Staatsgeheimnis zu erheben? Wir sind durchaus zur Zusammenarbeit bereit, wenn erforderlich sogar zur Hilfeleistung, aber wir würden uns viel wohler fühlen, wenn die anderen Monarchen nicht allzu viel über unsere Arbeitsweise erführen. Ein Übereifriger könnte es sich in den Kopf setzen, die geheime Organisation zu zerschlagen, und das würde ziemliche Probleme mit sich bringen.«

»Was ist es Euch wert, Durchlaucht Stragen?« neckte Ehlana ihn.

Sein Blick wurde sehr ernst. »Das ist eine Entscheidung, die Ihr selbst treffen müßt, Ehlana«, sagte er eindringlich und ließ Titel und Förmlichkeit beiseite. »Ich habe mich bemüht, Euch zu unterstützen, wann immer es mir möglich war, weil ich Euch ehrlich zugetan bin. Falls Euch jedoch in dieser Sache bei einem Gespräch nur das Geringste entschlüpft und andere Monarchen etwas erfahren, was sie nicht wissen sollten, könnte ich Euch keine Hilfe mehr sein.«

»Ihr würdet mich im Stich lassen, Durchlaucht Stragen?«

»Nie, Majestät. Aber meine Kollegen würden mich umbringen lassen, und tot wäre ich wohl kaum noch von Nutzen für Euch, oder?«

Erzmandrit Monsel war ein kräftiger, imposanter Mann mit schwarzen Augen, durchdringendem Blick und einem beeindruckenden schwarzen Bart. Es war ein aggressiver Bart, ein Aufmerksamkeit fordernder Bart, ein Bart, den man unmöglich zu übersehen vermochte, und der Erzmandrit benutzte ihn wie einen Rammbock. Wo immer er hinging, der Bart war ihm einen Meter voraus. Er stellte sich auf, wenn sein Träger gereizt war – und das war er häufig –, und bei feuchtem Wetter verhedderte er sich wie billige Angelschnüre. Der Bart wippte, wenn Monsel sprach, und betonte manches Wort auf seine Weise. Patriarch Emban war von diesem Bart zutiefst fasziniert. »Als würde man sich mit einer lebendig gewordenen Hecke unterhalten«, sagte er zu Sperber, als er ihn durch die Schloßkorridore zu einer Privataudienz bei dem astelischen Geistlichen begleitete.

»Gibt es bestimmte Themen, die ich lieber meiden sollte, Eminenz?« erkundigte sich Sperber. »Ich bin mit der astelischen Kirche nicht vertraut und möchte keineswegs theologische Streitgespräche auslösen.«

»Unsere Meinungsverschiedenheiten beziehen sich auf die Kirchenherrschaft, Sperber; die rein theologischen Differenzen sind kaum der Rede wert. Wir haben weltliche Kleriker, während die astelischen Geistlichen zugleich Mönche sind. Außerdem haben die Asteler weit mehr Priester und Mönche als wir – etwa ein Zehntel der Bevölkerung.«

»So viele?«

»O ja. Jeder Landsitz und jedes Stadthaus eines astelischen Edlen hat eine eigene Kapelle mit einem eigenen Priester, und dieser Priester wird hinzugezogen, wenn Entscheidungen zu treffen sind.«

»Wie finden sie nur so viele Männer, die bereit sind, Priester zu werden?«

»Sie werden hauptsächlich aus den Reihen der Leibeigenen rekrutiert. Ein Priesterleben hat seine Nachteile, ist jedoch dem Leben eines Leibeigenen vorzuziehen.«

»Das kann ich mir vorstellen.«

»Wie auch immer, der Erzmandrit wird Euch respektieren, weil Ihr einem religiösen Orden angehört. Ach, übrigens, als Übergangshochmeister der Pandioner seid Ihr automatisch ein Patriarch. Wundert Euch also nicht, wenn er Euch mit ›Eminenz‹ anredet.«

Ein langbärtiger Mönch ließ sie in die Audienzkammer ein. Sperber war längst aufgefallen, daß alle astelischen Geistlichen Bärte trugen. Der Raum war klein und dunkel getäfelt, der Teppich von tiefem Weinrot, und die dicken Vorhänge an den Fenstern waren schwarz. Überall lagen Bücher und eselsohrige Schriften verstreut.

»Ah, Emban«, sagte Monsel. »Nun, was habt Ihr inzwischen so alles getrieben?«

»Ich hatte viel zu tun. Ich war unterwegs, Heiden bekehren.«

»Wirklich? Wo habt Ihr denn hier welche gefunden? Ich dachte immer, die meisten Heiden gibt es in der Basilika von Chyrellos. Setzt euch, meine Herren. Ich werde uns Wein bringen lassen, und wir können über Theologie debattieren.«

»Kennt Ihr Sperber?« fragte Emban, als sie in Sesseln vor einem offenen Fenster Platz nahmen, wo der Wind die schwarzen Vorhänge bauschte.

»Flüchtig«, erwiderte Monsel. »Wie geht es Euch, Hoheit?«

»Danke gut. Und wie fühlt Ihr Euch, Eminenz?«

»Vor allem neugierig. Weshalb habt Ihr eine so private Besprechung erbeten?«

»Wir alle sind Kleriker, Eminenz«, sagte Emban. »Sperber trägt zwar meistens einen Priesterrock aus Stahl, aber er gehört der Geistlichkeit an. Wir möchten etwas mit Euch besprechen, das Euch wahrscheinlich ebensosehr betrifft wie uns. Ich glaube, ich kenne Euch gut genug, um zu wissen, daß Ihr uns verzeihen könnt, daß wir Eurer Meinung nach das falsche Knie beugen.«

»Das falsche … was?« fragte Sperber verdutzt.

»Wir beugen das rechte Knie.« Emban zuckte die Schultern. »Diese bedauernswerten, zurückgebliebenen Heiden das linke.«

»Schockierend!« murmelte Sperber. »Meint Ihr, wir sollten mit einer Armee hierherkommen und sie zwingen, es richtig zu machen?«

»Seht Ihr?« sagte Emban zu dem Erzmandriten. »Genau das ist es, was ich meinte. Ihr solltet auf die Knie fallen – zuerst auf das rechte! – und Gott danken, daß Ihr keine Ordensritter am Hals habt. Ich glaube, die meisten von ihnen beten heimlich styrische Götter an.«

»Nur die Jüngeren Götter, Eminenz«, berichtigte Sperber. »Mit den Älteren Göttern hatten wir gewisse Probleme.«

»Er sagt es so gleichmütig.« Monsel schauderte. »Wenn Ihr glaubt, daß wir das Thema Kniefall erschöpfend behandelt haben, Emban, dann kommt bitte zur Sache.«

»Was ich Euch sagen werde, ist streng vertraulich, Eminenz. Hinter unserer Reise verbirgt sich viel mehr als der offizielle Anlaß. Es war Königin Ehlanas Idee. Es ist nicht ihre Art, irgendwohin zu reisen, nur weil jemand es von ihr will. Diese ganze aufwendige Aktion dient lediglich zur Verschleierung der eigentlichen Absicht; nämlich Sperber auf den daresischen Kontinent zu bringen. Die Welt zerfällt an allen Ecken und Enden. Deshalb haben wir beschlossen, Sperber die Sache wieder in Ordnung bringen zu lassen.«

»Ich dachte, das sei Gottes Sache.«

»Gott ist momentan zu beschäftigt, und er hat vollstes Vertrauen zu Sperber. Soviel ich weiß, denken alle möglichen anderen Götter ebenso.«

Monsels Augen weiteten sich, und sein Bart zuckte.

»Beruhigt Euch, Monsel. Wir Kirchenleute sind nicht verpflichtet, an andere Götter zu glauben. Es sind lediglich ein paar Zugeständnisse hinsichtlich ihrer möglichen Existenz erforderlich.«

»Oh, das ist etwas anderes. Wenn es nur Spekulation ist, ist wohl nichts dagegen einzuwenden.«

»Allerdings ist eines keine Spekulation, Eminenz«, sagte Sperber. »Ihr habt hier in Astel Schwierigkeiten.«

»Ihr habt es also bemerkt. Hoheit, Ihr seid ein sehr aufmerksamer Beobachter!«

»Möglicherweise seid Ihr nicht darüber informiert worden, da die Tamuler es so weit als möglich geheimhalten möchten, aber Ähnliches tut sich in vielen anderen daresischen Reichen. Es beginnt sogar auf Eosien überzugreifen.«

»Ich glaube, die Tamuler sind von Natur aus Geheimniskrämer«, brummte Monsel.

»Ich habe einen Freund, der von unserer eosischen Kirche das gleiche behauptet«, sagte Sperber vorsichtig. Sie waren sich über die politischen Ansichten des Erzmandriten noch nicht ganz klar geworden. Ein falsches Wort konnte nicht nur Monsels Mithilfe in Frage stellen, sondern die gesamte Mission gefährden.

»Wissen ist Macht«, sagte Emban, »und nur ein Narr teilt seine Macht mit anderen, sofern es nicht notwendig ist. Laßt uns offen reden, Monsel. Was haltet Ihr von den Tamulern?«

»Ich mag sie nicht«, entgegnete Monsel unverblümt. »Sie sind Heiden, sie gehören einer fremden Rasse an, und man weiß nie, was sie denken.«

Sperber war enttäuscht.

»Ich muß jedoch zugeben, daß die Einverleibung Astels ins tamulische Imperium das Beste war, was uns je passiert ist. Ob wir die Tamuler mögen oder nicht, ist unwichtig. Ihr fanatischer Hang zu Ordnung und Stabilität hat allein zu meinen Lebzeiten viele Male Kriege verhindert. In vergangener Zeit hat es andere Imperien gegeben, und die Zeit ihres Aufstiegs war von unbeschreiblichem Grauen und Leid gezeichnet. Ich finde, wir müssen ehrlich zugeben, daß die Tamuler die besten Imperialisten aller Zeiten sind. Sie mischen sich nicht in einheimische Sitten oder Religionen ein. Sie stören die gesellschaftliche Struktur nicht, und sie regieren durch die etablierten Regierungen. Ihre Steuern, so sehr wir auch darüber jammern, sind in Wirklichkeit gering. Sie bauen gute Straßen und fördern den Handel. Abgesehen davon lassen sie uns für gewöhnlich in Ruhe. Daß wir uns untereinander nicht bekriegen, ist das einzige, worauf sie streng bestehen. Damit kann ich leben – auch wenn meine Vorgänger sich arg unterdrückt fühlten, weil die Tamuler nicht zuließen, daß sie ihre Nachbarn mit dem Schwert bekehrten.«

Jetzt atmete Sperber ein wenig leichter.

»Aber ich weiche vom Thema ab«, meinte Monsel. »Wenn mich nicht alles täuscht, habt ihr eine Art weltweite Verschwörung angedeutet.«

»Haben wir das, Sperber?« fragte Emban.

»Ich glaube ja, Eminenz.«

»Habt Ihr einen konkreten Anhaltspunkt, auf den Ihr diese Theorie stützen könnt, Ritter Sperber?« erkundigte sich Monsel.

»Eigentlich nur die Logik, Eminenz.«

»Ich bin bereit, auf die Logik zu hören, solange sie meinem Glauben nicht widerspricht.«

»Wenn sich an einem Ort eine Reihe von Geschehnissen ereignen«, sagte Sperber, »die nahezu identisch sind mit einer Reihe von Geschehnissen an einem anderen Ort, dürfen wir die Möglichkeit ein und desselben Ursprungs in Betracht ziehen. Würdet Ihr mir da zustimmen?«

»Möglicherweise.«

»Das ist alles, wovon wir momentan ausgehen können, Eminenz. Die gleiche Art von Ereignis zur selben Zeit an zwei verschiedenen Orten könnte ein Zufall sein, doch wenn es sich um fünf oder zehn solcher Vorfälle handelt, kann man einen Zufall wohl ausschließen. Die derzeitigen Unruhen hier in Astel, in die Ayachin und ein Aufwiegler verwickelt sind, der Säbel genannt wird, sind in ganz ähnlicher Form im Königreich Lamorkand in Eosien ausgebrochen. Botschafter Oscagne hat uns versichert, daß Gleiches auch in anderen daresischen Reichen geschieht. Überall läuft es nach dem gleichen Muster ab. Es fängt damit an, daß ein großer Sagenheld aus grauer Vorzeit plötzlich wiederauferstanden ist. Dann erscheint irgendein Hitzkopf, der die Leute aufwiegelt. Hier in Astel gibt es die wilden Geschichten über Ayachin. In Lamorkand ist es der sagenhafte Held Fyrchtnfles. In Astel ist ein Mann namens Säbel der Aufwiegler, in Lamorkand ein Graf Gerrich. Ich bin ziemlich sicher, daß wir Ähnliches auch in Edom, Dakonien, Arjuna und Cynesga vorfinden werden. Oscagne sagt, daß auch die dortigen Nationalhelden auferstanden sind.« Vorsichtshalber vermied es Sperber, Krager zu erwähnen. Er war sich immer noch nicht ganz sicher, wo Monsels Sympathien lagen.

»Das sind in der Tat starke Argumente, Sperber«, gab Monsel zu. »Aber könnte dieses Komplott nicht gegen die Tamuler gerichtet sein? Sie sind nicht überall beliebt, wißt Ihr.«

»Eminenz, ich fürchte, Ihr überseht Lamorkand«, warf Emban ein. »Dort gibt es keine Tamuler. Es ist nur eine Vermutung, aber ich würde sagen, daß das Komplott – wenn wir es so nennen wollen – dort gegen die Kirche in Eosien und hier gegen das Imperium gerichtet ist.«

»Organisierte Anarchie?«

»Ich glaube, das ist ein Widerspruch in sich, Eminenz«, sagte Sperber. »Ich fürchte, wir wissen noch nicht genug, um ernsthaft über die Ursachen zu spekulieren. Zur Zeit versuchen wir die Wirkungsweise zu verstehen. Wenn unsere Annahme zutrifft, daß hinter allem dieselbe Person steckt, dann muß ihr Plan so veränderbar sein, daß er auf jede Kultur entsprechend zugeschnitten werden kann. Was wir wirklich wissen möchten, ist die wahre Identität dieses Säbel.«

»Damit ihr ihn töten lassen könnt?« Monsels Stimme war anklagend.

»Nein, Eminenz, das wäre nicht zweckdienlich. Wenn wir ihn beseitigen, nimmt ein anderer seinen Platz ein – jemand, den wir nicht kennen. Ich möchte wissen, wer er ist und was er ist. Ich möchte wissen, was er denkt, was seine persönlichen Beweggründe sind. Wenn ich das alles erfahren habe, kann ich diesen Mann unschädlich machen, ohne ihn zu töten. Um ganz ehrlich zu sein, Säbel ist mir eigentlich egal. Ich will den Mann, der ihn benutzt.«

Monsel war ein wenig blaß geworden. »Das ist ja ein schrecklicher Mensch, Emban«, sagte er gedämpft.

»Sperber ist unerbittlich, würde ich eher sagen.«

»Wenn wir Oscagne glauben können – und das können wir meiner Meinung nach –, bedient sich jemand magischer Kräfte«, fuhr Sperber fort. »Die Ritterorden wurden einst gegründet, um es mit Feinden aufnehmen zu können, die magische Kräfte einsetzen. Unsere elenische Religion bietet uns nicht das nötige Handwerkszeug, weil sie Magie verleugnet. Wir mußten außerhalb unseres Glaubens – bei den Styrikern – lernen, Magie mit Magie zu bekämpfen. Das hat einige Türen geöffnet, die vielleicht besser geschlossen geblieben wären, doch das war der Preis, den wir bezahlen mußten. Jemand – oder etwas – auf der anderen Seite bedient sich machtvoller Magie. Ich bin hier, ihn aufzuhalten – zu töten, wenn nötig. Sobald es ihn nicht mehr gibt, können die Ataner sich Säbel vornehmen. Ich kenne eine Atanerin. Falls ihre Landsleute so sind wie sie, können wir uns auf ihre Gründlichkeit verlassen.«

»Ihr beunruhigt mich, Sperber«, gestand Monsel. »Euer Pflichtbewußtsein ist schier unmenschlich und wird von Eurer Entschlossenheit sogar noch übertroffen. Ihr beschämt mich, Sperber.« Er seufzte, zupfte abwesend an seinem Bart und hing seinen Gedanken nach. Schließlich richtete er sich auf. »Also gut, Emban, können wir die Regeln vorübergehend außer acht lassen?«

»Ich verstehe nicht ganz.«

»Ich wollte Euch das eigentlich nicht sagen«, fuhr der Erzmandrit fort, »um Euch vorhersehbaren dogmatischen Ärger zu ersparen. Vor allem aber, weil ich es für mich behalten wollte. Euer unerbittlicher Sperber hat mich jedoch eines Besseren belehrt. Denn falls ich nicht sage, was ich weiß, wird er ganz Astel auseinandernehmen und jeden Asteler obendrein, um die Information zu bekommen. Habe ich recht, Sperber?«

»Ich würde es wirklich nicht gern tun, Eminenz.«

»Aber Ihr würdet es tun, nicht wahr?«

»Wenn mir nichts anderes übrig bliebe.«

Monsel schauderte. »Ihr seid beide Kirchenmänner, also berufe ich mich auf die Regel klerikaler Geheimhaltung. Diese Regel habt ihr in Chyrellos doch nicht geändert, Emban, oder?«

»Nein. Es sei denn, Sarathi hat es seit meiner Abreise getan. Jedenfalls habt Ihr unser Wort, daß keiner von uns irgend etwas von dem, was Ihr uns sagen werdet, weitergibt.«

»Außer an einen anderen Geistlichen«, fügte Monsel hinzu. »Damit wäre ich einverstanden.«

Emban nickte. »Das ist uns recht.«

Monsel lehnte sich in den Sessel zurück und strich über seinen Bart. »Die Tamuler haben keine Vorstellung, wie mächtig die Kirche in den elenischen Königreichen hier in Westdaresien wirklich ist«, begann er. »Die tamulische Religion beschränkt sich auf ein paar Zeremonien; deshalb können Tamuler auch die Tiefe des Glaubens in den Herzen der Frommen nicht verstehen – und die Leibeigenen von Astel sind wahrscheinlich die frömmsten Menschen auf der ganzen Welt. Sie begeben sich mit all ihren Problemen – nicht nur den eigenen, auch denen ihrer Nachbarn – zu den Geistlichen. Die Leibeigenen sind überall und sehen alles, und sie erzählen es ihren Priestern.«

»Als ich noch aufs Seminar ging, nannte man das Zuträgerei«, sagte Emban.

»Wir hatten während unseres Noviziats einen noch unfreundlicheren Namen dafür«, warf Sperber ein. »Deshalb kam es zu tragischen Unfällen auf dem Übungsplatz.«

»Niemand mag einen Denunzianten«, bestätigte Monsel, »aber ob es euch gefällt oder nicht, die astelische Geistlichkeit weiß alles, was sich im Königreich tut – wirklich alles! Selbstverständlich sind wir verpflichtet, diese Geheimnisse zu wahren, aber wir sind der Meinung, daß unsere vorrangige Pflicht das Seelenheil unserer Schäfchen ist. Da ein Großteil unserer Priester ursprünglich Leibeigene waren, mangelt es ihnen an der theologischen Ausbildung, sich mit komplizierten geistigen Problemen zu befassen. Wir haben jedoch einen Weg gefunden, ihnen den Rat zukommen zu lassen, den sie benötigen. Die Leibeigenenpriester nennen die Namen jener nicht, die zu ihnen gekommen sind; aber mit schwererwiegenden Dingen wenden sie sich an ihre Vorgesetzten, und diese wiederum wenden sich an mich.«

»Das kann ich akzeptieren«, versicherte Emban. »Solange die Namen geheimgehalten werden, bleibt das Vertrauensverhältnis gewahrt.«

»Wir kommen gut miteinander aus, Emban.« Monsel lächelte kurz. »Die Leibeigenen sehen in Säbel einen Befreier.«

»Das ist uns bekannt«, sagte Sperber. »Allerdings gibt es in seinen Reden einen gewissen Mangel an Übereinstimmung. Den Edlen erzählt er, daß Ayachin das tamulische Joch abstreifen will, den Leibeigenen hingegen, daß Ayachins Ziel die Abschaffung der Leibeigenschaft ist. Außerdem hat Säbel die Edlen veranlaßt, ihre Leibeigenen brutal zu behandeln. Das ist nicht nur abscheulich, es ist auch unvernünftig. Die Edlen sollten versuchen, die Leibeigenen für sich zu gewinnen, statt sie gegen sich aufzubringen. Im Grunde genommen ist Säbel nichts weiter als ein Unruhestifter und als solcher nicht einmal sonderlich geschickt. Politisch ist er völlig unausgegoren.«

»Das ist wohl ein wenig übertrieben, Sperber«, wandte Emban ein. »Wie erklärt Ihr Euch dann seinen Erfolg? Ein grüner Junge, wie Ihr ihn beschreibt, könnte die Asteler nie dazu bringen, ihm zu glauben!«

»Sie glauben nicht ihm. Sie glauben Ayachin!«

»Seid Ihr nicht bei Verstand, Sperber?«

»O doch, Eminenz. Ich sagte bereits, daß unser Gegner mächtige Magie einsetzt. Das habe ich damit gemeint. Die Leute hier haben Ayachin leibhaftig gesehen.«

»Das ist absurd!« Monsel war offensichtlich zutiefst bestürzt.

Sperber seufzte. »Dann nennen wir es – falls es Euer theologisches Gewissen beruhigt – eine Halluzination. Eine Massenhypnose durch einen gerissenen Scharlatan. Möglicherweise handelt es sich auch um einen Komplizen in altertümlicher Gewandung, der urplötzlich auf spektakuläre Weise wie aus dem Nichts erscheint. Und wenn auch nur die geringste Ähnlichkeit mit den Vorfällen in Lamorkand besteht, werden die Menschen zweifellos überzeugt sein, daß Ayachin aus dem Grab zurückgekehrt ist. Ich könnte mir vorstellen, daß es wie folgt abläuft: Säbel hält eine Rede – eine weitschweifige Aneinanderreihung von Plattheiten – und plötzlich erscheint diese Halluzination mit Blitz und Donnerschlag und bestätigt alle seine Behauptungen. Das ist nur eine Vermutung, gewiß, aber ich könnte mir vorstellen, daß sie ziemlich ins Schwarze trifft.«

»Dann ist es nichts weiter als ein aufwendiger Schwindel?«

»Wenn Ihr das glauben wollt, Eminenz.«

»Aber Ihr glaubt es nicht, Sperber.«

»Das ist nicht der entscheidende Punkt, Eminenz. Ob die Erscheinung Ayachins echt ist oder eine Täuschung, tut nichts zur Sache. Wichtig ist allein, was die Leute glauben. Und ich bin sicher, sie glauben, daß Ayachin zurückgekehrt sei, und daß dieser Säbel in seinem Namen spricht. Das macht Säbel so gefährlich. Solange diese Erscheinung ihn unterstützt, werden die Leute ihm alles glauben. Deshalb muß ich soviel wie nur möglich über ihn herausfinden. Ich muß seinen nächsten Schritt voraussehen können, um ihn aufzuhalten.«

»Ich werde so handeln, als würde ich glauben, was Ihr mir eben erzählt habt, Sperber«, sagte Monsel mit besorgter Stimme. »Doch ich glaube viel eher, daß Ihr geistlichen Beistand nötig habt.« Sein Gesicht wurde sehr ernst. »Wir wissen, wer Säbel ist«, sagte er schließlich. »Wir wissen es bereits seit über einem Jahr. Anfangs hielten wir ihn, genau wie Ihr, für einen geistig gestörten Fanatiker mit einem Hang zum Melodramatischen. Wir haben damit gerechnet, daß die Tamuler sich seiner annehmen würden, so daß wir es nicht für nötig hielten, selbst einzugreifen. In letzter Zeit bin ich mir aber nicht mehr so sicher. Unter der Bedingung, daß keiner von euch über das, was ich euch jetzt sagen werde, mit irgend jemandem redet, außer einem Geistlichen, verrate ich euch, wer Säbel ist. Habe ich euer Wort?«

»Ich schwöre es«, versicherte Emban.

»Und Ihr, Sperber?«

»Selbstverständlich.«

»Also gut. Säbel ist der jüngere Schwager eines kleinen Landedelmanns, dessen Anwesen sich einige Meilen östlich von Esos befindet.«

Sperber fiel es wie Schuppen von den Augen.

»Der Landedelmann ist Baron Kotyk – ein Esel und eine Schande für seinen Stand«, fuhr Monsel fort. »Und Ihr habt völlig recht, Sperber. Säbel ist ein melodramatischer, unreifer Bursche. Er heißt übrigens Elron.«