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»Majestät!« rief Graf von Lenda bestürzt. »Ihr könnt Euch doch dem Erzprälaten gegenüber nicht einer solchen Sprache bedienen!« Lenda starrte stirnrunzelnd auf das Schreiben, das die Königin ihm soeben zu lesen gegeben hatte. »Fehlt nur noch, daß Ihr ihn einen Dieb und Schurken schimpft!«

»Ach, habe ich das vergessen?« fragte Ehlana. »Wie konnte ich nur!« Sie hatten sich in der blauen Ratskammer eingefunden, wie üblich zu dieser Vormittagsstunde.

»Könnt Ihr nicht mit ihr reden, Sperber?« flehte Lenda.

»O Lenda!« Ehlana lachte und schenkte dem gebrechlichen alten Mann ein Lächeln. »Das ist doch bloß ein Entwurf! Ich war ein wenig verärgert, als ich ihn verfaßte.«

»Ein wenig?«

»Ich weiß, daß wir das Schreiben nicht in dieser Form absenden können, Graf. Ich wollte lediglich, daß Ihr meine Gefühle in dieser Angelegenheit kennt, ehe wir es umformulieren und uns einer diplomatischen Sprache bedienen. Ich will nur deutlich machen, daß Dolmant seine Befugnisse überschreitet. Er ist Erzprälat, nicht Kaiser. Die Kirche hat ohnedies bereits zu viel Autorität in weltlichen Dingen, und wenn Dolmant nicht gezügelt wird, sind die Monarchen Eosiens bald nur noch seine Vasallen. Tut mir leid, meine Herren. Ich bin zwar eine wahre Tochter der Kirche, aber ich werde mich vor Dolmant nicht auf die Knie werfen und eine Krönungszeremonie über mich ergehen lassen, die keinen anderen Zweck hat, als mich zu demütigen.«

Sperber staunte insgeheim über die politische Reife seiner Gemahlin. Die Machtstruktur auf dem eosischen Kontinent war schon immer von dem empfindlichen Gleichgewicht zwischen kirchlicher Autorität und königlicher Macht bestimmt worden. Geriet dieses Gleichgewicht ins Schwanken, kamen die Dinge aus dem Lot. »Es spricht einiges für den Standpunkt Ihrer Majestät, Lenda«, sagte Sperber nachdenklich. »Die letzte Generation eosischer Monarchen war alles andere denn stark. Aldreas war …« Er suchte nach einem angemessenen Wort.

»Unfähig«, charakterisierte Ehlana ihren Vater kühl.

»Na ja, ganz so kraß hätte ich es nicht ausgedrückt«, murmelte Sperber. »Wargun ist launenhaft, Soros ein religiöser Hysteriker, Obler ein Greis, und Friedahl ist nur eine Marionette seiner Barone. Dregos tut, was seine Sippschaft entscheidet, König Brisant von Cammorien ist ein Lüstling, und vom derzeitigen König von Rendor weiß ich nicht einmal den Namen.«

»Ogyrin«, warf Kalten ein.

»Jedenfalls«, Sperber lehnte sich in seinem Sessel zurück und rieb sich nachdenklich die Wange, »gerade in Aldreas' Amtszeit hatten wir einige sehr tüchtige Kirchenmänner in der Hierokratie. Cluvonus' Siechtum ermutigte die Patriarchen, mehr oder weniger selbständig vorzugehen. Stand irgendwo ein Thron leer, hätte man eine viel schlechtere Wahl treffen können, als Emban darauf zu setzen – oder Bergsten. Ja sogar Annias war politisch außerordentlich geschickt. Wenn Könige schwach sind, wird die Kirche stark – manchmal zu stark.«

»Nur heraus mit der Sprache, Sperber«, brummte Platime. »Wollt Ihr damit sagen, wir sollen der Kirche den Krieg erklären?«

»Nicht sofort, Platime. Wir sollten den Gedanken jedoch für den Notfall in Erwägung ziehen. Momentan halte ich es für angebracht, Chyrellos einen Wink zu geben, und unsere Königin ist vielleicht genau die Richtige dafür. Nach dem Aufruhr, den sie bei Dolmants Wahl in der Hierokratie verursacht hat, könnte ich mir vorstellen, daß die Kirchenleute alles, was sie sagt, sehr sorgfältig bedenken werden. Ich glaube nicht, daß wir dieses Schreiben allzu sehr entschärfen sollten, Lenda. Schließlich gilt es, die Kirchenfürsten auf unsere Sorgen aufmerksam zu machen.«

Lendas Augen glänzten. »Ja, genauso muß dieses Spiel gespielt werden, meine Freunde!« rief er begeistert.

»Euch ist doch klar, daß es Dolmant möglicherweise gar nicht bewußt war, daß er seine Befugnisse überschritt«, gab Kalten zu bedenken. »Vielleicht hat er Sperber als den Interimspräzeptor des Pandionischen Ordens nach Lamorkand gesandt und dabei völlig übersehen, daß der gute Mann auch Prinzgemahl ist. Der Sarathi hat momentan ziemlich viel um die Ohren.«

»Wenn er so vergeßlich ist, hat er auf dem Erzprälatenthron nichts verloren«, sagte Ehlana fest. Sie kniff die Augen zusammen, was bei ihr immer ein bedrohliches Zeichen war. »Wir müssen ihm deutlich klarmachen, daß er meine Gefühle verletzt hat. Dann wird er sich mit allen Kräften bemühen, mich zu besänftigen. Das kann ich vielleicht dazu nutzen, mir dieses Herzogtum nördlich von Vardenais zurückzuholen. Lenda, gibt es irgendeine Möglichkeit, die Leute daran zu hindern, ihre Ländereien der Kirche zu vermachen?«

»Das ist ein sehr alter Brauch, Majestät.«

»Ich weiß, aber das Land gehörte ursprünglich der Krone! Sollten wir da nicht ein Wörtchen mitzureden haben, wer es erbt? Man sollte meinen, daß das Land an mich zurückgeht, wenn ein Edelmann ohne Nachkommen stirbt. Aber jedesmal, wenn ein Edler kinderlos bleibt, scharen sich die Kirchenmänner wie Geier um ihn und tun ihr möglichstes, daß er ihnen das Land vermacht.«

»Schafft ein paar Titel ab«, schlug Platime vor. »Macht es zum Gesetz, daß ein kinderloser Adeliger keine testamentarischen Verfügungen über seine Land treffen kann.«

»Die Aristokratie würde rebellieren!« keuchte Lenda.

»Um Aufstände niederzuschlagen, haben wir die Armee.« Platime zuckte die Schultern. »Wißt Ihr was, Ehlana? Ihr erlaßt das Gesetz, und ich sorge dafür, daß den lautesten Schreihälsen einige sehr öffentliche und sehr blutige Unfälle zustoßen. Aristokraten sind nicht besonders klug, aber ich glaube, das werden sie begreifen.«

»Was meint Ihr?« wandte Ehlana sich an den Grafen von Lenda. »Käme ich damit durch?«

»Aber Majestät! Das könnt Ihr doch nicht ernsthaft in Erwägung ziehen!«

»Irgend etwas muß ich tun, Lenda. Die Kirche verschlingt mein Land Morgen um Morgen, und kaum übernimmt sie einen Landbesitz, sehe ich keinen Heller Steuer mehr dafür!« Sie hielt nachdenklich inne. »Das könnte eine Möglichkeit sein, die Aufmerksamkeit der Kirche zu erlangen, wie Sperber vorschlug. Wie wär's, wenn wir ein übertrieben entrechtendes Gesetz entwerfen und dafür sorgen, daß eine Kopie ›zufällig‹ in die Hände eines Kirchenmannes mittelhohen Ranges fällt? Ich glaube, wir können davon ausgehen, daß Dolmant sie in den Fingern hat, noch ehe die Tinte trocken ist.«

Lenda schüttelte den Kopf. »Das ist skrupellos, Majestät!«

»Freut mich, daß Ihr mir beipflichtet, Graf.« Ehlana schaute sich um. »Sonst noch etwas, meine Herren?«

»Bei Cardos treiben sich ein paar Banditen ohne Genehmigung im Gebirge herum, Ehlana«, brummte Platime. Der fette, schwarzbärtige Mann hatte im Sitzen die Füße auf den Tisch gelegt. Sein Wams war zerknittert und wies eine ganze Speisekarte von Flecken auf. Sein zotteliges Haar hing über Stirn und Augen. Er brachte einfach keine Titel über die Lippen, doch die Königin hatte sich daran gewöhnt.

»Banditen ohne Genehmigung?« fragte Kalten amüsiert.

»Ihr wißt, was ich meine«, knurrte Platime. »Sie haben keine Erlaubnis des Diebesrats, in der Gegend ihrem Gewerbe nachzugehen, und verstoßen gegen sämtliche Regeln. Ich weiß es nicht mit Sicherheit, aber ich glaube, es sind ehemalige Helfershelfer des Primas' von Cimmura. Da habt Ihr einen Fehler gemacht, Ehlana. Ihr hättet sie festnehmen lassen sollen, bevor Ihr sie für gesetzlos erklärt.«

»Na ja«, Ehlana zuckte die Schultern, »niemand ist unfehlbar.« Ehlanas Beziehung zu Platime war höchst ungewöhnlich. Sie hatte erkannt, daß er beim besten Willen keine höfischen Phrasen über die Lippen brachte; deshalb erlaubte sie ihm eine Offenheit, ja, Vertraulichkeit, die sie bei jedem anderen als Beleidigung erachtet hätte. Trotz seiner vielen Fehler entwickelte Platime sich zu einem wertvollen Ratgeber, dessen Meinung sie sehr schätzte. »Es überrascht mich nicht, daß Annias' alte Kumpane in ihrer Notlage zu Wegelagerern geworden sind. Banditen waren sie im Grund genommen von Anfang an. Doch es hat in diesen Bergen immer schon Gesetzlose gegeben. Da bezweifle ich, daß eine Bande mehr oder weniger viel ausmacht.«

»Ehlana«, er seufzte, »ich könnte eine kleine Schwester nicht mehr lieben als Euch, aber manchmal seid Ihr schrecklich unwissend. Ein Bandit mit Genehmigung kennt die Regeln. Er weiß, welche Reisenden ausgeraubt oder getötet werden dürfen und von welchen er die Pfoten lassen muß. Niemand regt sich übermäßig auf, wenn einem feisten Kaufmann der pralle Beutel geraubt und die Gurgel durchgeschnitten wird. Findet man jedoch einen Regierungsbeamten oder hohen Edelmann tot im Gebirge, müssen die Ordnungshüter einschreiten und zumindest den Eindruck von Zuständigkeit erwecken. Eine derartige behördliche Aufmerksamkeit ist sehr schlecht fürs Geschäft. Völlig unschuldige Banditen werden festgenommen und aufgehängt. Wegelagerei ist nichts für Amateure.

Aber da gibt es noch ein weiteres Problem. Diese Banditen machen den Landleuten weis, daß sie gar keine wirklichen Räuber sind, sondern Patrioten, die sich gegen einen grausamen Tyrannen auflehnen – gegen Euch, kleine Schwester. Unter den Bauern herrscht stets ein wenig Unzufriedenheit, so daß einige dergleichen begrüßen. Ihr Edelleute habt kein Recht, Verbrechen zu begehen. Ihr vermischt das immer mit Politik!«

»Aber mein lieber Platime«, sagte Ehlana verschmitzt, »ich dachte, Ihr wüßtet es: Politik ist ein Verbrechen.«

Der Fette brüllte vor Lachen. »Ich liebe dieses Mädchen!« sagte er zu den anderen. »Macht Euch keine allzu großen Sorgen, Ehlana. Ich werde versuchen, ein paar Männer in ihre Bande einzuschleusen, und mir einen Plan ausdenken, wie ich diese Leute brotlos machen kann.«

»Ich wußte, daß ich mich auf Euch verlassen kann.« Ehlana erhob sich. »Wenn das für heute vormittag alles ist, bitte ich Euch, mich zu entschuldigen, meine Herren. Ich habe eine Anprobe bei meiner Schneiderin.« Sie blickte sich um. »Kommst du, Sperber?«

»In ein paar Minuten«, antwortete er, »ich möchte noch etwas mit Platime besprechen.«

Sie nickte und ging zur Tür.

»Worum geht es, Sperber?« fragte Platime.

»Letzte Nacht, als ich durch die Stadt ritt, habe ich Naween gesehen. Sie arbeitet auf der Straße.«

»Naween? Das ist lächerlich. Meist vergißt sie sogar, Geld für ihre Dienste zu nehmen.«

»Das habe ich ihr auch gesagt. Sie und Shanda hatten Streit. Jedenfalls stand Naween an einer Ecke beim Osttor. Ich habe sie in einen Gasthof geschickt, damit sie nicht mehr im Regen herumstehen mußte. Können wir irgend etwas für sie tun?«

»Ich kümmere mich darum«, versprach Platime.

Ehlana hatte die Ratskammer noch nicht verlassen. Sperber vergaß mitunter, wie scharf ihre Ohren waren. Sie drehte sich an der Tür um. »Wer ist diese Naween?« fragte sie schroff.

»Eine Hure.« Platime zuckte die Schultern. »Eine besondere Freundin Sperbers.«

»Platime!« entrüstete sich Sperber.

»Stimmt das etwa nicht?«

»Nun, ich glaube schon. Aber so, wie Ihr es sagt…« Sperber suchte fieberhaft nach den richtigen Worten.

»Oh! So habe ich es nicht gemeint, Ehlana. Soviel ich weiß, ist Euer Gemahl Euch absolut treu. Naween ist eine Hure. Das ist ihr Gewerbe, aber es hat nichts mit der Freundschaft zu Sperber zu tun. Gewiß, sie hat sich Sperber angeboten, aber das tut sie bei jedem. Sie ist ein sehr großzügiges Mädchen.«

»Bitte, Platime«, stöhnte Sperber, »hört lieber auf, mich zu verteidigen.«

»Naween ist ein braves Mädchen«, fuhr Platime fort, an Ehlana gewandt. »Sie arbeitet fleißig, nimmt sich ihrer Kunden von Herzen an und bezahlt ihre Steuern.«

»Steuern?« rief Ehlana. »Soll das heißen, daß meine Regierung dieses Gewerbe gutheißt? Daß sie es legitimiert, indem sie es besteuert?«

»Habt Ihr auf dem Mond gelebt, Ehlana? Natürlich bezahlt Naween Steuern. Das tun wir alle. Dafür sorgt schon Lenda. Naween hat Sperber einmal geholfen, als Ihr krank wart. Er suchte nach diesem Krager. Naween hat ihm dabei geholfen. Wie ich schon sagte, sie bot Sperber auch andere Dienste an, doch er lehnte ab – sehr höflich natürlich. Er hat sie damit ein bißchen enttäuscht.«

»Wir werden uns eingehend darüber unterhalten müssen, Sperber«, sagte Ehlana bedeutungsvoll.

»Wie Majestät wünscht.« Er seufzte, als sie kühl aus der Kammer rauschte.

»Sie hat nicht viel Ahnung, wie's da draußen zugeht, nicht wahr, Sperber?«

»Das liegt an ihrer wohlbehüteten Erziehung.«

»Ich dachte, Ihr habt sie erzogen.«

»Stimmt.«

»Dann seid Ihr selbst schuld. Ich werde Naween zu ihr schicken, damit sie ihr alles erklärt.«

»Habt Ihr den Verstand verloren?«

Talen kehrte am nächsten Tag aus Delos zurück, in Begleitung von Ritter Berit. Sperber und Khalad empfingen sie an der Tür des Pferdestalls. Der Prinzgemahl versuchte, sich so unauffällig wie möglich zu machen, bis die Neugier der Königin nachließ, was Naween betraf.

Talens Nase war rot, die Augen verquollen. »Ich dachte, du würdest auf dem Hof bleiben, bis deine Erkältung auskuriert ist«, sagte Sperber.

»Ich hab' diese Bemutterung nicht mehr ausgehalten.« Talen rutschte aus dem Sattel. »Eine Mutter ist schlimm genug, aber meine Brüder und ich haben jetzt gleich zwei. Ich glaube nicht, daß ich je wieder auch nur einen Löffel Hühnerbrühe hinunterbringe. Hallo, Khalad.«

»Talen«, brummte Sperbers stämmiger junger Knappe. Er musterte seinen Halbbruder. »Deine Augen sehen ja furchtbar aus!«

»Du solltest sie mal von innen sehen!« Talen war jetzt etwa fünfzehn und machte gerade eine dieser »Phasen« durch. Sperber war überzeugt, daß der junge Dieb in den vergangenen sechs Wochen um gut drei Zoll gewachsen war. Ein beachtliches Stück Arm und Handgelenk ragten aus seinen Wamsärmeln. »Glaubt ihr, die Köche haben noch etwas zu essen?« fragte der Junge. Seines schnellen Wachstums wegen entwickelte Talen einen unglaublichen Appetit.

»Ich habe einige Schriftstücke zum Unterzeichnen für Euch, Sperber«, sagte Berit. »Nichts Dringendes, aber ich dachte, ich reite am besten gleich mit Talen.« Berit trug ein Kettenhemd und ein Breitschwert am Gürtel. Seine Lieblingswaffe war jedoch nach wie vor die schwere Axt, die von seinem Sattel hing.

»Kehrst du ins Ordenshaus zurück?« fragte Khalad, der sich mit Berit angefreundet hatte.

»Ja. Es sei denn, Sperber hat hier etwas für mich zu tun.«

»Dann komme ich mit dir. Ritter Olart will heute nachmittag noch ein paar Lanzenübungen mit uns machen.«

»Warum hebst du ihn nicht einfach ein paarmal aus dem Sattel, dann läßt er dich in Ruhe«, riet ihm Berit. »Du kannst es, das weißt du. Du bist jetzt schon besser als er.«

Khalad zuckte die Schultern. »Ich würde seine Gefühle verletzen.«

Berit lachte. »Ganz zu schweigen von seinen Rippen, Schultern und dem Rücken.«

»Es wirkt ein wenig angeberisch, wenn man den Ausbilder übertrumpft«, gab Khalad zu bedenken. »Die anderen Novizen sind ohnehin schon verärgert, weil sie sich mit meinen Brüdern und mir nicht messen können. Wir haben versucht, es ihnen zu erklären, aber sie nehmen es uns übel, weil wir nur einfache Bauern sind. Du weißt ja, wie das ist.« Er blickte Sperber fragend an. »Braucht Ihr mich heute nachmittag, Hoheit?«

»Nein. Geh nur und verbeul Ritter Olarts Rüstung ein bißchen. Er bildet sich ohnehin zu viel auf seine Geschicklichkeit ein. Lehr ihn die Tugend der Demut.«

»Ich habe wirklich Hunger, Sperber«, beklagte sich Talen.

»Dann wollen wir in die Küche gehen.« Sperber betrachtete seinen jungen Freund kritisch. »Danach werde ich wohl wieder nach dem Schneider schicken müssen. Du wächst wie Unkraut.«

»Ich kann nichts dafür.«

Khalad machte sich daran, sein Pferd zu satteln, während sich Sperber und Talen zur Schloßküche begaben. Etwa eine Stunde später, als die beiden die königlichen Gemächer betraten, fanden sie Ehlana, Mirtai und Danae vor dem Kamin vor. Die Königin blätterte einige Schriftstücke durch, Danae spielte mit Rollo, und Mirtai wetzte einen ihrer Dolche.

Ehlana blickte von den Dokumenten auf. »Ah«, sagte sie, »da sind ja mein edler Gemahl und mein wandernder Page.«

Talen verbeugte sich, dann zog er die Nase hoch.

»Nimm ein Taschentuch!« befahl ihm Mirtai.

»Jawohl, Herrin.«

»Wie geht es deinen Müttern?« fragte Ehlana den jungen Mann. Jeder, der mit Talen und seinen Halbbrüdern redete, stellte unwillkürlich diese seltsam anmutende Frage, die die tatsächlichen Umstände jedoch treffend charakterisierte. Denn Aslade und Elys überhäuften Kuriks fünf Söhne ohne Unterschied mit mütterlicher Liebe.

»Sie übertreiben, meine Königin«, antwortete Talen. »In ihrem Haus krank zu werden, ist schlimmer als die Krankheit selbst. In der vergangenen Woche wurde ich mit jeder nur erdenklichen Schnupfenmedizin traktiert.« Ein seltsam quiekender Laut erklang aus dem Bauch des jungen Mannes.

»Ist das dein Magen?« fragte Mirtai ihn. »Hast du schon wieder Hunger?«

»Nein, ich habe gerade erst gegessen. Dauert bestimmt noch eine Viertelstunde, bis ich wieder Hunger kriege.« Talen schob eine Hand unter sein Wams. »Die kleine Bestie war so ruhig, daß ich sie fast vergessen hätte.« Talen ging zu Danae hinüber, die sich bemühte, die Bänder eines kleinen Hutes unter dem Kinn ihres Plüschtiers zuzuknoten. »Ich habe dir etwas mitgebracht, Prinzessin«, sagte er.

Danaes Augen leuchteten auf. Sie legte Rollo zur Seite und blickte Talen erwartungsvoll an.

»Aber küß mich nicht«, mahnte er. »Ein Dankeschön genügt. Ich habe Schnupfen und möchte nicht, daß du dich ansteckst.«

»Was hast du mir mitgebracht?« fragte sie aufgeregt.

»Ach, nur eine Kleinigkeit, die ich unter einem Busch am Straßenrand entdeckt habe. Sie ist ein bißchen naß und schmutzig, aber ich nehme an, du kannst sie trocknen und den Schmutz herausbürsten. Sie ist nichts Besonderes. Aber ich dachte, sie würde dir gefallen – ein bißchen wenigstens.« Talen war bemüht, die Sache herunterzuspielen.

»Was ist es denn? Darf ich es sehen?« bettelte Danae.

»Aber sicher.« Er zog ein ziemlich mitgenommenes Kätzchen unter seinem Wams hervor und setzte es auf den Boden. Das Kätzchen war grau-schwarz getigert, hatte einen spitzen Schwanz, und die noch blauen Babyaugen blickten neugierig drein. Es macht einen vorsichtigen Schritt auf sein neues Frauchen zu.

Danae quietschte vor Begeisterung. Sie hob das Kätzchen in die Höhe und drückte es an die Wange. »Oh, das muß man ja liebhaben!« rief sie.

»Ade ihr schönen Vorhänge!« murmelte Mirtai resigniert. »Alle jungen Katzen benutzen Vorhänge für ihre ersten Kletterversuche.«

Talen wehrte Sperbers glückstrahlende kleine Tochter ab. »Ich habe einen Schnupfen, Danae!« warnte er. »Hast du das schon vergessen?«

Sperber bezweifelte nicht, daß seine Tochter mit der Zeit geschickter wurde, so daß Talen sich ihren Beweisen der Zuneigung nicht mehr so leicht entziehen konnte. Das Kätzchen war nicht mehr als eine Geste, dessen war Sperber sicher – ein plötzlicher Einfall, über den der Junge nicht einen Moment nachgedacht hatte, der jedoch sein Schicksal unweigerlich besiegelte. Vor ein paar Tagen hatte Sperber sich gefragt, welchen Fehler er einst gemacht hatte, dem er die unerschütterliche Zuneigung seiner Frau verdankte. Und nun erkannte er, daß dieses zerzauste feuchte Kätzchen Talens Fehler war – oder zumindest einer davon. Sperber zuckte unmerklich die Schultern. Talen würde einen brauchbaren Schwiegersohn abgeben – nachdem Danae ihn erzogen hatte.

»Ihr habt doch nichts dagegen, Majestät?« wandte Talen sich nun an die Königin. »Daß ich ihr das Kätzchen mitgebracht habe, meine ich.«

»Stellst du diese Frage nicht ein wenig verspätet, Talen?« entgegnete Ehlana.

»Oh, ich weiß nicht«, antwortete er keck. »Ich glaube, ich habe den besten Augenblick abgewartet.«

Ehlana blickte ihre Tochter an, die das Kätzchen immer noch an ihr Gesicht drückte. Alle Katzen sind geborene Opportunisten. Das schnurrende kleine Wesen tapste behutsam mit einer weichen Pfote auf die Wange des Kindes, dann fing es zu nuckeln an.

»Wie könnte ich nein sagen, nachdem du's ihr bereits gegeben hast, Talen?«

»Ja, das wäre schwierig, Majestät!« Wieder zog der Junge laut die Nase hoch.

Mirtai stand auf, legte den Dolch zur Seite und ging quer durchs Zimmer zu Talen hinüber. Als sie die Hand ausstreckte, zuckte dieser zurück.

»Halt still!« befahl sie dem Jungen und legte ihm die Hand auf die Stirn. »Du hast Fieber.«

»Nicht der Rede wert.«

Ehlana erhob sich aus ihrem Sessel. »Am besten, wir schaffen ihn schnell ins Bett, Mirtai.«

»Zuerst sollte er schwitzen«, meinte die Riesin. »Ich bringe ihn ins Badehaus, ein Dampfbad nehmen.« Sie packte Talen fest am Arm.

»Ihr werdet nicht mit mir ins Badehaus gehen!« protestierte er mit plötzlich glühendem Gesicht.

»Sei still!« wies Mirtai ihn zurecht. »Schickt jemand zu den Köchen, Ehlana. Sie sollen ein Senfpflaster bereiten und Hühnerbrühe kochen. Wenn ich ihn aus dem Badehaus zurückbringe, lege ich ihm das Senfpflaster auf die Brust, stecke ihn ins Bett und flöße ihm Hühnerbrühe ein.«

»Wollt Ihr einfach so herumstehen, Sperber, und zulassen, daß sie mir das antun?« beklagte sich Talen.

»Ich würde dir ja gern helfen, mein Freund«, versicherte Sperber, »aber ich muß auch an meine eigene Gesundheit denken, weißt du.«

»Ich wollte, ich wäre tot«, jammerte Talen, als Mirtai ihn aus dem Gemach zerrte.

Stragen und Ulath trafen einige Tage später aus Emsat ein und wurden sogleich zu den königlichen Gemächern geführt. »Du wirst fett, Sperber«, stellte Ulath fest, als er seinen Helm mit den Ogerhörnern abnahm.

»Ja, ich habe wohl ein wenig zugenommen«, gestand Sperber.

»Das macht das bequeme Leben«, rügte Ulath.

»Wie geht es Wargun?« fragte Ehlana den hünenhaften blonden Thalesier.

»Er hat den Verstand jetzt ganz verloren«, antwortete Ulath betrübt. »Sie haben ihn im Westflügel der Burg eingesperrt. Dort tobt er seinen Wahnsinn aus.«

Ehlana seufzte. »Ich habe ihn gemocht – wenn er mal nüchtern war.«

»Ich bezweifle, daß Ihr seinem Sohn dasselbe Gefühl entgegenbringen könnt, Majestät«, sagte Stragen trocken. Wie Platime war Stragen ein Gauner, aber er hatte viel bessere Manieren.

»Warguns Sohn habe ich nie kennengelernt«, sagte Ehlana.

»Beim nächsten Dankgebet solltet Ihr dafür ein paar Worte hinzufügen, Majestät. Er heißt Avin – ein kurzer, unbedeutender Name für einen kurzen, unbedeutenden Burschen. Er ist wahrhaftig nicht sehr vielversprechend.«

»Ist er wirklich so schlimm?« wandte Ehlana sich an Ulath.

»Avin Wargunsson ist eine Strafe der Götter. Ein kleiner Mann, der seine ganze Zeit darauf verwendet, sich zu vergewissern, daß niemand ihn übersieht. Als er erfuhr, daß ich hierher reise, rief er mich auf die Burg und gab mir ein königliches Schreiben für Euch mit. Er bemühte sich zwei Stunden lang, mich zu beeindrucken.«

»Und wart Ihr beeindruckt?«

»Nicht besonders, nein.« Ulath langte unter seinen Wappenrock und brachte ein gefaltetes und versiegeltes Blatt Pergament zum Vorschein.

»Was schreibt er?« fragte Ehlana.

»Das weiß ich nicht. Ich lese anderer Leute Post nicht. Aber ich nehme an, es handelt sich um eine ernsthafte Diskussion über das Wetter. Avin Wargunsson hat schreckliche Angst, daß die Leute ihn vergessen könnten. Deshalb gibt er jedem Reisenden, der Emsat verläßt, säckeweise königliche Schreiben mit.«

»Wie war die Reise?« fragte Sperber.

»Na ja, eine Seereise würde ich zu dieser Jahreszeit nicht gerade empfehlen«, antwortete Stragen. Seine eisblauen Augen wirkten hart. »Ich werde ein ernstes Wort mit Platime reden müssen. Ulath und ich wurden im Gebirge zwischen hier und Cardos von Räubern überfallen.«

»Es sind keine berufsmäßigen Räuber«, versicherte Sperber ihm. »Platime weiß von ihnen und wird etwas unternehmen. Kam es zu ernsten Problemen?«

»Nicht für uns.« Ulath zuckte die Schultern. »Was man von diesen Amateuren allerdings nicht sagen kann. Als wir fünf von ihnen zu Gott befohlen hatten, fiel dem Rest ein, daß sie irgendwo anders eine wichtige Verabredung hatten.« Er trat an die Tür und schaute auf den Korridor hinaus. Dann schloß er die Tür und blickte sich wachsam um. »Habt Ihr Dienstboten in einem Eurer Gemächer, Sperber?«

»Außer uns sind nur Mirtai und meine Tochter hier.«

»Dann kann ich frei sprechen. Komier sandte mich, um Euch darauf aufmerksam zu machen, daß Avin Wargunsson und Graf Gerrich von Lamorkand Verbindung aufgenommen haben. Gerrich hat es auf König Friedahls Thron abgesehen, und Avin ist zu dumm und unerfahren, als daß er sich aus den internen Streitigkeiten in Lamorkand heraushielte. Komier meint, es könnte eine geheime Absprache zwischen Gerrich und Avin geben. Patriarch Bergsten bringt die gleiche Nachricht nach Chyrellos.«

»Graf Gerrich wird sich bei Dolmant ziemlich unbeliebt machen, wenn er nicht besser acht gibt«, meinte Ehlana. »Ständig versucht er, Bündnisse zu schließen, obwohl er weiß, daß er damit die Regeln verletzt. Andere Reiche dürfen nicht in lamorkische Bürgerkriege hineingezogen werden.«

»Ist das eine bestehende Regel?« fragte Stragen ungläubig.

»Natürlich. Sie ist seit tausend Jahren in Kraft. Wenn die lamorkischen Barone ungehindert Bündnisse mit Edlen in anderen Königreichen schließen dürften, würden sie den ganzen Kontinent mindestens alle zehn Jahre in einen Krieg stürzen. Das ist tatsächlich geschehen, bis die Kirche einschritt und sie ermahnte, damit aufzuhören.«

»Und du hast gedacht, bei uns gäbe es seltsame Regeln!« sagte Stragen lachend zu Platime.

»Das ist etwas ganz anderes, Durchlaucht Stragen«, sagte Ehlana würdevoll. »Unsere Seltsamkeiten sind Teil der hohen Politik. Eure sind nur gesunder Menschenverstand. Das ist ein gewaltiger Unterschied.«

»Den Eindruck habe ich auch.«

In dem Augenblick, als es geschah, schaute Sperber zur Seite, doch er zweifelte nicht, daß auch die anderen die eigenartige Kälte verspürten, und den flüchtigen Hauch von Finsternis am Rand ihres Blickfeldes sahen.

»Sperber!« rief Ehlana erschrocken.

»Ja«, sagte er. »Ich weiß. Ich sehe es auch.«

Stragen hatte seinen Degen halb gezogen. Seine Hand bewegte sich katzenhaft flink. »Was ist das?« fragte er heftig, während er sich im Gemach umsah.

»Etwas Unmögliches«, sagte Ehlana und warf ihrem Gemahl einen unsicheren Blick zu. »Nicht wahr, Sperber?« Ihre Stimme zitterte leicht.

»Jedenfalls war ich bisher dieser Meinung«, antwortete er.

»Das ist nicht der rechte Augenblick für Rätsel«, rügte Stragen.

Dann waren Kälte und Schatten plötzlich verschwunden.

Ulath blickte Sperber nachdenklich an. »Kann es wirklich das sein, wofür ich es halte?« fragte er.

»Es hat ganz den Anschein.«

»Würde mir bitte jemand erklären, was hier geschieht?« sagte Stragen heftig.

»Erinnert Ihr Euch an die Wolke, die uns in Pelosien gefolgt ist?« fragte Ulath.

»Natürlich. Aber das war Azash, oder nicht?«

»Nein. Das glaubten wir. Doch nachdem wir hierher zurückgekehrt waren, erklärte Aphrael uns, daß wir uns täuschten. Deshalb wißt Ihr wahrscheinlich nichts davon. Der Schatten, den wir eben gesehen haben, das waren die Trollgötter. Sie befinden sich im Bhelliom.«

»In ihm?«

»Sie brauchten ein Versteck, nachdem sie Streitigkeiten mit den Jüngeren Göttern von Styrikum hatten.«

Stragen blickte Sperber an. »Aber Ihr habt doch gesagt, Ihr hättet den Bhelliom ins Meer geworfen!«

»Das haben wir auch.«

»Und die Trollgötter können nicht heraus?«

»Offenbar können sie's doch.«

»Ihr hättet einen tieferen Ozean suchen sollen!«

»Es gibt keine tieferen.«

»Vielleicht ist es jemandem gelungen, den Bhelliom herauszufischen.«

»So muß es sein, Sperber«, warf Ulath ein. »Die Schatulle war mit Gold ausgekleidet, und Aphrael versicherte uns, das Gold würde dafür sorgen, daß Bhelliom nichts unternehmen könne. Da die Trollgötter nicht aus dem Stein herauskönnen, waren auch sie in der Tiefe gefangen. Folglich muß jemand die Schatulle gefunden haben.«

»Ich habe gehört, daß Perlenfischer ziemlich tief hinuntertauchen können«, sagte Stragen.

»Nicht so tief«, widersprach Sperber. »Außerdem stimmt etwas nicht.«

»Wird Euch das jetzt erst klar?« spöttelte Stragen.

»Das meine ich nicht. Als wir in Pelosien waren, konnten wir alle diese Wolke sehen.«

»O ja!« sagte Ulath heftig.

»Doch zuvor, als die Wolke erst ein Schatten war, konnten nur Ehlana und ich sie sehen, und zwar, weil wir die Ringe trugen. Vorhin war's wieder nur ein Schatten, keine Wolke, nicht wahr?«

»Ja«, mußte Stragen zugeben.

»Wie kommt es dann, daß auch Ihr und Ulath ihn sehen konntet?«

Stragen spreizte hilflos die Hände.

»Da ist noch etwas«, fügte Sperber hinzu. »In der Nacht, als ich aus Lamorkand heimkehrte, spürte ich, daß mich auf der Straße etwas beobachtete – und es war kein einzelner Beobachter. Es waren keine Elenier oder Styriker, ja, ich glaube nicht, daß es sich überhaupt um menschliche Wesen handelte. Dieser Schatten, der soeben vorüberhuschte, verursachte mir dasselbe Gefühl wie in der Nacht meiner Heimkehr.«

»Ich wünschte, es gäbe eine Möglichkeit, mit Sephrenia zu reden«, murmelte Ulath.

Sperber war ziemlich sicher, daß es eine solche Möglichkeit gab, doch er durfte es niemandem sagen.

»Sprechen wir mit jemand anderem darüber?« fragte Stragen.

»Lieber nicht, ehe wir nicht mehr darüber herausgefunden haben«, entschied Sperber. »Sonst bricht womöglich Panik aus.«

»Ganz meine Meinung«, pflichtete Stragen ihm bei. »Für Panik ist immer noch Zeit genug – und Grund genug, schätze ich.«

Im Lauf der nächsten Tage wurde das Wetter besser, und die Stimmung im Schloß wurde gelöster. Sperber zog sich mehrmals zu Besprechungen mit Platime und Stragen zurück. Daraufhin sandten die beiden Bandenoberhäupter einige ihrer Männer nach Lamorkand, damit sie sich ein Bild von der dortigen Lage machten. »Das hätte ich von Anfang an tun sollen«, meinte Sperber, »aber Sarathi gab mir nicht die Gelegenheit dazu. Unser hochverehrter Erzprälat trägt in mancher Hinsicht Scheuklappen. Er will einfach nicht einsehen, daß man den Dingen mit offiziellen Untersuchungen nicht auf den Grund gehen kann.«

»Eine für Aristokraten typische Unfähigkeit«, stellte Stragen fest.

»Aber sie macht Leuten wie Platime und mir das Leben leichter.«

Sperber widersprach ihm nicht. »Warnt eure Leute, vorsichtig zu sein«, ermahnte er die beiden. »Lamorker versuchen gern, ihre Probleme mit Klingen zu lösen, und tote Spione bringen nicht viel nützliche Information mit nach Haus.«

»Eine erstaunliche Einsicht, alter Junge«, sagte Stragen ironisch. »Es ist wirklich verwunderlich, daß Platime und ich nie auf den Gedanken kamen.«

»Schon gut, schon gut«, wehrte Sperber ab, »ich gebe ja zu, daß es sich ein wenig schulmeisterlich anhörte.«

»Ganz unsere Meinung, nicht wahr, Platime?«

Platime brummelte irgend etwas, dann sagte er: »Richtet Ehlana aus, daß ich ein paar Tage nicht im Schloß sein werde, Sperber.«

»Was habt Ihr vor?«

»Das geht Euch nichts an. Ich will etwas erledigen.«

»Na gut, aber seht zu, daß Ihr erreichbar seid.«

Der Fette kratzte seinen Wanst. »Ich werde mit Talen reden. Er kann mich benachrichtigen, falls die Königin mich unbedingt benötigt.« Er stemmte sich ächzend auf die Füße. »Ich muß ein bißchen abnehmen«, murmelte er zu sich. Dann watschelte er mit dem eigenartig breitbeinigen Gang der Übergewichtigen zur Tür.

»Er ist heute offenbar besonders schlechter Laune«, bemerkte Sperber.

»Er hat zur Zeit sehr viel am Hals.« Stragen zuckte die Schultern.

»Wie gut sind Eure Verbindungen zur Burg in Emsat, Stragen?«

»Ich kann nicht klagen. Was braucht Ihr?«

»Ich würde dieser Abmachung zwischen Avin und Graf Gerrich gern ein paar Stolpersteine in den Weg legen. Gerrich gewinnt mir zu viel Einfluß in Nordeosien. Vielleicht sollten wir auch Meland in Azie benachrichtigen. Gerrich verhandelt bereits mit Pelosien und Thalesien, da kann ich mir nicht vorstellen, daß er Deira auslassen wird. Und in Deira geht es zur Zeit ziemlich chaotisch zu. Ersucht Meland, die Augen offen zu halten.«

»Dieser Gerrich macht Euch Kummer, nicht wahr?«

»In Lamorkand tut sich so allerlei, was ich nicht verstehe, Stragen. Und ich möchte nicht, daß Gerrich mir zu weit voraus ist, während ich versuche, mir Klarheit zu verschaffen.«

»Hört sich vernünftig an, würde ich sagen.«

Khalad kam mit leicht glasigem Blick und blutender Nase auf die Beine.

»Siehst du? Du hast den Arm wieder zu weit ausgestreckt«, rügte ihn Mirtai.

»Wie habt Ihr das gemacht?« fragte Sperbers Knappe.

»Ich werde es dir zeigen. Kalten, kommt her!«

»Nein, ich nicht!« Der blonde Pandioner wich zurück.

»Habt keine Angst, ich werde Euch nicht weh tun.«

»Habt Ihr das auch zu Khalad gesagt, bevor Ihr ihn aufs Pflaster befördert habt?«

»Es ist besser, Ihr hört gleich auf mich, Kalten. Ihr werdet ja doch tun, was ich sage, und es wird nicht halb so schmerzhaft für Euch sein, wenn Ihr mir nicht widersprecht. Also, zieht Euer Schwert und stoßt es mir ins Herz.«

»Ich will Euch nicht verletzen, Mirtai.«

»Ihr? Mich verletzen?« Sie lachte spöttisch.

»Ihr braucht nicht gleich beleidigend zu werden«, sagte Kalten gekränkt und zog sein Schwert.

Es hatte begonnen, als Mirtai über den Schloßhof geschlendert war, während Kalten Khalad ein paar Ratschläge in der Kunst des Schwertkampfs gab. Mirtai hatte ein paar äußerst unschmeichelhafte Bemerkungen dazu gemacht. Eins hatte zum andern geführt, und das Ergebnis war dieser improvisierte Übungskampf gewesen, bei dem Kalten und Khalad zumindest Demut lernten, wenn schon nichts anderes.

»Stoßt mir die Klinge ins Herz, Kalten!« forderte Mirtai ihn erneut auf.

Zu Kaltens Ehre sei bemerkt, daß er sich wirklich Mühe gab. Doch auch er landete mit dem Rücken krachend auf dem Pflaster.

»Er hat den gleichen Fehler gemacht wie du«, erklärte Mirtai Khalad. »Er hat den Arm zu weit ausgestreckt. Ein gestreckter Arm ist ein steifer Arm. Der Ellbogen sollte immer leicht angezogen sein!«

»Bei der Ausbildung lehrt man uns, aus der Schulter zu stoßen, Mirtai«, erklärte Khalad.

»Nun ja, es gibt eine Menge Elenier, nehme ich an.« Sie zuckte die Schultern. »Da ist es nicht so schwer, euch zu ersetzen. Mich interessiert eigentlich nur, weshalb ihr alle der Meinung seid, ihr müßtet das Schwert durch den Gegner hindurchstoßen. Wenn ihr das Herz nicht gleich mit den vorderen sechs Zoll der Klinge getroffen habt, macht der Rest des Stahls, der durchs selbe Loch dringt, den Fehler auch nicht mehr gut, oder?«

»Vielleicht gefällt es uns Eleniern, weil es so dramatisch aussieht«, meinte Khalad.

»Ihr tötet Menschen des Schauspiels wegen? Das ist verabscheuungswürdig und die Art von Einstellung, die Totenäcker füllt. Die Klinge muß immer frei und für den nächsten Gegner bereit sein. Ein Mensch sackt zusammen, wenn ihr das Schwert durch ihn hindurchrammt, und ihr müßt die Waffe erst von dem Körper befreien, bevor ihr sie wieder benutzen könnt.«

»Ich werde versuchen, daran zu denken.«

»Das hoffe ich. Ich mag dich, und ich hab' es gar nicht gern, Freunden die letzte Ehre erweisen zu müssen.« Mirtai beugte sich über Kalten, zog gekonnt eines seiner Lider hoch und betrachtete sein glasiges Auge. »Schütte jetzt lieber einen Eimer Wasser über unseren Freund hier«, riet sie Khalad und nickte Sperber zu, der sich zu ihnen gesellte. »Er hat noch nicht gelernt, wie man richtig fällt. Das nehmen wir bei der nächsten Übungsstunde durch.«

»Bei der nächsten?«

»Natürlich. Wenn ihr schon lernen wollt, wie man es macht, solltet ihr es gleich richtig lernen!« Sie blickte Sperber herausfordernd an. »Wollt Ihr es mal versuchen?«

»Ah – nein, Mirtai, jetzt nicht. Trotzdem danke.«

Sie setzte ihren Weg in den Palast fort und wirkte ein klein wenig selbstzufrieden.

»Wißt Ihr, ich glaube, ich möchte doch kein Ritter werden, Sperber«, sagte Talen. »Es scheint ziemlich schmerzhaft zu sein.«

»Wo warst du? Meine Gemahlin hat nach dir suchen lassen!«

»Ich weiß. Ich hab' sie auf den Straßen herumirren sehen. Ich mußte Platime im Keller besuchen.«

»Ach?«

»Er hat etwas erfahren, das Ihr wissen müßt. Ihr kennt doch diese illegalen Banditen in den Bergen vor Cardos?«

»Nicht persönlich.«

»Sehr komisch, Sperber, wirklich! Platime hat herausgefunden, daß ihr Anführer ein Mann ist, den wir alle gut kennen.«

»Ach? Wer denn?«

»Krager. Was sagt Ihr dazu? Ihr hättet ihn töten sollen, als Ihr die Gelegenheit hattet, Sperber.«