13

»Das ist unmöglich!« rief Sperber.

Monsel erschrak über dessen plötzliche Heftigkeit. »Es bestehen kaum Zweifel daran, Ritter Sperber. Der Leibeigene, der dies meldete, kennt Elron seit seiner Kindheit. Seid Ihr ihm bereits begegnet?«

»Wir haben in Baron Kotyks Haus Schutz vor einem Unwetter gesucht«, erklärte Emban. »Elron könnte sehr wohl Säbel sein, Sperber. Zweifellos hat er die entsprechende Mentalität. Was macht Euch so sicher, daß er nicht Säbel ist?«

»Er kann uns nicht eingeholt haben«, erwiderte Sperber.

Monsel blickte ihn fragend an.

»Wir haben Säbel auf dem Weg hierher in einem Wald gesehen«, erklärte Emban dem Erzmandriten. »Es war, wie man sich so etwas vorstellt. Ein lächerliches Schauspiel. Ein Maskierter auf einem Rappen, der sich dramatisch gegen den Himmel abhob. Das Dümmlichste, was ich je sah.« Emban wandte sich Sperber zu. »Aber so schnell sind wir gar nicht vorangekommen, Sperber. Elron könnte uns durchaus unbemerkt überholt haben.«

Daß sie in Wirklichkeit, dank Aphraels Zeitveränderung, viel schneller gewesen waren, konnte Sperber dem Patriarchen natürlich nicht anvertrauen. »Es hat mich nur überrascht, das ist alles«, log er. »Stragen und ich haben uns in jener Nacht mit Elron unterhalten. Ich kann mir nicht vorstellen, daß dieser Mann die Leibeigenen aufwiegelt. Er hatte nichts als Verachtung für sie übrig.«

»Vielleicht als Maskerade, um seine wahren Gefühle zu verschleiern?« meinte Monsel.

»Das kann ich mir nicht vorstellen, Eminenz. Er ist zu naiv, als daß er Säbel sein könnte.«

»Zieht keine voreiligen Schlüsse, Sperber«, mahnte Emban. »Wenn Magie am Werk ist, mag es keine große Rolle spielen, was für ein Mensch Säbel ist. Es gibt doch Möglichkeiten, ihn entsprechend zu lenken?«

»Sogar mehrere«, gab Sperber zu.

»Ich wundere mich, daß Ihr nicht selbst daran gedacht habt. Elrons persönliche Einstellung ist wahrscheinlich überhaupt nicht von Belang. Wenn er als Säbel spricht, ist es der Mann hinter ihm – unser wirklicher Gegner –, der redet.«

»Ja, ich hätte wirklich daran denken müssen.« Sperber war wütend auf sich selbst, weil er das Offensichtliche übersehen hatte – und die ebenso offensichtliche Erklärung, wieso Elron sie hatte überholen können. Zweifellos vermochte ein anderer Gott ebensogut wie Aphrael, Zeit und Entfernung zu verändern.

»Wie weit verbreitet ist diese Verachtung für die Leibeigenen, Eminenz?« fragte er Monsel.

»Bedauerlicherweise fast weltweit, Prinz Sperber.« Monsel seufzte. »Die Leibeigenen sind ungebildet und abergläubisch, aber sie sind keineswegs so dumm, wie die Edelleute gern glauben möchten. Die Berichte, die ich bisher erhielt, besagen, daß Säbel fast ebensoviel Zeit damit verbringt, die Leibeigenen anzuprangern, wie die Tamuler, wenn er zu den Edlen redet. Es ist ihm beinahe schon gelungen, die Edelleute davon zu überzeugen, daß die Leibeigenen mit den Tamulern unter einer Decke stecken und gemeinsam ein finsteres Komplott schmieden, dessen Ziel die Befreiung der Leibeigenen und die Neuverteilung des Landes ist. Die Edelleute reagieren entsprechend. Zuerst wurden sie dazu gebracht, die Tamuler zu hassen; dann wurde ihnen glauben gemacht, daß die Leibeigenen eine geheime Abmachung mit den Tamulern hätten und daß ihre Besitztümer und ihre Stellungen durch dieses Bündnis gefährdet seien. Und wegen der Ataner wagen die Edelleute es nicht, sich direkt mit den Tamulern anzulegen – mit der Folge, daß sie all ihren Haß an den Leibeigenen auslassen. Immer wieder ist es völlig grundlos zu brutalen Ausschreitungen gegen eine Bevölkerungsschicht gekommen, die nach dem Jüngsten Gericht fast geschlossen in den Himmel einziehen wird. Die Kirche tut, was sie kann, doch unserem Einfluß auf die Edlen sind gewisse Grenzen gesetzt.«

»Was Euch fehlt, sind Kirchenritter, Eminenz«, sagte Sperber düster. »Wir verstehen sehr viel von Gerechtigkeit. Nimmt man einem Edlen die Knute ab und zieht sie ihm ein paarmal übers eigene Fell, wird ihm schnell ein Licht aufgehen.«

»Ich wollte, das wäre hier in Astel möglich, Ritter Sperber«, entgegnete Monsel bedrückt. »Bedauerlicherweise …«

Da waren die vertraute Kälte und die irritierende Bewegung am Rand des Blickfelds. Monsel unterbrach sich abrupt, schaute sich hastig um und versuchte zu sehen, was nicht gesehen werden konnte. »Wa-as …?« begann er.

»Es ist eine Erscheinung, Eminenz«, erklärte Emban ihm gepreßt. »Verrenkt Euch nicht den Hals, es würde nichts nützen.« Er hob die Stimme ein wenig. »Wie schön, dich wiederzusehen, alter Junge. Wir dachten schon, du hättest uns vergessen. Gibt es irgendwas Besonderes? Oder hast du bloß Sehnsucht nach unserer Gesellschaft? Das ist sehr schmeichelhaft, gewiß, aber im Augenblick sind wir ziemlich beschäftigt. Geh jetzt spielen. Wir können uns ein andermal unterhalten.«

Die eisige Kälte wich plötzlich glühender Hitze, und die Erscheinung verdüsterte sich.

»Seid Ihr wahnsinnig, Emban?« stieß Sperber hervor.

»Ich glaube nicht«, antwortete der kleine dicke Patriarch. »Aber Euer flackernder Freund – oder sind es mehrere? – geht mir auf die Nerven.«

Der Schatten verschwand, und die Luft im Zimmer wurde wieder normal.

»Was war das?« fragte Monsel bestürzt.

»Der Patriarch von Uzera hat soeben einen Gott beleidigt, wahrscheinlich sogar mehrere«, knirschte Sperber. »Für einen Augenblick waren wir alle dem Jenseits sehr nahe. Bitte tut das nie wieder, Emban. Ich habe gesehen, was Götter Menschen antun können.«

»Unser Gott beschützt mich!«

»Annias betete zu unserem Gott, als Azash ihn wie einen nassen Lappen auswrang, Eminenz. Es hat ihm gar nichts genützt.«

»Das war nicht sehr klug«, sagte Emban.

»Freut mich, daß Ihr das einseht.«

»Ich rede nicht von mir, Sperber, sondern von unserem Gegner. Warum hat er gerade in diesem Augenblick auf sich aufmerksam gemacht? Er hätte lieber auf seinen prahlerischen Auftritt verzichten und lauschen sollen, dann hätte er unsere Pläne erfahren. Und nicht nur das – er hat sich auch Monsel gezeigt. Jetzt weiß auch der Erzmandrit, daß unser Gegner existiert. Jetzt hat er ihn mit eigenen Augen gesehen.«

»Würde mir das bitte jemand erklären!« rief Monsel heftig.

»Es waren die Trollgötter, Eminenz«, sagte Sperber.

»Unsinn! Es gibt keine Trolle. Wie sollten sie da Götter haben?«

»Das dürfte schwieriger werden, als ich dachte«, murmelte Sperber vor sich hin; dann sagte er zu Monsel: »Es ist eine Tatsache, daß es Trolle gibt, Eminenz.«

»Habt Ihr je welche gesehen?«

»Nur einen, Eminenz. Er hieß Ghwerig. Für einen Troll war er von zwergenhaftem Wuchs, nur etwa sieben Fuß groß. Trotzdem war es ungeheuer schwer, ihn im Kampf zu töten.«

»Ihr habt ihn getötet?« keuchte Monsel.

»Er hatte etwas, was ich wollte.« Sperber zuckte die Schultern. »Ulath hat viel mehr Trolle gesehen als ich, Eminenz. Er kann Euch gewiß eine Menge über sie erzählen. Er spricht sogar ihre Sprache. Auch ich habe die Sprache der Trolle eine Zeitlang beherrscht, inzwischen aber wahrscheinlich verlernt. Wie dem auch sei, Trolle haben eine Sprache, und dies bedeutet, daß sie halbmenschlich sind – und das wiederum bedeutet, daß sie Götter haben.«

Monsel blickte Emban hilflos an.

»Fragt nicht mich, mein Freund«, sagte der dicke Patriarch. »Das übersteigt meinen theologischen Horizont bei weitem.«

»So glaubt mir doch, Monsel!« sagte Sperber gereizt. »Es gibt Trolle, und sie haben Götter, fünf insgesamt, und diese Götter sind äußerst unerfreulich! Der Schatten, den Patriarch Emban mit so forschen Worten bedachte, das waren sie – oder zumindest irgend etwas, das ihnen sehr ähnlich ist. Damit haben wir es zu tun. Das ist die Macht, die das Reich und die Kirche – wahrscheinlich unser beider Kirchen – stürzen will. Es ist bedauerlich, Erzmandrit Monsel, daß ich Euch dies so unverblümt sagen muß, aber Ihr müßt wissen, womit Ihr es zu tun habt, oder Ihr seid völlig wehrlos. Wenn Ihr schon nicht glaubt, was ich Euch soeben gesagt habe, müßt Ihr auf jeden Fall handeln, als würdet Ihr es glauben, sonst hat Eure Kirche keine Überlebenschance!«

Die Ataner trafen wenige Tage später ein. Schweigen senkte sich auf die Stadt herab, als Darsas' Bürger sich verkrochen. Nichts und niemand auf der Welt wäre beim plötzlichen Erscheinen atanischer Marschkolonnen nicht bis ins Mark erschreckt. Die Ataner waren hervorragend ausgebildete Riesen. Die zweitausend Krieger beiderlei Geschlechts kamen in perfektem Gleichschritt in Viererreihen in die Stadt marschiert. Sie trugen kurze Lederkilts, brünierte stählerne Brustpanzer und schwarze Halbstiefel. Ihre nackten Arme und Beine schimmerten golden in der Morgensonne, und ihre Gesichter wirkten streng und entschlossen. Sie waren nicht einheitlich wie Soldaten bewaffnet und trugen Schwerter, Kurzspeere, Streitäxte und andere Waffen, die Sperber fremd waren. Aber alle hatten mehrere Messer in Scheiden um ihre Arme und Beine geschnallt. Helme trugen sie keine; statt dessen zierten schmale Goldreifen die Stirn.

»Großer Gott!« murmelte Kalten, der mit Sperber auf dem Wehrgang stand, um die Ankunft ihrer Eskorte nicht zu versäumen. »Diesen Burschen würde ich nicht gern auf dem Schlachtfeld gegenüberstehen! Schon ihr Anblick verursacht mir eine Gänsehaut.«

»Das ist wohl auch der Zweck, Kalten«, meinte Sperber. »Mirtai ist schon für sich allein beeindruckend, aber wenn man zweitausend Ataner sieht, kann man wohl verstehen, daß die Tamuler ohne sonderliche Schwierigkeiten einen gewaltigen Kontinent erobern konnten. Wahrscheinlich haben sich beim Anblick der atanischen Legionen ganze Armeen kampflos ergeben.«

Die Ataner marschierten auf den Schloßhof und formierten sich vor der Residenz des tamulischen Botschafters. Ein Hüne trat vor Fontans Tür. Seinem Schritt war unmißverständlich zu entnehmen, daß er einfach durch die Tür hindurchbrechen würde, falls man ihm nicht öffnete.

»Gehen wir hinunter«, schlug Sperber vor. »Ich nehme an, daß Fontan diesen Riesen in Kürze zu uns bringen wird. Paß auf, was du sagst, Kalten. Ich habe das Gefühl, daß diese Truppen ausgesprochen humorlos sind. Ein Witz wäre an ihnen völlig vergeudet.«

»Das glaube ich auch«, murmelte Kalten.

Das Gefolge der Königin von Elenien fand sich in Ihrer Majestät Privatgemächern ein und erwartete ein wenig nervös den Besuch des tamulischen Botschafters und seines Generals. Heimlich beobachtete Sperber Mirtai aufmerksam. Ihn interessierte die Reaktion der Atanerin, die nach so vielen Jahren wieder mit ihren Landsleuten zusammentraf. Mirtai trug Kleidung, wie Sperber sie nie zuvor an ihr gesehen hatte. Sie war jener der Soldaten sehr ähnlich, doch statt eines stählernen Brustpanzers trug Mirtai ein enges, schwarzes Ledermieder, und ihr Stirnreif war nicht aus Gold, sondern aus Silber. Ihr Gesicht war gelassen und verriet weder freudige Erwartung noch ängstliche Nervosität.

Und dann traten Fontan und Oscagne mit dem größten Mann ein, den Sperber je gesehen hatte. Sie stellten ihn als Atan Engessa vor. Der Titel war offenbar vom Namen des Volkes abgeleitet. Engessa war gut über sieben Fuß groß. Das Gemach schien bei seinem Eintreten zu schrumpfen. Sein Alter hätte nur Mirtai zu schätzen vermocht. Er war hager und muskulös, seine Miene streng und unnachgiebig. Sein Gesicht verriet mit keinem Fältchen, daß er je gelächelt hätte.

Kaum hatte er das Gemach betreten, schritt er direkt zu Mirtai, als wäre sonst niemand im Zimmer. Er legte die Fingerspitzen beider Hände auf seinen Brustpanzer und verneigte sich vor ihr. »Atana Mirtai«, grüßte er sie respektvoll.

»Atan Engessa«, erwiderte sie und erwiderte seine Begrüßungsgeste. Dann sprachen sie eine Weile auf tamulisch miteinander.

»Was sagen sie?« fragte Ehlana Oscagne, der sich neben sie gestellt hatte.

»Das ist ein Begrüßungsritual, Majestät«, erklärte er. »Wenn Ataner sich begegnen, müssen eine Unzahl von Förmlichkeiten eingehalten werden. Die Rituale helfen ein Blutvergießen zumindest aufzuschieben. Im Augenblick erkundigt sich Engessa bei Mirtai, was es mit ihrem Status als Kind auf sich hat – der silberne Stirnreifen, wißt Ihr. Er zeigt an, daß das Ritual der Initiation noch nicht an ihr vollzogen wurde.« Er hielt inne und hörte kurz zu, was Mirtai Engessa antwortete. »Sie sagt ihm, daß sie seit ihrer Kindheit von den Menschen getrennt ist und noch keine Gelegenheit hatte, das Ritual vollziehen zu lassen.«

»Von den Menschen getrennt?« fragte Ehlana entrüstet. »Was glaubt sie, was wir sind?«

»Ataner halten sich für die einzigen Menschen auf der Welt. Ich bin mir nicht sicher, als was sie uns betrachten.« Der Botschafter blinzelte. »Hat sie wirklich so viele Gegner getötet?«

»Zehn, nicht wahr?« sagte Sperber.

»Sie sagte vierunddreißig.«

»Das ist unmöglich!« entfuhr es Ehlana. »Sie gehört seit sieben Jahren meinem Gefolge an. Ich müßte es wissen, wenn sie jemanden getötet hätte, seit sie in meinen Diensten ist.«

»Nicht, wenn sie es nachts tut«, widersprach Sperber. »Sie sperrt uns jede Nacht in unsere Gemächer ein. Sie behauptet, es sei zu unserem Schutz. Aber vielleicht tut sie es in Wirklichkeit nur, damit sie sich amüsieren kann, indem sie Elenier abschlachtet. Vielleicht sollten wir den Spieß umdrehen, wenn wir wieder zu Hause sind. Sperren wir sie nachts ein, statt uns von ihr einsperren zu lassen.«

»Sie würde die Tür eintreten, Sperber.«

»Wahrscheinlich hast du recht. Aber wir könnten sie ja an die Wand ketten.«

»Sperber!«

»Unterhalten wir uns später weiter darüber. Fontan und General Engessa kommen zu uns.«

»Atan Engessa, Sperber«, verbesserte Oscagne ihn. »Engessa würde den Titel General gar nicht kennen. Er ist ein Krieger – ein Atan. Das genügt ihm offenbar als Titel. Würdet Ihr ihn ›General‹ nennen, könnte er es möglicherweise als Beleidigung betrachten, und das wäre höchst ungesund.«

Engessa hatte eine tiefe, ruhige Stimme; er sprach ein stockendes Elenisch mit eigenartigem Akzent. Ehlanas königlichen Status akzeptierte er wortlos, obwohl der Begriff Königin ihm fremd sein mußte. Sperber und die anderen Ritter betrachtete er als Krieger und respektierte sie offenbar als solche. Der Status des Patriarchen Emban, Talens, Stragens und der Baroneß Melidere verwirrte ihn anscheinend. Kring hingegen begrüßte er mit dem üblichen Peloigruß. »Atana Mirtai teilte mir mit, daß Ihr sie ehelichen wollt«, sagte er.

»Das stimmt«, bestätigte Kring ein wenig herausfordernd. »Habt Ihr irgendwelche Einwände?«

»Das kommt darauf an. Wie viele Feinde habt Ihr getötet?«

»Mehr, als ich zählen kann.«

»Das kann zweierlei bedeuten. Entweder Ihr habt viele getötet, oder Ihr tut Euch mit dem Zählen schwer.«

»Ich kann bis über zweihundert zählen!«

»Eine beachtliche Zahl. Ihr seid Domi Eures Volkes?«

»Ja.«

»Wer hat Euch diese Wunden zugefügt?« Engessa deutete auf Krings Narben im Gesicht und auf dem Kopf.

»Ein Freund. Wir hatten einen Streit über die Führerschaft.«

»Wieso habt Ihr erlaubt, daß er Euch so zurichtet?«

»Ich war beschäftigt. Ich hatte zu dem Zeitpunkt meinen Säbel im Bauch des Gegners und habe dafür gesorgt, daß er es auch ordentlich spürt.«

»Dann sind Eure Narben ehrenhaft. Ich achte sie. War er ein guter Freund?«

Kring nickte. »Der beste. Wir waren wie Brüder.«

»Ihr habt ihm die Unannehmlichkeit erspart zu altern.«

»Das kann man wohl sagen.«

»Dann gibt es keinen Grund, Euch zu verwehren, um Atana Mirtai zu werben. Sie ist ein Kind ohne Familie. Ich bin der erste erwachsene Ataner, dem sie begegnet ist. Daher ist es meine Pflicht, Vaterstelle an ihr zu vertreten. Habt Ihr einen Olma

»Sperber wird mein Olma sein.«

»Schickt ihn zu mir, dann werden er und ich die Angelegenheit besprechen. Darf ich Euch Freund nennen, Domi?«

»Es wäre mir eine Ehre, Atan. Darf auch ich Euch Freund nennen?«

»Es wäre auch mir eine Ehre, Freund Kring. Dann wollen wir hoffen, daß Euer Olma und ich den Tag festsetzen können, an dem Ihr und Atana Mirtai gebrandmarkt werdet.«

»Möge Gott diesen Tag schnell bringen, Freund Engessa.«

»Es kommt mir vor, als wäre ich soeben in die finsterste Vergangenheit zurückversetzt gewesen«, flüsterte Kalten Sperber zu. »Was, glaubst du, wäre passiert, wenn die beiden sich nicht gemocht hätten?«

»Hätte ziemlich blutig ausgehen können.«

»Wann wollt Ihr aufbrechen, Ehlana, Königin von Elenien?« erkundigte sich Engessa.

Ehlana blickte ihre Freunde fragend an. »Morgen?« schlug sie vor.

»Ihr solltet nicht fragen, Ehlana-Königin«, rügte Engessa sie streng. »Befehlt. Wenn jemand etwas dagegen hat, dann laßt ihn von Sperber-Streiter töten.«

»Wir sind bemüht, solche Dinge ein wenig einzuschränken, Atan Engessa«, erklärte sie. »Es ist gar nicht gut für die Teppiche.«

»Ah«, sagte er. »Ich wußte, daß Ihr einen Grund dafür haben müßt. Also, dann morgen?«

»Ja, morgen, Engessa.«

»Ich erwarte Euch beim ersten Tageslicht, Ehlana-Königin.« Er machte auf dem Absatz kehrt und marschierte aus dem Gemach.

»Ein ziemlich kurz angebundener Bursche, nicht wahr?« bemerkte Stragen.

»So kurz wie er groß ist«, pflichtete Tynian ihm bei.

»Eine Frage, Sperber«, sagte Kring.

»Ja?«

»Ihr werdet doch mein Olma sein, oder?«

»Selbstverständlich.«

»Versprecht ihm nicht zu viele Pferde als Brautgabe.« Kring runzelte die Stirn. »Was hat er eigentlich gemeint, als er vom Brandmarken sprach?«

»Das ist ein atanischer Hochzeitsbrauch«, erwiderte Sperber. »Während der Zeremonie wird das glückliche Paar gebrandmarkt. Jeder trägt das Zeichen des anderen.«

»Gebrandmarkt?«

»So habe ich es gehört.«

»Was ist, wenn die Ehe in Brüche geht?«

»Dann wird das Brandzeichen unkenntlich gemacht, nehme ich an.«

»Wie macht man ein Brandzeichen unkenntlich?«

»Wahrscheinlich mit einem flachen glühenden Eisen. Wollt Ihr Mirtai immer noch heiraten, Kring?«

»Findet bitte heraus, welcher Körperteil gebrandmarkt wird, Sperber. Wenn ich das weiß, kann ich mehr sagen.«

»Ich vermute, daß es Stellen gibt, wo Ihr nicht gebrandmarkt werden möchtet?«

»O ja! Die gibt es ganz gewiß, Sperber!«

Sie verließen Darsas am nächsten Morgen im ersten Tageslicht und ritten in der Steppe von Mittelastel ostwärts gen Pela. Die Ataner umschlossen die Kolonne und hielten zu Fuß mühelos mit den Pferden Schritt.

Sperbers Sorge um die Sicherheit seiner Königin schwand merklich. Mirtai hatte ihrer Besitzerin knapp – ja, keinen Widerspruch duldend – erklärt, daß sie mit ihren Landsleuten marschieren würde. Die goldene Riesin hatte sich seltsam verändert. Die wachsame Anspannung, die ihr Wesen geprägt hatte, schien von ihr abgefallen zu sein.

»Ich könnte nicht genau sagen, was es ist«, gestand Ehlana, als sie sich am Vormittag darüber unterhielten, »aber sie scheint mir nicht mehr ganz die alte sein.«

»Das ist sie auch nicht mehr, Majestät«, warf Stragen ein. »Sie ist nach Hause gekommen. Und nicht nur das. Die Anwesenheit von Erwachsenen gestattet ihr, ihren natürlichen Platz in ihrer eigenen Gesellschaft einzunehmen. Sie ist noch ein Kind – zumindest in ihren eigenen Augen. Sie hat nie über ihre Kindheit gesprochen; aber ich vermute, daß es nicht gerade eine sichere und geborgene Zeit gewesen ist. Irgend etwas ist mit ihren Eltern geschehen, und Mirtai wurde in die Sklaverei verkauft.«

»Ihr ganzes Volk sind Sklaven, Durchlaucht Stragen«, gab Melidere zu bedenken.

»Es gibt verschiedene Arten von Versklavung, Baroneß. Die der atanischen Rasse durch die Tamuler ist gesellschaftlich festgelegt. Bei Mirtai hingegen ist es eine persönliche Sache. Sie wurde als Kind aus ihrer gewohnten Umgebung gerissen, versklavt und dann gezwungen, zu ihrem Schutz eigene Schritte zu unternehmen. Nun, da sie wieder unter Atanern ist, kann sie ein wenig von ihrer Kindheit nacherleben.« Stragen verzog das Gesicht. »Eine solche Gelegenheit hatte ich leider nie. Ich wurde in eine andere Art von Sklaverei hineingeboren, und daß ich meinen Vater getötet habe, hat mir nicht wirklich die Freiheit gebracht.«

»Ihr macht Euch zuviel Gedanken darüber, Durchlaucht Stragen«, meinte Melidere. »Ihr solltet Eure unrechtmäßige Zeugung wirklich nicht zum Mittelpunkt Eures Lebens machen, wißt Ihr. Es gibt viel Wichtigeres auf der Welt.«

Stragen blickte sie scharf an, dann lachte er ein wenig einfältig. »Komme ich Euch wirklich so voll Selbstmitleid vor, Baroneß?«

»Nein, das nicht. Aber Ihr seid offenbar der Meinung, mich bei jeder Gelegenheit darauf aufmerksam machen zu müssen, Durchlaucht. Für uns, Eure Freunde und Gefährten, ist es nicht von Bedeutung. Warum macht Ihr Euch also selbst das Leben schwer?«

»Seht Ihr, Sperber«, sagte Stragen. »Genau das habe ich gemeint. Ich kenne niemanden sonst, der so unehrlich ist.«

»Durchlaucht Stragen!« protestierte Melidere.

»Das ist die Wahrheit, meine liebe Baroneß.« Stragen grinste. »Ihr lügt nicht mit dem Mund, sondern mit Eurer ganzen Person. Ihr täuscht vor, nur Stroh in Eurem hübschen Kopf zu haben, und dann bringt Ihr mit einer einzigen Bemerkung eine Fassade ins Wanken, an deren Aufbau ich ein Leben lang gearbeitet habe. ›Unrechtmäßige Zeugung‹ – also wirklich. Es ist Euch gelungen, den tragischsten Umstand meines ganzen Lebens als etwas völlig Belangloses hinzustellen!«

»Könnt Ihr mir je verzeihen?« Ihre Augen waren groß und scheinbar unschuldsvoll.

Stragen warf die Arme hoch. »Ich gebe es auf. Wo war ich? Ach ja, die scheinbare Veränderung von Mirtais Persönlichkeit. Ich glaube, das Initiationsritual der Ataner ist ein sehr einschneidender Schritt in ihrem Leben. Das ist ein weiterer Grund, weshalb unsere geliebte kleine Riesin sich wie ein Kind aufführt. Engessa wird das Ritual mit ihr vollziehen, sobald wir ihre Heimat erreichen. Deshalb versucht Mirtai, die letzten Tage ihrer Kindheit voll auszukosten.«

»Darf ich mit dir reiten, Vater?« fragte Danae.

»Wenn du möchtest.«

Die kleine Prinzessin rutschte von ihrem Sitz in der Kutsche, vertraute Rollo Alean und Baroneß Melidere an, und streckte Sperber die Arme entgegen.

Er hob sie auf ihren gewohnten Platz vor seinem Sattel.

»Reite ein bißchen mit mir spazieren, Vater«, bettelte Danae mit ihrer Kleinmädchenstimme.

»Wir sind bald wieder zurück«, versprach Sperber seiner Gemahlin und entfernte sich im Kanter von der Karosse.

»Stragen kann manchmal sehr anstrengend sein«, klagte Danae. »Ich bin froh, daß Melidere sich mit seiner Umerziehung beschäftigen wird.«

»Wa-as?« entfuhr es Sperber verdutzt.

»Wo hast du deine Augen, Vater?«

»Du meinst, sie empfinden wirklich etwas füreinander?«

»Was Melidere betrifft, ja. Sie wird Stragen darauf aufmerksam machen, wie er empfindet, wenn sie soweit ist. Was ist in Darsas passiert?«

Sperber kämpfte ein wenig mit seinem Gewissen. »Würdest du sagen, daß du eine religiöse Person bist?« fragte er vorsichtig.

»Das ist eine seltsame Formulierung!«

»Beantworte nur die Frage, Danae. Gehörst du einer Religion an oder nicht?«

»Aber natürlich, Sperber. Ich bin der Mittelpunkt einer Religion.«

»Dann könnte man dich gewissermaßen zur Geistlichkeit zählen?«

»Worauf willst du hinaus, Sperber?«

»Sag einfach ja, Danae. Ich stehe an der Schwelle eines Eidbruches, und ich suche nach einer Möglichkeit, eine Entschuldigung dafür zu finden.«

»Ich gebe es auf. Ja, in gewissem Sinne kannst du mich zur Geistlichkeit zählen. Ich gehöre natürlich einer anderen Kirche an als du, aber die Bezeichnung trifft trotzdem zu!«

»Danke. Ich habe geschworen, mit niemandem darüber zu reden, außer mit anderen Geistlichen. Aber da du dazugehörst, darf ich es dir sagen.«

»Das ist reine Spitzfindigkeit, Sperber!«

»Ich weiß, aber es beruhigt mein Gewissen. Elron, Baron Kotyks Schwager, ist Säbel.« Er bedachte sie mit einem argwöhnischen Blick. »Hast du etwa wieder einmal deine Finger im Spiel?«

»Ich?«

»Du übertreibst die Wahrscheinlichkeit von Zufällen manchmal ein wenig, Danae«, sagte er. »Du hast es die ganze Zeit über gewußt, nicht wahr?«

»Nein. Jedenfalls nicht die Einzelheiten. Was du ›Allwissenheit‹ nennst, ist eine menschliche Vorstellung. Man hat sich das ausgedacht, damit die Leute glauben, daß nichts, was sie tun, verborgen bleibt. Ich habe Ahnungen – ich weiß ein paar Dinge, das ist alles. Ich wußte, daß es in Kotyks Haus irgend etwas von Bedeutung gab – genauso wie ich wußte, daß ihr es erfahren könnt, wenn ihr die Ohren offenhaltet.«

»Dann ist es so etwas wie Eingebung?«

»Das trifft es sehr gut, Sperber. Unsere Intuition ist weiterentwickelt als eure, und wir richten uns genau danach. Ihr Menschen neigt dazu, eure Intuition nicht zu beachten – vor allem ihr Männer. Aber in Darsas ist noch etwas geschehen, nicht wahr?«

Er nickte. »Der Schatten hat sich wieder einmal sehen lassen.

Emban und ich unterhielten uns gerade mit dem Erzmandriten Monsel, als er erschien.«

»Dann muß derjenige, der dahintersteckt, sehr dumm sein.«

»Wie die Trollgötter? Dummheit ist doch eine ihrer hervorstechendsten Eigenschaften, oder nicht?«

»Wir können nicht völlig sicher sein, daß es tatsächlich die Trollgötter sind, Sperber.«

»Weißt du das denn nicht? Ich meine, hast du keine Möglichkeit festzustellen, wer deine Gegner sind?«

Sie schüttelte den Kopf. »Leider nicht, Sperber. Wir können uns voreinander verbergen. Aber daß der Schatten euch in Darsas erschien, zeugt von soviel Dummheit, daß es wirklich auf die Trollgötter hindeutet. Wenn ich nur daran denke, wie sehr wir uns bemüht haben, ihnen klarzumachen, weshalb die Sonne im Osten aufgeht! Aber sie begreifen es immer noch nicht. Sie wissen zwar, daß die Sonne jeden Morgen wiederkommt, aber wo, wissen sie nie.«

»Du übertreibst.«

»Natürlich.« Sie runzelte die Stirn. »Aber versteifen wir uns lieber noch nicht darauf, daß wir es mit den Trollgöttern zu tun haben. Es gibt einige kaum merkliche Unterschiede. Sie könnten allerdings die Folge des Zusammenstoßes sein, den du mit den Trollgöttern im Azashtempel hattest. Du hast sie furchtbar erschreckt, weißt du. Aber ich vermute eher, daß sie sich mit jemandem verbündet haben. Meines Erachtens würden die Trollgötter direkter vorgehen. Wenn tatsächlich noch jemand im Spiel ist, ist er ein wenig kindisch. Er ist noch nicht viel in der Welt herumgekommen und von Menschen umgeben, die nicht sonderlich klug sind. Deshalb glaubt er, alle anderen wären ebenfalls wie sie. Mit dieser Erscheinung in Darsas hat er sich wirklich einen Schnitzer geleistet, weißt du. Sie war unnötig, und er hat damit nur bestätigt, was du diesem Kirchenherrn erzählt hast – du hast ihm doch erzählt, was vor sich geht, nicht wahr?«

Sperber nickte.

»Wir müssen so schnell wie möglich nach Sarsos und mit Sephrenia reden.«

»Dann wirst du unsere Reise wieder beschleunigen?«

»Das halte ich für notwendig. Ich bin mir noch nicht sicher, was unsere Gegner vorhaben, aber aus irgendeinem Grund haben sie es plötzlich eiliger. Wir müssen also zusehen, daß wir mit ihnen Schritt halten. Bring mich zur Kutsche zurück, Sperber. Stragen dürfte inzwischen fertig sein, mit seiner Bildung anzugeben, und mir wird allmählich übel vom Geruch deiner Rüstung.«

Obwohl die drei so verschiedenen Truppenteile, die als Eskorte der Königin von Elenien dienten, gemeinsame Interessen hatten, beschlossen Sperber, Engessa und Kring, die Peloi, die Ordensritter und Ataner mehr oder weniger getrennt voneinander zu halten. Die kulturellen Unterschiede ließen eine außerdienstliche Begegnung nicht ratsam erscheinen; die Wahrscheinlichkeit, daß es zu Mißverständnissen kommen würde, war zu groß. Jeder Führer wies seine Truppen ausdrücklich auf die Erfordernisse striktester Höflichkeit und Förmlichkeit hin. Die Folge war eine angespannte und übertriebene Steifheit. Ataner, Peloi und Ordensritter waren eher Verbündete denn Kameraden. Und die Tatsache, daß nur sehr wenige Ataner Elenisch beherrschten, erweiterte die Kluft zwischen den einzelnen Truppenteilen der kleinen Armee, die nun hinaus auf die baumlose Weite der Steppe marschierte.

In geraumer Entfernung von der Stadt Pela in Mittelastel stießen sie auf die Ostpeloi. Krings Vorfahren waren vor etwa dreitausend Jahren aus diesem schier grenzenlosen Grasland ausgewandert, doch trotz der Trennung durch Zeit und Entfernung ähnelten sich die beiden Zweige der Peloier erstaunlich, zumindest, was Kleidung und Gebräuche anbelangte. Der einzige auffällige Unterschied war die offensichtliche Vorliebe der Ostpeloi für den Wurfspeer, während Krings Krieger den Säbel bevorzugten. Nach einer rituellen Begrüßung setzten Kring und sein Vetter aus dem Osten sich mit überkreuzten Beinen auf eine Wiese, ›teilten Salz miteinander und besprachen Angelegenheiten‹, während zwei Armeen einander über dreihundert Meter Grasfläche hinweg wachsam beäugten. Endlich war offensichtlich die Entscheidung gefallen, einander nicht zu bekriegen, und Kring führte seinen Gastgeber und entfernten Verwandten zur Karosse, um ihn allen vorzustellen. Der Domi der Ostpeloi hieß Tikume. Er war etwas größer als Kring, doch auch er hatte den Kopf kahl geschoren – eine Sitte bei diesem Reitervolk, die weit in die Vergangenheit zurückreichte.

Tikume begrüßte alle höflich. »Es ist sehr ungewohnt für mich, Peloi zu sehen, die mit Ausländern verbündet sind«, erklärte er. »Domi Kring hat mir zwar von den Zuständen in Eosien berichtet, doch daß sie zu so eigenartigen Abmachungen führten, wußte ich nicht. Aber er und ich haben uns ja auch schon seit über zehn Jahren nicht mehr gesehen.«

»Ihr kennt Domi Tikume von früher, Kring?« fragte Patriarch Emban überrascht.

»O ja, Eminenz«, antwortete Kring. »Domi Tikume ist vor einigen Jahren mit dem König von Astel nach Pelosien gereist. Dabei hat er einen kleinen Umweg gemacht, um mich zu besuchen.«

»König Alberens Vater war viel weiser als sein Sohn«, erklärte Tikume. »Und sehr belesen. Er hat viele Ähnlichkeiten zwischen Pelosien und Astel erkannt und deshalb einen Staatsbesuch bei König Soros unternommen. Er lud mich ein, ihn zu begleiten.« Tikume verzog das Gesicht. »Vielleicht wäre ich nicht mitgekommen, wenn ich gewußt hätte, daß er mit dem Schiff reist. Ich war zwei Monate lang seekrank. Domi Kring und ich verstanden uns jedoch von Anfang an. Er war so freundlich und nahm mich zur Ohrenjagd auf die Marschen mit.«

»Hat er die Einnahmen mit Euch geteilt, Domi Tikume?« fragte ihn Ehlana.

»Wie meint Ihr das, Königin Ehlana?« Tikume blickte sie verwirrt an.

Kring dagegen lachte nervös und errötete sogar ein wenig.

Da kam Mirtai zur Kutsche geschritten.

»Ist sie das?« fragte Tikume, an Kring gewandt.

Kring nickte stolz. »Ist sie nicht umwerfend?«

»Großartig!« bestätigte Tikume beinahe ehrfürchtig. Dann sank er auf ein Knie nieder. »Doma«, begrüßte er sie und hob die Hände in Höhe seines Gesichts.

Mirtai blickte Kring fragend an.

»Es ist ein peloisches Wort, Liebste«, erklärte er ihr. »Es bedeutet ›Gefährtin des Domi‹.«

»Das ist noch nicht entschieden, Kring«, erinnerte sie ihn.

»Kann es noch den geringsten Zweifel geben, Liebste?«

Immer noch kniend, sagte Tikume: »Ihr werdet in unserem Lager mit allen Ehren empfangen, Doma Mirtai, denn bei unserem Volk seid Ihr eine Königin. Alle werden vor Euch niederknien, und alle werden Euch ehrerbietig Platz machen. Man wird Gedichte und Lieder über Euch schreiben und Euch kostbare Geschenke darbringen.«

»Na, so was«, murmelte Mirtai.

»Eure Schönheit ist ohne Zweifel göttlich, Doma Mirtai«, fuhr Tikume fort, der sich offenbar in Begeisterung redete. »Allein Eure Anwesenheit erhellt eine trübe Welt und läßt die Sonne verblassen. Ich bewundere die Weisheit meines Bruders Kring, Euch zu seiner Gefährtin zu erwählen. Kommt geradenwegs in unser Lager, Göttliche, auf daß mein Volk Euch anbete.«

»Meine Güte!« hauchte Ehlana. »Zu mir hat noch nie jemand so etwas Schönes gesagt.«

»Wir wollten Euch nur nicht in Verlegenheit bringen, meine Königin«, schmeichelte ihr Stragen. »Natürlich empfinden wir genauso für Euch. Wir haben nur befürchtet, Ihr könntet es als Übertreibung ansehen.«

»Gut gebrüllt, Löwe«, lobte Ulath.

Mirtai blickte Kring mit neu erwachtem Interesse an. »Warum hast du mir davon nichts erzählt, Kring?« fragte sie.

»Ich dachte, das wüßtest du, Geliebte.«

»Nein, das wußte ich nicht.« Sie schob die Unterlippe nachdenklich vor. »Aber jetzt weiß ich es«, fügte sie bedeutungsvoll hinzu. »Hast du bereits einen Olma auserwählt?«

»Sperber erweist mir diesen Dienst, Liebste.«

»Dann macht Euch auf den Weg und sprecht mit Atan Engessa, Sperber«, forderte sie ihn auf. »Richtet ihm aus, daß ich nicht abgeneigt bin, Domi Kring zu erhören.«

»Das ist eine sehr gute Idee, Mirtai«, versicherte Sperber ihr. »Ich frage mich, warum ich nicht selbst darauf gekommen bin.«