19

»Also, eines ist mir ein Rätsel, Atan Engessa«, sagte Kalten. »Ihr habt die Geschichte nicht anders gehört als wir. Mirtai sagte, ihre Ausbildung hätte noch gar nicht begonnen, als die Arjuni sie gefangennahmen. Wo hat sie dann so kämpfen gelernt? Seit ich fünfzehn bin, mache ich Waffenübungen, doch sie wirft mich herum wie eine Stoffpuppe, wann immer sie will.«

Engessa lächelte leicht. Es war noch ziemlich früh, Schwaden dünnen Morgennebels schwebten zwischen den Bäumen und verwischten die scharfen Umrisse der Stämme. Sie waren im Morgengrauen aufgebrochen, und Engessa schritt zwischen den berittenen Pandionern dahin. »Ich habe Euch kämpfen gesehen, Kalten-Ritter«, entgegnete der riesenhafte Ataner. Er streckte den Arm aus und klopfte mit einem Fingerknöchel an Kaltens Panzer. »Eure Taktik wird hauptsächlich von Eurer Ausrüstung bestimmt.«

»Das stimmt wohl.«

»Und Ihr habt vor allem die Benutzung dieser Ausrüstung geübt, nicht wahr?«

»Nun ja, gewissermaßen. Wir üben mit unseren Waffen und lernen, die Vorteile unserer Rüstung zu nutzen.«

»Und unsere Pferde einzusetzen«, fügte Vanion hinzu. Der ehemalige Hochmeister der Pandioner trug auf dieser Reise seinen schwarzen Panzer. Ehe ihr Trupp Sarsos verlassen hatte, war es dieser Kleidung wegen zu einer lebhaften Diskussion zwischen Vanion und der Frau gekommen, die er liebte. Kaum war Sephrenia nicht mehr von Eleniern umgeben – was Zurückhaltung erforderte –, war sie stimmgewaltiger geworden und hatte im Verlauf des Gesprächs einen überraschenden Hang zur Theatralik offenbart. Obwohl sie und Vanion sich unter vier Augen unterhalten hatten, war Sperber kein Wort entgangen. Alle im Haus hatten das Gespräch gehört – wahrscheinlich sogar ganz Sarsos.

»Zumindest die Hälfte Eurer Ausbildung fand auf dem Pferderücken statt«, fuhr Vanion fort. »Ein gepanzerter Ritter ohne sein Pferd ist wie eine auf dem Rücken liegende Schildkröte.«

»Ähnliches habe ich auch zu meinen Kameraden gesagt, Hochmeister Vanion«, warf Khalad höflich ein. »Die meisten sind verärgert über solche Vergleiche, und so muß ich es ihnen für gewöhnlich demonstrieren – was sie aus irgendeinem Grund aber nur noch wütender macht.«

Engessa lächelte.

»Ihr übt mit Eurer Ausrüstung, Kalten-Ritter«, wiederholte er. »Wir ebenfalls. Der Unterschied besteht darin, daß unser Körper unsere Ausrüstung ist. Unsere Art zu kämpfen beruht auf Behendigkeit und Kraft, und die können wir überall ausbilden, ohne daß wir einen großen Übungsplatz brauchten wie ihr für eure Pferde. Wir üben ständig. In ihrem Geburtsdorf konnte Atana Mirtai ihre Eltern und deren Freunde häufig dabei beobachten. Kinder lernen, indem sie ihre Eltern nachahmen. Bei uns Atanern kann man schon die Drei- und Vierjährigen miteinander ringen sehen.«

»Daran allein kann es nicht liegen«, wandte Kalten ein.

»Vielleicht Naturtalent, Kalten?« meinte Berit.

»So unbeholfen bin ich nun auch wieder nicht, Berit.«

»War Eure Mutter eine Kriegerin, Kalten-Ritter?« fragte Engessa.

»Natürlich nicht.«

»Oder Eure Großmutter? Urgroßmutter? Ururgroßmutter und deren Großmütter der vergangenen fünfzig Generationen?«

Kalten blickte ihn verwirrt an.

»Atana Mirtai stammt sowohl von väterlicher wie mütterlicher Seite von Kriegern ab. Kämpfen liegt ihr im Blut. Sie ist begabt und kann allein durch Zuschauen lernen. Wahrscheinlich ist sie imstande, auf ein halbes Dutzend verschiedene Arten zu kämpfen.«

»Das ist eine interessante Idee, Atan Engessa«, sagte Vanion. »Wenn wir ein Pferd finden können, das groß genug für sie ist, würde sie möglicherweise einen ausgezeichneten Ritter abgeben.«

»Vanion!« rief Kalten. »Das ist der unnatürlichste Vorschlag, den ich je gehört habe!«

»Reine Überlegung, Kalten.« Vanion blickte Sperber nachdenklich an. »Wir sollten bei unserer Ausbildung vielleicht ein bißchen mehr Gewicht auf den Mann-gegen-Mann-Kampf legen, Hochmeister Sperber.«

»Hört damit auf, Vanion.« Sperber verzog das Gesicht. »Ihr seid und bleibt der Hochmeister, bis die Hierokratie es anders bestimmt. Ich bin lediglich der Interimshochmeister.«

»Also gut, Interimshochmeister, wenn wir nach Atan kommen, sollten wir uns den Kampfstil der Ataner genauer ansehen. Wir kämpfen nicht immer beritten.«

»Ich werde Khalad darauf ansetzen«, versprach Sperber.

»Khalad?«

»Kurik hat ihn ausgebildet, und im Kampf Mann gegen Mann war er der Beste, den ich je kannte.«

»Das stimmt fürwahr. Gute Idee, Interimshochmeister Sperber.«

»Muß das sein?« klagte Sperber.

Zwölf Tage später erreichten sie die Stadt Atana – zumindest schienen es zwölf Tage gewesen zu sein. Sperber hatte beschlossen, nicht mehr über den Unterschied zwischen echter und scheinbarer Zeit zu grübeln. Aphrael beeinflußte den Zeitlauf, egal was er sagte oder tat. Warum also sich den Kopf darüber zerbrechen und Zeit vergeuden? Er fragte sich, ob Zalasta den veränderten Zeitablauf bemerkte. Wahrscheinlich nicht, ging es ihm durch den Kopf. Mochte der Styriker ein noch so geschickter Magier sein, er blieb ein Mensch, und Aphrael war eine Gottheit. Eines Nachts kam Sperber ein seltsamer Gedanke. Er überlegte, ob seine Tochter es wohl fertigbringen mochte, die Echtzeit schneller erscheinen zu lassen, als sie in Wirklichkeit war. Nachdem er kurz darüber nachgedacht hatte, beschloß er, sie lieber nicht zu fragen. Das Ganze bereitete ihm ohnehin schon Kopfschmerzen.

Atana war eine nüchterne, zweckorientierte Stadt in einem tiefen, grünen Tal. Sie war von einer Mauer umgeben, die weder sonderlich hoch noch beeindruckend war. Die Ataner selbst waren es, die ihre Stadt uneinnehmbar machten.

»Alles im Land heißt ›Atan‹, nur die Endungen unterscheiden sich, nicht wahr?« bemerkte Kalten, während sie zum Tal hinunterritten. »Das Königreich, seine Hauptstadt, die Bürger – ja, sogar die Titel.«

»Ich glaube, Atan ist mehr ein Begriff als ein Name«, meinte Ulath.

»Wieso sind sie alle so groß?« fragte Talen. »Sie gehören der tamulischen Rasse an, aber andere Tamuler überragen andere Menschen auch nicht wie Bäume.«

»Oscagne hat es mir erklärt«, sagte Stragen. »Die Ataner sind das Ergebnis eines Experiments.«

»Eines magischen?«

»Soviel weiß ich nicht darüber«, gestand Stragen. »Aber ich würde sagen, daß es sogar die Möglichkeiten der Magie übertraf. Noch ehe es so etwas wie Geschichte gab, stellten die Ataner fest, daß große Menschen mehr Kämpfe gewannen als kleine. Das war zu einer Zeit, als Eltern ihre Kinder verheirateten. Das größte Augenmerk wurde auf Körpergröße gelegt.«

»Was geschah mit kleinen Kindern?« fragte Talen.

»Wahrscheinlich das gleiche wie mit häßlichen Kindern in unserer Gesellschaft.« Stragen zuckte die Schultern. »Sie wurden nicht geheiratet.«

»Das ist nicht gerecht.«

Stragen lächelte. »Wenn man es recht bedenkt, Talen, ist es auch nicht gerecht, daß wir Dinge stehlen, die andere sich erarbeitet haben, nicht wahr?«

»Das ist etwas anderes.«

Stragen lehnte sich im Sattel zurück und lachte. Dann fuhr er fort: »Die Ataner legten auch Wert auf andere Eigenschaften – Geschicklichkeit, Kraft, Angriffslust und mörderische Rachsucht. Es ist seltsam, was diese Verbindung hervorbrachte. Wenn man darüber nachdenkt, wird einem klar, daß Mirtai eigentlich ein recht liebes Mädchen ist. Sie ist herzlich und freundlich, sie sorgt sich um ihre Freunde, und sie ist von aufregender Schönheit. Aber sie ist auch voller Fallstricke, und wenn jemand über einen stolpert, fängt sie zu töten an. Ich nehme an, das Ausleseverfahren der Ataner schoß schließlich übers Ziel hinaus. Die Ataner wurden so aggressiv, daß sie anfingen, einander umzubringen, und da eine solche Aggressivität nicht auf ein Geschlecht beschränkt bleiben kann, waren die Frauen in dieser Beziehung ebenso schlimm wie die Männer. Es kam so weit, daß es in Atan so etwas wie eine kleine Meinungsverschiedenheit nicht mehr gab. Die Ataner brachten einander schon um, wenn sie unterschiedlicher Meinung über das Wetter waren.« Er lächelte. »Oscagne erzählte mir, daß die Welt im zwölften Jahrhundert erfuhr, wie wild Atanerinnen waren. Eine große Schar arjunischer Sklavenjäger griff ein Ausbildungslager für halbwüchsige Atanerinnen an – Mädchen und Jungen werden getrennt ausgebildet, um gewisse Komplikationen zu vermeiden. Jedenfalls, diese heranreifenden Atanerinnen – die meisten kaum über sechs Fuß groß – töteten den Großteil der Sklavenjäger und verkauften die paar, die sie am Leben ließen, als Eunuchen an die Tamuler.«

»Die Sklavenhändler waren Eunuchen?« staunte Kalten.

»Nein, Kalten«, erklärte Stragen geduldig. »Eunuchen waren sie erst, als die Mädchen mit ihnen fertig waren.«

»Kleine Mädchen haben so was getan?« Kalten blickte ihn entsetzt an.

»Sie waren nicht zart besaitet, Kalten. Außerdem waren sie alt genug, um zu wissen, was sie taten. Jedenfalls hatten die Ataner im fünfzehnten Jahrhundert einen sehr weisen König. Er erkannte, daß sein Volk drauf und dran war, sich selbst auszurotten. Er setzte sich mit der tamulischen Regierung in Verbindung und sandte seine Untertanen in die Sklaverei – um ihr Leben zu retten.«

»Eine ziemlich radikale Lösung«, bemerkte Ulath.

»Es gibt verschiedene Arten von Sklaverei, Ulath. Die in Atan ist eine Institution. Die Tamuler weisen die Ataner an, wohin sie sich begeben und wen sie töten sollen; und für gewöhnlich finden sie einen Grund, Anträge einzelner Ataner abzulehnen, einander umzubringen. Damit ist die atanische Sklaverei eigentlich schon beschrieben. Sie ist eine gut funktionierende Einrichtung. Die atanische Rasse überlebt, und die Tamuler haben mit ihnen die besten Fußsoldaten der Welt.«

Talen runzelte die Stirn. »Größe imponiert den Atanern ganz besonders, sagtet Ihr?«

»Größe ist eine Eigenschaft, die sie beeindruckt«, berichtigte Stragen.

»Warum hat Mirtai dann zugestimmt, Kring zu heiraten? Kring ist ein ausgezeichneter Krieger, aber er ist nicht viel größer als ich, und ich wachse noch.«

»Er muß etwas anderes besitzen, das Mirtai sehr beeindruckt.« Stragen zuckte die Schultern.

»Was könnte das sein?«

»Ich habe nicht die leiseste Ahnung, Talen.«

»Er ist ein Poet«, warf Sperber ein. »Vielleicht ist es das.«

»Würde das bei jemandem wie Mirtai den Ausschlag geben? Sie hat zwei Männer aufgeschlitzt und bei lebendigem Leibe verbrannt, habt Ihr das vergessen? Das zeigt mir, daß sie nicht gerade zu den Mädchen gehört, die bei Poesie dahinschmelzen.«

»Frag nicht mich, Talen.« Stragen lachte. »Ich weiß eine Menge über die Welt, aber ich würde mir nicht anmaßen, auch nur zu raten, weshalb irgendeine Frau irgendeinen bestimmten Mann erwählt.«

»Sehr vernünftig«, murmelte Ulath.

Engessas Kuriere hatten der Stadt Kunde von der bevorstehenden Ankunft des königlichen Besuchs gebracht. Deshalb wartete am Tor eine Abordnung riesenhafter Ataner in feierlichem Ornat – in ihrer Kultur lediglich eine schmucklose, knöchellange Robe aus dunkler Wolle – zum Staatsempfang bereit. Inmitten dieser Riesen stand, winzig wie ein Zwerg, ein Tamuler in goldfarbenem Gewand. Er hatte silbermeliertes Haar und eine freundliche Miene.

»Was erwartet man von uns?« flüsterte Kalten Oscagne zu.

»Förmliches Benehmen«, riet Oscagne. »Ataner lieben Förmlichkeit. Ah, Norkan«, wandte er sich an den Tamuler in der goldfarbenen Robe, »wie schön, dich wiederzusehen. Fontan läßt dich grüßen.«

»Wie geht's dem alten Gauner?«

»Unverändert. Er hat vielleicht ein paar Runzeln mehr, ist aber noch immer der Alte.«

»Das freut mich. Aber warum sprechen wir Elenisch?«

»Damit du uns alle über die hiesigen Verhältnisse aufklären kannst. Wie stehen die Dinge hier?«

»Die Lage ist angespannt. Unsere Kinder sind unzufrieden. Die Unruhen, die sie niederschlagen, brechen immer wieder aus. Das verärgert sie. Du weißt ja, wie sie sind.«

»Und ob! Hat die Schwester des Kaisers dir inzwischen verziehen?«

Norkan seufzte. »Leider nicht. Ich fürchte, ich werde den Rest meiner Laufbahn hier verbringen müssen.«

»Du müßtest doch eigentlich wissen, wie sehr Hofschranzen Klatsch und Tratsch lieben. Was hat dich bloß zu dieser Bemerkung veranlaßt? Ich gebe ja zu, daß die Füße Ihrer Hoheit nicht gerade klein sind, aber ›großlatschige Kuh‹ war nicht sehr fein, das mußt du selbst zugeben.«

»Ich hatte ein bißchen zuviel getrunken und war verstimmt. Aber hier habe ich es ohnedies besser. In Matherion müßte ich ständig auf der Hut vor ihr sein. Ich lege wirklich keinen Wert darauf, Mitglied der kaiserlichen Familie zu werden, wenn ich dann ständig hinter Ihrer Hoheit herschreiten muß, während sie im Palast herumlatscht.«

»Wie du meinst. Was steht für uns auf der Tagesordnung?«

»Das übliche förmliche Brimborium. Offizielle Begrüßung. Reden. Zeremonien.«

»Gut. Unsere Freunde aus dem Westen sind manchmal etwas unorthodox, aber von Förmlichkeiten verstehen sie was. Erst wenn es lockerer zugeht, kommen sie hin und wieder in Schwierigkeiten. Darf ich dich der Königin von Elenien vorstellen?«

»Ich dachte schon, du würdest nie dazu kommen!«

»Majestät«, wandte Oscagne sich an Ehlana, »das ist mein alter Freund Norkan. Er ist der kaiserliche Gesandte hier in Atan, ein fähiger Mann, der nur ein wenig in Ungnade gefallen ist.«

Norkan verbeugte sich. »Majestät.«

»Exzellenz.« Ehlana lächelte verschmitzt. »Sind die Füße Ihrer Hoheit wirklich so groß?«

»Sie braucht keine Schneeschuhe, wenn sie im Winter durch den Wald stapfen will, Majestät. Damit könnte ich mich ja noch abfinden, aber wenn sie ihren Kopf nicht durchsetzen kann, bekommt sie Wutanfälle, und das halte ich nicht aus.« Er blickte auf die dunkelgewandeten Ataner um die Karosse. »Dürfte ich vorschlagen, daß wir uns zu dem Gebäude begeben, das meine Kinder ›Schloß‹ zu nennen belieben? Der König und die Königin erwarten uns.« Er blickte zu Ehlana hoch. »Wäre es Eurer Majestät möglich, eine Rede zu halten? Ein paar Worte wären angebracht.«

»Ich spreche leider kein Tamulisch, Exzellenz.«

»Macht nichts, Majestät. Ich werde für Euch übersetzen. Ihr braucht nur zu sagen, was Euch gerade in den Sinn kommt. Ich werde dann schon die rechten Worte für Euch finden.«

»Wie gütig von Euch«, antwortete Ehlana mit einem kaum merklichen Hauch von Zorn.

»Stets Euer Diener, Majestät.«

»Wirklich erstaunlich, Norkan, wie es dir immer wieder gelingt, ins Fettnäpfchen zu treten!« murmelte Oscagne.

»Es ist angeboren«, erwiderte Norkan schulterzuckend.

König Androl von Atan war sieben Fuß groß, und seine Gemahlin, Königin Betuana, nur um weniges kleiner. Sie waren schlichtweg imposant. Statt Kronen trugen sie goldene Helme, und unter ihren tiefblauen Seidenumhängen waren sie schwer bewaffnet. Sie erwarteten die Königin von Elenien und ihr Gefolge auf dem Platz vor dem Königsschloß, das im Grunde genommen nichts weiter als ihre private Behausung war. Atanische Zeremonien wurden offenbar immer im Freien abgehalten.

Mit der Karosse der Königin an der Spitze und ihrer bewaffneten Eskorte in Formation hinter ihr betraten die Besucher in feierlichem Schritt den Platz. Es gab keine Jubelrufe, kein Fanfarenschmettern, nichts von der geheuchelten Begeisterung üblicher Staatsempfänge. Ataner zeigten ihre Achtung durch Stille und reglose Haltung. Stragen lenkte die Kutsche geschickt zu der nur leicht erhöhten Plattform vor der königlichen Behausung, und Sperber saß ab, um seiner Gemahlin den stahlumhüllten Arm zu reichen. Ehlanas Gesicht strahlte auf dezente, majestätische Weise. Ihre Freude war ganz offensichtlich nicht nur vorgetäuscht. Obwohl sie hin und wieder ein wenig abfällig über zeremonielle Pflichten sprach und sie als anstrengend und ermüdend hinstellte, liebte Ehlana sie im Grunde genommen und nahm sie außerordentlich wichtig.

Botschafter Oscagne schritt auf das Königspaar von Atan zu, verbeugte sich und hielt in der fließenden, melodischen Sprache der Tamuler eine Rede. Mirtai stand hinter Ehlana und übersetzte leise.

Ehlanas Augen glänzten, und ihre Alabasterwangen röteten sich – Zeichen, die deutlicher als Worte verrieten, daß sie eine Rede formulierte.

König Androl sagte nur ein paar knappe Worte zur Begrüßung, denen Königin Betuana sich ein wenig ausführlicher anschloß. Sperber konnte Mirtais Übersetzung nicht hören, und nach allem, was er verstand, hätte das Königspaar sich ebensogut über das Wetter auf dem Mond unterhalten können.

Dann trat Ehlana vor, ließ ein paar spannungsgeladene Augenblicke verstreichen und begann mit klarer Stimme zu sprechen, daß es über den ganzen Platz zu hören war. Botschafter Norkan stand neben der steinernen Plattform und übersetzte ihre Worte.

»Meine liebe Schwester und mein lieber Bruder von Atan«, begann sie. »Worte können meine von Herzen kommende Freude über diese Begegnung nicht ausdrücken.« Sperber kannte seine Gemahlin; deshalb wußte er, daß es nicht der Wahrheit entsprach. Worte konnten Ehlanas Gefühle sehr wohl ausdrücken, und das würde sie auf diesem Platz auch deutlich machen. »Ich komme vom fernen Ende der Welt zu diesem glücklichen Treffen«, fuhr sie fort, »und mein Herz war von Sorge erfüllt, während ich über die schäumende See zu einem fremden Land voll fremder Menschen segelte. Doch Eure gütigen Worte freundlicher, ja liebevoller Begrüßung haben mir meine kindlichen Ängste genommen, und ich habe hier etwas gelernt, das mich mein Leben lang begleiten wird: Es gibt keine Fremden auf dieser Welt, liebe Schwester, lieber Bruder – es gibt nur Freunde, die wir lediglich noch nicht kennengelernt haben.«

»Das ist doch nicht von ihr, oder?« flüsterte Stragen Sperber zu.

»Nein. Aber wenn sie irgendwo eine Phrase aufschnappt, die ihr gefällt, sieht sie keinen Grund, sie sich nicht anzueignen.«

»Gewiß, mein Besuch in Atan ist eine Staatsreise. Uns, die wir den Königshäusern der Welt angehören, steht es nicht wie anderen frei, bestimmte Dinge aus persönlichen Gründen zu tun.« Sie lächelte dem atanischen Königspaar ein wenig bedauernd zu. »Wir dürfen nicht einmal gähnen, ohne daß diplomatische Schlüsse daraus gezogen werden. Niemand erwägt dann auch nur die Möglichkeit, daß wir bloß schläfrig sind.«

König Androl rang sich ein Lächeln ab, nachdem Norkan diese Worte übersetzt hatte.

»Mein Besuch in Atan hat indes neben dem offiziellen Grund auch einen persönlichen«, fuhr Ehlana fort. »Vor einiger Zeit gelangte ich durch Zufall an ein Kleinod, das den Atanern gehört, und ich bin um die halbe Welt gereist, euch diesen Schatz zurückzubringen, obgleich er mir teurer ist, als ich euch je beschreiben kann. Vor vielen, vielen Jahren ging ein atanisches Kind verloren. Dieses Kind ist das Kleinod, von dem ich sprach.« Sie streckte die Hand aus und faßte Mirtais. »Sie ist meine beste Freundin, und ich bin ihr unendlich zugetan. Ich wäre doppelt so weit – nein, zehnmal so weit – gereist um der Freude willen, die ich jetzt empfinde, da ich dieses geschätzte atanische Kind mit den Seinen wiedervereinen darf.«

Stragen wischte sich mit dem Handrücken die Augen. »Diese Wirkung hat sie jedesmal auf mich, Sperber.« Er lachte. »Ja, wahrhaftig, ein jedes Mal. Ich glaube, sie könnte Steine zum Weinen bringen, wenn sie es wollte. Und irgendwie scheint es ihr ganz leicht zu fallen.«

»Das ist eines ihrer Geheimnisse, Stragen.«

Ehlana fuhr bereits wieder fort. »Wie viele von euch wissen, haben Elenier manchen Fehler – viele Fehler, auch wenn ich es ungern zugebe. Wir haben euer liebes Kind nicht gut behandelt. Ein Elenier kaufte es von den seelenlosen Arjuni, die es euch gestohlen hatten. Der Elenier erstand es, um seine krankhaften Begierden zu befriedigen. Unser Kind – denn es ist nun ebensosehr mein Kind wie eures – lehrte diesen Mann, eine Atana nicht zu mißbrauchen. Es war eine harte Lektion, die ihm den Tod brachte.«

Nach der Übersetzung dieser Worte ging ein beifälliges Murmeln durch die Menge.

»Unser Kind ist durch die Hände mehrerer Elenier gegangen – von denen die meisten keine guten Absichten hatten – und kam schließlich zu mir. Anfangs hatte ich Angst vor der Atana.« Ehlana schenkte den Zuhörern ihr gewinnendstes Lächeln. »Es mag euch nicht entgangen sein, daß ich nicht sehr großgewachsen bin.«

Ein gutmütiges Lachen breitete sich in der Menge aus.

Ehlana stimmte in das Lachen ein. »Dachte ich mir doch, daß es euch aufgefallen ist. Es ist einer der Fehler unserer Kultur, daß unsere Männer starrsinnig und kurzsichtig sind. Ich weiß, es hört sich lächerlich an, aber ich darf nicht einmal mit eigener Hand meine Feinde töten. Ich habe nie Frauen gekannt, die sich selbst beschützen können, und so hatte ich törichte Furcht vor meinem atanischen Kind. Doch diese Furcht verging. Ich habe die Atana als treu und unerschütterlich kennengelernt, als sanft und liebevoll und als sehr, sehr klug. Wir sind nach Atan gekommen, auf daß unser geliebtes Kind das Silber der Kindheit ablege und durch den Ritus das Gold der Reife erlange. Elenier und Ataner, Styriker und Tamuler, laßt uns in der Zeremonie, die unser Kind zur Erwachsenen macht, Hände und Herzen verbinden, denn durch dieses Kind sind wir alle eine große Familie.«

Während Norkan übersetzte, regte sich ein erfreutes Murmeln in der Menge, das zum Beifallsgebrüll anschwoll. Königin Betuana stieg mit Tränen der Rührung in den Augen von der Plattform und umarmte die blasse blonde Königin von Elenien. Dann sprach sie kurz zu der Menge.

Stragen blickte Oscagne fragend an. »Was hat sie gesagt?«

»Sie hat ihre Untertanen gewarnt. Sie will persönlich jeden zur Rechenschaft ziehen, der sich eurer Königin gegenüber auch nur die geringste Unverschämtheit leistet. Und das ist keine leere Drohung, glaubt mir. Königin Betuana ist eine der besten Kriegerinnen von ganz Atan. Ich hoffe, Ihr wißt Eure Gemahlin zu würdigen, Sperber. Sie hat soeben einen diplomatischen Sieg höchsten Grades errungen. Woher in aller Welt weiß sie, daß Ataner allesamt sentimental sind? Hätte sie noch drei Minuten weitergeredet, wäre kein Auge mehr trocken geblieben.«

»Unsere Königin ist eine sehr scharfsichtige und einfühlsame junge Frau«, sagte Stragen stolz. »Eine gute Rede ist immer eine Offenbarung von Gemeinsamkeiten. Unsere Ehlana vermag es genial, die Dinge aufzuspüren, die sie mit ihren Zuhörern verbindet.«

»Sieht ganz so aus. Für eines hat sie jedenfalls gesorgt, das dürft ihr mir glauben.«

»Ach? Und für was?«

»Die Ataner werden eine Reifefeier für Atana Mirtai veranstalten, wie es sie in jeder Generation nur ein- oder zweimal gibt. Der Gesang wird ohrenbetäubend sein!«

»Das wird wohl in der Absicht meiner Gemahlin gelegen haben«, meinte Sperber. »Für ihre Freunde tut sie gern schöne Dinge.«

»Und nicht so schöne für ihre Feinde«, warf Stragen ein. »Wenn ich nur daran denke, was sie mit Primas Annias vorhatte.«

»Das ist schon richtig so, Durchlaucht Stragen.« Oscagne lächelte. »Die einzige Entschädigung für die Unannehmlichkeiten, die wir uns mit der Macht aufladen, besteht darin, daß wir unsere Freunde belohnen und unsere Feinde bestrafen können.«

»Da kann ich Euch nur beipflichten, Exzellenz.«

Engessa unterhielt sich mit König Androl, und Ehlana mit Königin Betuana. Niemand wunderte sich sonderlich, als Sephrenia für die beiden Königinnen übersetzte. Es hatte ganz den Anschein, als würde die zierliche Styrikerin fast alle Sprachen der bekannten Welt beherrschen.

Norkan erklärte Sperber und den anderen, daß die Eltern eine große Rolle beim Initiationsritus spielten. Engessa vertrat Mirtais Vater, und Mirtai hatte Ehlana schüchtern gebeten, bei diesem Anlaß ihre Mutter zu sein. Diese Bitte hatte zu einer offenen Bekundung tiefer Zuneigung zwischen den beiden geführt. »Es ist im Grund genommen eine sehr rührende Zeremonie«, versicherte Norkan ihnen. »Die Eltern müssen bestätigen, daß ihr Kind fähig und bereit ist, die Pflichten auf sich zu nehmen, die das Erwachsensein mit sich bringt. Danach erklären sie sich bereit, die Herausforderung eines jeden anzunehmen, der anderer Meinung ist. Keine Angst, Sperber«, fügte er lächelnd hinzu. »Das ist reine Formsache. Die Eltern werden nicht allzu oft herausgefordert.«

»Nicht allzu oft?«

»Ich mache natürlich Spaß. Niemand wird gegen Eure Gemahlin kämpfen. Ihre Ansprache hat die Ataner völlig entwaffnet. Sie verehren Königin Ehlana. Ich hoffe allerdings, daß sie schnell lernt. Sie wird nämlich Tamulisch sprechen müssen.«

»Eine Fremdsprache lernt man nicht so schnell«, gab Kalten zu bedenken. »Ich habe Styrisch zehn Jahre studiert, und ich beherrsche es immer noch nicht.«

»Sprachen sind nicht Eure Stärke, Kalten«, warf Vanion ein. »Ihr kommt manchmal nicht einmal mit Elenisch zurecht.«

»Müßt Ihr mir das unbedingt unter die Nase reiben, Hochmeister Vanion?«

»Ich nehme an, daß Sephrenia ein bißchen nachhelfen wird«, sagte Sperber. »In Ghwerigs Höhle hat sie mich in etwa fünf Sekunden die Trollsprache gelehrt.« Er blickte Norkan an. »Wann wird die Zeremonie stattfinden?«

»Um Mitternacht. Das Kind wird zur Erwachsenen, wie aus einem Tag der nächste wird.«

»Darin liegt eine wundersame Art von Logik«, bemerkte Stragen.

»Die Hand Gottes«, murmelte der fromme Bevier.

»Wie bitte?«

»Selbst Heiden horchen auf diese leise innere Stimme, Durchlaucht Stragen.«

»Ich fürchte, ich verstehe immer noch nicht so ganz, was Ihr meint, Ritter Bevier.«

»Logik zeichnet unseren Gott aus«, erklärte Bevier geduldig. »Sie ist sein besonderes Geschenk an die Elenier, und er bietet den Segen logischen Denkens in seiner Großmut auch den Unwissenden an.«

»Gehört das wirklich zur elenischen Doktrin, Eminenz?« fragte Stragen den Patriarchen von Uzera.

»Na ja, nicht direkt«, antwortete Emban. »Diese Ansicht wird hauptsächlich in Arzium vertreten. Der arzische Klerus versucht seit etwa tausend Jahren, sie ins Glaubensbekenntnis aufnehmen zu lassen, aber die Deiraner sind dagegen. Wir Kirchenoberen befassen uns immer wieder mit dieser Frage, wenn wir nichts anderes zu tun haben.«

»Glaubt Ihr, es wird einmal ein Beschluß darüber gefaßt werden, Eminenz?« fragte Norkan.

»Du liebe Güte, nein, Exzellenz. Dann hätten wir ja nichts mehr zu debattieren.«

Oscagne näherte sich ihnen von der anderen Seite des Platzes.

Er zog Sperber und Vanion zur Seite. »Meine Herren«, fragte er mit besorgter Miene, »wie gut kennt ihr Zalasta?«

»In Sarsos bin ich ihm erst das zweite Mal begegnet«, antwortete Sperber. »Hochmeister Vanion kennt ihn viel besser als ich.«

»Ich habe so einige Zweifel, was seine legendäre Weisheit angeht«, erklärte Oscagne. »Die styrische Enklave in Ostastel grenzt unmittelbar an Atan, folglich müßte Zalasta mehr über diese Leute wissen, als es den Anschein hat. Ich kam gerade hinzu, als er den Peloi und einigen der jüngeren Ordensritter vorschlug, ihre kämpferischen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen.«

»Das ist nicht ungewöhnlich, Exzellenz.« Vanion zuckte die Schultern. »Junge Männer brüsten sich damit.«

»So habe ich das nicht gemeint, Hochmeister Vanion.« Oscagnes Miene wirkte nun noch besorgter. »So etwas ist hier in Atan nicht anzuraten, denn es führt rasch zu Blutvergießen. Die Ataner betrachten solche Kämpfe als Herausforderung. Ich konnte gerade noch rechtzeitig einschreiten, um eine Katastrophe zu verhindern. Was hat dieser Mann sich nur dabei gedacht?«

»Styriker sind mitunter ziemlich weltfremd«, erklärte Vanion. »Ich werde Sephrenia bitten, mit ihm zu reden und ihn zu ersuchen, achtsamer zu sein.«

»Da ist noch etwas anderes, meine Herren.« Jetzt lächelte Oscagne. »Sorgt bitte dafür, daß Ritter Berit nicht allein in der Stadt unterwegs ist. Ganze Scharen lediger Atanerinnen haben ein Auge auf ihn geworfen.«

»Auf Berit?« wunderte sich Vanion.

»Das ist nicht das erste Mal, Vanion.« Auch Sperber lächelte nun. »Unser junger Freund hat etwas an sich, auf das junge Frauen fliegen. Ich glaube, es hat etwas mit seinen Wimpern zu tun. Ehlana und Melidere haben versucht, es mir zu erklären. Ich verstand es zwar nicht, aber ich glaubte ihnen trotzdem.«

»Erstaunlich!« murmelte Vanion.

Überall brannten Fackeln, und der würzige, leichte Nachtwind wiegte ihre rußig-orangenen Flammen wie ein feurig goldenes Ährenfeld. Die Zeremonie des Reiferitus' fand auf einer weiten Wiese außerhalb von Atana statt. Ein alter, mit Wiesenblumen geschmückter Steinaltar stand zwischen zwei mächtigen Eichen mitten auf der Wiese, und zwei beckenförmige Öllampen flackerten neben beiden Schmalseiten des Altars.

Ein Ataner mit schlohweißem Haar stand allein auf der Stadtmauer und beobachtete angespannt den Mondschein, der durch eine schmale, waagerechte Öffnung in der Brustwehr auf die Vorderseite einer nahen Wand fiel, die in regelmäßigen Abständen mit tief gefurchten Linien markiert war. Das war zwar keine sonderlich präzise Methode, die Zeit zu messen, doch wenn jeder sich damit zufriedengab, daß es Mitternacht war, sobald das Mondlicht auf eine bestimmte Markierung traf, war Genauigkeit unwichtig. Solange Einigkeit herrschte, war Mitternacht.

Die Nacht war still; nur die flackernden Fackeln knisterten und der Wind rauschte in dem dunklen Wald, der die Wiese umgab.

Die Menschen warteten stumm, während der waagerechte Streifen Mondlicht allmählich die Wand hinunterglitt.

Dann gab der greise Ataner ein Zeichen, und ein Dutzend Bläser hoben ihre bronzenen Hörner, um den neuen Tag zu begrüßen und den Beginn des Rituals anzukünden, das Mirtais Kindheit beenden würde.

Die Ataner sangen eine Melodie ohne Text; denn dieses Ritual war zu heilig, als daß Worte hätten benutzt werden dürfen. Ihr Gesang begann mit einem tiefen Männerbaß und schwoll an, als mehr und mehr Stimmen einfielen und zu einem kanongleichen Chor verschmolzen.

König Androl und Königin Betuana schritten majestätisch auf einem breiten, fackelerhellten Weg zu den uralten Bäumen und dem blumengeschmückten Altar. Ihre bronzefarbenen Gesichter waren freundlich, und ihre goldenen Helme schimmerten im Fackellicht. Als sie den Altar erreichten, wandten sie sich erwartungsvoll um.

Eine Pause setzte ein, während der die Fackeln aufflammten und der Chorgesang der Ataner anschwoll. Dann verklang die Melodie in einem verhaltenen Summen.

Engessa und Ehlana, beide in tiefblaue Wollroben gewandet, geleiteten Mirtai aus den Schatten der Stadtmauer. Mirtai war schlicht in Weiß gekleidet; ihr rabenschwarzes Haar trug sie offen und ohne Zier. Sie hatte die Augen demutsvoll gesenkt, während ihre Eltern sie zum Altar führten.

Der Gesang setzte wieder ein – mit neuer Melodie und neuem Takt.

»Das Kind wird herbeigeführt«, murmelte Norkan Sperber und den anderen zu. Die Stimme des abgeklärten, ja, zynischen Tamulers klang respektvoll, beinahe ehrfürchtig, und seine Augen schimmerten feucht. Sperber hob seine Tochter, die an seiner Hand gezogen hatte, auf die Arme, damit sie besser sehen konnte.

Mirtai und ihre Familie erreichten den Altar und verneigten sich vor Androl und Betuana. Der Gesang sank zu einem Flüstern herab.

Engessa sprach zum König und der Königin der Ataner. Seine Stimme war laut und kräftig, und das Tamulisch floß melodisch über seine Lippen, als er seine Tochter für reif erklärte. Dann wandte er sich um, öffnete seine Robe und zog sein Schwert. Wieder sprach er, und nun schwang ein Hauch von Herausforderung in seiner Stimme mit.

»Was hat er gesagt?« fragte Talen leise, an Oscagne gewandt.

»Daß er bereit ist, mit jedem zu kämpfen, der seiner Tochter die Reife absprechen will«, antwortete Oscagne. Auch seine Stimme verriet tiefen Respekt und Rührung.

Dann sprach Ehlana, ebenfalls auf tamulisch. Ihre Stimme klang wie eine silberne Fanfare, als auch sie bestätigte, daß ihre Tochter reif und bereit sei, ihren Platz als Erwachsene einzunehmen.

»Die letzten Worte hätte sie gar nicht sagen sollen!« flüsterte Danae in Sperbers Ohr. »Sie hat einfach etwas hinzugefügt!«

Er lächelte. »Du kennst doch deine Mutter.«

Nun wandte die Königin von Elenien sich an die versammelten Ataner. Auch ihre Stimme klang ein wenig herausfordernd, als sie ihre Robe zurückschlug und ein Schwert mit silbernem Griff zog. Sperber staunte, als er sah, wie gekonnt sie die Waffe hielt.

Nun sprach Mirtai zum König und zu der Königin.

»Das Kind ersucht um die Bestätigung ihrer Reife«, übersetzte Norkan.

König Androl antwortete mit lauter, gebieterischer Stimme, und die Königin erteilte ihre Einwilligung. Dann zogen auch sie ihre Schwerter, stellten sich neben die Eltern des Kindes und stimmten in die Forderung ein.

Der Gesang der Ataner schwoll an, und die Hörner schmetterten; dann wurden die Stimmen wieder leiser.

Mirtai drehte sich zu den Atanern um und zog ihre Dolche. Sie sprach zu ihrem Volk, doch Sperber verstand, was sie sagte. Er erkannte es am Klang ihrer Stimme.

Der Gesang wurde zu einem jubelnden Chor, und die fünf Personen am Altar wandten sich dem grobbehauenen Steinblock zu. In der Mitte der Altarplatte lagen ein schwarzes Samtkissen und darauf ein schlichter goldener Stirnreif.

Der Gesang hallte donnernd von den nahen Bergen wider.

Da fiel eine Sternschnuppe aus dem samtenen Schwarz des Firmaments. In weißglühendem Feuer zog sie ihre Bahn durch die Dunkelheit. Immer tiefer kam sie, bis sie schließlich in unzählige glitzernde Funken zerbarst.

»Laß das!« zischte Sperber seiner Tochter zu.

»Ich habe nichts damit zu tun!« versicherte Danae ihm. »Leider nicht. Ich bin gar nicht auf die Idee gekommen. Wie haben sie das nur fertiggebracht?« Das Mädchen war ehrlich verwundert.

Dann, als die glühenden Splitter des Sterns langsam zur Erde schwebten und die Nacht aufleuchten ließen, hob sich der goldene Reif auf dem Altar ohne helfende Hand und schwebte wie ein Rauchring empor. Er zögerte flüchtig, als der Gesang wie mit schmerzlicher Sehnsucht aufs neue anschwoll. Dann ließ er sich wie feinstes Spinnengespinst auf dem Kopf des Kindes nieder. Und als Mirtai sich mit strahlendem Gesicht wieder der Menge zuwandte, war sie kein Kind mehr.

Die Berge hallten vom Jubel wider, als die Ataner sie begeistert in ihrer Mitte aufnahmen.