Einleitung

»Bald wird das freie Wort in Deutschland wieder gelten. Und dann werde ich das größte Zeitungshaus Europas bauen«, umschrieb Axel Springer im Rückblick seine politischen und unternehmerischen Visionen zu Beginn der 1940er-Jahre.1 Wie kein anderer deutscher Unternehmer profitierte Springer vom »freien Wort«, das sich nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus im westlichen Teil Deutschlands durch glückliche politische Umstände einstellte.

Bis zur Mitte der 1960er-Jahre stieg der gelernte Drucker und Journalist zum auflagenstärksten Zeitungs- und Zeitschriftenverleger der Bundesrepublik auf.2 Bald trat an die Seite des verlegerischen Wirkens das politische Engagement, vor allem der kompromisslose Kampf gegen die deutsche Teilung. Die untrennbar verwobenen unternehmerischen und politischen Entwicklungen ließen das Verlagshaus schließlich Ende der 1960er-Jahre zur »Symbolfigur der Bundesrepublik«3 und den Verleger zu einer der umstrittensten Personen der deutschen Nachkriegszeit avancieren.

Wie kaum ein Unternehmer vor ihm war Springer zu diesem Zeitpunkt zur Projektionsfläche von Angst und Bewunderung, von Hass und Sympathie, von Agitation und Vereinnahmung geworden. Unversöhnlich standen sich Kritiker wie Fürsprecher gegenüber, die entweder dem Verleger verantwortungsloses unternehmerisches Handeln und öffentliche Meinungsmanipulation vorwarfen oder ihn als vorbildlichen Unternehmer und politischen Freiheitskämpfer feierten. Als sich die erregte Debatte in den 1970er- und 1980er-Jahren schließlich abkühlte, wurde der Verleger mehr und mehr zum Gegenstand legendenhaft-anekdotischer Darstellungen – vor allem in einer Reihe von Biographien, die nach Springers Tod im Jahre 1985 erschienen. Der Fülle an Zitaten, Thesen und Überlieferungen zum verlegerischen Wirken Springers steht bis heute allerdings keine Studie gegenüber, die das unternehmerische Schaffen umfassend untersucht. Dieses bislang ungeschriebene Kapitel der wirtschaftlichen und publizistischen Zeitgeschichte greift das vorliegende Buch mit dem Bestreben auf, das unternehmerische Wirken Springers in seinen wirtschaftlichen, sozialen, politischen und vor allem biographischen Zusammenhängen darzustellen und zu bewerten.

Zentraler Untersuchungsgegenstand ist das unternehmerische Wirken Axel Springers. In diesem Sinne folgt die Forschungsarbeit der Wissenschaftstradition des Wirtschaftshistorikers Toni Pierenkemper und seiner Forderung, »den Unternehmer als Unternehmer endlich ernst zu nehmen und nicht in erster sondern erst in zweiter Linie sein Handeln in anderen gesellschaftlichen Subsystemen« zu untersuchen.4 Auf die gleichzeitig geforderte Anwendung ökonomischer Methoden wird hier allerdings in Ermangelung ganzheitlicher operationalisierbarer Modelle verzichtet. Die Gründe liegen vor allem in der Komplexität des Untersuchungsgegenstandes, der sich einer monodisziplinären Betrachtung sowie reduktionistischer Modellbildung weitgehend entzieht.5 Stattdessen erfolgt ein systematischer Rückgriff auf betriebswirtschaftliche Begriffswelten und Analyseinstrumente.6

Weitere Beschränkungen der Arbeit erwachsen aus der gewählten Untersuchungsperspektive. So werden in sachlicher Hinsicht die unternehmerischen Prozesse und Ergebnisse aus einem strategischen Blickwinkel betrachtet. Einzelne operative Abläufe finden nur dann Erwähnung, wenn sie einen exemplarischen Charakter oder Bedeutung für den Gesamtzusammenhang haben. Hinsichtlich der handelnden Akteure beschränkt sich die Untersuchung weitgehend auf den Verleger, Mitglieder der Verlagsführung, relevante Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, Verwandte und Weggefährten.

Der zeitliche Betrachtungshorizont umfasst Springers aktive unternehmerische Schaffensperiode von den buchverlegerischen Anfängen im Zweiten Weltkrieg bis zum sukzessiven Rückzug aus dem Verlagskonzern zu Beginn der 1970er-Jahre. Bei der notwendigen Berücksichtigung der biographischen, wirtschaftlichen, sozialen und politischen Zusammenhänge vollzieht die Untersuchung eine Gratwanderung zwischen der Würdigung der ökonomischen und der außerökonomischen Rahmenbedingungen. Letzteres gilt vor allem für Springers politische Aktivitäten, die nicht in ihren originären Zusammenhängen, sondern lediglich in ihren Auswirkungen auf das unternehmerische Handeln untersucht werden. Gleichwohl gehört das Spannungsverhältnis von ökonomischen und geistig-politischen Zielen zu den zentralen Bestimmungsfaktoren der Biographie Springers, der somit exemplarisch für den Verleger in seiner Ambivalenzsituation zwischen »Geld und Geist«7 steht. Ebenso bleibt die Darstellung der ökonomischen und publizistischen Rahmenbedingungen auf den unmittelbaren Zusammenhang beschränkt. Entsprechend verzichtet die Untersuchung beispielsweise auf vertiefte Marktanalysen im Zeitungs- und Zeitschriftenbereich. Zudem erfolgen inhalts- und rezeptionsanalytische Betrachtungen nur in geraffter Form und bleiben auf diejenigen Fälle begrenzt, in denen sie als Grundlage für die Analyse von Markterfolgen und Innovationsprozessen dienen.

Neben den konzeptionellen Beschränkungen ist die Breite, Tiefe und Dichte des vorliegenden Buches naturgemäß von den wissenschaftlichen Vorarbeiten und der Quellenlage abhängig. Der Forschungsstand zum Untersuchungskomplex ist von wenigen wissenschaftlichen Gesamtdarstellungen, zahlreicheren Einzelstudien sowie einer Fülle von journalistischen und politischen Beiträgen geprägt. Eine historisch fundierte Veröffentlichung zum unternehmerischen Wirken Springers stand, wie bereits erwähnt, bislang aus.8 Seit dem Ende der 1980er-Jahre sind fünf umfangreiche Biographien publiziert worden, von denen allerdings nur Hans-Peter Schwarz’ Untersuchung wissenschaftlicher Natur ist.9 Schwarz konzentriert sich jedoch auf die zeitgeschichtlich-politische Perspektive und unterzieht Springers unternehmerisches Engagement keiner systematischen Betrachtung. Die bislang einzige Monographie über das Verlagshaus entstammt der Feder von Hans Dieter Müller, der ohne Zugang zu hausinternen Quellen ein wohlinformiertes, jedoch nicht politisch tendenzfreies Portrait über den Verlagskonzern der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre und über dessen Entwicklungsgeschichte zeichnet.10 Zum 50-jährigen Bestehen des Axel-Springer-Verlags erschien 1996 von Claus Jacobi eine hauseigene Festschrift, die sich überblicksartig der Verlagsgeschichte widmet.11

Überaus heterogen ist der Forschungsstand zu einzelnen Zeitungs- und Zeitschriftenobjekten. Monographien liegen lediglich für die Programmzeitschrift Hör zu und die Tageszeitung Die Welt vor.12 Ausführlichere Studien in Gesamtdarstellungen oder zu ausgewählten Einzelaspekten wurden zudem über die Bild-Zeitung, das Hamburger Abendblatt und die Frauenzeitschrift Constanze verfasst.13 Andere Verlagsobjekte haben bislang keine umfassende wissenschaftliche Bearbeitung erfahren. Der überwiegende Großteil der Veröffentlichungen setzt sich mit dem Verleger, dessen Verlagshaus oder einzelnen Objekten in politischer Hinsicht auseinander. Seit Mitte der 1960er-Jahre entstand dazu eine Fülle von oftmals kritischen Schriften, die vor allem die Rolle des Axel-Springer-Verlags unter dem Blickwinkel der Pressekonzentration und der öffentlichen Meinungsbildung beleuchten.14 Die erste wissenschaftliche Analyse der politischen Positionierung Springers nahm in den 1990er-Jahren Gudrun Kruip vor, die das Wertesystem des Verlegers und dessen Verankerung im Verlagshaus untersucht.15 Ein minutiös recherchiertes und detailreich interpretiertes Bild über Springer als politischen Menschen liefert, wie erwähnt, Hans-Peter Schwarz. Die öffentlichen Angriffe auf das Verlagshaus in den 1960er-Jahren untersuchen zwei jüngere Studien von Manuel Seitenbecher sowie Jochen Staadt, Tobias Voigt und Stefan Wolle.16 Wesentliche Aspekte der fernsehpolitischen und -wirtschaftlichen Aktivitäten Springers wurden in fundierter Form von Florian Kain und Bert Rösch aufgearbeitet.17

Die vorliegende Untersuchung basiert auf zwei wesentlichen Quellenbeständen, dem Unternehmensarchiv des Verlagshauses und dem Privatarchiv des Verlegers, die beide mit Blick auf ihre Bestandsbreite, -dichte und -bedeutung zweifelsfrei zu den wichtigsten verlags- und pressehistorischen Quellensammlungen in Deutschland zählen. Das am Berliner Verlagssitz angesiedelte Privatarchiv verwahrt Springers verlegerische, politische und private Korrespondenz sowie seine Redemanuskripte.18 Das Unternehmensarchiv des Verlagshauses umfasst einen außerordentlich breiten und nicht minder heterogenen Bestand an in- und externen Korrespondenzen, Memoranda, Konzeptpapieren, Protokollen, Unterlagen des in- und externen Rechnungswesens, Justitiariatsakten, Grundstücksblättern, Beispiel- und Probenummern einzelner Verlagsobjekte, Marktforschungsberichten, Leserzuschriften, Text- und Presseausschnittssammlungen, Zeitzeugenberichten, Photographien, Tonband- und Filmaufzeichnungen, Werbematerialien, Mitarbeiter- und Kundenzeitschriften, sonstigen branchenbezogenen Periodika sowie wissenschaftlichen und nicht-wissenschaftlichen Veröffentlichungen über den Verleger, das Verlagsunternehmen und einzelne Verlagsobjekte.19 Überdies liegen umfangreiche verlagsbezogene Quellenauszüge aus Drittarchiven, wie dem Berlin Document Center oder dem britischen Public Record Office, vor. Das Privat- und Unternehmensarchiv konnte uneingeschränkt gesichtet und erstmals systematisch auf unternehmerische und betriebliche Fragestellungen ausgewertet werden.20 Andere Archive hatten mit Blick auf die wirtschaftsgeschichtliche Untersuchungsperspektive nur eine begrenzte quellentechnische Relevanz. Eine glückliche Ausnahme bildete der von der Zeit-Stiftung verwahrte Nachlassbestand von Gerd Bucerius, der mit aufschlussreichen Dokumenten zum Erwerb der Welt und des Ullstein-Verlags sowie zu den geschäftlichen Verbindungen und politischen Auseinandersetzungen zwischen Axel Springer, Gerd Bucerius, John Jahr senior und Richard Gruner aufwartete. Von Bedeutung waren zudem die Archivbestände des Hamburgischen Staatsarchivs und der Eduard-Rhein-Stiftung. Darüber hinaus führte der Autor mit fünfzehn ausgewählten Zeitzeugen, vor allem ehemaligen Mitarbeitern und Verwandten des Verlegers, teilweise mehrstündige Interviews.

Mit Rücksicht auf den biographischen Bezug folgt der Gang der Untersuchung grundsätzlich einer chronologischen Struktur. Für eine zielgerichtete Diskussion von wesentlichen Einzelaspekten ist gleichwohl eine thematische Bündelung unumgänglich. Sie orientiert sich vor allem an den Zeitungs- und Zeitschriftenobjekten des Verlagshauses. Eine solch objektgerichtete Gliederung entspringt keiner theoretischen Festlegung, sondern spiegelt die Mentalität des Verlegers wider, der sein Unternehmen zeitlebens entlang verlegerischer Produkte und Produktlinien strukturierte.

Der erste Teil des Buches widmet sich den unternehmerischen Anfängen in den letzten Kriegsjahren sowie dem raschen wirtschaftlichen Aufstieg während der Besatzungszeit und den Anfangsjahren der Bundesrepublik. In einem Prolog werden Kindheit, Jugend und die ersten Berufsjahre skizziert. Nach seinem buchverlegerischen Debüt und dem Ende des Zweiten Weltkriegs begründete Springer in schneller Folge die Nordwestdeutschen Hefte (später Kristall), die Programmzeitschrift Hör zu, die Frauenzeitschrift Constanze, das Hamburger Abendblatt als erste Tageszeitung, das Boulevardblatt Bild und die Sonntagszeitung Bild am Sonntag. 1953 erwarb der Verleger außerdem Die Welt und die Welt am Sonntag. Neben den Kapiteln zu den einzelnen Verlagsobjekten werden die Entstehung und Entwicklung des Verlagsunternehmens, die langjährige Zusammenarbeit mit dem Geschäftspartner Karl Andreas Voss sowie die erbitterten Auseinandersetzungen mit dem mächtigsten Hamburger Konkurrenten, dem Broschek-Verlag, thematisiert. Den Höhepunkt der Aufbaujahre markieren schließlich der Einstieg beim traditionsreichen Ullstein-Verlag und die Planungen für eine eigene Verlagsdependance in Berlin, deren nachfolgende Errichtung allerdings schon ganz im Zeichen der neu entwickelten politischen Programmatik stand.

Nach einer Lebenskrise vollzog Springer 1957 die vielzitierte biographische Wende zum politischen Verleger, der fortan einen wesentlichen Teil seiner Schaffenskraft politischen Zielen, insbesondere der deutschen Wiedervereinigung, widmete. Sein unternehmerisches Wirken ist ab diesem Zeitpunkt von einer wachsenden Ambivalenz wirtschaftlicher und politischer Ziele geprägt. Der zweite Teil des Buches greift eine verlegerische Lebensphase auf, die ökonomisch von einer fortgesetzten Expansion auf den Zeitungsmärkten, aber auch von neuen unternehmerischen Aktivitäten im Fernseh- und Zeitschriftenbereich bestimmt war. Nach der vollständigen Übernahme des Ullstein-Verlags beherrschte Springer nicht nur den West-Berliner Zeitungsmarkt, sondern verlegte bald auch seinen persönlichen Lebensmittelpunkt in die geteilte Stadt. Direkt an der Berliner Mauer entstand ein monumentales Verlagshochhaus. Neben den Abschnitten zu einzelnen Geschäftsfeldern und den Berliner Verlagsaktivitäten geht das Kapitel auf die Unternehmensstrukturen der 1960er-Jahre, die letztlich erfolglosen Bemühungen um internationale Zeitungs- und Zeitschriftenprojekte und die zunehmenden Spannungen zwischen Springer und den Hamburger Verlegerkollegen Gerd Bucerius, John Jahr, Richard Gruner und Rudolf Augstein ein.

Ab Mitte der 1960er-Jahre sah sich Springer einer wachsenden öffentlichen Kritik ausgesetzt, die ihm vor allem die Monopolisierung der gesellschaftlichen Meinung vorwarf und von den Hamburger Wettbewerbern nach Kräften befördert wurde. Der dritte Teil des Buches untersucht das Ausmaß und die Folgen der öffentlichen Angriffe auf Springers unternehmerisches Wirken, das sich Ende der 1960er-Jahre grundlegend veränderte: Unter dem Druck der Öffentlichkeit verkaufte er weite Teile seiner Zeitschriftenobjekte. Gleichzeitig reifte der Entschluss, sich ganz oder teilweise vom Verlagshaus zu trennen. Verschiedene Veräußerungsbemühungen scheiterten, darunter auch die weit gediehenen Verhandlungen mit Reinhard Mohn über eine Fusion mit dem Bertelsmann-Verlag. Zwar hellte sich Springers persönliche Stimmung nach dem Abflauen der öffentlichen Kritik wieder auf, doch betrachtete er sein Lebenswerk als Last und zog sich nachfolgend mehr und mehr aus der operativen Unternehmensführung zurück.

Der vierte Teil geht in kursorischer Form auf das stark reduzierte unternehmerische Wirken Springers in den 1970er- und 1980er-Jahren ein. Zugleich wird die Entwicklung des Verlagshauses skizziert, das unter der Leitung des Alleinvorstands Peter Tamm nicht mehr an die Wachstumsdynamik der 1960er-Jahre anknüpfen konnte. Seit dem Ende der 1970er-Jahre zog sich Springer unter dem Eindruck persönlicher Schicksalsschläge und zunehmender gesundheitlicher Probleme mehr und mehr ins Privatleben zurück, ohne allerdings das politische Engagement aufzugeben. Immer deutlicher wurde nun die ungelöste Nachfolgefrage. Mit Hilfe des zeitweise nach Hamburg zurückgekehrten Christian Kracht gelang es, die Brüder Franz, Frieder und Hubert Burda als verlegerische Nachfolger zu gewinnen. Eine mehrheitliche Übernahme durch den Burda-Verlag scheiterte jedoch an der Kartellbehörde. Wenige Monate vor seinem Tod im September 1985 stimmte Springer schließlich einem Börsengang zu, der seinen Nachkommen nur noch eine Sperrminorität beließ, während die unternehmerische Führung weitgehend den Nachlassverwaltern übertragen wurde.

Die Veröffentlichung schließt mit einer zusammenfassenden Diskussion der wesentlichen Erfolgsfaktoren für Springers unternehmerisches Wirken.