Nordwestdeutsche Hefte: Debüt als Zeitschriftenverleger

Während Springer Ende 1945 in das Buchverlagsgeschäft zurückkehrte, zugleich aber auf einen Einstieg in den Pressebereich hoffte, wurde die Idee für sein erstes Zeitschriftenobjekt, die Nordwestdeutschen Hefte, ohne seine Beteiligung geboren. Geburtsort war das Funkhaus an der Hamburger Rothenbaumchaussee, wenige hundert Meter vom Verlagssitz entfernt, in dem die Briten seit Anfang Mai 1945 erst Radio Hamburg und ab September 1945 den zonalen Nordwestdeutschen Rundfunk (NWDR) betrieben.120 Bereits im Juni 1945 griffen die britischen Rundfunkoffiziere für die Programmgestaltung auf politisch geeignete Deutsche, wie Peter von Zahn121, Axel Eggebrecht122, Ernst Schnabel, Peter Bamm, Walther von Hollander oder Bruno Werner zurück.123 Nachdem die erste Aufbauarbeit geleistet war, wurde aus dem Kreis der deutschen Rundfunkredakteure der Ruf nach einer Programmzeitschrift und nach einer Schriftenreihe für den Abdruck von Sendebeiträgen laut.124 Die Briten erkannten schnell, dass die Vorschläge nicht nur dem Wunsch weiter Hörerkreise entsprachen, sondern auch der Akzeptanz des Rundfunks dienlich sein konnten. Dieser war in den ersten Nachkriegsjahren das »schlechthin dominierende Medium«125 und damit eines der wichtigsten Instrumente der Besatzungsmacht, um Informationen zu verbreiten und im Sinne der britischen Umerziehungspolitik Einfluss auf weite Bevölkerungskreise auszuüben. Entsprechend unterstützten die britischen Informationsoffiziere den Vorschlag, nach dem Vorbild des Listener der British Broadcasting Company (BBC) ausgewählte politische und kulturelle Sendebeiträge nachzudrucken. Allerdings lehnten sie eine Herausgabe durch den NWDR aus presse- und wettbewerbspolitischen Gründen ab und forderten die Hinzuziehung eines lizenzierten Verlegers.126 Auf der Suche nach einem geeigneten Verlagsunternehmer stießen die Verantwortlichen des NWDR rasch auf Axel Springer, der durch den Schriftsteller und NWDR-Mitarbeiter Walther von Hollander über persönliche Kontakte in die Senderredaktion, vor allem zu Eggebrecht und von Zahn, verfügte. Für Springer wiederum barg das Ansinnen des NWDR vielversprechende Aussichten. Die Verknüpfung von Presseerzeugnissen mit dem Rundfunk, dem massenwirksamsten Medium jener Zeit, versprach ein erhebliches Auflagenpotential, das zudem durch Papierzuteilungen der Besatzungsbehörden abgesichert sein würde. Überdies konnte Springer davon ausgehen, dass mit dem Zuschlag für die Herausgabe der offiziellen NWDR-Publikationen auch die Vergabe einer Zeitschriftenlizenz verbunden sein würde. Während die geplante Programmzeitschrift zum Gegenstand monatelanger Verhandlungen wurde, kam es hinsichtlich des Abdrucks ausgewählter Sendebeiträge zu einer schnellen Beauftragung von Springer. Die Briten verzichteten vorerst auf die Voraussetzung einer Zeitschriftenlizenz, obwohl das neue Verlagsobjekt unter dem Namen Nordwestdeutsche Hefte unmissverständlich als Periodikum konzipiert war.

Eine anspruchsvolle politisch-kulturelle Zeitschrift als Türöffner zur Massenpresse

Bereits im März 1946 erschien im Hammerich & Lesser-Verlag die erste Nummer der Nordwestdeutschen Hefte mit einer Auflage von 50.000 Exemplaren und einem Einzelverkaufspreis von einer Reichsmark.127 Als Herausgeber fungierten »im Auftrag des Nordwestdeutschen Rundfunks«128 Eggebrecht und von Zahn, die für die Auswahl der abgedruckten Sendebeiträge verantwortlich waren. Bald veröffentlichten die beiden NWDR-Redakteure auch Artikel ohne Bezug zu aktuellen Sendungen.129 Während die Programmatik grundsätzlich der inhaltlichen Ausrichtung des NWDR mit seinem hohen moralischen Bildungs- und Erziehungsanspruch folgte, lag ein besonderer Schwerpunkt auf der Frage nach Schuld und Verantwortung im Dritten Reich.130 Der bemerkenswerte Pluralismus, der die NWDR-Beiträge zu politischen, sozialen und kulturellen Fragen in den Anfangsjahren prägte, spiegelte sich naturgemäß auch in den Artikeln der Nordwestdeutschen Hefte wider, in denen Autoren aller weltanschaulichen Richtungen praktisch unzensiert vertreten waren, darunter Adolf Grimme, Herbert Blank, Karl-Eduard von Schnitzler, Peter Suhrkamp, Ralf Dahrendorf oder Martin Niemöller.131 Springer nahm dagegen keinen Einfluss auf die Inhalte der Nordwestdeutschen Hefte. Einzig das elegante Format und Layout wurden vom Jungverleger konzipiert. Die redaktionellen Arbeiten tätigte Walther Hansemann, der bereits für die Altonaer Nachrichten geschrieben hatte und nun von seinem langjährigen Freund als Chefredakteur eingesetzt worden war.132 Die beiden Herausgeber blieben dagegen Angestellte des NWDR, erhielten jedoch ab Juni 1946 ein Lizenzhonorar von 1.000 Reichsmark pro Ausgabe.133 Springers verlegerische Verantwortung für die Nordwestdeutschen Hefte lag vor allem jenseits des redaktionellen Bereichs. Die Herstellung hatte der Verleger an eine der wenigen funktionstüchtigen Hamburger Druckereien, die Hanseatische Verlagsanstalt GmbH in Wandsbek vergeben.134 Aufgrund der besonderen Stellung als offizielle NWDR-Publikation war eine ausreichende Papierversorgung der Nordwestdeutschen Hefte sichergestellt.135 »Das Beste an den Nordwestdeutschen Heften ist die Papiermenge«, soll Springer später einmal gesagt haben.136 Gleichwohl kam es in den folgenden Monaten regelmäßig zu Verzögerungen bei den Papierlieferungen, die immer wieder Verhandlungen Springers mit den Briten erforderten.137

Wie fast alle Verlagsprodukte der unmittelbaren Nachkriegszeit fanden auch die Nordwestdeutschen Hefte einen reißenden Absatz, der durch die Bindung an den NWDR in besonderem Maße begünstigt wurde. So griff die Schriftenreihe nicht nur auf die qualitativ hochwertigen Beiträge eines Rundfunksenders zurück, der aufgrund seiner politischen Stellung sämtliche Privilegien der Informationsbeschaffung besaß, Zugang zu den Geistesgrößen jener Zeit hatte und über exzellente Redakteure verfügte. Zusätzlich wurden die Nordwestdeutschen Hefte in den laufenden Rundfunksendungen vor einem Millionenpublikum beworben. Weitere politische Unterstützung kam aus dem britischen Hauptquartier, wo sich der Leiter der Public Relations/Information Services Control (PR/ISC), Generalmajor Alec Bishop, von der ersten Heftnummer derart »begeistert« zeigte, dass er eine »Zusatzausgabe für Berlin« forderte.138 Springer nutzte die Gunst der Stunde und bat mit Rückendeckung des britischen NWDR-Verwaltungschefs, Oberst Ray Heycock, um eine Verdoppelung der Auflage auf 100.000 Exemplare und die entsprechend erhöhte Papierzuteilung, die alsbald genehmigt wurde.139 Gleichzeitig beantragte der Verleger Anfang April 1946 eine Zeitschriftenlizenz für die nunmehr monatlich erscheinenden Nordwestdeutschen Hefte.140 Nach einer persönlichen Vorsprache bei Major Nick Huijsman141, dem obersten Verantwortlichen für die Presselizenzvergabe in der britischen Zone, erhielt er im Juni 1946 die Zulassungen Nr. 67 und 68 für die Nordwestdeutschen Hefte und die Programmzeitschrift Hör zu.142 Springers Besuch im britischen Hauptquartier in Bünde hinterließ einen nachhaltigen persönlichen Eindruck bei Major Huijsman, dem schwer zugänglichen »Zar des Lizenzwesens«.143 Fortan verband die beiden ein freundschaftliches Verhältnis, das nicht ohne nützliche Folgen bleiben sollte.144 Die Begebenheit zeigt exemplarisch, mit welchem Erfolg Springer persönliche Verbindungen zu Verantwortlichen auf unterschiedlichsten Ebenen der britischen Militärbehörden aufbaute. Immer wieder berichteten Zeitzeugen von Springers jugendlichem Charme, der unbefangenen Selbstsicherheit und dem schlagfertigen Wortwitz im Umgang mit den Besatzern.145 Zahlreiche Zeitgenossen wiesen zudem auf das elegant-anglophile Auftreten hin, mit dem Springer die Briten beeindruckt haben soll – wenngleich sein Englisch in jenen Zeiten nachweislich mäßig war. Das Ergebnis der sorgfältig gepflegten Zusammenarbeit waren nicht nur Lizenzen, Bewilligungen und wohlwollende politische Interventionen der Briten, sondern auch eine Reihe von lebenslangen Freundschaften zu ehemaligen Besatzungsoffizieren.146

Abbildung 1: Erstausgabe der Nordwestdeutschen Hefte (1946)

Unterdessen setzte der Verlag Hammerich & Lesser Monat für Monat 100.000 Exemplare der Nordwestdeutschen Hefte per Zuteilungsverfahren in der gesamten britischen Zone ab. In Berlin hatte John Jahr, ohne nach außen sichtbar zu werden, den Vertrieb der NWDR-Publikation übernommen.147 Ende 1946 belief sich der Umsatz der Nordwestdeutschen Hefte auf rund 400.000 Reichsmark. Sie erwirtschafteten damit etwa 45 Prozent der Gesamterlöse des Verlagshauses.148 Gleichzeitig vermeldete Springers erstes Zeitschriftenobjekt ein solides Betriebsergebnis.149 Im Folgejahr legten die Erlöse begleitet von einem Gewinnzuwachs deutlich auf 700.000 Reichsmark zu.150 Angesichts des rasant wachsenden Hör zu-Umsatzes machte der Erlösanteil jedoch nur noch 17 Prozent aus.

Die verlegerische Zusammenarbeit im Hörfunkbereich blieb nicht auf den NWDR beschränkt. Im Sommer 1947 gelang es Springer, eine Kooperation mit der BBC zu begründen, um deren überaus populäre Sendung »Lernt Englisch im Londoner Rundfunk« zum Gegenstand von begleitenden Lehrheften zu machen.151 Die Vereinbarung zwischen dem britischen Rundfunksender und dem Hammerich & Lesser-Verlag zeigte, über welch wirkungsvolle Verbindungen Springer bereits im Jahre 1947 nach Großbritannien verfügte. Die Zusammenarbeit mit der BBC schien auch die zuständigen Presseoffiziere beeindruckt zu haben, die nicht nur auf die Lizenzierung der Monatshefte verzichteten, sondern auch Papierzuteilungen für eine Auflage von 100.000 Exemplaren genehmigten.152 Unter der redaktionellen Leitung des Hör zu-Chefredakteurs Eduard Rhein153 erschien im August 1947 das erste Lehrheft, dessen Nachfrage das Angebot bei Weitem übertraf. Aus unbekannten Gründen wurde das Verlagsobjekt bereits im Frühjahr 1948 wieder eingestellt.

Vom Intellektuellenblatt zur populärwissenschaftlichen Illustrierten

Ungeachtet der erfreulichen Absatz- und Ertragssituation der Nordwestdeutschen Hefte wusste Springer um das begrenzte Marktpotential einer Monatsschrift, die sich mit anspruchsvollen politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Themen an den gebildeten Leser richtete. Allerdings verzichtete er wohl mit Blick auf die stabile Auflage vorerst auf konzeptionelle Eingriffe. Die Umstellung auf Kupfertiefdruck ermöglichte jedoch bereits seit Januar 1947 eine reichhaltigere Bebilderung der inzwischen bei Broschek & Co. hergestellten Nordwestdeutschen Hefte.154 Erst im Januar 1948 begann Springer gezielt, die Hefte sowohl auf ein breiteres Leserspektrum als auch auf die Anzeigenmärkte auszurichten, indem er die Schriftenreihe mit Unterstützung des Zeitschriftenexperten und Hör zu-Chefredakteurs Rhein in eine großformatige Illustrierte mit einem fasslichen Themenprogramm und einem starken visuellen Akzent umwandelte.155 Zur Unterstützung stellte er die beiden ehemaligen Hamburger Fremdenblatt-Redakteure Otto Siemer156 und Rudolf Michael157 ein, die fortan zusammen mit Walther Hansemann die Redaktion der Nordwestdeutschen Hefte bildeten.158 Der spätere Bild-Chefredakteur Michael hatte Anfang 1948 jedoch noch Berufsverbot, nachdem das ehemalige NSDAP-Mitglied »seit 1933 an hervorragender Stelle als politischer Leitartikler im Sinne des Nationalsozialismus tätig«159 gewesen und vom zuständigen Entnazifizierungsausschuss als »journalistisch untragbar« eingestuft worden war.160 Erst als Ende der 1940er-Jahre der politische Wille für eine konsequente Entnazifizierung aus vielfältigen Gründen erlahmte, wurde das Berufsverbot aufgehoben. Die Personalie, die beispielhaft für andere im Verlagshaus steht, wirft ein fahles Licht auf Springers Personalpolitik. Ungeachtet seiner persönlichen Distanz zum Nationalsozialismus und ungeachtet seiner zahlreichen einst vom faschistischen Regime bedrohten Freunde war der Verleger offenbar bereit, pragmatische Gründe über moralische Ansprüche zu stellen. Diese pragmatischen Gründe lagen zweifellos im eklatanten Mangel an erfahrenen Journalisten und in einer persönlichen Verbundenheit, die er zu den Betroffenen aufgebaut hatte. Auch wurde die These aufgeworfen, dass Springer in den ersten zehn Jahren ganz bewusst auf politisch belastete Redakteure zurückgriff, um unter den gegebenen Umständen einen besonders unpolitischen Journalismus zu fördern.161 Für eine solche Personalpolitik liegen aus Sicht des Autors keine Anhaltspunkte vor. Höchst befremdliche Züge nahm jedoch Springers vergangenheitspolitische Indifferenz in den 1960er-Jahren an, als einerseits zahlreiche konservative Redakteure mit höchst fragwürdigen Lebensläufen den Weg ins Verlagshaus fanden und der Verleger andererseits zum kompromisslosen Vorkämpfer gegen Unfreiheit, Totalitarismus und Antisemitismus wurde. Auf diese Weise arbeiteten schließlich Holocaust-Überlebende neben ehemaligen SS-Angehörigen.

Die grundlegend veränderten Konsumgewohnheiten und Wettbewerbsbedingungen nach Einführung der Deutschen Mark zeigten schließlich, dass das Publikationskonzept auch in seiner modifizierten Form nicht tragfähig war. Die verkaufte Auflage der Nordwestdeutschen Hefte brach deutlich ein.162 Im November 1948 ließ Springer die Nordwestdeutschen Hefte unter Wahrung der zugewiesenen Papierkontingente im gänzlich neuen Zeitschriftenformat Kristall aufgehen, das Rhein nach dem Vorbild der Koralle, der populärwissenschaftlichen Zeitschrift des Ullstein-Verlags geschaffen hatte.163 Das Blatt nahm nun endgültig den Charakter einer Illustrierten an, die sich am gehobenen Massengeschmack orientierte. Die redaktionelle Leitung der inzwischen 14-tägig erscheinenden Zeitschrift für »Unterhaltung und Wissenschaft« übernahm kommissarisch Rhein.164 Zugleich waren die Verträge mit dem NWDR offenbar gekündigt worden; von Zahn und Eggebrecht schieden als Herausgeber aus. Gedruckt wurde weiterhin beim Broschek-Verlag, bevor 1951 der Stuttgarter Wilhelm-Herget-Verlag und 1952 schließlich die eigene Tiefdruckerei die Herstellung übernahm.165 1961 wurde die Produktion dem Berliner Druckhaus Tempelhof übertragen. In den folgenden Monaten gelang es dem profilierten Zeitschriftenmacher Rhein, trotz eines schwierigen Marktumfelds, die Verkaufsauflage von Kristall auf über 100.000 Exemplare zu steigern.166 Gleichwohl blieb das Ergebnis des erneuerten Verlagsobjekts negativ.167 Ungeachtet dessen entschied die Verlagsleitung nach längeren Erörterungen im Juli 1949, Kristall aufgrund des »zuverlässigen« Leser-»Kerns« fortzuführen.168 Zu den nachfolgend initiierten »redaktionellen« und »technischen« Maßnahmen zählte die Ablösung des Chefredakteurs Rhein, der augenscheinlich das Interesse an Kristall verloren hatte und sich ausschließlich der Hör zu widmen wollte.

Kristall: Das »ungeliebte Kind«169

Als Nachfolger gewann Springer den erfahrenen Journalisten Ivar Lissner, der vor dem Krieg als Asien-Korrespondent verschiedener deutscher Zeitungen tätig gewesen war.170 Unter seiner Redaktionsleitung nahm Springer an der inhaltlichen Ausrichtung von Kristall einen größeren Anteil als zu Zeiten Rheins, der sich stets, wie später auch bei der Hör zu, gegen Eingriffe des Verlegers verwehrt hatte. Springers verlegerische Führung äußerte sich vor allem in zahllosen schriftlichen Anmerkungen, die in zumeist kritischer Form unterschiedlichste redaktionelle Aspekte und Details aufgriffen.171 Gleichzeitig schien der Verleger wenig Wert auf einen persönlichen Kontakt mit Ivar Lissner gelegt zu haben.172 Erstmals praktizierte er einen Führungsstil, der eine Steuerung der Verlagsobjekte im Sinne seines hohen redaktionellen Anspruchs zuließ, ohne mit den zuständigen Führungskräften unmittelbar in Kontakt zu treten. Ein solches Führungsverhalten war nicht nur der raschen Expansion des Unternehmens und der zunehmenden Reisetätigkeit Springers geschuldet, es entsprach in späteren Jahren auch der persönlichen Attitüde des Verlegers, grundsätzlich nur noch mit wenigen ausgewählten Mitarbeitern zu verkehren.

Grafik 1: Entwicklung der Nordwestdeutschen Hefte und Kristall173

Unter der Ägide von Lissner stieg die durchschnittlich verkaufte Auflage zwar von rund 100.000 auf über 350.000, aber das Ergebnis blieb weiterhin negativ.174 Die Auflage reichte nicht aus, um den hohen redaktionellen und drucktechnischen Aufwand zu tragen, mit dem Kristall, nicht zuletzt auf Wunsch des Verlegers, hergestellt wurde.175 Nach persönlichen Unstimmigkeiten zog Springer im April 1956 die Konsequenzen und entließ Lissner.

Bei der nachfolgenden Neubesetzung der Redaktionsleitung bewies der Verleger wenig Geschick. In rascher Folge wechselten die Chefredakteure; zugleich sank nach einer kurzen Erholungsphase die Auflage von rund 400.000 auf 350.000.176 Begleitet wurde die jahrelange Führungskrise von beständigen Gerüchten über die Einstellung der zusehends verlustträchtigeren Illustrierten.177 Im August 1959 eskalierte die Situation, als die Redaktion gegen Springers Pläne rebellierte, den ehemaligen Pressechef des NS-Außenministers Joachim von Ribbentrop, Paul Schmidt-Carrell, als neuen Chefredakteur einzusetzen.178 Erst die Berufung des früheren Spiegel-Korrespondenten Horst Mahnke179 zum neuen Chefredakteur ließ Kristall im September 1960 wieder in redaktionell ruhigeres Fahrwasser zurückkehren. Gleichzeitig stabilisierte sich die Auflage des Blattes, das inzwischen als »Tugendtante unter den deutschen Illustrierten« belächelt wurde.180 Statt nackter Tatsachen machte die biedere Illustrierte unter Mahnke mit kriegsverherrlichenden Reportagen aus dem Zweiten Weltkrieg von sich reden, die weder dem Ruf des Verlagshauses zuträglich waren, noch die Auflage auf ein tragfähiges Niveau steigerten.181 Kristall blieb ein millionenschweres Zuschussgeschäft. Eine attraktive Zielgruppe gab es längst nicht mehr; der 14-tägliche Erscheinungsrhythmus war den Lesern und Anzeigenkunden nur schwer zu vermitteln.182 In den beiden Folgejahren scheiterten zwei Vorstöße Springers, das verlustträchtige Objekt mit anderen Publikationen zu verschmelzen. So wurden mit dem Ende des paneuropäischen Zeitschriftenprojekts Capitol im Frühjahr 1960 auch die Überlegungen begraben, Kristall in dem geplanten europäischen Magazin aufgehen zu lassen.183 Wenige Monate später wiederholten sich die Ereignisse, als die Wiederbelebung der legendären Berliner Illustrirten Zeitung aufgegeben und die bereits erheblich fortgeschrittene Zusammenlegung der Redaktionen zurückgenommen wurde.184 Nachdem die Anzeigenerlöse 1961 um 1 Million Deutsche Mark eingebrochen waren und sich die Verluste bei Gesamterlösen von 6,4 Millionen auf 3,4 Millionen Deutsche Mark ausgeweitet hatten, verfügte Springer im März 1962 die Einstellung der erfolglosen Illustrierten.185 Wohl im Wesentlichen auf Betreiben des Chefredakteurs Mahnke zog der Verleger seine Entscheidung zum Unmut der kaufmännischen Führungskräfte jedoch wenig später wieder zurück.186 Die Rücknahme des Einstellungsbeschlusses war kein Einzelfall: Wie anderen Verlegern fiel es Springer ungeachtet aller sachlichen Erwägungen schwer, langjährige Verlagsobjekte aufzugeben. Im Verlauf der 1960er-Jahre sollte die Entscheidungsschwäche, die Springer in diesen Fällen, aber auch ganz allgemein in unternehmenspolitisch kritischen Situationen an den Tag legte, weiter zunehmen und seine Führungsstärke in Frage stellen. Auch Kristall blieb trotz der fortgesetzten Auflagenstagnation um 370.000 Exemplare und jährlichen Fehlbeträgen zwischen vier und fünf Millionen Deutschen Mark vorläufig eine Verkörperung der Unentschlossenheit Springers.187 Erst als Kristall Ende 1966 Gesamtverluste von weit über 30 Millionen Deutsche Mark angehäuft hatte, obsiegten die kaufmännischen Argumente und Springer beschloss endgültig die Einstellung seines dereinst ersten Zeitschriftenobjektes.188