Die unterlassene Internationalisierung

Zeit seines Lebens pflegte Springer zu Menschen und Gebieten jenseits der deutschen Grenze ein seltsam ambivalentes Verhältnis. Die Rede war schon von seiner frühen Begeisterung für die gehobene britische Lebensart, mit der er sich zugleich als kultivierter Mann von Welt darzustellen suchte. In der Nachkriegszeit verband sich seine Anglophilie mit einem besonderen Geschick, persönliche Kontakte zu britischen Besatzungsoffizieren aufzubauen. So entstanden zahlreiche persönliche Verbindungen zu britischen Staatsbürgern – vorausgesetzt diese sprachen deutsch, denn Springer griff nur ungern auf seine rudimentären Englischkenntnisse zurück. Mit wachsender öffentlicher Bedeutung verkehrte er bald auch international in höchsten verlegerischen, gesellschaftlichen und politischen Kreisen. So baute Springer in den 1950er-Jahren Kontakte zu den wichtigsten britischen Verlegern auf. Mit dem Beginn der 1960er-Jahre wurden hochrangige politische Verbindungen, insbesondere in die Vereinigten Staaten und nach Israel, geknüpft. Zahlreiche Auslandskontakte blieben jedoch aufgrund der begrenzten Sprachkenntnisse Springers eher oberflächlich und wurden häufig stellvertretend für den Verleger von seinen sprachgewandten Mitarbeitern und Ehefrauen gepflegt.

Ungeachtet seiner ständigen Auslandsreisen und der zahlreichen auswärtigen Wohnsitze, darunter ein 1958 erworbenes Stadthaus in London164, ein 1975 fertiggestelltes Refugium auf Patmos, verschiedene Chalets in der Schweiz, Appartements in Florida und ein Ferienhaus in Norwegen, sowie ungeachtet der hochkarätigen Auslandskontakte und der vielen internationalen Ehrungen, mit denen er später überhäuft wurde, entwickelte Springer nur zu einem Land jenseits der deutschen Grenze ein leidenschaftliches Verhältnis – zu Israel.165 Erst spät, auf einer Reise im Juni 1966, entdeckte er seine Passion für das »Heilige Land«.166 Von wem die Anregung für die Privatexkursion ausging, bleibt aus heutiger Sicht unklar. Genannt werden in diesem Zusammenhang Alt-Bundeskanzler Adenauer, der langjährige Vertraute Erik Blumenfeld, der umtriebige deutsche Israel-Botschafter Asher Ben-Nathan, der ehemalige Hanseatische Pressesprecher und Israel-Freund Erich Lüth oder auch eine junge Dame, mit der Springer zu dieser Zeit eine innige Affäre verband.167 Allerdings konnte der Boden, auf den diese Anregung fiel, fruchtbarer nicht sein: Mit Blick auf Springers ausgeprägte Religiosität war eine Pilgerreise in das »Heilige Land« nur eine Frage der Zeit gewesen. Zudem werden seine Bewunderung für das untergegangene jüdische Leben in Deutschland und sein Interesse an Kontakten zu jüdischen Journalisten und Schriftstellern die Neugier auf das moderne Israel beflügelt haben. Einer von ihnen, der damals bereits entlassene und später rehabilitierte Welt-Redakteur Cramer, begleitete Springer auf seiner Reise und öffnete vor allem dank seiner ausgedehnten Transatlantik-Kontakte zahlreiche Türen in Israel. Auf den Stationen Tel Aviv, Jerusalem, Totes Meer und See Genezareth entwickelte Springer eine Verbundenheit mit Israel, die neben seinem verlegerischen Schaffen und seinem unerschütterlichen Eintreten für die deutsche Wiedervereinigung zu einem dritten Bestimmungsfaktor seines Lebens werden sollte. Der Verleger wurde im Sommer 1966 nicht nur zum Freund, sondern auch zum einflussreichen Fürsprecher und großzügigen Mäzen Israels.168 Bereits ein Jahr später verankerte er das israelische Existenzrecht in den »Vier Essentials« seines Verlagshauses. Bis zu seinem Tod unternahm er rund zwei Dutzend Reisen in das »Heilige Land« und erwarb eine Wohnung in Jerusalem. Ein unternehmerisches Engagement in Israel lehnte der Verleger jedoch ungeachtet zahlreicher Beteiligungsangebote, die er über seine persönlichen Verbindungen in höchste gesellschaftliche und politische Kreise regelmäßig erhielt, zeitlebens ab.

Springers ambivalentes Verhältnis zum Ausland zeigte sich vor allem in unternehmerischer Hinsicht. Bis Ende der 1950er-Jahre beschränkte er seine verlegerische Tätigkeit auf die Bundesrepublik. Zugleich war er in hohem Maße an internationalen Markttrends und Produktinnovationen interessiert, die regelmäßig Eingang in seine Verlagsarbeit fanden. Berühmte Beispiele sind etwa die Etablierung eines deutschen Human-Interest-Stils und die Einführung stark visualisierter Zeitungselemente, die nicht zuletzt Grundlage seines innovativsten Verlagsprodukts, der Bild-Zeitung, wurden. Besonders fasziniert war Springer von den damals führenden britischen, US-amerikanischen und skandinavischen Pressemärkten, die einer permanenten Beobachtung unterzogen wurden. Auch die Führungskräfte des Verlagshauses waren aufgerufen, sich regelmäßig mit ausländischen Presseinnovationen auseinanderzusetzen.169 Beispielhaft sei an dieser Stelle der langjährige technische Generaldirektor Matuschke genannt, der weltweite Kontakte zu führenden Druckereiexperten pflegte und zu den Mitbegründern des internationalen Druckereifachverbandes zählte.170 Kracht wiederum legte den Grundstein für seine beeindruckende Karriere mit einer Studienreise in die Vereinigten Staaten, die wesentlich durch Springer finanziert wurde und darauf abzielte, Verlagsinnovationen zu studieren und neue Papierbezugsquellen aufzutun.171

Eine geringe Bedeutung hatten für Springer dagegen ausländische Pressemärkte als Absatzgebiet und mögliche Beteiligungen an ausländischen Presseunternehmen. Die Zeitungs- und Zeitschriftenobjekte des Verlagshauses wurden nur in niedrigen Stückzahlen für Auslandsdeutsche, Urlaubsreisende und sonstige interessierte Kreise exportiert. Wie die Beispiele des 1949 geschaffenen britischen Vertriebsdes Hamburger Abendblattes oder die 1958 etablierte Welt-Luftpostausgabe zeigten, spielten hierbei vor allem Prestigegedanken eine maßgebliche Rolle.172 Erst im Frühjahr 1959 beteiligte sich Springer an einem internationalen Zeitschriftenprojekt, das er zusammen mit dem Paris Match- und Figaro-Verleger Jean Prouvost, dem italienischen Buch- und Zeitschriftenunternehmer Arnoldo Mondadori sowie britischen Verlagsunternehmern ins Leben gerufen hatte.173 Unter dem Titel Capitol wollte die hochrangige Verlegergruppe mehrsprachige redaktionelle Inhalte mit internationalen Anzeigen verbinden. Für das ambitionierte Kooperationsprojekt gewann Springer den hochtalentierten Revue-Chefredakteur Boenisch. Aufgrund von Differenzen über die Einbindung der britischen Partner scheiterte das Verlagsvorhaben jedoch im Frühjahr 1960.174 Ebenfalls auf höchster Ebene wurde einige Monate später eine Kooperation mit dem New Yorker Time-Verlag zur Herausgabe einer deutschen Ausgabe des Wirtschaftsmagazins Fortune initiiert.175 Über zweieinhalb Jahre zogen sich die Verhandlungen mit der Unternehmensführung des Time-Verlags hin, bis Springer das Kooperationsvorhaben aus unbekannten Gründen im März 1963 beendete.176 Das Scheitern der »deutschen Fortune«177 war nach dem Abbruch des internationalen Zeitschriftenprojekts Capitol und der Revitalisierung der Berliner Illustrirten der dritte verlegerische Fehlschlag innerhalb von vier Jahren. Schon bald sollte sich zeigen, dass auch die österreichische Ausgabe der Hör zu, immerhin das erste realisierte internationale Verlagsvorhaben, die unternehmerischen Erwartungen nicht erfüllen sollte. Ernüchtert erklärte Springer im April 1963, dass er »viel mehr an einer Verbesserung und am möglichen Ausbau der bereits vorhandenen Objekte interessiert« sei »als am Start neuer Dinge«178. So unterblieben in den Folgejahren internationale Expansions- und Kooperationsprojekte. Erst zum Ende des Jahrzehnts sollten Internationalisierungsszenarien wieder in das Blickfeld des Verlegers rücken, als im Rahmen seiner Verkaufsbemühungen auch Verhandlungen mit US-amerikanischen Großunternehmen geführt wurden.

Eine ganz andere Rolle spielten dagegen ausländische Buch- und Pressemärkte als Lieferanten redaktioneller und publizistischer Inhalte. Bereits im Jahre 1946 bemühte sich Springer um britische und US-amerikanische Buchverlagsrechte. Im Sommer 1947 begründete der Verleger eine Kooperation mit der BBC, die ihm die Herausgabe der erfolgreichen Begleithefte zur Sendung »Lernt Englisch im Londoner Rundfunk« ermöglichte.179 Ende 1947 durfte Springer als einer der ersten deutschen Verleger nach London reisen, um Verhandlungen mit britischen Buchverlagen zu führen, die allerdings infolge der wirtschaftlichen Umbrüche der Währungsreform nicht fortgeführt wurden.180 Mit der Herausgabe des Hamburger Abendblatts rückte die redaktionelle Versorgung mit ausländischen Nachrichten in das Blickfeld des Verlegers. Dieser war überzeugt, dass ein zeitnaher und möglichst exklusiver Zugriff auf hochwertige Inhalte einen bedeutenden verlegerischen Wettbewerbsvorteil darstellte. So schuf der Verleger unter Rückgriff auf erhebliche finanzielle Mittel ein umfassendes Netz von Auslandsbüros und Korrespondenten. Zudem rief er im Mai 1954 die Press-Photo-Radio (PPR) mit der Aufgabe ins Leben, »systematisch insbesondere die angelsächsische Presse auf gute und in Deutschland zu verwertende Stoffe hin zu beobachten und auszuschlachten«.181 Als Geschäftsführer und neuen Statthalter des Londoner Verlagsbüros gewann er den ehemaligen britischen Presseoffizier und späteren Freund George Clare182. Unzufrieden mit der Aktualität und Qualität der Auslandsberichterstattung, ließ Springer PPR im Oktober 1959 zu einem vollwertigen Nachrichtendienst, dem Springer-Auslandsdienst (SAD), ausbauen, der von Clare und dem Welt-Redakteur Julius Hollos183 geleitet wurde.184 Ungeachtet eines Redaktionsapparates von zehn Journalisten an fünf Standorten und eines Budgets, das mit 1,3 Millionen Deutsche Mark größer war als der Redaktionsetat der Welt am Sonntag, blieb die verlagsinterne Akzeptanz des SAD gering.185 Die einzelnen Redaktionen bezogen ihre Auslandsnachrichten aus verschiedenen, teilweise rein redaktionspolitischen Gründen weiterhin von den eigenen Korrespondenten sowie den großen Nachrichtendiensten. Mehrmalige Interventionen von Springer, der Julius Hollos und den SAD beständig protegierte, blieben weitgehend ohne Wirkung.186

Weltweite Geschäftsverbindungen bestanden überdies zu Papier- und Druckmaschinenlieferanten. Bereits dargestellt wurde, wie bedeutsam die Kontakte zu ausländischen Papierproduzenten, Zwischenhändlern und involvierten Regierungsstellen für die Gewährleistung einer stabilen und kostengünstigen Papierversorgung waren. Springer war allerdings ab dem Ende der 1950er-Jahre nur noch in Einzelfällen in Beschaffungsprozesse involviert.