Das Verlagshaus in der Defensive

Ungeachtet der eskalierenden Studentenproteste galt Springers Hauptsorge den politischen Konsequenzen der Konzentrationsdebatte, vor allem der Gefahr eines staatlichen Markteingriffes.31 Doch statt das Heft in die Hand zu nehmen und energische Gegenmaßnahmen zu ergreifen, geriet er in den folgenden Monaten zunehmend in die Defensive: Im August 1967 nahm das öffentliche Ansehen des Verlagshauses schweren Schaden, als der Spiegel die vom Fernsehbeauftragten Arning initiierte Spitzeltätigkeit im ZDF aufdeckte.32 Zwei Monate später enthüllte der Spiegel die Bestechung des Kieler Landtagsvizepräsidenten und NDR-Verwaltungsratsmitglieds Arthur Schwinkowski.33 Im September 1967 verließ Springer zudem im Streit die Pressekommission, was den Befürwortern eines Markteingriffs weiteren Auftrieb verlieh.34 Kurz darauf erklärten er und sein Mitgesellschafter Betz die Einstellung der Düsseldorfer Boulevard-Zeitung Der Mittag, nachdem die gemeinsame Verlagsbeteiligung jahrelang Verluste geschrieben hatte.35 Wieder fühlten sich Springers Kritiker in ihrem Verdacht bestätigt, dass der Großverleger die Konzentrationsprozesse auf den Pressemärkten nach Kräften förderte. Darüber hinaus versuchten gewerkschaftliche und sozialdemokratische Gruppen, Springer unter Verweis auf die Verlagsschließung als unsozialen Unternehmer zu brandmarken. Im gleichen Monat entwickelte sich über angeblich DDR-kritische Aussagen des Schriftstellers Arnold Zweig eine bizarre Auseinandersetzung zwischen dem Verlagshaus und Vertretern des deutschen Geisteslebens, darunter Günter Grass, der Springer vorwarf, mit »wahrhaft faschistischen Methoden« »Meinungsterror« zu betreiben.36 In der Folge beschloss ein Großteil der Mitglieder des führenden deutschen Literatenzirkels »Gruppe 47« einen Boykott des Axel-Springer-Verlags und markierte damit den Bruch zwischen dem Verlagshaus und weiten Intellektuellenkreisen.37 Für den bibliophilen Verleger, der im Buchverlagsgeschäft seine ersten unternehmerischen Erfolge gefeiert, in den 1930er- und 1940er-Jahren enge Verbindungen zu Schriftstellerkreisen gepflegt und später den Ullstein-Buchverlag »zu einer Institution des kulturellen Lebens in Berlin« ausgebaut hatte, war ein solcher Boykott ein persönlicher Tiefpunkt. Ende September 1967 veröffentlichte die »Michel-Kommission« ihre Untersuchungsergebnisse; allerdings diagnostizierte das einst von Verlegerkreisen initiierte Bundestagsgremium nicht, wie erhofft, eine Gefahr des öffentlich-rechtlichen Fernsehens für die Tagespresse, sondern setzte sich zu Springers Leidwesen kritisch mit dem Verlegerfernsehen auseinander.38 Sämtliche politischen und gesellschaftlichen Tiefschläge Springers wurden von seinen publizistischen Gegnern genüsslich aufgegriffen und kommentiert. In vielerlei Hinsicht nahm die Berichterstattung kampagnenartige Züge an. So wartete Der Spiegel beinahe wöchentlich mit pikanten, oftmals gut recherchierten Enthüllungen, wenig schmeichelhaften Reportagen und provozierenden Kommentaren über das Verlagshaus auf, in dessen Ahrensburger und Darmstädter Druckereien, so die Ironie der Umstände, das Nachrichtenmagazin gedruckt wurde.39

So war die politische Gemengelage, mit der sich Springer und sein Verlagshaus im Spätsommer 1967 konfrontiert sahen, im hohen Maße beunruhigend. Gleichzeitig fehlte es auf Seiten der Verlagsführung an schlüssigen Antworten, geschweige denn an einem kraftvollen Konzept, um der Krise zu begegnen. Nach einer von Ratlosigkeit geprägten Diskussion des »Redaktionellen Beirats« ordnete Springer im September 1967 lediglich an, die »sachgerechte Information unserer Freunde in wichtigen Gremien« zu intensivieren und mit Gutachten die »rechtlichen Möglichkeiten« auszuloten.40 Fortgesetzt wurde zudem die umfassende Nutzung des eigenen publizistischen Potentials, um das Verlagshaus in geeigneter Form zu präsentieren und die eigenen pressepolitischen Standpunkte zu verbreiten. Weitaus bemerkenswerter war jedoch, dass Springer mit der mehrfachen Empfehlung von Beiratsmitgliedern konfrontiert wurde, sich »aus der Schußlinie zurückzuziehen«.41 Im Falle seiner Mitarbeit im BDZV-Präsidium hatte er bereits beschlossen, »in die zweite Reihe zurückzugehen«. Einen Verzicht von öffentlichkeitswirksamen Auftritten des Verlegers schloss der Teilrückzug allerdings nicht ein. In einer Rede vor dem altehrwürdigen Hamburger Übersee-Club im Oktober 1967 verteidigte Springer das Verlagshaus gegen die im Raum stehenden presse- und wettbewerbspolitischen Vorwürfe.42 Ähnlich wie bei seiner vielbeachteten Rede vor dem Kieler Institut für Weltwirtschaft im Jahr zuvor, versuchte er, die Debatte um die Pressekonzentration zu versachlichen, indem er die ökonomischen Hintergründe für die sich verändernden Marktstrukturen analysierte.43 Nicht etwa der Druck der großen Verlage sei ursächlich für die Konzentrationsprozesse, sondern ein strukturelles Ertragsproblem der kleinen oder mittleren Pressehäuser, deren erheblich gestiegenen laufenden und investiven Kosten nicht mehr durch die Vertriebs- und Anzeigenerlöse gedeckt werden könnten. Wettbewerbsfähige Kostenstrukturen könnten daher oftmals nur über Kooperationen und Zusammenschlüsse realisiert werden, die überdies vorteilhaft für das Erreichen einer kritischen Größe zur Akquisition von überregionalen Anzeigen wären. Die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten würden, so führte Springer weiter aus, die Konzentrationstendenzen durch staatlich subventionierte und auf Monopolgewinnen basierende Konkurrenz befördern. In diesem Zusammenhang ging er jedoch nicht auf den Wettbewerbsdruck ein, den die eigenen in Millionenauflage erscheinenden Verlagsobjekte am Markt erzeugten. Vor dem Hintergrund der öffentlichen Angriffe thematisierte Springer im Übersee-Club zudem die weltanschauliche Ausrichtung seiner Verlagsobjekte, die in der »breiten konservativen Mitte« positioniert seien, ohne einer »zentralen ideologischen Lenkung« zu unterliegen.44 »Einen Super-Chefredakteur gibt es nicht, wird es nicht geben«, hielt Springer seinen Kritikern entgegen, die ihm seit Langem eine autoritäre Steuerung der Redaktionsmeinungen vorwarfen. Auf sein redaktionelles Führungsverhalten, das sich in Wirklichkeit im von personeller Selektion geprägten Grenzbereich zwischen der Gewährung journalistischer Unabhängigkeit und direkten wie indirekten Deutungsvorgaben bewegte, wurde bereits ausführlicher eingegangen. Historische Bedeutung erhielt Springers Rede vor dem Übersee-Club jedoch durch die bereits erwähnte Verkündung der »Vier Grundsätze«, die bis heute Gültigkeit für das Verlagshaus besitzen und ein Novum in der bekenntnisfreien Presse darstellten.45 Die Begründung der Prinzipien gab den Gegnern Springers erneuten Anlass, über die meinungspolitische Gleichschaltung des Verlagshauses zu spekulieren.

Jasmin: Expansionsobjekt und Reizfigur

Trotz der heftigen politischen und publizistischen Attacken gegen das Verlagshaus und ungeachtet der Sorgen vor einem staatlichen Markteingriff ließ Springer die von Kracht betriebene Expansion im Zeitschriftenbereich mit unverminderter Kraft fortsetzen. Seit März 1967 hatten der Generalbevollmächtigte und das Kreativduo Hagen und Prinz im Münchener Kindler & Schiermeyer-Verlag ein neues Zeitschriftenobjekt entwickelt, das unter dem Titel Jasmin mit Lifestyle-Themen und einer aufwendigen Optik sowohl junge Frauen, als auch junge Männer ansprechen sollte.46 Das hoch ambitionierte Projekt, das Kracht mit einem Investitionsbudget von schätzungsweise 10 Millionen Deutsche Mark ausstattete, sollte die ohnehin schon bestehende Marktführerschaft auf den bundesdeutschen Zeitschriftenmärkten deutlich ausbauen. Bald regte sich in den Reihen der Wettbewerber heftiger Widerstand gegen das Projekt, dessen verlegerisches Potential nicht zuletzt aufgrund der allgemeinen Auflagenschwäche in fast irrationaler Weise gefürchtet wurde.47 Geschickt nutzten die Verlagshäuser Burda, Gruner & Jahr und Bauer die öffentliche Kritik an den Konzentrationstendenzen auf den Pressemärkten und propagierten eine Selbstverpflichtung der führenden Verlage, bis Ende 1968 auf die Herausgabe neuer Objekte zu verzichten.48 Wohl nicht zuletzt auf Betreiben von Bucerius empfahl auch die »Günther-Kommission« eine Selbstbeschränkung der Großverlage. Daraufhin erklärten die Verlagshäuser Burda, Gruner & Jahr und Bauer im November 1967, von Neugründungen abzusehen – allerdings nur, wenn auch Springer dem gemeinsamen Ansinnen beiträte. Im Berliner Verlegerbüro stieß das durchsichtige Manöver jedoch auf vehemente Ablehnung.49 Empört schrieb Springer an Wirtschaftsminister Schiller, dass

»dieser Vorschlag einer ganz bestimmten Absicht einiger meiner Konkurrenten entspringt: nämlich mein Haus daran zu hindern, die Zeitschrift Jasmin auf den Markt zu bringen. […] Es kann ja wohl nicht Sinn der Arbeit dieser Kommission sein, einen Naturschutzpark für Großunternehmen der deutschen Presse einzurichten, in dem jeder Verlag sein Reservat hat, in das einzudringen verboten ist.«50

Die freizügige journalistische Aufmachung der Jasmin hatte überdies Kritik aus dem konservativen Lager laut werden lassen, auf dessen Rückendeckung Springer in der öffentlichen Auseinandersetzung dringender denn je angewiesen war.51 Trotz der Kritik aus konservativen Kreisen und ungeachtet der Tatsache, dass das freizügige Magazin für das »Leben zu zweit« auch den verlegerischen Geschmack des Inhabers selbst nicht traf, hielt er unbeirrt an den Münchener Zeitschriftenplänen fest. Seine verlegerische Standfestigkeit dokumentierte auf bemerkenswerte Weise, wie selbst im Jahre 1967 unternehmerische Ziele über weltanschauliche und politische Überlegungen obsiegten.

Während der Verleger Marktabsprachen mit den drei Hauptkonkurrenten eine deutliche Absage erteilte, bot er den Gruner & Jahr-Gesellschaftern Jahr, Gruner und Bucerius die Einbringung von Kindler & Schiermeyer in den Gruner & Jahr-Verlag an, um im Gegenzug einen Minderheitsanteil am Wettbewerber zu übernehmen.52 Die Beweggründe für diese bemerkenswerte Offerte bleiben im Dunkeln. Doch ist anzunehmen, dass Springer neben ökonomischen Motiven auf ein politisches Stillhalteabkommen abzielte. Das Angebot hatte keinen Erfolg, machte aber deutlich, wie gering seine Bindungen gegenüber dem Münchener Zeitschriftenverlag waren.

Die Eskalation der öffentlichen Auseinandersetzung

Nach dem vorläufigen Scheitern der Kooperationsgespräche mit Gruner & Jahr verschärften sich die publizistischen und politischen Kampagnen gegen Springer: Im November 1967 erschien im Stern die »Axel-Springer-Story« mit pikanten Details aus dem Privatleben des Verlegers.53 Der Veröffentlichung waren nicht nur erfolglose Interventionen Krachts und Springers, sondern auch schwere Verstimmungen unter den Gesellschaftern von Gruner & Jahr vorausgegangen, nachdem sich Jahr gegen den Abdruck der geplanten Artikelfassung ausgesprochen und öffentlich auf die Seite seines ehemaligen Geschäftspartners gestellt hatte.54 Nach der Veröffentlichung der »Axel-Springer-Story« übte Springer offenbar Vergeltung, indem er Materialien zu den Verhandlungen über Bucerius’ Stern-Angebot Mitte der 1960er-Jahre lancierte.55 Im Januar 1968 veröffentlichte dann der Spiegel ein subtiles Psychogramm über Springer, gefolgt von Auszügen aus der kritischen Verlagsmonographie von Hans Dieter Müller.56 Im Februar 1968 warfen Unbekannte die Scheiben von Berliner Filialen des Verlagshauses ein und Hunderte von Studenten der Berliner Technischen Universität nahmen am sogenannten »Springer-Hearing« teil.57 Im gleichen Monat deckte der Stern auf, dass Chefjustitiar und FDP-Funktionär Arning einen von ihm wohl nicht ausreichend geprüften Antrag des »Liberalen Studentenbundes« unterzeichnet hatte, der weitreichende Marktanteilsbeschränkungen für Großverlage forderte.58 Nachdem Kracht bereits im Herbst 1967 auf Distanz zu Arning gegangen war und mit Blick auf die konspirativen Maßnahmen des ehemaligen Fernsehbeauftragten sogar die Büroräume des Justitiars hatte durchsuchen lassen, nahm Springer die peinlichen Enthüllungen des Stern zum Anlass, um sich endgültig vom langjährigen Hausjuristen zu trennen.59

Im April 1968 eskalierten schließlich die politischen Ereignisse: Am Gründonnerstag gab ein geistig verwirrter Anstreicher Schüsse auf den SDS-Frontmann Rudi Dutschke ab und verletzte den charismatischen Studentenführer lebensgefährlich.60Nach den monatelangen Verbalattacken der Bild-Zeitung machte die Protestbewegung das Millionenblatt rasch zum Mitschuldigen. Unter der Parole »Bild hat mitgeschossen!« zogen noch am selben Abend Tausende von Demonstranten zum Verlagshaus in der Kochstraße, wo sich einige hundert Gewaltbereite schwere Straßenschlachten mit der Polizei lieferten und Teile des Fuhrparks in Brand setzten. Wie ein Lauffeuer verbreiteten sich die Proteste in allen Großstädten des Bundesgebietes. Überall kam es vor den Verlagsdependancen zu Demonstrationen und gewaltsamen Auseinandersetzungen, denen in München ein Journalist und ein Student zum Opfer fielen. Erst am Ostersonntag kehrte langsam Ruhe ein. Springer, der am Gründonnerstag aus den Vereinigten Staaten nach Hamburg zurückkehrte und nach einer stundenlangen Krisensitzung nicht, wie geplant, nach Berlin, sondern auf Anraten von Kracht in die Schweiz flog, zeigte sich schockiert.61 Derweil oblag es Tamm, die Stellung im Berliner Verlagshaus zu halten. Dem Ansehen des Verlegers war die Reise in die Schweiz, die zwangsläufig wie eine Flucht wirken musste, nicht zuträglich. Tamm kommentierte das führungsschwache Verhalten nicht nur mit drastischen Worten, sondern hegte eine unterschwellige Verachtung für Springer. Freilich galt auch: Kein Ereignis schweißte die Führungskräfte und Mitarbeiter des Verlagshauses mehr zusammen, als die Oster-Unruhen im April 1968. Längst hatten die öffentlichen Angriffe eine identitätsstiftende Wirkung entfaltet, aus der ein Gemeinschaftsgefühl, aber auch eine Bunkermentalität erwuchs. Unter dem Eindruck der äußeren Gefahr kamen sich nicht zuletzt Springer und Voss wieder näher, deren Verhältnis bis zum Tod des Teilhabers im Jahre 1977 von erneuertem Respekt und wieder gewonnener Herzlichkeit geprägt war.62

 

Abbildung 20: Gewalttätige Demonstrationen vor dem Berliner Verlagshaus (Ostern 1968)

Pressekommission und Marktanteilsbegrenzung

Noch völlig paralysiert von den dramatischen Ereignissen der Ostertage, sah sich Springer im Mai 1968 mit dem Abschlussbericht der Pressekommission konfrontiert, der sich für eine deutliche Marktanteilsbegrenzung aussprach und indirekt die Entflechtung seines Verlagshauses forderte.63 Lange hatte es danach ausgesehen, dass möglichen Empfehlungen zu Marktobergrenzen die notwendige Zweidrittelmehrheit der Pressekommission versagt bleiben würde. Innerhalb weniger Wochen hatten sich die Meinungsverhältnisse allerdings umfassend gewandelt. In ihren Empfehlungen an die Bundesregierung sprach sich das Gremium nicht nur für die Subventionierung kleiner Verlage aus, sondern plädierte auch für die steuerliche Umverteilung von Werbeeinnahmen, die Einrichtung von Redaktionsräten in Großverlagen und verbindliche Obergrenzen bei den Marktanteilen. Zu letzterem Punkt hieß es: Die Pressefreiheit sei dann gefährdet, wenn ein Verlagskonzern mehr als 20 Prozent Marktanteil im Bereich der Tages- und Sonntagszeitungen oder im Bereich der Publikumszeitschriften auf sich vereinigen würde. Ab einem Marktanteil von 40 Prozent sei von einer Beeinträchtigung der Pressefreiheit zu sprechen, die eine Entflechtung nach sich ziehen müsse. Bucerius setzte schließlich eine noch schärfere Empfehlung für den Fall durch, dass ein Verleger sowohl im Zeitungs-, als auch im Zeitschriftenbereich eine beherrschende Marktposition einnähme. Dann dürfe der Marktanteil im ersten Pressebereich maximal 40 Prozent und im zweiten höchstens 15 Prozent ausmachen. Springer, der nach weitverbreiteten Berechnungen 39 Prozent des Zeitungs- und 18 Prozent des Zeitschriftenmarktes beherrschte, wäre unter einer solchen Regelung gezwungen gewesen, Teile seiner Hochglanzblätter zu verkaufen.

Der bemerkenswerte Stimmungswandel in der Pressekommission war wohl im Wesentlichen auf drei Entwicklungen zurückzuführen. Erstens hatten die Oster-Unruhen ihre Wirkung auf gewisse Kreise nicht verfehlt und das öffentliche Misstrauen gegenüber Springer und seinem Verlagshaus weiter anwachsen lassen. Zweitens hatte Springer im Vorfeld der entscheidenden Kommissionssitzung ein wenig förderliches Fernsehinterview gegeben, in dem er mit der Behauptung aufwartete: »Ein Pressekonzern kann die Meinungsfreiheit überhaupt nicht gefährden. Es sei denn, er würde alle anderen Meinungsträger stillegen.«64 Zudem unterstrich er seine vehemente Ablehnung, einzelne Titel aus pressepolitischen Gründen zu veräußern. Das Fernsehgespräch war übrigens ein Beispiel für eine ganze Reihe von Interviews, die der Verleger seit Jahresbeginn aus Gründen der Imagepflege gab. Arrangiert wurden die Hintergrundgespräche und Homestories vom »Arbeitsstab Verleger«, der Ende 1967 zur Entlastung Springers und zur Verbesserung der Öffentlichkeitsarbeit begründet worden war. Ein wohl entscheidender Auslöser für die unerwartet strikte Haltung der Pressekommission war jedoch der durchschlagende Erfolg der neuen Lifestyle-Zeitschrift Jasmin, die im März 1968 erstmals vom Kindler & Schiermeyer-Verlag herausgegeben worden war. Weder die politischen Winkelzüge der Wettbewerber, die Bedenken konservativer Kreise, noch die hohen Anlaufkosten hatten das Erscheinen des mit großer Spannung erwarteten Hochglanzmagazins »für das Leben zu Zweit« verhindern können. Die hohen Erwartungen in das jüngste verlegerische Kind von Hagen und Prinz wurden nicht enttäuscht: Die ohnehin respektable Startauflage von annähernd einer Million stieg binnen weniger Ausgaben auf fast anderthalb Millionen – deutlich mehr als der bisherige Marktführer Für Sie.65 Jasmin war ein Paradebeispiel dafür, wie ein großes Verlagshaus mit Millionenbudgets, perfekter verlagswirtschaftlicher Organisation und herausragenden kreativen wie redaktionellen Köpfen ein Erfolgsprodukt am Markt platzieren konnte. Somit war Jasmin zugleich ein Musterbeispiel für die Marktmacht eines Großverlags.

Mit Blick auf die unerfreulichen Kommissionsergebnisse waren die Auflagenerfolge von Jasmin jedoch nur ein schwacher Trost für den Verleger. Durchaus treffend stellte er in einem Brief an den Bundeskanzler fest: »Die Empfehlung der Günther-Kommission gleicht […] einem Maßanzug, zugeschnitten auf einen einzelnen Verleger« und bedeute die »Einmauerung eines einzelnen Verlagsunternehmens«.66 Freilich war eine Marktanteilsbegrenzung ungeachtet der großen öffentlichen Zustimmung politisch kaum durchsetzbar.67 Auch unter den nachfolgenden sozialdemokratischen Regierungen sollte es nicht zu einem gesetzgeberischen Eingriff kommen. Dennoch zeigten Springers Stellungnahmen gegenüber politischen Entscheidungsträgern, wie ernst er und seine Führungskräfte die möglichen politischen Folgen der Kommissionsergebnisse nahmen, und wie stark die politischen Entwicklungen den Verlagsherrn persönlich berührten.68

Bild und Welt unter Druck

Keine Verlagsobjekte Springers litten stärker unter den öffentlichen Auseinandersetzungen als die beiden politischen Sprachrohre Bild und Welt. Die Auflage der Bild-Zeitung brach bis zum Beginn der 1970er-Jahre um mehr als 20 Prozent ein und erreichte 1971 einen Tiefstand von 3,4 Millionen Exemplaren69 Die erheblichen Absatzrückgänge führten Springer und die Verlagsleitung vor allem auf die »politischen Angriffe« und das »Negativ-Image« des Blattes zurück.70 Zudem glaubte der Verleger einen langfristigen medialen Strukturwandel durch die steigende Bedeutung des Fernsehens zu erkennen. Die Umbrüche in der Medienlandschaft verleiteten ihn im Oktober 1968 zu der düsteren Prognose, dass »nach seiner Überzeugung […] nicht den Zeitungen, sondern dem Fernsehen die Zukunft« gehöre und »mit hoher Sicherheit […] die überregionale Tageszeitung zum Sterben verurteilt« sei. Die bemerkenswerten Äußerungen des größten Zeitungsverlegers Europas machten deutlich, von welch resignativen Zügen Springers unternehmerisches Denken Ende der 1960er-Jahre geprägt war. Zwar schlossen sich der Chefredakteur Boenisch und hochrangige Führungskräfte Springers radikaler Einschätzung nicht an, aber auch sie glaubten eine Veränderung des Lesergeschmacks zu erkennen, der durch den allgemeinen gesellschaftlichen Wandel und die Einflüsse des Fernsehens verursacht würde.71 Chefredaktion und Verlagsleitung empfahlen dem Verleger ein umfassendes Programm zur Steigerung der Attraktivität der Bild-Zeitung, darunter eine redaktionelle Neuausrichtung, einen höheren Aktualitätsgrad, eine Umfangserweiterung und einen gesteigerten Farbanteil. Doch vorerst lehnte dieser das 50 Millionen Deutsche Mark teure Maßnahmenpaket ab und ließ die erstaunte Verlagsführung wissen, er könne »sich nur schwer zu langfristigen Investitionen in die Zeitungstechnik entschließen«.72 Erst 1969 überwand er seine resignative Haltung und schöpfte neuen unternehmerischen Mut. Im Juni 1969 gab der Verleger seine Zustimmung zur Schaffung einer Lokalausgabe in München, auf die bislang aus politischen Gründen verzichtet worden war.73 Ungeachtet des Auflageneinbruchs konnte die Bild-Zeitung das Jahr 1968 aufgrund von Kostensenkungsmaßnahmen und infolge eines florierenden Anzeigengeschäfts mit einem deutlichen Ergebniszuwachs auf 48 Millionen Deutsche Mark abschließen.74 Bis 1970 stiegen bei sinkender Verkaufsauflage die Gesamterlöse auf 217 Millionen Deutsche Mark, während die Ergebnisse der Bild-Zeitung eine rückläufige Entwicklung nahmen. Aus Unmut über den anhaltenden Auflagenschwund ersetzte Springer den langjährigen Chefredakteur Boenisch im August 1971 durch den Jasmin-Gründer Prinz.75 Dem talentierten Blattmacher sollte es 1972 gelingen, den Absatzrückgang zu stoppen und die Verkaufsauflage auf über 5 Millionen zu steigern. Springers pessimistische These, dass die »überregionale Tageszeitung« durch das Fernsehen »zum Sterben verurteilt sei«, wurde vorläufig widerlegt.76

Springers publizistisches Flaggschiff Die Welt verlor Ende der 1960er-Jahre unter dem Eindruck der politischen Auseinandersetzungen rund 6 Prozent ihrer Auflage, die 1969 auf unter 225.000 Exemplare sank.77 Der Rückgang fiel zwar niedriger aus als bei der Bild-Zeitung, doch kämpfte die Tageszeitung angesichts millionenschwerer Verluste ums Überleben.78 Im November 1967 beauftragte Springer niemand Geringeren als Kracht mit der konzeptionellen Neuausrichtung der Welt.79 Rasch waren sich der Verleger, der Generalbevollmächtigte, die Verlagsleitung und die Redaktionsspitze über die Positionierung der Welt als »das deutsche Nachrichtenblatt« einig, das stärker als zuvor auf das Informationsbedürfnis der Leser abstellen sollte.80 Zu den Schlüsselmaßnahmen des Konzepts zählten vor allem ein weitgehender Personalaustausch im redaktionellen Bereich und die Erneuerung der Blattgestaltung. Durch einen drastischen Sparkurs gelang es Kracht und der Verlagsleitung 1968, die Defizite abzubauen.81 Die Modernisierung der Welt scheiterte hingegen. Denn schon im Sommer 1968 verlor Kracht seine Zuständigkeit für die Tageszeitung.82 Nach dem Sturz des Majordomus im September 1968 wurde immer wieder kolportiert, dass Kracht eine Liberalisierung des Blattes angestrebt habe und aus diesem Grunde beim Verleger in Ungnade gefallen sei.83 Im Juli 1968 ließ der Verleger eine mögliche Verlagerung des Welt-Redaktionssitzes nach Berlin prüfen.84 Es war der Auftakt einer jahrelangen Standortdebatte, die 1975 letztlich zur Übersiedlung nach Bonn führen sollte.85 Im Oktober 1968 löste Springer den glücklosen Chefredakteur Starke ab und berief Herbert Kremp, den bisherigen Redaktionsleiter der Rheinischen Post und eine dynamische Führungsfigur konservativer Prägung, an die Redaktionsspitze der Welt.86 Die von Kremp angestrebte konzeptionelle Neuausrichtung des Blattes zeigte jedoch nur wenig Wirkung und reihte sich in die lange Reihe der erfolglosen Modernisierungskonzepte der 1970er- und 1980er-Jahre ein. Mit der Gründung der Aktiengesellschaft ging die Welt-Verlagsgesellschaft Mitte 1970 in der Axel Springer AG auf.87 Die in diesem Zusammenhang erhöhten Konzernumlagekosten zeigten deutlicher als zuvor die mangelnde Ertragskraft der Welt, die über die folgenden Jahrzehnte hinweg ungebrochen hohe Verluste schreiben sollte.