Constanze: Eine gemeinsame Frauenzeitschrift mit John Jahr

Nach dem Erscheinen der Programmzeitschrift Hör zu griff Springer Anfang 1947 die bislang ergebnislosen Bemühungen auf, eine auf Kindererziehung spezialisierte Frauenzeitschrift herauszugeben, die er unter Mitwirkung von Jahr bereits Ende 1945 konzipiert hatte.312 Weshalb Springer dem Zeitschriftenvorhaben zu diesem Zeitpunkt wieder seine Aufmerksamkeit widmete, bleibt aus heutiger Sicht unklar. Allerdings hatten sich Springer und Jahr im Februar 1947 vom ursprünglichen Konzept eines Erziehungsratgebers gelöst und stellten nunmehr die Elemente einer konventionellen Frauenzeitschrift in den Mittelpunkt.313 Die grundlegende Akzentverschiebung zielte mit Sicherheit auf die Erschließung eines breiteren Leserspektrums, das Jahr als ehemaligem Verleger einer Frauenzeitschrift bestens vertraut war. Das verlegerische Potential war 1947 unverkennbar groß. Im letzten Friedensjahr verkauften sich Mode- und Frauenzeitschriften in millionenfacher Auflage.314 1947 belief sich die deutschlandweite Verkaufsauflage dieser Gattung infolge der lizenzrechtlichen Restriktionen auf lediglich eine Million Exemplare. In der britischen Besatzungszone erschienen bislang überhaupt keine Verlagsobjekte, die speziell auf Frauen zugeschnitten waren. Mithin war es ein glücklicher Umstand, dass die verantwortlichen britischen Presseoffiziere im Februar 1947 Springers Argumentation für die »Notwendigkeit«315 einer Frauenzeitschrift folgten und Interesse am Konzept der beiden Verleger signalisierten.316 Wenig später beantragten Springer und Jahr die Zulassung einer »Zeitschrift für die Frau und das Kind« unter dem Titel Constanze, die in einem geplanten Gemeinschaftsunternehmen erscheinen sollte.

Bemerkenswert war, dass Jahr Anfang 1947 als Antragssteller auftrat, nachdem der Altverleger anderthalb Jahre zuvor noch als politisch belastet und verlegerisch untragbar gegolten hatte. Seither hatte Jahr jedoch große Anstrengungen unternommen, um eine politische Entlastung zu erreichen. Von langjährigen Weggefährten holte er zahlreiche politische Leumundszeugnisse ein, die nicht nur seine innere Distanz zum NS-Regime, sondern auch seine Teilnahme an Widerstandsmaßnahmen und die Unterstützung von Verfolgten nachweisen sollten.317 Mit Entlastungserklärungen glaubwürdiger Fürsprecher gelang es Jahr schließlich 1947, die britischen Verantwortlichen von seiner politischen Integrität zu überzeugen.318 Sicherlich nicht von Nachteil war, dass der für die politische Begutachtung zuständige und für seine Unerbittlichkeit bekannte Presseoffizier Major Kaye Sely ein freundschaftliches Verhältnis zu Springer pflegte.319 Während das Zeitschriftenprojekt Jahrs Rückkehr in den Verlegerberuf ermöglichte, stellte es auch für Springer eine persönliche Zäsur dar: Erstmals begründete er ohne die Beteiligung seines Vaters ein Verlagsobjekt.320 In seiner Rolle als Verleger und Unternehmer hatte sich Springer damit endgültig von seiner Familie gelöst.

Im Oktober 1947 erhielten Springer und Jahr die Zulassung Nr. 150 für die Herausgabe einer Zeitschrift, die »ausschließlich den Interessen-Sphären der Frauen«, ihren »häuslichen Fragen und geistigen Problemen« gewidmet sein sollte.321 Wenngleich die Hintergründe der Lizenzvergabe nicht überliefert sind, schien Springer einen maßgeblichen Anteil am erfolgreichen Verlauf des Zulassungsverfahrens gehabt zu haben.322 Durchaus denkwürdig ist die Tatsache, dass er mit der Lizenz für Constanze die dritte britische Zeitschriftenzulassung innerhalb von sechzehn Monaten erhielt. Keine Zustimmung fand jedoch sein Ansinnen, seine Zulassung als Buchverleger auf das geplante Gemeinschaftsunternehmen zu übertragen, um gemeinsam mit Jahr »einschlägige Bücher und Broschüren, die das Interessengebiet der Frau berühren«, sowie Schul- und Jugendbücher herauszugeben.323 Eine Wiederaufnahme der einst gemeinsam betriebenen Buchverlagsaktivitäten gelang mithin nicht. Für die lizenzierte Frauenzeitschrift gründeten Springer und Jahr im Dezember 1947 die Constanze Verlag GmbH324 mit einem zu gleichen Teilen aufgebrachten Stammkapital von 50.000 Reichsmark.325 Bald wurde jedoch deutlich, dass die gesellschaftsrechtliche Parität keineswegs die Relation des persönlichen Engagements der beiden als Geschäftsführer eingetragenen Verleger widerspiegelte. So lag die konzeptionelle Ausarbeitung der Frauenzeitschrift maßgeblich in den Händen von Jahr und dem im November 1947 eingesetzten Chefredakteur Hans Huffzky, der von 1939 bis 1943 Jahrs Frauenillustrierte Die Junge Dame geleitet hatte.326 Huffzky übernahm grundlegende redaktionelle Elemente des Vorgängerblattes und passte sie mit einem feinen Gespür an die jeweils vorherrschenden Leserbedürfnisse an.327 Mit einer breit angelegten Mischung aus Unterhaltungs- und Serviceinhalten, mit einem »leidenschaftlichen optimistischen«, aber unpolitischen Leitbild und mit einem persönlich ansprechenden, spritzig plaudernden Schreibstil schuf Huffzky letztlich den »Prototyp«328 aller deutschen Frauenillustrierten der Nachkriegszeit.329

Nach dem Erscheinen von Constanze setzte sich die ungleiche Arbeitsteilung zwischen den beiden geschäftsführenden Gesellschaftern fort: Während Jahr weitestgehend im Alleingang den inhaltlichen Kurs bestimmte, die tagtägliche Redaktionsarbeit koordinierte und den kaufmännischen Bereich verantwortete, beschränkte sich die Mitwirkung seines Geschäftspartners auf vereinzelte redaktionelle Anmerkungen und verlegerische Ratschläge.330 In der Anfangsphase stellte Springer zudem verlagskaufmännische Funktionen des Hammerich & Lesser-Verlags und Räumlichkeiten am Harvestehuder Weg zur Verfügung.331 Die passive Rolle, die der sonst von unbändigem Schaffensdrang erfüllte Verleger im Gemeinschaftsunternehmen mit Jahr spielte, scheint auf den ersten Blick ungewöhnlich, wenngleich es an Erklärungsmustern nicht fehlt. Erstens stand das redaktionelle Konzept von Constanze im Einklang mit Springers langjährigen verlegerischen Grundsätzen, die auf dem Anspruch basierten, mit einem zielgruppengenauen, emotional fesselnden und Optimismus verbreitenden Journalismus massenwirksame Verlagsprodukte zu schaffen. Die Massenwirksamkeit des Constanze-Konzeptes wurde wenig später eindrucksvoll bestätigt. Zweitens entsprach es Springers Führungsgrundsätzen, bei einer zufriedenstellenden wirtschaftlichen Entwicklung umfassende Gestaltungsspielräume zu gewähren. Dies geschah nicht nur aus rationalen, sondern auch aus emotionalen Gründen, wozu maßgeblich das Harmoniestreben Springers zählte, das insbesondere im Verhältnis zu Freunden wie Jahr zum Ausdruck kam. Der dritte und wichtigste Grund für Springers eingeschränktes Engagement war in den entscheidenden ersten Monaten der Jahre 1947 und 1948 das Hamburger Abendblatt, das für ihn oberste Priorität besaß und seine ganze Schaffenskraft band.332 In späteren Jahren absorbierten schließlich andere Zeitungsobjekte die Aufmerksamkeit Springers, der sich zeitlebens als Zeitungsverleger verstand und nur wenig Interesse am Zeitschriftengenre hatte.

Nach mutmaßlich papierbedingten Verzögerungen erschien im März 1948 mit einer Auflage von 65.000 Exemplaren die erste Ausgabe von Constanze.333 Das 14-tägig erscheinende Heft, das von der Essener Girardet & Co. KG gedruckt wurde, umfasste 24 einfarbige Seiten, kostete eine Reichsmark und enthielt bereits erste Anzeigen. Nach der Freigabe der Papierbewirtschaftung entwickelte sich das nach der Währungsreform für eine Deutsche Mark, später für sechzig Pfennige verkaufte Blatt rasch zur auflagenstärksten Frauenzeitschrift der Bundesrepublik und erreichte Ende 1948 eine Auflage von rund 300.000.334 Bis Mitte der 1950er-Jahre stieg sie unvermindert an, bevor sie bei über 550.000 einbrach und sich erst 1958 wieder erholte.335 1960 wurden rund 580.000 Exemplare verkauft. Unterdessen erschien Constanze, die ab 1952 bei der Broschek & Co. KG und ab 1957 bei der Gruner & Sohn KG hergestellt wurde, als erste deutsche Zeitschrift regelmäßig im Vierfarbdruck.336 Im August 1957 gab Huffzky nach einem persönlichen Zerwürfnis mit Jahr die Leitung der mittlerweile in der innenstädtischen Burchardstraße residierenden Redaktion an seinen Stellvertreter Helmut Grömmer ab, der die Zeitschrift ohne konzeptionelle Änderungen fortführte.337 In Ermangelung von überlieferten Jahresabschlüssen und Betriebsabrechnungen lassen sich über die Ertragskraft nur Vermutungen anstellen. 1951 arbeitete Constanze »praktisch ohne Gewinn«.338 Allerdings erwirtschafteten die seit 1950 halbjährlich, später monatlich herausgegebenen Constanze-Modehefte Erträge von mehr als 100.000 Deutsche Mark pro Ausgabe, so dass der Constanze-Verlag trotz der hohen Verluste des 1950 begründeten Schwesterblatts Die Junge Dame immer noch einen »erheblichen Gewinn« abwarf.339 Angesichts der Auflagen- und Kostenentwicklung dürfte sich die Profitabilität im Laufe der 1950er-Jahre nicht verbessert haben. Somit beruhte die überschaubare Ertragskraft des Constanze-Verlags im Wesentlichen auf den Modeheften.

Tabelle 1: Wirtschaftliche Entwicklung des Constanze-Verlags

Das Scheitern der Frauenillustrierten Die Junge Dame

Bereits Ende der 1940er-Jahre hatte Jahr die erfolgreiche Auflagenentwicklung von Constanze zum Anlass genommen, in mutmaßlicher Zusammenarbeit mit Huffzky eine weitere Frauenzeitschrift zu entwickeln, die auf eine jüngere Zielgruppe als Constanze ausgerichtet war und das alte Titelrecht der 1943 eingestellten Frauenillustrierten Die Junge Dame nutzen sollte.340 Springer stand dem neuen Projekt jedoch ablehnend gegenüber, da er einerseits mit Blick auf die eigenen Investitionen in den Verlags- und Druckereiaufbau weitere finanzielle Belastungen scheute und andererseits einen Auflagenrückgang für Constanze befürchtete. Dennoch gelang es Jahr im Mai 1950, seinen Geschäftspartner umzustimmen.341 Der Preis für Springers Einverständnis war freilich hoch. Für die Anlaufinvestitionen musste Jahr dem Constanze-Verlag ein Darlehen gewähren, mit dem mögliche Verluste des neuen Blattes zu verrechnen wären. Die Junge Dame verpflichtete sich wiederum, finanzielle Ausfälle von Constanze zu übernehmen, falls sich die neue Frauenzeitschrift auf Kosten der alten entwickeln sollte. Zudem vereinbarten beide Geschäftspartner, dass die Objekte des Constanze-Verlags künftig in der geplanten Tiefdruckerei Springers herzustellen seien, was aus politischen Gründen allerdings nicht realisiert wurde. Als Finanzierungsbeitrag hatte das Gemeinschaftsunternehmen ein Darlehen über 400.000 Deutsche Mark an den Hammerich & Lesser-Verlag zu erbringen.342 Im November 1950 erschien die erste, für 40 Pfennige vertriebene Ausgabe des neuen Verlagsobjekts Die Junge Dame mit einer Auflage von 150.000 Exemplaren. Unter der Chefredaktion von Helmut Grömmer, dem ehemaligen Stellvertreter von Huffzky, lehnte sich das Blatt thematisch und graphisch an Constanze an, war jedoch auf die Zielgruppe der unter 30-jährigen Leserinnen zugeschnitten.343 Rasch wurde in den folgenden Monaten deutlich, dass die 14-tägig erscheinende Junge Dame in der Auflagenentwicklung nicht an das Mutterblatt anknüpfen konnte: Auf einem hart umkämpften Markt stagnierte die Auflage bei 100.000 Exemplaren.344 Nachdem die Verluste im August 1951 fast 100.000 Deutsche Mark erreicht hatten, empfahl Jahr die Einstellung des Blattes und bat seinen Mitgesellschafter um eine abschließende Entscheidung.345 Springer folgte dem Votum Jahrs und beschloss, das ungeliebte Verlagsobjekt im Folgemonat einzustellen.346 Der Einstellungsbeschluss und die Diskussionen um das Erscheinen der Jungen Dame blieben die einzigen Vorgänge, bei denen von einer verlegerischen Mitwirkung Springers an diesem erfolglosen Zeitschriftenobjekt gesprochen werden kann.

Spiegel, Zeit und Stern: Axel Springer lehnt ab

Nach den Erfolgen mit Hör zu, Kristall und Constanze zählte Springer zu Beginn der 1950er-Jahre zu den führenden Zeitschriftenverlegern der Bundesrepublik. Regelmäßig gingen verlegerische Beteiligungsangebote ein, die er jedoch ausnahmslos ablehnte. Dies galt auch für das Nachrichtenmagazin Der Spiegel347, dessen Verleger Rudolf Augstein348 Anfang 1950 nicht nur einen kapitalkräftigen Teilhaber suchte, sondern sich auch seiner ungeliebten Mitgesellschafter Gerhard Barsch und Roman Stempka entledigen wollte.349 Die Einzelheiten der denkwürdigen Beteiligungsofferte bleiben ebenso im Dunkeln wie die Gründe der ablehnenden Haltung Springers.350 Mangelndes Interesse am Zeitschriftengeschäft, unsichere wirtschaftliche Aussichten oder persönliche Bedenken gegenüber Augstein könnten eine Rolle gespielt haben. Im August 1950 übernahm schließlich Jahr für rund 60.000 Deutsche Mark ein Drittel der Anteile der Spiegel-Verlag GmbH von Gerhard Barsch.351 Die Transaktion wurde teilweise über den Constanze-Verlag abgewickelt. In diesem Zusammenhang bot Jahr seinem Geschäftspartner an, »dieses Objekt später in unseren gemeinsamen Hafen zu führen. […] Auch Augstein würde das sicher begrüßen.« Fünfzehn Jahre später sollte der Spiegel-Verleger zum schärfsten Widersacher Springers werden und Der Spiegel zu seinem schwersten Geschütz.

Anfang 1951 bot der Zeit-Verleger Gerd Bucerius Springer eine Minderheitsbeteiligung an seiner Wochenzeitung an.352 Dieser lehnte mit der Begründung ab, »daß wir bei Partnerschaften wirklich Wertvolles nur dann einbringen, wenn unsere eigene verlegerische Initiative dabei voll zur Auswirkung kommen kann. Das würde bei einer Minderbeteiligung nicht der Fall sein können«. Dies sollte zum akquisitionspolitischen Credo des Verlegers werden, von dem er in den folgenden Jahrzehnten nur selten abwich.

Derweil war es Jahrs Bestreben, zusammen mit Springer das im Henri-Nannen-Verlag erscheinende Wochenmagazin Stern zu übernehmen.353 Bucerius, dessen chronisch kapitalschwacher Zeit-Verlag354 zu Beginn der 1950er-Jahre 87,5 Prozent am Henri-Nannen-Verlag hielt, schien zum Verkauf bereit gewesen zu sein.355 Weshalb die Transaktion schließlich scheiterte, bleibt unklar. Springer und Bucerius hatten zu diesem Zeitpunkt weitaus denkwürdigere Pläne: die Zusammenführung der Wochenzeitung Die Zeit mit der Tageszeitung Die Welt, die Springer mit Unterstützung seines damaligen Freundes kurz zuvor übernommen hatte.356

Abgrenzung der verlegerischen Interessengebiete

Die Anfänge der Jungen Dame hatten unter den Gesellschaftern Jahr und Springer erstmals die divergenten Vorstellungen über die weitere Entwicklung des Constanze-Verlags offenkundig werden lassen. Während Jahr auf dem Markt für Frauenzeitschriften nach weiterer Expansion strebte, lag Springers verlegerisches Interesse in ganz anderen Bereichen. Die unausgewogene Rollenverteilung zwischen Springer und Jahr und die abweichenden strategischen Vorstellungen stießen zunehmend auf Unmut bei Jahr, der im Oktober 1954 in einem Schreiben an Springer feststellte,

»daß unsere Partnerschaft, wie sie sich entwickelt hat, für mich leider nur nachteilig gewesen ist. Mit Dir als aktivem Partner und aktivem Geschäftsführer wäre unsere Verlagsgesellschaft natürlich viel weiter in ihrer Entwicklung. Ohne Dich als Partner wäre ich allein auch weiter, weil ich mit Sicherheit neue Objekte entwickelt hätte. Der bestehende Zustand, bei dem Initiative und Ausführung für unsere gemeinsame Gesellschaft ausschließlich bei mir lag, während Du Deine volle Arbeitskraft Deinen Dir allein gehörenden Verlagsobjekten widmetest, war nicht beabsichtigt und ist auf Dauer nicht haltbar«.357

Einziger Verdienst Springers sei es gewesen, so räumte Jahr in einem späteren Brief ein, dass dieser »zu einem wesentlichen Teil die Lizenzierung der Constanze ermöglicht« hatte.358 Als Konsequenz forderte Jahr eine Veränderung der Beteiligungsverhältnisse, über die im Herbst 1953 Verhandlungen aufgenommen wurden.359 Springers Reaktionen und Absichten bleiben aus heutiger Sicht ebenso im Dunkeln, wie die Gründe für den schleppenden Verlauf der Verhandlungen. Es dauerte ein knappes Jahr, bis die Geschäftspartner im August 1954 vereinbarten, 25 Prozent von Springers Anteilen für einen Kaufpreis von 830.000 Deutsche Mark auf den Constanze-Verlag übergehen zu lassen.360 Offenbar war Springer nicht bereit, mehr als die Hälfte seiner Beteiligung abzugeben. Ungeachtet der Übereinkunft zögerte er jedoch, die Transaktion zu einem Abschluss zu bringen. Erst als er im Oktober 1954 über die Einstellung des Hamburger Fremdenblatts verhandelte und das Einverständnis Jahrs benötigte, die Druckaufträge der Constanze beim Broschek-Verlag zu belassen, war er gezwungen, die Kaufverträge zu unterzeichnen.361 Mit Wirkung zum Januar 1955 gingen 25 Prozent der Anteile der Constanze Verlag GmbH zum vereinbarten, in mehreren Raten zahlbaren, Kaufpreis auf die Gesellschaft über.362 Allerdings löste die Transaktion nicht das Missverhältnis zwischen Springers passiver Rolle im Constanze-Verlag und seiner verbliebenen Beteiligung in Höhe von 25 Prozent. So war es nur eine Frage der Zeit, bis Jahr die Überlassung der verbliebenen Verlagsanteile forderte. Ende 1958 begannen zwischen den beiden Verlegern schließlich erneut Verhandlungen.363

Unterdessen hatte sich Springers Beteiligung am Berliner Ullstein-Verlag zu einem weiteren Konfliktfeld entwickelt: Bis zum Sommer 1956 hatten er und Jahr einen gemeinsamen Einstieg im Ullstein-Verlag geplant, bevor es zu Meinungsverschiedenheiten über den Kaufpreis kam und Jahr sich zurückzog.364 Als Minderheitsaktionär der Ullstein AG365 nutzte Springer seinen Einfluss, um im April 1957 die defizitäre Frauenzeitschrift Brigitte in den Constanze-Verlag zu übernehmen.366 Unter Jahrs Obhut entwickelte sich Brigitte in den 1960er-Jahren zur erfolgreichsten deutschen Frauenzeitschrift. Ungeachtet seines Rückzugs aus den gemeinsamen Ullstein-Verhandlungen 1956 gab Jahr seine Ambitionen in Berlin nicht auf. Nachdem Ende 1958 erkennbar wurde, dass Springer seinen Anteil an der Ullstein AG deutlich ausweiten würde, berief sich Jahr auf eine angebliche Zusage seines Geschäftspartners, ihm alle nach 1956 erworbenen Ullstein-Aktien anzudienen.367 Springer lehnte Jahrs Anspruch vehement ab, nicht zuletzt, weil Jahr den Anteilserwerb zusammen mit Springers »Erzfeind« Augstein vornehmen wollte.368

Während eine Veräußerung der Ullstein-Aktien nicht zur Disposition stand, erklärte sich Springer im März 1960 überraschend bereit, die restlichen Constanze-Anteile abzugeben.369 Hintergrund für die Kehrtwende war offenbar Jahrs Unterstützung im Kampf gegen Augsteins geplante Wochenzeitung Deutsche Allgemeine Zeitung. Als Mitgesellschafter des Spiegel-Verlags sprach sich Jahr gegen das von Springer gefürchtete Zeitungsvorhaben aus und bezeichnete es als »kaufmännisch völlig aussichtsloses Unternehmen«.370 Wenige Tage später unterzeichnen Springer und Jahr nicht nur einen Kaufvertrag über die restlichen Constanze-Anteile, sondern auch eine bemerkenswerte Vereinbarung zur Abgrenzung der verlegerischen »Interessengebiete«.371 Sie sah vor, dass Jahr fortan auf eine Betätigung im Bereich der Tages- und Wochenzeitungen, der Rundfunk- und Fernsehzeitschriften sowie der Illustrierten und kaufmännischen Zeitschriften verzichtete, während Springer die Herausgabe von Frauen- und Kinderzeitschriften, frauen- und haushaltsbezogenen Sonderheften sowie politischen Magazinen unterließ. Die vertragliche Übereinkunft erstreckte sich auf alle Verlagsgesellschaften Springers und auf den Spiegel- und Constanze-Verlag als Beteiligungsfelder von Jahr. Gleichzeitig gab Jahr seine angeblichen Ansprüche auf Springers Ullstein-Anteile auf. Zudem ließ sich Springer eine Option auf die Druckaufträge des Constanze-Verlags einräumen. Für die verbliebenen Anteile von 25 Prozent entrichtete Jahr einen Kaufpreis von einer Million Deutsche Mark.372

Die Vertragswerke waren der Schlussstrich einer fast zwanzig Jahre währenden unternehmerischen Zusammenarbeit. Das freundschaftliche Verhältnis, das so eigentümlich von enger privater Verbundenheit und verlegerischer Konkurrenz, von persönlicher Hochachtung und Phasen der Enttäuschung, von einem langjährig gewachsenen Grundvertrauen und immer wieder aufbrechendem Argwohn geprägt war, dieses ambivalente freundschaftliche Verhältnis nahm auch im März 1960 keinen Schaden. Ebenso blieb das persönliche Verhältnis intakt, als die Gründung von Gruner & Jahr im Juli 1965 und Springers anschließende Zeitschriftenexpansion die vereinbarte Interessenabgrenzung in Frage stellten.373 Vor diesem Hintergrund wuchs Jahr in den 1960er-Jahren die bedeutsame Rolle des Mittlers zwischen den beiden publizistischen Kraftzentren der Bundesrepublik, dem Verlegerduo Augstein und Bucerius einerseits sowie Springer andererseits, zu.