Der Sturm zieht auf: Öffentliche Kritik an Pressemonopol und Meinungsmacht

Bereits in der ersten Hälfte der 1960er-Jahre waren die Konzentrationsprozesse im Zeitungswesen ein vieldiskutiertes Thema. Allenthalben wurde die abnehmende Zahl von Zeitungstiteln und Zeitungsverlagen mit Sorge betrachtet.3 Dennoch gab es nur vereinzelte Stimmen, die Springers herausragende Wettbewerbsposition, insbesondere seine Dominanz auf den Zeitungsmärkten in Hamburg und Berlin, aufgriffen oder gar kritisierten.4 Unter den wenigen Kritikern ragte der Zeit- und Stern-Verleger Bucerius aufgrund seines ebenso großen publizistischen wie politischen Einflusses heraus. In den 1960er-Jahre sollte der einstige Freund zu einem erbitterten Gegner werden und mit missionarischem Eifer die verlegerische und politische Vormachtstellung des Altonaer Landsmannes bekämpfen. Erstmals erhob Bucerius im Januar 1960 seine Stimme gegen die wirtschaftliche und publizistische Überlegenheit des Verlagshauses, als er Springer in freundschaftlichen, aber deutlichen Worten seine Bedenken gegen die geplante Berliner Illustrirte erläuterte:5 »Sie beherrschen schon jetzt den deutschen Vertriebsapparat; Sie bestimmen die Papierpreise; Sie haben die größten Druckereien Europas«6, um anschließend aus der skizzierten Wettbewerbsposition eine besondere Verantwortung abzuleiten: »Ich meine […], daß ein Konzern, der so groß geworden ist, seinem Wettbewerb Rücksicht schuldet. […] Wer alles machen kann, darf nicht mehr alles machen.« Nur zu gut wusste Bucerius, dass seine Forderung dem Selbstverständnis Springers prinzipiell entsprach. Nach der erfolgreichen Etablierung seiner überregionalen Blätter und dem mit Argwohn betrachteten Niedergang der Konkurrenzobjekte am Hamburger Zeitungsmarkt hatte sich Springer in den 1950er-Jahren die Selbstbeschränkung auferlegt, über Hamburg und Berlin hinaus keine weiteren regionalen Märkte zu besetzen.7 Folgenreich war ein solcher Anspruch vor allem für Bild, Bild am Sonntag, Welt und Welt am Sonntag, denen bis Ende der 1960er-Jahre die vertriebs- und anzeigenwirtschaftlich höchst lukrative Verbreitung von fokussierten Regionalausgaben, unter anderem für einzelne Städte, verwehrt blieb. Zudem unterstützte Springer seit Mitte der 1950er-Jahre einzelne existenzbedrohte Zeitungen in Hamburg und Berlin mit Kooperationsprojekten und Finanzmitteln.8 Selbstredend war es nicht allein das Interesse an einer intakten Zeitungslandschaft, die Springer zum Fürsprecher von kleineren Zeitungsverlagen machte. Wie immer gingen idealistische Motive und handfeste wirtschaftliche Interessen eine charakteristische Mischung ein. Das Verlagshaus profitierte unter anderem davon, dass die geschilderte Selbstverpflichtung Teil eines stillschweigenden Konsenses aller großen Verleger der Bundesrepublik war, wodurch Reibungsverluste und ein übersteigerter Wettbewerb in Teilmärkten des bundesdeutschen Pressewesens vermieden wurden.9 Dies galt nicht nur für die Verbreitungsgebiete, sondern vor allem für die Preisgestaltung auf den Anzeigenmärkten, wodurch ruinöse Preisschlachten weitgehend vermieden wurden. Nicht zuletzt war die Selbstbeschränkung Axel Springers eine wichtige Voraussetzung für seine Zusammenarbeit mit anderen Verlegern, auf die er ungeachtet seiner Vormachtstellung in zahlreichen medienpolitischen Fragen angewiesen war. Besondere Beachtung verdient in diesem Zusammenhang der Respekt, den Axel Springer seitens einer Vielzahl von Verlegerkollegen genoss, und der nicht allein auf seinen wirtschaftlichen Einfluss oder sein gewinnendes Auftreten, sondern auch auf die Fairness zurückzuführen war, die der Verleger im Umgang mit vielen Wettbewerbern an den Tag legte. Dass Axel Springer und seine Führungskräfte in entscheidenden Momenten zu knallharten Bandagen griffen, sich in der hohen Kunst des Taktierens verstanden und auch vor zweifelhaften Methoden nicht zurückschreckten, ist die andere Hälfte der Wahrheit, die in den bisherigen Ausführungen hinlänglich dargestellt wurde. In diesem Sinne zeigte sich Axel Springer auch wenig beeindruckt, als Bucerius Anfang 1960 drohte, das unausgesprochene Stillhalteabkommen im Falle des Erscheinens der Berliner Illustrirten aufzukündigen: »Bisher haben wir dafür gesorgt, daß die Kleinen den Atem behalten, weil wir wissen, daß auch sie dazugehören. In der gnadenlosen Schlacht kann es keine Rücksicht mehr geben.«10 Allerdings strebte Axel Springer im Konflikt um die Berliner Illustrirte eine einvernehmliche Lösung an, in deren Rahmen sogar von »Verlustgarantien« für Bucerius die Rede war. Aus politischen Gründen verzichtete der Verleger schließlich auf das Wiedererscheinen der Berliner Illustrirten, wodurch die Auseinandersetzung in dieser Frage beendet wurde.

Abbildung 19: Axel Springer am Schreibtisch (1966)

Neben der Kritik an Springers wirtschaftlicher Dominanz thematisierte Bucerius Anfang 1960 erstmals dessen publizistische Macht: »Wenn Zeitungen etwas erreichen können (sie können es), dann haben Sie schon jetzt die Mittel: die größte Pressemacht, die es je in Europa gegeben hat. Schon heute sagen Sie mit Recht[,] Sie seien der Königsmacher. Ende des Jahres werden Sie 11 Millionen Auflage haben […]. Und das sollte für Ihre politischen Ziele nicht ausreichen?«11 Deutlicher wurde Bucerius ein Jahr später, als er im Februar 1961 an Kracht schrieb: »Es ist meine Überzeugung als Verleger und Politiker, daß die publizistische Macht des Hauses Springer an die äußerste Grenze dessen gekommen ist, was ein Staat hinnehmen kann […]. Ich glaube, es ist Ihr Glück, daß bisher nur die Wenigsten überhaupt eine Vorstellung von Eurer Machtposition haben.«12 Doch ungeachtet seiner eindringlichen Kritik wandte sich Bucerius vorläufig nicht an eine breitere Öffentlichkeit.

Geschlagen mit den eigenen Waffen: Die Folgen der fernsehpolitischen Auseinandersetzung

Bemerkenswerterweise war es Springer selbst, der ab Mitte 1961 die Frage der Pressekonzentration aufgriff und im Rahmen seiner Bemühungen um eine Fernsehbeteiligung öffentlich instrumentalisierte.13 Immer deutlicher meldete er sich, wie bereits ausgeführt wurde, in den folgenden Monaten zu Wort, um auf die Existenzgefährdung der Presse durch das öffentlich-rechtliche Fernsehen hinzuweisen und daraus den Anspruch einer Verlegerbeteiligung an dem neuen Medium abzuleiten. In zahlreichen Reden und Veröffentlichungen geißelte er die wettbewerbsverzerrende Monopolstellung und die angeblich demokratiegefährdenden »Machtzusammenballungen« des öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems.14 Ab 1962 führte Springer seine ganze publizistische Macht ins fernsehpolitische Feld, vor allem durch scharfe Kampagnen der Bild-Zeitung.15 Zugleich machte er seinen politischen Einfluss in unzähligen Unterredungen mit Meinungsführern und Entscheidungsträgern geltend. Sein fernsehpolitischer Gewaltmarsch, dessen Argumentationslinien, Kampagnen und Mittel der politischen Einflussnahme so verblüffend dem Instrumentarium der späteren »Anti-Springer«-Bewegung ähnelten, sollte eine fatale Wirkung entfalten. Der Verleger verlor in seinem erbitterten Kampf nicht nur Ansehen und Wohlwollen in allen politischen Lagern, sondern rückte zunehmend in den Mittelpunkt einer kritisch gestimmten öffentlichen Aufmerksamkeit. Als er im Dezember 1963 eine Beteiligung an der nordrhein-westfälischen Tageszeitung Der Mittag erwarb und dadurch den Verdacht nährte, seine Zurückhaltung gegenüber einer regionalen Expansion aufgegeben zu haben, griff der Bielefelder Verleger Emil Groß erstmals auf Springers argumentatives Instrumentarium zurück und setzte die wirtschaftliche Dominanz des Axel-Springer-Verlags mit der Monopolstellung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten gleich.16

Wie bereits dargestellt, griff Augstein im Februar 1965 die fernsehpolitischen Ambitionen seines verlegerischen Intimfeindes in einer Spiegel-Titelgeschichte auf, um ausführlich auf dessen dominante Wettbewerbsposition und publizistischen Einfluss einzugehen.17 Fortan ließ das Hamburger Nachrichtenmagazin keinen verlegerischen Vorstoß Springers unkommentiert und trug damit wesentlich zu dem charakteristischen Meinungsklima bei, das die Grundlage für die vielfältigen Angriffe gegen den Verleger und das Verlagshaus bildete. Der einsetzenden publizistischen Schlacht schlossen sich bald Bucerius’ Zeit und Stern an. Anders als Augstein, der aufgrund einer eigentümlichen Mischung aus politischen Überzeugungen, verlegerischem Ehrgeiz, journalistischem Jagdinstinkt und persönlichen Eitelkeiten, die Auseinandersetzung mit Springer suchte, handelte Bucerius vornehmlich aus politischen und unternehmerischen Motiven. Mit argwöhnischen Augen betrachtete er Springers Expansion im Zeitschriftenbereich, die mit dem 1965 abgeschlossenen Erwerb von Kindler & Schiermeyer neue Dimensionen erreicht hatte. Als bekannt wurde, dass Kracht im Mai 1966 über den Erwerb der Zeitschriftenobjekte Quick und Revue des Münchener Th.-Martens-Verlags verhandelte, versuchte Bucerius, Springer mit harscher Kritik an dessen Markt- und Pressemacht von weiteren Akquisitionen abzuhalten.18 Auch wenn die Übernahme der Titel Quick und Revue letztlich scheiterte, machte Springer in seinem Antwortschreiben unmissverständlich deutlich, dass er Bucerius’ Einwände nicht berücksichtigen würde.19 Anders als zu Beginn des Jahrzehnts war das Verhältnis so zerrüttet, dass es nicht bei diskreten Briefwechseln bleiben sollte. Schon bald wurde Bucerius auch in der publizistischen und politischen Arena zu einem erbitterten Widersacher Springers.

»Lex Springer«: Der Ruf nach staatlichen Eingriffen

Zunächst war es jedoch Augstein, der die sich wandelnde gesellschaftliche und politische Stimmungslage im August 1966 aufgriff, in einem meinungsprägenden Spiegel-Kommentar vor der demokratiegefährdenden Markt- und Pressemacht Springers warnte und wortgewaltig eine »Lex Springer« forderte:

»Kein einzelner Mann in Deutschland hat vor Hitler und seit Hitler so viel Macht kumuliert, Bismarck und die beiden Kaiser ausgenommen. Kein westliches Land ist bekannt, in dem ein einzelner Mann 40 Prozent der gedruckten Nachrichten und Meinungen kontrolliert. […] Er ist, so scheint es, im tiefsten Herzen unschuldig, wenn sein wuchernder Konzern die freie Meinungsbildung, ja, die Bildung des Parteiwillens bedroht. Er, der traumwandlerisch geniale Kaufmann, der inspirierende Mystifikateur seines eigenen Erfolgs, hält vielleicht für Schicksal und Gottesgunst, was die ehrlichen Leute außerhalb seines klein-großen Kosmos eine Riesengefahr dünkt. […] Der eine Mann, dessen ganz unschuldiges, teils sogar naives Wirken und Wachsen den Staats bedroht, findet politische Parteien vor, die nichts mehr gegen ihn tun werden. […] Laßt Springer, wenn er mag, Wälder, Papiermühlen, ganze Chemiefabriken kaufen, aber hindert ihn, weitere Anteile irgendeiner Tages- und Sonntags- oder Wochenzeitung zu übernehmen! Macht endlich ein Gesetz!«20

Noch wurde im politischen Bonn nur hinter vorgehaltener Hand über ein gesetzliches Vorgehen gegen Springer gesprochen.21 Doch blieben die Befürworter einer Marktbegrenzung nicht untätig und bemächtigten sich alsbald einer gefährlichen Waffe: des Bundeskartellamts. Im Juni 1966 erteilte Kartellamtspräsident Eberhard Günther einen behördeninternen Untersuchungsauftrag über die »Wettbewerbsverhältnisse auf den verschiedenen Zeitungs- und Zeitschriftenmärkten«. An seiner politischen Stoßrichtung ließ der Amtschef keinen Zweifel: »Es gibt eine ganze Reihe von Leuten in diesem Lande, die es nicht gern sehen, daß sich so viel Macht in der Hand eines einzigen Mannes befindet. Zu den Leuten, denen das nicht gefällt, gehöre ich auch.«22 In der Tat wuchsen in allen politischen Lagern die Vorbehalte gegen Springer, dessen publizistisches Wirken über Jahre ungezählte Narben und persönliche Ressentiments hinterlassen hatte: »Bei allen Parteien herrscht eine große Feindschaft gegen A. S.«, notierte Zehrer bereits im Mai 1965.23 Doch im Gegensatz zu früher sollten nun bestimmte politische Gruppen ihre tatsächlichen oder gespielten Antipathien nicht mehr verbergen. Mehr und mehr schwand Mitte der 1960er-Jahre Springers Aura der Unantastbarkeit, die lange Zeit von der öffentlichen Anerkennung, den persönlichen Netzwerken und der publizistischen Macht genährt wurde. Insbesondere in sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Kreisen wurde er zunehmend zum politischen Feindbild, dessen vorgeblich reaktionäre, nationalistische und kapitalistische Gesinnung öffentlichkeitswirksam abgeurteilt wurde. Nicht ohne Ironie war im Übrigen, dass die Vorwürfe klassenfeindlicher Prägung einen Wirtschaftslenker trafen, der zu den Paradebeispielen sozial verantwortlicher Unternehmer zählte.

Nach dem Regierungswechsel gelang es einer Reihe von Abgeordneten, das Bundeskabinett im Mai 1967 zur Einsetzung einer »Kommission zur Untersuchung der Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz von Presseunternehmen und der Folgen der Konzentration für die Meinungsfreiheit in der Bundesrepublik Deutschland« zu bewegen. Zwar lehnte die neue Bundesregierung Markteingriffe als Maßnahme gegen die Pressekonzentration mehrheitlich ab und nahm wesentlichen Einfluss auf die personelle Besetzung der Kommission, doch ließ sich die Berufung des Kartellamtspräsidenten Günther zum Vorsitzenden des Gremiums nicht verhindern.24 Als Vertreter der Großverlage wurde neben Bucerius und anderen Verlegern auch Springer Mitglied der Pressekommission. Während weite politische und verlegerische Kreise davon ausgingen, dass das Gremium strittige Fragen geräuschlos ausklammern und lediglich Empfehlungen zur Stützung kleinerer Verlage aussprechen würde, kam es bereits im September 1967 zu einem ersten Eklat: Nachdem Günther mit offensichtlich einseitigen Untersuchungsergebnissen die Beratungen des Gremiums zur Pressekonzentration eröffnet hatte, sah Springer die Neutralitätspflicht des Kommissionsvorsitzenden verletzt und erklärte seinen Austritt.25 Seine Hoffnung, dass ein Großteil seiner Kollegen folgen und mit ihrem Rückzug die Arbeit der Pressekommission unmöglich machen würde, bewahrheitete sich indes nicht. Im Gegenteil: Springers Ausscheiden schwächte die Position der Großverlage und erwies sich als taktischer Fehler.

»Enteignet Springer«: Im Visier der Studentenbewegung

Unterdessen erschütterten die eskalierenden Studentenproteste die gesellschaftlichen und staatlichen Grundfesten der jungen Bundesrepublik.26 Die vielschichtigen sozio-politischen Veränderungsprozesse in Westdeutschland, die im Laufe des Jahrzehnts immer deutlichere Konturen eines tiefgreifenden Wertewandels annahmen, hatten sich Mitte der 1960er-Jahre in einer studentischen und linksintellektuellen Protestbewegung Bahn gebrochen, die sich vor allem am Vietnam-Krieg, der rückständigen Hochschulpolitik und den Bonner Plänen für eine Notstandsgesetzgebung entzündet hatte. Verbindendes Element der zahlreichen Strömungen und Kräfte der Protestbewegung war die mehr oder weniger ausgeprägte Ablehnung der bestehenden Gesellschaftsstrukturen, die als autoritär, unsozial und moralisch fragwürdig empfunden wurden.

Schon in der ersten Hälfte der 1960er-Jahre war erkennbar geworden, auf welche Ablehnung der sich abzeichnende Wertewandel bei Springer und seinen redaktionellen Vordenkern stieß. Auf fast allen politischen Konfliktfeldern prallten das konservative, vom Anti-Kommunismus geprägte, Welt- und Gesellschaftsbild des Verlegers und seiner Redaktionsspitzen mit den linksliberalen, individualistischen, egalitären, pazifistischen und anti-obrigkeitsstaatlichen Positionen der kritischen Studenten und Intellektuellen zusammen. Beispiele waren die Diskussionen über die US-amerikanische Schutzmachtrolle, die Ostpolitik, die atomare Aufrüstung, über den Vietnam-Krieg, den Kapitalismus, die Drittweltpolitik, die Notstandsgesetze oder das Hochschulrecht.

Unabhängig von den divergierenden politischen Auffassungen übte die Protestbewegung frühzeitig Systemkritik an Springers Zeitungs- und Zeitschriftenimperium, das als Instrument der Monopolisierung der öffentlichen Meinung, als Katalysator einer unerwünschten gesellschaftlichen Harmonisierung und als Bollwerk gegen notwendige politische Veränderungen gebrandmarkt wurde. Folglich gehörten kritische Studenten und Intellektuelle zu den ersten, die eine Beschneidung der Pressemacht Springers forderten, noch bevor 1966 erstmals die Parole »Enteignet Springer« erschall, die heute zum festen Bestandteil des 68er-Mythos gehört.

Je lauter der Ruf der rebellierenden Studenten wurde, je mehr Resonanz ihre Forderungen in der linksliberalen Presse, wie Spiegel, Zeit und Süddeutsche Zeitung fanden, desto erbitterter nahmen Springers Kommentatoren die Protestbewegung ins publizistische Visier und desto tiefer vergruben sich die geistigen Vordenker des Verlagshauses in ihre weltanschaulichen Schützengräben. Während das verlegerische Flaggschiff Die Welt ihre dezidierte Kritik an den gesellschaftlichen Umbrüchen noch in wohlgesetzte Worte kleidete, schwangen sich die Blätter Bild, B.Z. und Berliner Morgenpost immer wieder zum »Lautsprecher der weit überwiegenden, empörten Mehrheit«27 auf und setzten in höchst akzentuierter Weise ihr publizistisches Potential im Kampf um die öffentliche Meinung ein. Bei aller Schärfe zahlreicher Aufmacher, Schlagzeilen und Kommentare wird indes leicht übersehen, dass weite Teile der einschlägigen Berichterstattung des Verlagshauses objektiven journalistischen Kriterien folgten. In das Blickfeld der interessierten Öffentlichkeit gelangten allerdings vor allem die polarisierenden Beiträge Springerscher Federn.28 Die mediale Auseinandersetzung eskalierte, als die Staatsmacht ab Ende 1966 gegen die Demonstranten mit aller Härte vorging und dadurch zunehmend Gegengewalt provozierte. Im April 1967 kam es anlässlich des Besuchs des US-Vizepräsidenten Hubert Humphrey vor dem Verlagssitz in der Kochstraße zu blutigen Straßenschlachten und schweren Sachbeschädigungen. Im Mai und Juni 1967 endeten die tagelangen Demonstrationen gegen den Besuch des Schahs von Persien in gewaltsamen Auseinandersetzungen, an deren Rand der Student Benno Ohnesorg von einem Polizisten erschossen wurde. Boenisch’ Bild-Zeitung und ihre Schwesterblätter reagierten mit einem publizistischen Dauerfeuer, das vor allem von diffamierenden Schlagworten wie »politische Gammler«, »akademische Halbstarke« oder »geistig ungewaschene« »Krawallbrüder« geprägt war.29 »Dem Real-Grobianismus der Protestbewegung entsprach der Verbal-Grobianismus« von Springers Zeitungen.30 In diesen Monaten wurde der Verleger zum Feindbild einer ganzen politischen Generation, deren Antipathien aus weltanschaulichen Differenzen und Misstrauen gegenüber Springers Pressemacht erwachsen waren, aber entscheidend durch die studentischen Mobilisierungskampagnen, die aggressiven Gegenschläge des Verlagshauses, der publizistischen Schützenhilfe interessierter Kreise und durch die Eskalation der Gewalt befeuert wurden.