Hör zu: Eine Familienzeitschrift als Grundstein des Verlagshauses

Keine Tageszeitung, nicht das Hamburger Abendblatt, die Bild-Zeitung oder Die Welt, kein Verlagsobjekt seiner Leidenschaft, sondern eine Programmzeitschrift verhalf dem künftigen »Zeitungszaren«189 zum verlegerischen Durchbruch. Noch vor der Währungsreform legte Hör zu den wirtschaftlichen Grundstein für die weitere unternehmerische Expansion Springers. Mit dem Aufschwung in der Bundesrepublik wurde das inzwischen zur Familienzeitschrift gewandelte Blatt zur »unentbehrlichen Institution der häuslichen Freizeitgestaltung«190 und zugleich zur auflagenstärksten Zeitschrift Europas.191

Die Anfänge von Hör zu waren, wie bei den Nordwestdeutschen Heften, auf das engste mit dem Nordwestdeutschen Rundfunk (NWDR), dem offiziellen Sender der britischen Militärregierung, verknüpft. Nachdem in der US-amerikanischen Besatzungszone bereits im November 1945 das erste Rundfunkblatt mit dem Titel Radio-Woche erschienen war, entstand auch unter norddeutschen Rundfunkverantwortlichen der Wunsch nach einer Programmzeitschrift, um die weitere Verbreitung des Mediums als zentrales Instrument der politischen Einflussnahme zu fördern.192 Wie bei den gleichzeitig geplanten Nordwestdeutschen Heften lehnten die zuständigen britischen Dienststellen eine Herausgabe der Programmzeitschrift durch den NWDR aus pressepolitischen Gründen ab.193 Damit ging der NWDR im Bereich der Programmveröffentlichung andere Wege als sein großes Vorbild, die British Broadcasting Company (BBC), die mit der Radio Times über eine eigene Programmpublikation verfügte. Wie im vorhergehenden Kapitel dargestellt, stießen die Verantwortlichen bei ihrer Suche nach einem geeigneten Verleger rasch auf Springer. Dieser wiederum erkannte sofort das verlegerische Potential einer offiziellen Programmzeitschrift der britischen Besatzungszone. Die Zusammenarbeit mit dem NWDR wäre mit der Gewährung einer Zeitschriftenlizenz, privilegiertem Zugang zu britischen Dienststellen, gesicherten Papierzuteilungen und wohl auch mit einem Exklusivrecht für Programmpublikationen im Sendegebiet verbunden, rechnete sich Springer aus.

Konzeption und Lizenzvergabe

Während die Konzeption der Nordwestdeutschen Hefte rasch voranschritt und die erste Ausgabe bereits im März 1946 erschien, erwies sich das Vorarbeiten einer wirtschaftlich weitaus bedeutsameren Programmzeitschrift als wesentlich komplexer und schwerfälliger. Nach ersten Gesprächen mit NWDR-Verantwortlichen reichte Springer im Februar 1946 eine Probenummer für die inzwischen als Radio-Woche titulierte Zeitschrift ein.194 In Anlehnung an die Programmpresse der 1930er-Jahre bestand das Zeitschriftenkonzept aus eher konventionellen inhaltlichen Elementen, zu denen neben den Programmankündigungen die Vorstellung von Rundfunkmitarbeitern, die Diskussion von hörerkritischen Beiträgen und technische Ratschläge zählten. Das Layout hatte der Hamburger Bühnenbildner Karl Gröning entworfen.195 Zudem machte Springer einen Vorschlag zur finanziellen Beteiligung des NWDR, der »in Anbetracht des Umfanges und Ausmaßes des Verlagsobjektes […] am Ertrag der Programmzeitschrift« partizipieren sollte.196 Zugleich sprach sich der Verleger dafür aus, als Berechnungsgrundlage nicht den Gewinn, sondern die Erlöse heranzuziehen, um mögliche Konflikte um »divergente« Kostenauffassungen und Ergebnisberechnungen zu vermeiden. Unschwer war zu erkennen, dass Springer den Einfluss des NWDR auf verlagsinterne Entscheidungen auf ein Minimum reduzieren wollte.

Zwei weitere Monate vergingen, bis im April 1946 die NWDR-Führung mit Rückendeckung der zuständigen Rundfunkoffiziere des britischen Hauptquartiers in Bünde einer Zusammenarbeit mit Springer zustimmte. Kurze Zeit später beantragte dieser bei den britischen Dienststellen eine Zulassung zur wöchentlichen »Herausgabe« einer achtseitigen »Rundfunk-Programm-Zeitschrift« mit dem Titel Radio-Woche und einer bemerkenswert hohen Auflage von 250.000 Exemplaren.197 Als Mitantragsteller trat Hinrich Springer auf, der sich zwar regelmäßig mit seinem Sohn über die Konzeption des geplanten Objekts austauschte, jedoch insgesamt nur wenig Einfluss auf die Zeitschriftengründung nahm198; zu stark hatte sich Axel Springer in den Vormonaten von seinem Vater und Teilhaber emanzipiert.199 Zur inneren Distanz kam die räumliche Entfernung zwischen Hamburg und Bendestorf, wo Hinrich Springer aus gesundheitlichen Gründen verblieben war. Inwieweit der nachfolgende Lizenzierungsprozess in Anbetracht des vorliegenden Einverständnisses des britischen Funkhauses lediglich eine Formsache war, lässt sich aus heutiger Sicht nur schwer beurteilen. Zwei Aspekte lassen jedoch vermuten, dass nicht nur wesentliche Eckpunkte des Lizenzantrags mit der Public Relations/Information Services Control (PR/ISC) abgestimmt waren, sondern auch seitens der Briten ein übergeordnetes politisches Interesse an einem raschen Erscheinen einer auflagenstarken Rundfunkprogrammzeitschrift bestand. Zum einen deutete hierauf die später genehmigte Startauflage von 250.000 hin, die ungeachtet der akuten Papierknappheit die Zirkulationsumfänge der bislang lizenzierten Presseobjekte um ein Mehrfaches überstieg.200 Zum anderen war das zügige Lizenzierungsverfahren von nur sechs Wochen ein Indiz, dass Springers Lizenzantrag vorrangig behandelt wurde.201 Bevor die zuständige britische Dienststelle dem Lizenzgesuch zustimmte, fand im Mai 1946 der bereits erwähnte Besuch Springers beim obersten britischen Presseoffizier Major Huijsman in Bünde statt.202 Kurze Zeit später erteilte der »Zar des Lizenzwesens« den Zulassungsanträgen für die Rundfunkprogrammzeitschrift und für die längst publizierten Nordwestdeutschen Hefte seine Zustimmung und stellte mit Datum des 1. Juni 1946 die Lizenzurkunden Nr. 67 und Nr. 68 aus, von denen erstere zum Grundstein des größten Verlagshauses der Bundesrepublik werden sollte.203

Personelle Weichenstellung mit Eduard Rhein

Die Lizenzbedingungen enthielten detaillierte Vorgaben und Restriktionen für die zukünftige Programmzeitschrift. Neben der Regelung des Verbreitungsgebiets, des Verkaufspreises sowie des Anzeigenumfangs verpflichteten die Zulassungsbestimmungen den Lizenznehmer, im redaktionellen Bereich nur unbelastete Mitarbeiter zu beschäftigen.204 Für die Position des Chefredakteurs hatte Springer einen solchen Mitarbeiter bereits gefunden: Eduard Rhein, den Mitbegründer und langjährigen technischen Redakteur der ehemaligen Rundfunkzeitschrift Sieben Tage aus dem Ullstein-Verlag. Ursprünglich hatte Springer den früheren Sieben Tage-Chefredakteur Ludwig Kapeller, der während des Krieges als Autor für den Hammerich & Lesser-Verlag tätig gewesen war, verpflichten wollen.205 Der renommierte Rundfunkjournalist empfahl Eduard Rhein als technischen Redakteur, woraufhin Springer im März 1946 Kontakt zu dem in Königswinter lebenden Ingenieur aufnahm.206 Obwohl Rhein zu diesem Zeitpunkt bereits vom NWDR in Köln engagiert war und überdies zahlreiche Anfragen anderer Rundfunkprogrammzeitschriften erhalten hatte, reagierte er begeistert auf Springers Vorschlag und erklärte postwendend sein Interesse an einer Mitarbeit.207 Ein anschließendes Sondierungsgespräch, das Rheins Lebensgefährte Will Thederan mit Springer Anfang April 1946 in Hamburg führte, zeigte große Gemeinsamkeiten in den jeweiligen verlegerischen und redaktionellen Vorstellungen.208 Derweil rückte ein Einsatz Kapellers aufgrund von Übersiedlungsproblemen und konzeptionellen Divergenzen in immer weitere Ferne.209 Außerdem ließen die Besatzungsbehörden politische Vorbehalte gegenüber dem Parteimitglied erkennen.210 Anfänglich stieß auch Rhein als ehemaliger leitender Redakteur im größten arisierten Verlagshaus Deutschlands auf Bedenken der britischen Dienststellen.211 Dank der Unterstützung von Zahn und Eggebrecht wurde der Ingenieur, der als Homosexueller in innerer Distanz zum nationalsozialistischen Regime gelebt hatte, allerdings bald als politisch unbelastet eingestuft.212 Spätestens im Mai 1946 entschied Springer, auf Kapeller zu verzichten und Rhein als Chefredakteur einzusetzen.213 Bereits im Lizenzantrag schlug Springer den ehemaligen Ullstein-Mitarbeiter als zukünftigen Chefredakteur vor.214 Nach einer persönlichen Zusammenkunft, die im Juni 1946 in Hamburg stattfand und beiderseits sehr positiv aufgenommen wurde, einigten sich Springer und Rhein über die vertraglichen Details der Zusammenarbeit.215 Die Verpflichtung Rheins zählt zu den wichtigsten Personalentscheidungen, die Springer im Laufe seines unternehmerischen Lebens getroffen hat. Nicht ohne Grund wurde der exzentrische Zeitschriftenexperte als »Mann, der Springer reich machte«, tituliert.216 In weitgehender Autonomie formte Rhein die spätere Hör zu zur größten Familienzeitschrift Europas und schuf damit die wirtschaftliche Grundlage für Springers ambitionierte Zeitungspläne, die 1948 mit dem Hamburger Abendblatt ihren Anfang nahmen.

Während sich Springer mit großem Aufwand um Räumlichkeiten und Zuzugsgenehmigungen bemühte, trieb der geschäftige Rhein von Königswinter aus die weiteren Vorbereitungen voran. Einerseits war dies der personelle Redaktionsaufbau, für den sich Rhein ein alleiniges Entscheidungsrecht gesichert hatte, und der durch die zahlreichen persönlichen Verbindungen des ehemaligen Ullstein-Redakteurs trotz »niederschmetternder Personalschwierigkeiten« begünstigt wurde.217 Andererseits schlossen die Vorarbeiten in Königswinter naturgemäß die Weiterentwicklung und Verfeinerung des vorliegenden Zeitschriftenkonzepts ein.218 Im Juli 1946 schlug Rhein eine erneute Änderung des Titels vor, nachdem bereits einen Monat zuvor eine Umbenennung von Radio-Woche in Radio-Post erfolgt war.219 Hintergrund der ersten Titelmodifikation war offenbar ein Einspruch des NWDR, der auf die Namensgleichheit mit der erwähnten Programmzeitschrift des US-amerikanischen Senders Radio Stuttgart hinwies. Rhein wiederum, der um die außerordentliche Erfolgswirksamkeit eines Zeitschriftentitels wusste, missfiel der »Gleichklang« mit den bestehenden Programmobjekten Radio-Woche, Radio-Welt oder Radio-Spiegel.220 Nach eingehenden Erörterungen entschieden sich Springer und Rhein für den Titel »Hört mit!«, der jedoch von den britischen Presseoffizieren aufgrund der Nähe zur nationalsozialistischen Warnung »Feind hört mit!« abgelehnt wurde.221 Zehn Tage später stellte Springer dem NWDR den ebenfalls von Rhein entwickelten Titel »Hör zu!«222 vor, der im September 1946 von den zuständigen Rundfunkverantwortlichen genehmigt wurde.223

Exklusivvertrag mit dem NWDR

Ende Juli 1946 gelang es Springer, die monatelangen Verhandlungen mit der NWDR-Verwaltung über die finanzielle Beteiligung des Senders erfolgreich abzuschließen.224 Im Vertrag über die »Herausgabe einer Rundfunkzeitschrift für den NWDR« wurde Springers Vorschlag einer Umsatzbeteiligung von 5 Prozent übernommen. Durch die Vermeidung einer direkten Gewinnbeteiligung schloss er nicht nur den Einfluss des NWDR auf verlagsinterne Entscheidungen aus, er umging so auch eine entsprechende Verbotsklausel der Lizenzbedingungen. Die entscheidende Vertragsbestimmung lag allerdings in einem anderen, eher unscheinbaren Satz, der Springer eine Monopolstellung im Bereich der Programmpresse in der britischen Zone zusicherte.225 Auch wenn die Exklusivklausel nur zwei Jahre Gültigkeit hatte, trug der Konkurrenzausschluss in Verbindung mit den gesicherten Papierkontingenten wesentlich zum verlegerischen Durchbruch der Hör zu bei.226

Allerdings war der Papiermangel in der britischen Besatzungszone in der ersten Hälfte des Jahres 1946 derart eklatant, dass in der Lizenzurkunde die sonst üblichen Ausführungsbestimmungen zu Auflage, Umfang oder Papierzuweisungen fehlten.227 Erst im August 1946 erhielt der Verleger nach zahlreichen Vorstößen bei britischen Dienststellen die Zusage über Papierzuteilungen für die geplante wöchentliche Auflage von 250.000 und für einen Umfang von zwölf Seiten.228 Sogleich sicherte sich Springer ausreichende Produktionskapazitäten bei der Broschek & Co. KG, die nach dem Krieg über die größte und modernste Tiefdruckerei Hamburgs verfügte.229 Es dauerte jedoch Wochen, bis die praktische Redaktionsarbeit am Harvestehuder Weg aufgenommen wurde. Der Grund waren persönliche Befindlichkeiten des eigenwilligen Rhein, der ungeachtet einer vorliegenden Zuzugsgenehmigung erst im Oktober 1946 von Königswinter nach Hamburg übersiedelte.230 Endlich konnten die redaktionellen Vorarbeiten für das Erscheinen beginnen. Unterdessen war es Springer und seinem langjährigen Prokuristen Helmuth Covents gelungen, Räumlichkeiten für die Verlagsverwaltung und die neue Hör zu-Redaktion anzumieten.231 Im November 1946 siedelte der Verlag in den Hochbunker auf dem Hamburger Heiligengeistfeld über, während die Programmzeitschriftenredaktion eine Villa in der Harvestehuder Johnsallee bezog.232

Verlegerischer Durchbruch

Am 11. Dezember 1946 erschien in der britischen Besatzungszone und in Berlin die erste Ausgabe der Rundfunkprogrammzeitschrift Hör zu. Als Herausgeber der von Hammerich & Lesser verlegten Wochenschrift figurierten Axel und Hinrich Springer.233 Die Auflage von rund 250.000 war bei einem Einzelverkaufspreis von 30 Reichspfennigen innerhalb von wenigen Stunden vergriffen. Auf zwölf Seiten präsentierte Rhein in einem »leichten, gut gelaunten, sprachlich geschliffenen Plauderton« und unter Rückgriff auf fortschrittliche Typographien eine unterhaltsame Mischung aus technischen, kulturellen und gesellschaftlichen Rundfunkaspekten, wie bebilderte Künstlerreportagen, die Vorstellung von Rundfunkschaffenden, rundfunktechnische Neuigkeiten, Reparaturhinweise für Radioempfänger, Hörerzuschriften, ausführliche Informationen zu bedeutsamen Sendungen, Verlautbarungen des Funkhauses, Fragen der Programmgestaltung und schließlich auch den mehrseitigen Abdruck des Wochenprogramms selbst.234 Während sich die Rubriken konzeptionell an erfolgreiche Rundfunk- und Familienzeitschriften der 1930er-Jahre anlehnten, war Hör zu inhaltlich auf die spezifischen Bedürfnisse eines breiten Leserspektrums der Nachkriegszeit ausgerichtet. Insbesondere das Verlangen nach Zerstreuung und Ablenkung vom Nachkriegselend wurde von Rhein und Springer konsequent aufgegriffen und mit dem humorvoll-heiteren Tenor der Hör zu beantwortet.235 Anderthalb Jahre später sollte Springer mit einer ähnlichen redaktionellen Ausrichtung den Erfolg seiner ersten Tageszeitung, dem Hamburger Abendblatt begründen. Zudem brachte der Elektroingenieur Rhein seine anerkannte technische Kompetenz ein, welche die Hör zu zu einer populärwissenschaftlichen Instanz und zu einer Verkörperung des technischen Fortschritts machte.236

Wie angesichts des Mangels an Presseprodukten und der zonalen Monopolstellung des Blattes zu erwarten war, blieb die hohe Nachfrage ungebrochen. Bis Ende 1948 wurde allwöchentlich die gesamte Auflage in einem Zuteilungsverfahren abgesetzt.237 Der langfristig denkende Verleger wusste jedoch nur allzu gut um den begrenzten Wert einer Absatzzahl, die in einem flüchtigen Zustand verzerrter Wettbewerbsmechanismen zustande kam. Schon die Konzeption der Hör zu hatte gezeigt, dass Springer nicht auf eine kurzfristige Ergebnismaximierung abzielte, sondern ein nachhaltig wettbewerbsfähiges Verlagsprodukt mit langfristigen Wachstumspotentialen ins Leben rufen wollte. In bemerkenswerten Worten umschreibt Springer sein frühes unternehmerisches Credo während eines Berlin-Besuchs im Jahre 1947:

»Berlin sieht trostlos aus, dennoch ist es ein großartiges verlegerisches Versuchsfeld. Hier kann man endlich wieder einmal die Kräfte mit einander messen. Es gibt hier schon wieder Zeitungen, die in den Kiosken liegen bleiben. Über eine solche Entwicklung bin ich sehr froh, und sie gibt Mut, hier zu starten.«238

Rhein folgte der Vision Springers, indem er konsequent Leserbedürfnisse und Qualitätsanforderungen in den Mittelpunkt seiner redaktionellen Arbeit stellte. Der Verleger versuchte, die Attraktivität und Wettbewerbsposition des Blattes durch die Ausweitung von Umfang und Auflage zu verbessern.239 Zunächst verhinderte die Rohstoffknappheit jedoch weitere Papierzuteilungen an die Rundfunkprogrammzeitschrift.240 Ebenso kritisch blieb in den ersten zwei Jahren die Versorgung mit Druckfarben und Strom. Immer wieder mussten Heftumfänge reduziert werden oder ganze Ausgaben entfallen.241 Der verlegerisch wegweisende Vierfarbdruck der ersten Hör zu-Ausgabe wich infolge der Mangelsituation bereits nach wenigen Wochen dem herkömmlichen Schwarz-Weiß. So stellten die schwierigen Versorgungsbedingungen regelmäßig höchste Anforderungen an die Improvisationskünste von Springer, Rhein und der Redaktionsmannschaft.242 Beständig waren Springers Verbindungen und Verhandlungsgeschick gefragt, um kritische Beschaffungsprobleme zu lösen.

Abbildung 2: Erstausgabe der Programmzeitschrift Hör zu (1946)

Jedoch konnte Springer im Laufe der unmittelbaren Nachkriegszeit auf ein immer dichteres Netzwerk von persönlichen Kontakten zu deutschen und britischen Entscheidungsträgern zurückgreifen. Bereits in den Monaten nach Kriegsende hatte er die Unterstützung von Bürgermeister Rudolf Petersen und zahlreichen Regierungsvertretern für sich gewinnen können. 1946 gelang es dem Verleger, wie bereits dargestellt, entscheidende Kontakte zu britischen Presseoffizieren nicht nur in der Hansestadt, sondern auch im Zonenhauptquartier in Bünde zu etablieren. Im November 1946 wurde mit Max Brauer ein langjähriger Freund der Familie Springer Bürgermeister der Stadt.243 Noch stärker als es Petersen getan hatte, setzte sich der SPD-Politiker für den Verleger ein, insbesondere bei der Lizenzerteilung für das Hamburger Abendblatt. Nachdem Springer im Dezember 1946 den erfahrenen Zeitungsfachmann Karl Andreas Voss als Verlagsdirektor verpflichten konnte, wurden mit Hilfe des späteren Teilhabers zahlreiche neue Verbindungen in die Verlagsbranche geknüpft. Sein wachsendes verlegerisches Ansehen und freie Büroräume im Hochbunker nutzte Springer im März 1947 zur Mitbegründung des Vereins der Zeitschriftenverleger in Hamburg und Schleswig-Holstein e. V., dessen Vorsitz er im November 1947 übernahm.244 In dieser Funktion übte Springer nicht nur Einfluss auf die entstehenden institutionellen Rahmenbedingungen des Hamburgischen Pressewesens aus, sondern schuf auch wichtige Voraussetzungen für die Lizenzierung seiner ersten Tageszeitung. Kurz nach der Verbandsgründung im März 1947, verbrachte Springer mit seinem alten Schulfreund Erik Blumenfeld245, dessen Frau Sybille, dem Zeit-Verleger Gerd Bucerius246, dessen Gattin Ebelin und dem jungen Zeit-Redakteur Jacobi einen Winterurlaub im Kleinwalsertal.247 Während ganz Deutschland mit dem »Hungerwinter« 1946/1947 rang, erholte sich Springer von den Anstrengungen der Hör zu-Gründung und seiner inzwischen zerrütteten Ehe mit Katrin Springer.248 Zugleich legte er die Grundlage für langjährige und einträgliche Geschäfte mit dem einflussreichen Zeit-Verleger Bucerius. Nur anderthalb Jahre nach dem unternehmerischen Neubeginn in Hamburg gehörte der 35-jährige Axel Springer zu den angesehensten Verlegern der Stadt.

Aufstieg zur auflagenstärksten Zeitschrift der Bundesrepublik

Neben der öffentlichen Anerkennung ließen auch die ersten wirtschaftlichen Erfolge nicht auf sich warten. Das Jahr 1947 schloss die Programmzeitschrift mit einem respektablen Betriebsergebnis ab und steuerte 68 Prozent zum Gesamtumsatz bei.249 Die Feuertaufe stand der jungen Programmzeitschrift erst im zweiten Jahr ihres Bestehens bevor, als die Währungsreform im Juni 1948 die Wettbewerbsstruktur auf den Pressemärkten durchgreifend verändern sollte. Bereits in der ersten Jahreshälfte 1948 hatte das Funkblatt seine Monopolstellung in der britischen Besatzungszone verloren, nachdem die Klausel des Exklusivabdrucks presse- und wettbewerbspolitisch nicht mehr haltbar gewesen und auf Drängen des NWDR gestrichen worden war.250 In den folgenden Monaten wurde die einst enge redaktionelle Zusammenarbeit zwischen dem NWDR und dem Verlagshaus erheblich reduziert.251 Im Juli 1948 nahm Springer den Programmabdruck in der Tageszeitung Die Welt zum Anlass, die Honorarvereinbarung mit dem NWDR aufzulösen und auf die Umsatzvergütung von 5 Prozent zu verzichten.252 Die erste, mit der Währungsreform einhergehende Zäsur für Springers Programmzeitschrift war die weitgehende Aufhebung der Papierbewirtschaftung im Juli 1948.253 Endlich hatte er die Möglichkeit, die Druckauflage der Hör zu an die Nachfrage anzupassen, obwohl die Papierversorgung weiterhin ein limitierender Faktor blieb. Im weiteren Verlauf des Jahres 1948 erhöhte der Verleger die Auflage von rund 250.000 auf 600.000.254 Im September 1948 erfolgte schließlich eine von Springer propagierte Umfang- und Formaterweiterung, die nicht nur die Attraktivität des Blattes erhöhte, sondern auch erstmals Raum für Anzeigen bot.255 Unterstützt wurde die Ausweitung der Erlösbasis durch die Schaffung einer westdeutschen Ausgabe, die zusammen mit dem norddeutschen Pendant eine regionalspezifische Ansprache sowohl des Lesers, als auch des Anzeigenkunden ermöglichte.256

Ungeachtet der raschen Auflagensteigerung verdichteten sich Ende 1948 die Anzeichen eines wachsenden Wettbewerbsdrucks auf den Zeitschriftenmärkten. Vier neue Programmzeitschriften drangen bis Ende 1949 in der britischen Zone auf den Markt. Warnend schrieb Rhein im Mai 1949 an Springer, dass nur die Verbreiterung und Verbesserung des redaktionellen Angebots die Wettbewerbsfähigkeit der Hör zu sicherstellen würden.257 Aus der Erkenntnis des Chefredakteurs erwuchsen tiefgreifende Veränderungen für das junge Verlagsobjekt, das in den folgenden Monaten seinen Charakter eines reinen Rundfunkprogrammblattes aufgab und sich sukzessive zu einer illustrierten Familienzeitschrift mit einem Rundfunkteil entwickelte. Zum zentralen Element des Blattes wurden umfangreiche Unterhaltungs- und Service-Rubriken, zu denen neben den Programminformationen Kurzgeschichten, Comics, Preisrätsel, Witze, Horoskope, Haushaltstipps, Kochrezepte oder Lebenshilfethemen im Familienumfeld zählten.258 Statt der rundfunkbezogenen Berichterstattung entstanden umfassende Reportbeiträge aus »allen Gebieten des Lebens […]: Vom Zeitgeschehen, von Kunst und Wissen, Mode, Film und Sport.«259 Breiten Raum nahmen insbesondere Text- und Bildberichte über Film- und später auch Fernsehstars ein.260 Mit Rheins Abkehr von der »Urform der Hörfunkzeitschriften«, die »sich […] ausschließlich mit dem Rundfunk« beschäftigte, entfiel auch die Vermittlung von rundfunktechnischem Wissen.261 Im Januar 1950 knüpfte Rhein an die Tradition der Fortsetzungsromane an, die in den 1930er-Jahren zu einem wichtigen Instrument der Leserbindung im Illustriertenbereich geworden waren.262 Mit dem Hör zu-Roman schuf er einen wesentlichen Erfolgsfaktor der Zeitschrift.

Abbildung 3: Axel Springer und Eduard Rhein mit einer Ausgabe der Programmzeitschrift Hör zu (1950)

Die Transformation der Hör zu zur Familienillustrierten unterlag weitgehend der Verantwortung Rheins. Konzeptionelle Vorgaben und redaktionelle Interventionen des Verlegers blieben sowohl zu Beginn 1949, als auch in späteren Jahren eher eine Ausnahme.263 Für die Zurückhaltung Springers gab es eine ganze Reihe von Gründen: Erstens besaßen der Verleger und sein Chefredakteur übereinstimmende Vorstellungen über die verlegerische Ausrichtung und den journalistischen Stil der Hör zu, die, so Springer, »immer Deutschlands wirklich beliebteste Rundfunkzeitung sein [muß]. Die entnervte Menschheit ist so sehr müde des Streites, ja sogar des manchmal sinnvollen Streites um echte Werte, daß der Erfolgsweg nur heißen kann: den Lesern wohltun. Liebenswürdigkeit, Frische, Fröhlichkeit, Humor, Güte, das müssen immer die Hauptmerkmale Deutschlands beliebtester Rundfunkzeitung ›Hör zu!‹ bleiben.«264 Zweitens gab die Auflagenentwicklung in den 1940er- und 1950er-Jahren keinen Anlass für korrigierende Eingriffe des Verlegers, der damit seinem Führungsstil treu blieb, Führungskräften einen größtmöglichen Gestaltungsspielraum zu überlassen, solange die (Auflagen-)Zahlen zufriedenstellend waren. Drittens war in den Jahren 1948 und 1949 von wesentlicher Bedeutung, dass das Hamburger Abendblatt die gesamte Schaffenskraft Springers absorbierte und so die Zeit für andere Verlagsobjekte fehlte. In späteren Jahren verlor er mehr und mehr das Interesse an Zeitschriften, besonders nach seiner Wandlung zum politischen Unternehmer. Der schwerwiegendste Grund lag jedoch, viertens, in der Eigenwilligkeit Rheins, der für Kritik nur schwer zugänglich war, und der zu den wenigen Führungskräften Springers zählte, die sich einer Unterordnung verweigerten.265 In diesem Sinne verbat er sich auch jegliche Eingriffe in personelle Angelegenheiten seiner streng hierarchisch organisierten Redaktion, die bis zum Beginn der 1960er-Jahre auf mehr als 100 überdurchschnittlich bezahlte Mitarbeiter anwuchs und von Rhein in »autokratischer«, wenn nicht »despotischer« Weise geführt wurde.266

Nach der Aufhebung der Papierbewirtschaftung Mitte 1948, stieg die Auflage zum Jahresende auf über 600.000.267 1951 überschritt Hör zu im Jahresmittel die Grenze von einer Million wöchentlich. Das rasante Auflagenwachstum hielt bis 1960 an, als Hör zu eine durchschnittliche Verkaufsauflage von 3,4 Millionen erreichte.268 Als »unentbehrliche Institution der häuslichen Freizeitgestaltung«269 der Bundesrepublik besaß Hör zu 1960 einen Marktanteil von über 40 Prozent.270

Die kaufmännische Organisation der Programmzeitschrift schuf der spätere Teilhaber Karl Andreas Voss, der bis Ende 1954 als Verlagsleiter figurierte. Nachdem 1949 die vertriebliche Beschränkung auf die britische Besatzungszone gefallen war, baute Voss in Zusammenarbeit mit dem Vertriebsleiter Arthur Szimmetat271 einen bundesweiten Vertriebsapparat für das Verlagshaus auf.272 Im Februar 1948 etablierte der Verlagsleiter mit der Vergabe eines Druckauftrags an den Kölner Verlag DuMont Schauberg einen zweiten Druckort und legte damit die technischen Grundlagen für die westdeutsche Regionalausgabe der Programmzeitschrift.273 Im August 1952 übernahm die verlagseigene Tiefdruckerei in der Kaiser-Wilhelm-Straße die Herstellung der norddeutschen Hör zu-Ausgabe und beendete die drucktechnische Abhängigkeit vom Broschek-Verlag.274 1960 folgte die Inbetriebnahme der Tiefdruckrotationen in Darmstadt, die fortan die Südausgaben der Hör zu produzierten.275 Bis zu Beginn der 1960er-Jahre wurden weitere Regionalausgaben in Berlin, Frankfurt, Stuttgart und München etabliert. Einen maßgeblichen Einfluss auf den Auflagenerfolg der Programmillustrierten hatten nicht zuletzt die innovativen Werbekampagnen der Hör zu, die vom Verlagswerbeleiter Hans Heinrich Schreckenbach konzipiert und durchgeführt wurden. Während Springer eine Beschäftigung mit verlagskaufmännischen Funktionen unterhalb der höchsten Entscheidungsebenen mangels Interesse ablehnte, nahm er an den Werbemaßnahmen seiner wichtigsten Verlagsobjekte bis weit in die 1950er-Jahre großen Anteil. Mit Blick auf die Hör zu galt dies insbesondere für den werblichen Einsatz der Igelfigur »Mecki«, die in den 1950er-Jahren zum bekanntesten Markenträger in der Bundesrepublik avancierte.276

Grafik 2: Entwicklung der Rundfunkzeitschrift Hör zu (bis 1960)277

Die dynamische Auflagenentwicklung spiegelte sich in den Erlösen und Ergebnissen der Programmillustrierten wider. Hör zu erwirtschaftete im ersten Geschäftsjahr nach der Währungsreform 1948/1949, das aus Bilanzierungsgründen 18 Monate umfasste, einen Erlös von 11,7 Millionen Deutsche Mark.278 Dies entsprach rund 50 Prozent des Verlagsumsatzes. Aus einer überschlägigen Ergebnisrechnung lässt sich eine operative Marge von knapp über 10 Prozent ableiten. Bis zum vorläufigen Auflagenhöhepunkt im Jahre 1963 wuchsen die Hör zu-Erlöse um durchschnittlich jährlich 22 Prozent auf 175,7 Millionen Deutsche Mark.279 Somit erwirtschaftete Hör zu rund 25 Prozent des konsolidierten Verlagsumsatzes. Noch beeindruckender entwickelten sich die Anzeigenerlöse, die im gleichen Zeitraum jährlich um 37 Prozent zulegten und 1963 einen Umsatzanteil von 58 Prozent erreichten. Schon 1950 war Hör zu mit einem Anzeigenseitenpreis von 11.840 Deutsche Mark das teuerste Werbeorgan der Bundesrepublik.280 Dreizehn Jahre später hatte sich der Anzeigenseitenpreis mehr als verfünffacht. Das Betriebsergebnis der Programmillustrierten lag 1963 bei 24,8 Millionen Deutsche Mark.281 Daraus lässt sich eine operative Marge knapp über dem langjährigen Durchschnitt von 12 Prozent berechnen.