Das Fernsehen als neues unternehmerisches Betätigungsfeld

Obwohl die Wurzeln für Springers Interesse am Fernsehen301 weit zurückreichen, reiften erste konkrete unternehmerische Pläne zur Nutzung des neuen Mediums erst zu Beginn der 1960er-Jahre, als die Öffentlichkeit über eine privatwirtschaftliche Beteiligung am Fernsehfunk und die Folgen öffentlich-rechtlicher Werbesendungen diskutierte. Gleichwohl besteht kein Zweifel, dass Springer die massenmediale Bedeutung des Fernsehens frühzeitig erkannt hatte: Bereits zu Beginn der 1940er-Jahre war seine Affinität zu visuellen Medien deutlich geworden, als der junge beschäftigungslose Journalist den Aufbau einer Lichtspielhaus-Kette plante.302 Wenige Jahre später machte er sich die außerordentliche Popularität des Hörfunks zunutze und begründete die Programmzeitschrift Hör zu. Kurz darauf schuf er mit dem Hamburger Abendblatt eine Tageszeitung, die in einem bislang nicht gekannten Ausmaß Photos und Zeichnungen als Informationsträger einsetzte.303 Perfektioniert wurde die Nutzung visueller Effekte durch die 1952 geschaffene Bild-Zeitung, die ganz in der Tradition des von Springer ausgerufenen »optischen Zeitalters«304 stand und später als »gedruckte Antwort auf das Fernsehen«305 bezeichnet wurde. Intensiv setzte er sich in diesem Zusammenhang nicht nur mit der britischen Presse, sondern auch mit der US-amerikanischen Medienlandschaft auseinander, die zu Beginn der 1950er-Jahre schon ganz im Zeichen des Siegeszugs des Fernsehens stand. Allerdings rückte das neue Medium im weiteren Verlauf der 1950er-Jahre zunehmend aus dem unternehmerischen Blickfeld Springers. Mehr und mehr wurde im neuen Medium eine Bedrohung für das Verlagsgeschäft gesehen. Im März 1955 übte der Verleger heftige Kritik am Bestreben der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, Werbesendungen unter ihrer Regie zu monopolisieren: »Eine tolle Situation: Man will in Monopol senden, sich nach Möglichkeit von Verwaltungsräten, die sich ausschließlich aus Abgeordneten der Parteien zusammensetzen, regieren lassen und dann nebenher ein bißchen private Wirtschaft spielen.« Gleichzeitig kritisierte Springer die defensive Haltung der deutschen Presse: »[Die privaten Rundfunkanbieter der USA, Großbritanniens und Australiens] […] lachen sich tot darüber, daß die ach so standesbewußte deutsche Presse bereit ist, den Rundfunk- und Fernsehmonopolgesellschaften das eventuelle Geschäft mit der Reklame zu überlassen.«306 Fernsehpolitisch hielt sich Springer jedoch nachfolgend zurück. Dies änderte sich auch dann nicht, als im Dezember 1958 die Freies Fernsehen GmbH unter Beteiligung von Verlegergruppen begründet und im September 1959 von der Bundesregierung mit dem Aufbau des zweiten Fernsehprogramms betreut wurde.307 Erst einige Monate später gab Springer mit den Planungen für ein Berliner Verlegerfernsehen seine unternehmerische Abstinenz auf. Ein weiteres Jahr verging, bevor er sich mit einer Rede auf der Jahreshauptversammlung des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger in die öffentliche Debatte um das kommerzielle Fernsehen einschaltete und sein fernsehpolitisches Engagement begann.

Verlegerfernsehen in Berlin

Im April 1960 legte Horst Schnare, zuvor Chefredakteur der Radio-Fernseh-Revue, einen »Entwurf über die Möglichkeiten von Beteiligungen des Hauses Springer am jetzigen und künftigen Fernsehen in Deutschland« vor.308 Obwohl nicht bekannt ist, wer die Erstellung des 17-seitigen Konzepts veranlasste, war es vermutlich die erste systematische Darstellung, die konkrete Ansatzpunkte zum Einstieg in das Fernsehgeschäft aufzeigte. Von einer Beteiligung an der Freies Fernsehen GmbH (FFG), dem geplanten Verlegerfernsehen der Bundesregierung, riet Schnare aufgrund der maximalen Anteilsquote von 2 Prozent ab.309 Stattdessen wurde als »Testfall« für einen »eigenen Commercial-Sender« der zeitnahe Aufbau eines Regionalsenders in Berlin empfohlen. Das programmatische Konzept sah die Ausstrahlung einer »sprechenden Zeitung« auf einem bislang von der Bundespost als Testsender genutzten Kanal vor, der auch einen Empfang auf dem Gebiet der DDR ermöglichen sollte. Darüber hinaus war die Produktion von Programminhalten für den Sender Freies Berlin (SFB) beabsichtigt. Mit Blick auf die Einführung eines zweiten Fernsehprogramms ging der Redakteur von einem steigenden Programmbedarf des SFB aus. Im ersten Schritt empfahl Schnare die Begründung eines Fernsehsenders »als […] Gemeinschaftsaufgabe der Berliner Verleger[,] als eine Art public relations für Zeitungslesen. […] Da unser Marktanteil ja ohnehin dominierend ist, käme der Erfolg der Zusammenarbeit sowieso hauptsächlich uns zugute.« Zudem verwies er auf den »politisch wichtigen Dienst«, dem DDR-Fernsehprogramm entgegenzuwirken – »weiter tragend als die Leuchtschriftanlage am Potsdamer Platz«. Im zweiten Schritt, als »Fernziel«, plante Schnare einen »springereigenen Fernseh-Zeitungssender« als vollkommerzielles Projekt. Abschließend warf der Vordenker die Frage auf, ob die »Kosten für diesen Sender-Betrieb als Generalunkosten für die Vorbereitung eigener Commercial-Sender zu verbuchen sind, oder ob sie zum Teil die Werbeetats unserer Zeitungen belasten sollen«. Während Voss allein die »Prüfung dieser Vorschläge« aus finanziellen und personellen Gründen ablehnte, griff Springer die Vorschläge engagiert auf und trieb das Vorhaben zusammen mit Schnare und Chefjustitiar Arning vehement voran.310

Bereits im Juni 1960 erfolgte die Gründung der Fernsehgesellschaft der Berliner Tageszeitungen mbH (FBT).311 Einen Anteil vom Stammkapital in Höhe von jeweils 5.000 Deutsche Mark zeichneten die sieben Berliner Verleger Hans Sonnenfeld (Spandauer Volksblatt GmbH, später Erich Lezinsky Verlag und Buchdruckerei GmbH), Maximilian Müller-Jabusch (zusammen mit Hans Sonnenfeld für den Verlag »Der Abend« GmbH), Arno Scholz (»Telegraf« Verlag GmbH), Franz Karl Maier (Verlag »Der Tagesspiegel« GmbH), Anton Langhans (Deutschland-Verlag GmbH), Erwin Erich Torenburg (Echo-Verlag GmbH) und Axel Springer (Ullstein GmbH). Zweck der Gesellschaft war die Versorgung der Bevölkerung »vornehmlich mit Nachrichten, Berichten und Kommentaren aktueller Art in zeitungsgerechter Aufmachung«, der »ständige Abwehrkampf gegen Fernsehprogramme des ostzonalen Fernsehens, die teilweise täglich bis zu zehn Stunden von der Ostzone nach Berlin und in die Randgebiete der Bundesrepublik hineingestrahlt werden«, sowie die Unterstützung der Berliner Bevölkerung im »Kampf um eine freiheitliche Lebensauffassung« im Falle »einer etwaigen politischen Situationsänderung«.312 Die von Springer initiierte gesellschaftsrechtliche Konstruktion suggerierte zwar ein gleichberechtigtes Handeln der beteiligten Verleger, doch sicherte sich der Verlagsherr mit der Berufung von Schnare zum Geschäftsführer einen maßgeblichen Einfluss.313 Einen Tag nach Gründung beantragte die FBT beim zuständigen Senator für Post und Fernmeldewesen, Günter Klein, eine »Lizenz zur Ausstrahlung von Fernsehsendungen im Land Berlin« und führte eine explizit politische Begründung an: »Die Berliner Zeitungsverleger sind besorgt, daß ihre Kraft, diese Auseinandersetzung [mit der kommunistischen Propaganda der Sowjetzone] zu bestehen, empfindlich geschwächt werden würde, wenn sie nicht auch für sich alle Möglichkeiten ausschöpfen, die sich aus der modernen Nachrichtenübermittlung ergeben.«314

Im Juli 1960 traf Springer mit Bundeskanzler Adenauer zusammen und erläuterte in einem persönlichen Gespräch seine Pläne für das Berliner Verlegerfernsehen. Vor allem bemühte er sich um eine Zusammenarbeit mit dem zweiten Fernsehprogramm, das 1960 unter maßgeblicher Beteiligung der Bundesregierung vorbereitet wurde.315 Kurze Zeit später nahm die FBT Verhandlungen mit der Trägergesellschaft Freies Fernsehen GmbH (FFG) auf und schloss im November 1960 eine Kooperationsvereinbarung.316 Die Übereinkunft sah vor, dass die FBT die »aktuelle Berichterstattung über Berliner Ereignisse aller Art« sowie »Ostdokumentationen« übernehmen und im Gegenzuge eine garantierte Aufwandsentschädigung erhalten sollte. Die Kostenerstattungspflicht von immerhin 4 Millionen Deutsche Mark gegenüber der FBT erfolgte im »Auftrage der Bundesregierung«, worin die erhebliche politische Flankierung der Berliner Fernsehpläne durch das Bundeskanzleramt erkennbar wurde.317 Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 1961 machte jedoch die Pläne der Freies Fernsehen GmbH und damit auch das Kooperationsvorhaben zunichte. Die Verfassungsrichter sprachen den Bundesländern auf Basis ihrer alleinigen Kulturhoheit das Programmsendemonopol zu.318 Damit wurde Adenauers Plänen, ein zweites Fernsehprogramm ohne Länderbeteiligung zu schaffen, die Grundlage entzogen.319

Nach dem Scheitern der Bonner Fernsehpläne strebte die FBT die Übernahme des zweiten Fernsehprogramms in Berlin an.320 Es zeichnete sich jedoch bald ab, dass die Bundesländer für das zweite Fernsehprogramm eine eigene bundesweite öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt, das spätere Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF), planten. Im März 1961 entschied der Berliner Senat, »die Rechtseinheit mit den anderen Bundesländern beim Aufbau des zweiten Fernsehprogramms zu wahren« und sich an der gemeinsamen Rundfunkanstalt der Länder zu beteiligen.321 Gleichwohl erklärte Senator Klein im April 1961, dass »die Mitarbeit der Fernsehgesellschaft der Berliner Tageszeitungen an der Programmgestaltung durchaus erwünscht sei«.322 Diese Möglichkeit bezog sich sowohl auf das sogenannte »Kontrastprogramm«, das ab Juni 1961 bis zur Errichtung der bundesweiten Fernsehanstalt durch den SFB ausgestrahlt werden sollte, als auch auf das spätere Programm des ZDF. Nach Abschluss einer Vereinbarung zwischen dem SFB und der FBT im Mai 1961 entwickelte sich bis Mitte 1962 eine »in jeder Beziehung erfreuliche Zusammenarbeit«, die sich auf die Nutzung von personellen und technischen Kapazitäten der FBT bezog.323 Für diesen Zweck erwarb die FBT umfangreiches technisches Material, das durch einen Bankkredit und eine Kapitalerhöhung finanziert wurde.324 Mitte 1962 musste die FBT jedoch einen schweren Rückschlag hinnehmen, als einerseits die Kooperation mit dem SFB aus finanziellen Gründen beendet wurde und andererseits die Pläne zur Übernahme des Berliner ZDF-Landesstudios trotz politischer Schützenhilfe durch den Berliner Senat scheiterten.325 Im Oktober 1962 konnte allerdings mit dem ZDF zumindest eine Zusammenarbeit vereinbart werden, in deren Rahmen vor allem Produktionsaufträge für das Unterhaltungs-, Kinder- und Jugendprogramm vergeben wurden.326 Später kamen weitere Auftraggeber hinzu, darunter das Auswärtige Amt, der Berliner Senat und der Axel-Springer-Verlag. Zusätzlich wurden für das ZDF und andere Abnehmer technische Dienstleistungen erbracht.327 Allerdings konnte die produktionstechnische Zusammenarbeit mit den Rundfunkanstalten nicht darüber hinwegtäuschen, dass die FBT ihr eigentliches Ziel, das Verlegerfernsehen, bislang nicht erreicht hatte. Zudem waren die Produktionsaufträge der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten weitgehend unpolitischer Natur. Angesichts der ernüchternden Bilanz verlor Springer zunehmend das Interesse an der FBT und zog sich aus der Unternehmensführung weitgehend zurück.

Nachdem der Berliner Senat im Januar 1963 entschieden hatte, das geplante dritte Programm ebenfalls durch den SFB ausstrahlen zu lassen, begannen sich die Fronten in der geteilten Stadt zu verhärten.328 Immer vehementer setzten sich die Berliner Verleger gegen das Werbefernsehen des SFB zur Wehr.329 Gleichzeitig erhöhten sie den Druck auf den Berliner Senat, um eine Erteilung der im Juni 1960 beantragten Sendelizenz zu erreichen.330 Das Verhältnis zwischen den Verlegern und den politischen Verantwortlichen kühlte deutlich ab. Dies galt im besonderen Maße für die Beziehung von Springer zu Willy Brandt:

»Unser freundlicher Kontakt litt Schaden, als [Axel Springer] […] mich im Rathaus Schöneberg bedrängte, einem regionalen Verleger-Fernsehen zuzustimmen; er sah West-Berlin als Büchsenöffner für den Bund. Mir erschien es unzumutbar, den Berliner Sonderstatus auf diese Weise in Anspruch nehmen zu wollen; außerdem hatte meine Partei überhaupt Bedenken gegen ein privates Fernsehen.«331

Im März 1965 lehnte Klaus Schütz den Sendelizenzantrag der FBT schließlich ab.332 Kurz zuvor hatte der SFB die heftige Kritik der Verleger am Werbefernsehen zum Anlass genommen, die FBT von der weiteren Auftragsvergabe auszuschließen. Nach Bekanntwerden der »Spitzel-Affäre« beendete im August 1967 auch das ZDF die Zusammenarbeit mit der Fernsehgesellschaft.333 Die wachsenden öffentlichen Vorbehalte gegenüber Springer griffen Mitte der 1960er-Jahre auf den Gesellschafterkreis der FBT über. Sie resultierten nicht nur aus der sich verschärfenden Wettbewerbssituation am Berliner Zeitungsmarkt, sondern auch aus der lauter werdenden öffentlichen Kritik am Verleger und seinem Verlagshaus. Nach der ZDF-Affäre und einem Streit über angebliche »Dumping-Preise« der Welt verließen Franz Karl Maier (Verlag »Der Tagesspiegel« GmbH), Maximilian Müller-Jabusch (Verlag »Der Abend« GmbH), Hans Sonnenfeld (Erich Lezinsky Verlag und Buchdruckerei GmbH) und Anton Langhans (Deutschland-Verlag GmbH) im August 1967 die FBT.334 Mit der weitgehenden Auflösung des Gesellschafterkreises wurde das Vorhaben eines Berliner Verlegerfernsehens endgültig begraben. Fortan widmete sich das in Berliner Fernsehgesellschaft Tageszeitungen GmbH umbenannte Unternehmen nur noch Produktionsaufträgen, ohne erwähnenswerte Umsätze zu erwirtschaften.335

Auf fernsehpolitischer Bühne

Mitte 1961 schaltete sich Springer mit einer Rede auf der Jahreshauptversammlung des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) in die öffentliche Debatte um das kommerzielle Fernsehen ein.336 In seinem Vortrag kritisierte er die Benachteiligung der Zeitungsverleger durch das öffentlich-rechtliche Rundfunkmonopol insbesondere aus wettbewerbspolitischer Sicht. In der höheren Nachrichtenaktualität des neuen Mediums sah er einen technologiebedingten Wettbewerbsvorteil, dessen Nutzung in staatlich garantierter Form den Fernsehanstalten vorbehalten wäre:

»Im Zeitalter der schnellsten Nachrichtenübermittlung auf dem Bildschirm leben wir Zeitungsverleger im Zeitalter der Postkutsche. Unsere Wettbewerber, die vom Staat ins Leben gerufenen öffentlich-rechtlichen Anstalten, sind dagegen echte Kinder des Jet- und Düsenflugzeug-Zeitalters. […] Ist es fair, sinnvoll und klug, die technische Weiterentwicklung der Zeitung dadurch zu behindern, daß der Staat ganz einseitig öffentlich-rechtlichen Anstalten das Recht des Sendens gibt?«

Als besonders wettbewerbsverzerrend bezeichnete Springer das Monopol auf das Werbefernsehen, mit dem die staatlich privilegierten Rundfunkanstalten das Anzeigengeschäft der Zeitungs- und Zeitschriftenverleger unlauter angreifen würden:

»Im übrigen hat meine […] Vorliebe für die Institutionsform der öffentlich-rechtlichen Anstalten einen mächtigen Stoß erhalten […], als man trotz aller Privilegien, trotz aller Sonderstellung, trotz aller Befreiung von Körperschaftssteuer und Umsatzsteuer, trotz Gebührenzwangs auch noch in schöner Unbekümmertheit sich auf den freien Markt begab und sich Anzeigenteile zulegte. […] Soll dieses Werbefernsehen allein und für alle Zeiten von den öffentlich-rechtlichen Anstalten unternommen werden? Hier kommt eben einer der groteskesten Fälle, daß in unserer Zeit der Wettbewerbswirtschaft das Prinzip der Wettbewerbswirtschaft auf unserem Gebiet total außer Kurs gesetzt worden ist[,] in seltener Brutalität […] und in perfektionistischer deutscher Manier.«

Springers Rede entfaltete eine erhebliche Wirkung in der Diskussion um das Verlegerfernsehen.337 Es gelang ihm, die seit 1958 bestehende Uneinigkeit des BDZV endgültig zu überwinden und die Verlegerkollegen zu einer Resolution mit einem »Sieben-Punkte-Aktionsprogramm« zu bewegen, das im Wesentlichen den von Springer erhobenen Forderungen entsprach. Die neugewonnene Geschlossenheit des BDZV war eine wichtige Voraussetzung für die weiteren Bemühungen um das Verlegerfernsehen. Überdies führte Springer erstmals ausführlich die Argumente an, mit denen er die Ansprüche der Verleger auf das Fernsehen begründete. Insbesondere die Bedrohung der Zeitungen durch das Werbefernsehen wurde fortan in den Mittelpunkt gestellt, um das System der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zu hinterfragen und eine Beteiligung der Verleger am Fernsehen zu fordern.338 In diesem Zusammenhang wich die wettbewerbspolitische zunehmend einer pressepolitischen Argumentation, wie das Beispiel der BDZV-Denkschrift »Pressefreiheit und Fernsehmonopol« aus dem Jahre 1964 zeigt. Das Memorandum, das unter Beteiligung des Verlagshauses entstand, sah durch die existenzgefährdende Konkurrenz durch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten die Pressefreiheit und damit die »Grundlage der Demokratie« bedroht.339 Um seinen fernsehpolitischen Forderungen mehr Nachdruck zu verleihen, ließ sich Springer Anfang 1963 – neben weiteren Verlegern mit ähnlicher Interessenlage – in das eigens erweiterte Präsidium des BDZV wählen.340 Gleichzeitig übernahm Arning die Federführung im »Ausschuß für Rundfunk- und Fernsehfragen« des Verbands. In der Folge entwickelte sich Springer mehr und mehr zu einer Schlüsselfigur in den Bemühungen des BDZV um ein Verlegerfernsehen.

Auch jenseits des BDZV rückte Springer zunehmend in den Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion, besonders als sich neben den persönlichen Erklärungen und Veröffentlichungen des Verlegers wichtige Verlagsobjekte seines Hauses in den Fernsehstreit einschalteten.341 Nachdem die Zeitungen und Zeitschriften Springers lange keine einheitliche Position gegenüber den Forderungen der Verleger bezogen hatten, begann die Bild-Zeitung Anfang 1962 mit systematischen Angriffen auf die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten.342 Die Veröffentlichungen, die vor allem die Programminhalte und das Werbefernsehen der Sender eindringlich und scharf kritisierten, waren Teil einer publizistischen Kampagne, die von Peter Boenisch orchestriert wurde.343 Ab 1963 wurde auch Die Welt in die fernsehpolitische Debatte eingebunden.344 Operativer Mittelpunkt aller Fernsehaktivitäten des Verlagshauses war der Chefjustitiar Arning, der in enger Abstimmung mit dem Verleger die juristischen und politischen, aber auch publizistischen Vorstöße koordinierte. Im September 1964 erfolgte die Gründung einer »Abteilung für elektronische Publikationsmittel«, deren Leitung Arning übernahm.345

Die zahlreichen publizistischen Kampagnen gegen das öffentlich-rechtliche Fernsehen konnten allerdings nicht verhindern, dass die Landesregierungen 1962 entschieden, das geplante dritte Fernsehprogramm unter dem Dach ihrer jeweiligen Landesrundfunkanstalten auszustrahlen.346 Die Beschlüsse wurden von den Zeitungsverlegern scharf kritisiert. Das BDZV-Präsidium sah im Ausschluss der Verleger einen »fait accompli«, der die Neuordnung des Rundfunkwesens verhindere und den »Interessen der Allgemeinheit« zuwiderlaufe.347 Die rasche Ausweitung der öffentlich-rechtlichen Fernsehlandschaft auf drei Programmgruppen hinterließ ungeachtet steigender Gebühren- und Werbeeinnahmen deutliche Spuren in den Haushalten der Rundfunkanstalten. Besonders betroffen war das ZDF, das seit Aufnahme des Sendetriebs im April 1963 am Rand seiner finanziellen Belastungsfähigkeit agierte.348 Rasch griffen die Verleger und der BDZV die Finanzkrise des ZDF auf und plädierten für eine Übernahme des zweiten Programms.349 Im November 1964 wurde vom Hauptausschuss des BDZV ein von Arning initiiertes Konzept verabschiedet, das die Übertragung des ZDF-Programms und -Werbefernsehens auf eine von den Zeitungsverlegern gehaltene Aktiengesellschaft, die spätere Presse-Fernsehen AG, vorsah. Gleichzeitig sollten die Rundfunkanstalten der Länder die vollen Fernsehgebühren des ZDF erhalten und im Gegenzug auf Werbesendungen vollständig verzichten. Um eine möglichst breite Beteiligung der Zeitungsverleger an der Presse-Fernsehen AG zu gewährleisten, war für jeden ein Zeichnungsrecht in einheitlicher Höhe und eine Beschränkung der Beteiligungsquote auf 2 Prozent geplant.350 Parallel fanden seit Mitte 1964 intensive Gespräche mit Politikern der CDU, CSU, FDP und SPD, später auch mit den Vertretern der Rundfunkanstalten und den Ministerpräsidenten statt, an denen auch Springer teilnahm.351 Begleitet von scharfen publizistischen Auseinandersetzungen zwischen den Kritikern und Befürwortern der Verlegerpläne zeichnete sich jedoch eine ablehnende Haltung gegen die angestrebte Übernahme des ZDF ab.352 Nachdem der Vorschlag des BDZV in den entsprechenden ARD- und ZDF-Gremien keine Zustimmung fand, sprach sich im Januar 1965 auch die Ministerpräsidentenkonferenz unter Verweis auf rechtliche und wirtschaftliche Bedenken gegen die Fernsehpläne aus. Wie schon beim Adenauer-Fernsehen waren die Länder nicht bereit, politische Einflussmöglichkeiten auf das zweite Fernsehen aufzugeben.353

Unmittelbar nach dem Scheitern der ZDF-Übernahme gaben eine Reihe von CDU-Bundestagsabgeordneten bekannt, eine Gesetzesinitiative zum Verbot von Werbesendungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und Fernsehen einzubringen. Geistiger Urheber dieses Vorstoßes war der langjährige Springer-Vertraute Erik Blumenfeld, der im März 1965 erklärte: »Wir bringen den Gesetzesentwurf jetzt ein, nachdem sich herausgestellt hat, daß die Länder wie auch die Rundfunkanstalten nicht bereit waren, […] die Vorschläge der Zeitungsverleger als […] Interessengruppe zur Teilnahme am Fernsehen anzunehmen.«354 Während die Gesetzesinitiative wiederum Anlass für heftige öffentliche Auseinandersetzungen war, verlief der gesetzgeberische Beratungsprozess nur schleppend.355 Letztlich fehlte Blumenfelds Gesetzentwurf die breite Unterstützung der Bundesregierung und der CDU/CSU-Fraktion, so dass die Vorlage nie zur Abstimmung gelangte und im nachfolgenden Bundestag nicht wieder eingebracht wurde.356 Ein weiterer Vorstoß von Blumenfeld entwickelte sich zur selben Zeit ebenfalls nicht im Sinne der Verleger: Er hatte seit 1963 zusammen mit dem CDU-Angeordneten Berthold Martin erfolgreich die Einsetzung einer »Kommission zur Untersuchung der Wettbewerbsverhältnisse zwischen Presse, Funk/Fernsehen und Film« betrieben, die unter ihrem Vorsitzenden Elmar Michel, dem Generaldirektor der Salamander AG, Anfang 1965 ihre Arbeit aufnahm.357 Aus Sicht der Zeitungsverleger sollte die sogenannte »Michel-Kommission« die Existenzgefährdung der Presse durch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten unter Beweis stellen. Während der zweieinhalbjährigen Tätigkeit der Kommission wurde jedoch zunehmend klar, dass das Gremium zu Ergebnissen kommen würde, die einen existenzgefährdenden Wettbewerb durch die Rundfunkanstalten und eine Verfassungswidrigkeit öffentlich-rechtlicher Werbesendungen nicht würde belegen können. Zwar befürwortete die Kommission die Teilprivatisierung des Rundfunks, warnte aber zugleich vor einer Monopolbildung, falls das BDZV-Konzept zur Übernahme des ZDF realisiert werden würde.358 Die Veröffentlichung des Berichts der »Michel-Kommission« im September 1967 bedeutete somit einen Rückschlag für die fernsehpolitischen Pläne der Verleger.

Abbildung 17: Titelblatt des Wochenmagazins Der Spiegel (1965)

Parallel zu den bundespolitischen Bemühungen um ein Verlegerfernsehen erfolgten regelmäßig Vorstöße, um in einzelnen Bundesländern ein privates Regionalfernsehen zu etablieren. Neben den Aktivitäten der FBT in Berlin und einem Vorstoß für eine Rundfunkbeteiligung in Kiel nahm ab Mitte 1967 ein Verlegerfernsehen im Saarland greifbare Formen an.359 Auslöser war die Verabschiedung eines Rundfunkgesetzes durch die christlich-liberale Landesregierung, das erstmals ein privatwirtschaftliches Fernsehen mit bundesweiter Ausstrahlungsmöglichkeit zuließ. Noch im selben Monat gründeten Springer und die weiteren BDZV-Präsidiumsmitglieder als Treuhänder für den Zeitungsverlegerverband die Freie Rundfunk AG (FRAG), die im Juni 1967 bei der Landesregierung und beim Bundespostministerium eine Sendelizenz beantragte.360 Nach seinem vorläufigen fernsehpolitischen Rückzug verkaufte Springer im April 1970 seine FRAG-Anteile an den Verleger der Nürnberger Nachrichten, Heinrich Merkel.361

Die jahrelangen fernsehpolitischen Initiativen, die erbitterten publizistischen Kampagnen und die beständigen Auseinandersetzungen mit den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten blieben nicht ohne Rückwirkung auf Springer und sein Verlagshaus. Im Februar 1965 thematisierte Augstein erstmals die fernsehpolitischen Ambitionen des Verlegerkollegen in einer Spiegel-Titelgeschichte und ging ausführlich auf Springers herausragende Wettbewerbsposition und seinen publizistischen Einfluss ein.362 Augsteins Artikel markierte den Auftakt einer langen Reihe von kritischen Beiträgen, die aus den Federn einer für den Verleger unheilvollen Allianz von Wettbewerbern, Rundfunkanstalten und Politikern stammten und maßgeblich zur Verschlechterung des Meinungsklimas gegenüber Springer beitrugen. Auf die vielschichtigen Umstände und Folgen der bald einsetzenden öffentlichen Angriffe wird an späterer Stelle noch einzugehen sein. In der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre schwanden Springers Aussichten auf eine Fernsehbeteiligung; nicht nur weil es quer über alle politischen Lager hinweg kaum noch Fürsprecher für ein privatwirtschaftliches Fernsehengagement gab, sondern auch weil Springer inzwischen fernsehpolitisch »verbrannt« war. Den letzten Rest an öffentlicher Glaubwürdigkeit in der Fernsehdebatte verlor der Verleger, als der Spiegel im August 1967 eine Spitzeltätigkeit im ZDF und zwei Monate später einen Beratervertrag mit dem CDU-Politiker und NDR-Verwaltungsrat Arthur Schwinkowski aufdeckte.

Im Oktober 1966 hatte Arning in Abstimmung mit Springer den Leiter der Berliner Hör zu-Redaktion Josef Hyzdal von Miserony und den Journalisten Ekkehard Francke-Gricksch beauftragt, unter Einhaltung strengster Vertraulichkeit belastendes Material über Personen und Vorgänge im ZDF zu sammeln.363 In den folgenden vier Monaten trugen die beiden Informanten reichlich Material zusammen, das Hinweise auf Korruptionsfälle im ZDF gab. Dennoch zeigte sich der Fernsehbeauftragte unzufrieden und beendete die Zusammenarbeit. Anschließend kam es über Honorar- und Beschäftigungsfragen zu Meinungsverschiedenheiten, die Hyzdal von Miserony und Francke-Gricksch veranlassten, den Spiegel über die Spitzeltätigkeit zu informieren. Nach der Veröffentlichung des Nachrichtenmagazins brach ein medialer Sturm der Entrüstung über das Verlagshaus herein; der ZDF-Intendant Holzamer verlangte eine Entschuldigung von Springer.364 Nach einem Gespräch, das auf Vermittlung von Franz Josef Strauß zwischen Springer und Holzamer im September 1967 stattfand, entschuldigte sich der Verleger schriftlich beim ZDF.365

Wenige Tage später machte der Spiegel eine weitere konspirative Operation Arnings bekannt.366 Der Chefjustitiar hatte mit dem Vize-Präsidenten des Schleswig-Holsteinischen Landtags und Mitglied des NDR-Verwaltungsrats Schwinkowski einen Beratervertrag abgeschlossen, der laut Spiegel ebenfalls der Informationsbeschaffung dienen sollte. Springer reagierte auf die neuerlichen Vorwürfe, indem er Arning im Oktober 1967 von seiner Aufgabe als »Bevollmächtigter für elektronische Medien« entband.367 Während der Verleger den Einsatz der beiden Journalisten im ZDF ausdrücklich autorisiert hatte, bleibt seine Rolle im Fall Schwinkowski unklar.368 Allerdings ist anzunehmen, dass auch das zweite konspirative Unternehmen mit Zustimmung Springers durchgeführt wurde.

Nachfolgend zog sich Springer weitgehend von der fernsehpolitischen Bühne zurück. Die nun verfolgte »Understatement-Strategie« in Fernsehfragen wurde personell durch Ernst Cramer als neuem Leiter der »Stabsabteilung Elektronische Publikationsmittel« untermauert.369 Der Deutsch-Amerikaner widmete sich vor allem nicht-terrestrischen TV-Angeboten, wie dem Kabel- und Satelliten-Fernsehen, ohne allerdings den Anspruch auf ein sendergestütztes Privatfernsehen aufzugeben. Zudem entstanden umfangreiche Pläne für den Einstieg in das Videokassettengeschäft, auf das noch näher eingegangen wird. Ebenso änderte der BDZV seine fernsehpolitische Strategie. An die Stelle der »bisherigen Auseinandersetzungen« mit den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten müsse »durch eine auf die derzeitigen Realitäten abgestellte kommunikationspolitische Konzeption« ein »Miteinander mit den Intendanten« treten, um eine privatwirtschaftliche Beteiligung am Funk und Fernsehen, vor allem an den geplanten Regionalprogrammen zu erreichen.370

Springers unternehmerisches Vorhaben, in das Fernsehgeschäft einzusteigen, war gescheitert. Zwar beteiligte sich das Verlagshaus fünfzehn Jahre später mit der SAT 1 Satelliten Fernsehen GmbH (SAT 1) am ersten privatwirtschaftlichen Fernsehen in Deutschland, doch nahm der von Krankheit gezeichnete Verleger kaum noch unternehmerischen Anteil an dem Projekt. Weit über den fernsehpolitischen Bereich hinaus hatte der erbitterte Kampf um eine Fernsehbeteiligung das Ansehen des Verlagshauses schwer beschädigt. Der Verleger hatte nicht nur seine öffentliche Glaubwürdigkeit und reichlich politisches Kapital verspielt, sondern sich auch mächtige Gegner, vor allem in den öffentlichen-rechtlichen Rundfunkanstalten, geschaffen. Durch die lautstarken politischen Initiativen und publizistischen Kampagnen war Springer Mitte der 1960er-Jahre in den Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt, die durch die wirkungsvolle Berichterstattung der Widersacher und Konkurrenten rasch in eine kritische Haltung umschlug. Die Vorwürfe, die ihm zunehmend entgegenschlugen, waren brisanterweise die gleichen, die der Verleger zuvor gegen die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ins Feld geführt hatte. Nun aber war es Springer, der nach Meinung der Kritiker die Pressekonzentration beförderte und seine publizistische Meinungsmacht unlauter nutzte. So erwies sich das fernsehpolitische Engagement nicht zuletzt als »Büchse der Pandora« mit verhängnisvollen Konsequenzen für den Verlagskonzern.

Das Videokassettengeschäft und Studio Hamburg

Infolge der schwindenden Aussichten eines bundesdeutschen Privatfernsehens rückten Ende der 1960er-Jahre vermehrt andere Einsatzmöglichkeiten elektronischer Publikationsmittel in das Blickfeld des Verlegers. Insbesondere die massentaugliche Bildwiedergabe von Filmkassetten stieß auf großes Interesse bei Springer, der sich auf diesem Wege den Einstieg in das Fernsehgeschäft ohne rundfunkpolitischen Hintergrund erhoffte.371 Den strategischen Gedankenspielen im audiovisuellen Bereich war die Marktreife des ersten kassettengebundenen Wiedergabesystems unter Einsatz eines Fernsehbildschirms, der sogenannten Electronic Video Recording-Technik (EVR) vorausgegangen.372 EVR war mit großem Aufwand von Columbia Broadcasting System Laboratories (CBS), einem der damaligen Innovationsführer im audiovisuellen Bereich, entwickelt und im August 1967 der Öffentlichkeit vorgestellt worden. Zusammen mit Imperial Chemical Industries und Ciba-Geigy wurde die EVR Partnership in London begründet, die regionale Lizenzen für die Hardware-Produktion und den Vertrieb der in Eigenregie hergestellten Kassetten vergab. Im Juni 1969 sprach sich Springer nach einem Vortrag im Kreise der obersten Führungskräfte für die Vermarktung von EVR-Kassetten aus, deren technologische Grundlage jedoch schon von der aufkommenden Magnetband-Technik in Frage gestellt wurde.373 Mit Vehemenz trieb er das audiovisuelle Projekt voran, ließ Verhandlungen mit dem Lizenzgeber EVR Partnership und dem deutschen Hardware-Produzenten Robert Bosch aufnehmen, beauftragte Marktanalysen zur Identifizierung von Zielgruppen und ordnete die Erschließung von Produktionskapazitäten an. Wenige Wochen später unterschrieben die EVR Partnership und Axel Springer & Sohn einen Lizenzvertrag, der dem Verlagshaus den Exklusiv-Vertrieb von EVR-Kassetten in Deutschland und Österreich einräumte.374 Nachdem selbst die Taxierung des Finanzmittelbedarfs auf beachtliche 76,8 Millionen Deutsche Mark für die kommenden drei Jahre das Kassetten-Projekt nicht stoppen konnte, erfolgte im Dezember 1969 die Gründung der Tochtergesellschaft Ullstein AV Produktions- und Vertriebs GmbH, die von Axel Springer & Sohn sowie der Ullstein GmbH gehalten wurde und später auf die oberste Holding-Gesellschaft Axel Springer Gesellschaft für Publizistik KG überging.375

Die Suche nach den notwendigen Produktionskapazitäten nahm unterdessen greifbare Formen an, als dem Verlagshaus eine Beteiligung an der Studio Hamburg Atelierbetriebsgesellschaft mbH angeboten wurde, die zu 20 Prozent dem Hamburger Filmkaufmann Gyula Trebitsch und zu 80 Prozent einem Gemeinschaftsunternehmen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten NDR und Radio Bremen gehörte.376 Ein Einstieg in den bedeutsamen Atelierbetrieb versprach nicht nur die Erschließung ausreichender Produktionskapazitäten für das Kassetten-Fernsehen und audiovisuelle Kooperationsmöglichkeiten mit den beiden assoziierten Unternehmen Siemens und Philips, sondern auch einen bevorzugten Zugang zu den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten, die zu den Hauptabnehmern des Studio Hamburg zählten. Auf wessen Initiative die ersten Gespräche zwischen dem Verlagshaus und der Fernsehanstalt im Januar 1970 zurückgingen, bleibt im Dunkeln.377 Ebenso unklar sind aus heutiger Sicht die Veräußerungsmotive des NDR-Intendanten Gerhard Schröder. Denkbar ist, dass der Verkauf von 35 Prozent des Studio Hamburg aus rein finanziellen Gründen angestrebt wurde.378 Der einflussreiche wie umtriebige Filmkaufmann und Produzent Trebitsch, der die Hälfte seiner Anteile an Springer abgeben wollte, interessierte sich dagegen für die gemeinsame Erschließung des audiovisuellen Marktes.379 Allen Beteiligten war klar, welche politische Brisanz der Teilverkauf einer NDR-Produktionstochter an Springer, dem erbitterten Kritiker des öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems, hatte. Ohne die Unterstützung wichtiger politischer Entscheidungsträger, darunter der Hamburger SPD-Bürgermeister Herbert Weichmann und sein christdemokratischer Vorgänger Kurt Sieveking, wären die Verhandlungen undenkbar gewesen.380 Der anfangs geräuschlose Veräußerungsprozess fand allerdings ein jähes Ende, als Springers Vorhaben einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurde und unversehens auf heftige politische Gegenwehr stieß.381 Prompt stimmte der Aufsichtsrat der Norddeutschen Werbefernsehen GmbH, der öffentlich-rechtlichen Mehrheitseignerin von Studio Hamburg, gegen den Verkauf, woraufhin Trebitsch dem Aufsichtsrat die vollständige Übernahme des Atelierbetriebs anbot.382 Trebitsch’ Vorschlag stieß auf Zustimmung. Der Annahme des Übernahmeangebots lag allerdings die schließlich akzeptierte Bedingung zugrunde, dass Springer künftig keine Mehrheitsbeteiligung eingeräumt werden dürfe.383 Als weitere öffentliche Beruhigungspille erklärte Kracht gegenüber Intendant Schröder, dass die »Axel Springer Verlag AG keine Initiative […] zur Einführung eines privaten Fernsehens in Deutschland« ergreifen würde.384 Unterdessen hatte Springer mit dem Bertelsmann-Verleger Mohn Verhandlungen über ein Zusammengehen der beiden Verlagshäuser aufgenommen. Gerade für das audiovisuelle Geschäft war das Gütersloher Medienunternehmen mit seinen Film- und Musikproduktionsbetrieben sowie dem schlagkräftigen Vertriebsapparat ein idealer Partner. Ende Januar 1970 verständigten sich die Verlagsspitzen auf eine Kooperation im audiovisuellen Bereich, wodurch die Notwendigkeit einer Beteiligung an Studio Hamburg in Frage gestellt wurde.385 Die Ungewissheit war jedoch nur von kurzer Dauer. Im April 1970 hatte Springer jedes Vertrauen zu Bertelsmann verloren und gab demonstrativ den Auftrag, Anteile von Studio Hamburg zwischen 16 Prozent und 26 Prozent aus der Hand von Trebitsch zu erwerben.386 In den folgenden Tagen gerieten jedoch die Verhandlungen zwischen dem Produzenten und dem NDR ins Stocken. Streitpunkt war das von Trebitsch geforderte Junktim, die Anteile nur bei einem gleichzeitigen Abschluss langfristiger Bewirtschaftungsverträge mit dem NDR zu übernehmen. Dies lehnten die Gremien der Rundfunkanstalt ab. Anschließend beschlossen Trebitsch und das Rundfunkhaus, die »gegenwärtigen Beteiligungsverhältnisse an […] Studio Hamburg […] nicht zu verändern«.387 Damit waren Springers Bemühungen um den Atelierbetrieb endgültig gescheitert.

Während sich die Pläne für eigene Produktionskapazitäten zerschlugen, nahm zumindest der Kassetten-Vertrieb erste greifbare Formen an. Im Juni 1970 wurde ein audiovisuelles »Informationssystem für Ärzte« vorgestellt, das durch einen hochrangigen medizinischen Beirat unterstützt wurde.388 Im Oktober 1970 folgte die Produktion erster unterhaltender Kassetten-Programme, die durch eine Kooperation mit Foto-Quelle per Katalog vertrieben werden sollten.389 Es wurde jedoch bald deutlich, dass sich die Videotechnik wesentlich langsamer durchsetzte als angenommen. Zudem war die Nachfrage nach wissenschaftlichen Informationsprogrammen auf Basis audiovisueller Anwendungen gering. Nur vier Jahre nach dem enthusiastischen Start wurde das medizinische Programm wieder eingestellt. 1981 beendete das Verlagshaus den Vertrieb von Unterhaltungskassetten.390 Die Verluste der gescheiterten audiovisuellen Aktivitäten bewegten sich im hohen zweistelligen Millionenbereich.391

Mit der Videotechnik scheiterte Springers letzter unternehmerischer Vorstoß, die elektronischen Medien zum Gegenstand eines erfolgreichen Geschäftsmodells zu machen. Erst mit dem Privatsender SAT 1 gelang der erwähnte Einstieg in die neuen Medien, der jedoch, ein Jahr vor Springers Tod, nicht mehr maßgeblich von ihm begleitet wurde. Sein videotechnischer Misserfolg lässt sich auf mehrere Gründe zurückführen. Im Wesentlichen war der Markteintritt 1970 verfrüht; Fehlprognosen über die Entwicklung der Technologie und des Konsumentenverhaltens führten zu einer Überschätzung des Marktpotentials der Videotechnik, die erst in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts mit VHS und Betamax millionenfache Verbreitung fand. Nicht zuletzt fehlte es sowohl im Verlagshaus als auch bei Springer an unternehmerischem Durchhaltevermögen. Darüber hinaus gab es keine durchsetzungsstarke Führungspersönlichkeit, die sich dem audiovisuellen Projekt verschrieben hätte. Ein Eduard Rhein, Peter Boenisch oder Günther Prinz der neuen Medien existierte nicht.392 Springers unternehmerisches Betätigungsfeld blieb auf den Verlagsbereich beschränkt.