Der Broschek-Verlag: Rivale zwischen Kooperation und Konfrontation

Mit dem Erwerb der Tageszeitung Die Welt war Springer nicht nur zum einflussreichsten Verleger der Bundesrepublik aufgestiegen, sondern hatte auch ein bedeutsames wettbewerbsstrategisches Ziel erreicht: Ein Wiedererstarken des Verlagshauses Broschek & Co. KG779 mit Hilfe der Welt-Verlagsgesellschaft war verhindert worden. Zwar war der Hamburger Traditionsverlag seit dem Kriegsende nur im Druckereigeschäft tätig, doch fürchtete Springer nichts mehr, als dass der Broschek-Verlag die einst bedeutende hanseatische Tageszeitung, das Hamburger Fremdenblatt, wiederbeleben und damit den Erfolg des Hamburger Abendblatts gefährden könnte.780 Die Sorgen kamen nicht von ungefähr: Über Jahre hatten Vertreter des Broschek-Verlags immer wieder bekräftigt, das Traditionsblatt zu einem geeigneten Zeitpunkt wieder auf den Markt zu bringen.781 Die ablehnende Haltung der Briten, die restitutionsbedingte Handlungsunfähigkeit des Verlagshauses, der Pachtvertrag der Welt-Verlagsgesellschaft und fehlende finanzielle Mittel hatten die Realisierung eines solchen Planes lange verhindert.

Allerdings band der Broschek-Verlag die Aufmerksamkeit Springers nicht nur wegen des Hamburger Fremdenblatts, sondern auch wegen der umfangreichen drucktechnischen Kapazitäten, die Springer Ende der 1940er-Jahre und zu Beginn der 1950er-Jahre in verschiedenen Konstellationen nutzen wollte. Erwähnung fand bereits sein Vorschlag, zusammen mit Broschek & Co. eine Tiefdruckanstalt zu betreiben, die dem Verleger die Errichtung einer eigenen Zeitschriftenrotation erspart, zukünftige Investitionen gebündelt und die Kapazitätsauslastung verbessert hätte.782 Überdies hätte Broschek & Co. im Rahmen der Kooperation auf die Herausgabe des Hamburger Fremdenblatts verzichten müssen. Der Vorschlag wurde jedoch, offenbar vom restitutionsbedingten Treuhänder des Broschek-Verlags, Kurt Merkel, und dem Minderheitsgesellschafter Albert Broschek, gegen die Stimmen von Antje Broschek und den Vertretern ihrer Kinder abgelehnt. Antje Broschek, die Witwe des verstorbenen Hauptanteilseigners Kurt Broschek, sah zwar die Herausgabe des Hamburger Fremdenblatts als »Lebensaufgabe« an, galt aber als schwankend und leicht zu beeinflussen.783 Mit Springer pflegte sie seit Ende der 1940er-Jahre ungeachtet der geschäftlichen Divergenzen ein gutes persönliches Verhältnis, das jedoch keinen Schutz vor heftigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Verlagshäusern bot.784 Neben den Plänen für eine gemeinsame Tiefdruckanstalt scheiterte wohl ebenfalls am Widerstand von Merkel und Albert Broschek das Vorhaben einer Gemeinschaftsdruckerei des Axel-Springer-Verlags, des Broschek-Verlags und der Welt-Verlagsgesellschaft.785 Auch in dieser Konstellation hätte Broschek & Co. auf die Herausgabe des Hamburger Fremdenblatts verzichten müssen. Springer nahm die ablehnende Haltung des Broschek-Verlags zum Anlass, die Errichtung der eigenen Tiefdruckkapazitäten und den Ausbau der Zeitungsrotation im Alleingang voranzutreiben. Für den Broschek-Verlag sollte sich die drucktechnische Verselbständigung Springers als äußerst nachteilig erweisen.

Nach dem Scheitern einer Kooperationslösung taten sich Anfang 1952 neue strategische Optionen auf, als die Hansestadt Hamburg einen restitutionsbedingt gehaltenen Anteil an der Broschek & Co. KG zum Verkauf anbot.786 Zuvor hatten die mit dem Restitutionsverfahren befassten Gerichte die Hansestadt zur Rechtsnachfolgerin der Vera Verlagsanstalt GmbH erklärt, die 1936 und 1937 als Tochtergesellschaft des nationalsozialistischen Pressetrusts Franz Eher Nachfolger GmbH Teile des Broschek-Verlags übernommen hatte.787 Dank seiner guten Verbindungen sowohl zu Bürgermeister Brauer, als auch zu den verantwortlichen Finanzbehörden war dem Verleger der Zuschlag durch die Hansestadt sicher.788 Aufgrund der Stellung eines persönlich haftenden Gesellschafters, die mit dem Erwerb der Hamburger Beteiligung verbunden gewesen wäre, mussten jedoch sämtliche Broschek-Kommanditisten ihre Zustimmung zum Erwerb geben.789 Antje Broschek und die Erbengemeinschaft ihres verstorbenen Mannes sprachen sich für Axel Springer aus, der sich verpflichtet hatte, künftig sämtliche Druckaufträge an den Broschek-Verlag abzugeben.790 Im Gegenzug verzichtete Broschek & Co. für fünfzehn Jahre auf die Herausgabe von Konkurrenzobjekten, insbesondere dem Hamburger Fremdenblatt. Albert Broschek lehnte jedoch nach »umfangreichen« Verhandlungen die »Lösung Springer kategorisch« ab.791 Immerhin vereitelten der Verleger und der federführend mit dem Fall betraute Voss einen Verkauf der Beteiligung an die Ostdeutsche Privatbank AG, eine Nachfolgegesellschaft des Hugenberg-Konzerns.792 Nachfolgend strebten Springer, Voss, Antje Broschek und ihr Rechtsberater Basedow die Liquidation der Broschek & Co. KG an, um Zugriff auf die von der KG gehaltenen Anteile der operativen Verlagsgesellschaft zu erhalten.793 Im zweiten Schritt war vorgesehen, Springer an der operativen Verlagsgesellschaft zu beteiligen und eine gemeinsame Verlagsführung zu bilden. Allerdings gelang es Albert Broschek und Kurt Merkel, die Liquidation verfahrensrechtlich zu verhindern. Springer bot Antje Broschek schließlich eine monatliche Zahlung von 5.000 Deutsche Mark an und forderte als Gegenleistung eine Beteiligungsoption sowie die Partizipation an allen wichtigen Unternehmensentscheidungen.794 Von der Schaffung gemeinsamer Druckkapazitäten war im Entwurf der Kooperationsvereinbarung keine Rede mehr. Springer verfügte mittlerweile über eigene Zeitungs- und Zeitschriftenrotationen und hatte das Interesse an einem drucktechnischen Gemeinschaftsunternehmen verloren. Alleinige Intention einer Kooperation mit dem Broschek-Verlag war nun, »den Objektraum Hamburg durch Ausschaltung über die Kapazität Broschek […] auf lange Sicht hin zu steuern […] und die eigenen Objekte vor Unruhe zu schützen«.795

Unterdessen stellte die geplante Veräußerung der Tageszeitung Die Welt den Broschek-Verlag vor neue verlegerische Herausforderungen. Einerseits bestand die Gefahr erheblicher Erlöseinbußen, falls der neue Welt-Eigentümer nicht weiter auf die bislang gepachteten Druckmaschinen und Räumlichkeiten des Broschek-Verlags zurückgreifen würde. Andererseits eröffnete sich die Option, die Welt-Verlagsgesellschaft selbst zu übernehmen und so die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Offenbar ohne vorherige Abstimmung mit Springer verkündete Basedow im August 1952 das Interesse des Broschek-Verlags an der Welt-Verlagsgesellschaft.796 Differenzen zwischen den Familienzweigen und die ablehnende Haltung der Hansestadt Hamburg als Minderheitsgesellschafterin verhinderten jedoch vorläufig einen zielgerichteten Verhandlungsprozess.797 Erst im April 1953 verständigten sich die Kontrahenten innerhalb der Familie Broschek auf ein gemeinsames Vorgehen im Kampf um Die Welt, woraufhin Antje Broschek und Basedow die Kooperationsverhandlungen mit Springer beendeten.798 Die Beweggründe der Beteiligten bleiben unklar. Eine tragende Rolle scheint Basedow gespielt zu haben, der wohl aus taktischen Gründen von den Kooperationsverhandlungen Abstand nahm, Springer unlautere Motive vorwarf und die Familie über das gemeinsame Feindbild einte. Freilich hatte der Verleger eine solche Entwicklung unwillkürlich befördert. Wenige Tage zuvor war er selbst als Bewerber um Die Welt aufgetreten und zeigte keinerlei Bereitschaft, den Broschek-Verlag in die Transaktion einzubinden. Im Gegenteil: Es gibt Hinweise, dass Antje Broschek einen gemeinsamen Erwerb der Welt vorschlug, aber auf Springers Ablehnung stieß.799 Nachdem im Mai 1953 die gerichtliche Aufhebung der Vermögenskontrolle den Gesellschaftern ihre Handlungsfreiheit zurückgab, legte der Broschek-Verlag ein Angebot für die Welt-Verlagsgesellschaft vor und nahm offizielle Verhandlungen auf. Daraufhin entwickelte sich unter den beiden Hamburger Verlagshäusern ein erbitterter Kampf um Die Welt. Ausführlich wurde dargestellt, wie die beiden Gegenspieler bei ihren Interventionen in Hamburg, Bonn, Wahnerheide und London alle politischen Register zogen. Den Höhepunkt bildete eine Diffamierungskampagne Basedows, der in britischen Kreisen Gerüchte über eine angebliche nationalsozialistische Gesinnung von Voss streute.800 Im Sommer 1953 initiierte der Broschek-Vertreter zudem eine Schadensersatzklage gegen Springers Teilhaber, dessen Handelsregistereintrag als persönlich haftender Gesellschafter der Broschek & Co. KG nach seinem erzwungenen Ausscheiden aus dem Verlagshaus 1945 restitutionsbedingt nicht gelöscht worden war.801 Basedow sah in Voss’ anschließender Tätigkeit für Springer eine schwere Pflichtverletzung gegenüber dem Broschek-Verlag und machte Schadensersatzansprüche geltend. Der juristische Vorstoß scheiterte; im Februar 1954 stellte der Broschek-Verlag seinen ehemaligen persönlich haftenden Gesellschafter von allen Ansprüchen frei. Nachdem der Zuschlag an Springer im August 1953 in greifbare Nähe rückte, kehrten beide Parteien an den Verhandlungstisch zurück, um über den zukünftigen Druck der Welt zu sprechen.802 Um die Verhandlungsposition des Broschek-Verlags zu verbessern, informierte der Beiratsvorsitzende McRitchie Springer erst Tage später über Londons Zustimmung zu seinem Welt-Angebot. Derweil hatte der Verleger die Verhandlungen über den Druck der Welt mit der Zukunft des Hamburger Fremdenblatts verknüpft. Eine Million Deutsche Mark bot der Verleger für das Verlagsrecht der Traditionszeitung.803 Der hohe Betrag machte unmissverständlich deutlich, welches Gefahrenpotential Springer im Wiedererscheinen des Konkurrenzobjekts sah. Während Antje Broschek auf Anraten von Basedow und dem neuen Broschek-Geschäftsführer Ewald Schmidt di Simoni ihre Zustimmung gab, verhinderten die Ehefrau des inzwischen verstorbenen Albert Broschek und ihr Anwalt eine Einigung. So scheiterte Springers letzter Vorstoß, das Erscheinen des Hamburger Fremdenblatts einvernehmlich zu verhindern.

Bereits kurz nach dem Abbruch der Verhandlungen begann der Broschek-Verlag, das Wiedererscheinen des Hamburger Fremdenblatts vorzubereiten.804 Im Frühjahr 1954 nahm das Vorhaben greifbare Formen an, die bald an die Öffentlichkeit drangen und die Hamburger Verlagsbranche in Erstaunen versetzten: Nicht der Broschek-Verlag verlegte das geplante Hamburger Fremdenblatt, sondern eine Hamburger Fremdenblatt Verlagsgesellschaft mbH, die von den wenig bekannten Verlagskaufleuten Herbert Stünings und Friedrich Schween begründet wurde805. Der Broschek-Verlag steuerte lediglich die Titelrechte bei und übernahm den Lohndruck der geplanten Tageszeitung. Die Hintergründe bleiben weitgehend im Dunkeln. Offenbar ließ sich der Broschek-Verlag von Stünings, dem Inhaber eines kleinen Verlagsunternehmens, überzeugen, das Hamburger Fremdenblatt aus finanziellen und personellen Gründen durch eine separate Verlagsgesellschaft herauszugeben.806 Nicht zuletzt konnte Stünings auf diese Weise verschleiern, dass seine finanziellen Mittel bei weitem begrenzter waren, als er vorgab. Zugleich wird der Broschek-Verlag die Schonung der eigenen, recht dünnen Kapitaldecke begrüßt haben. Im April 1954 wurde die Hamburger Fremdenblatt Verlagsgesellschaft mbH ins Leben gerufen; anschließend begann der Redaktions- und Verwaltungsaufbau.

Springer reagierte in höchstem Grade alarmiert und durchaus »angstvoll« auf die Zeitungspläne.807 Neben seiner emotionalen Reaktion bestand die verlegerische Befürchtung, dass das Hamburger Fremdenblatt wegen seines früheren Renommees eine Auflage von rund 100.000 Exemplaren erreichen könnte, die im Wesentlichen zu Lasten des bisherigen Platzhirsches gehen würde.808 Rasch wurden umfassende Maßnahmen ergriffen, an deren Ausarbeitung der Verleger »pausenlos« und »bis ins Detail« beteiligt war.809 Neben der »Verbesserung« und »Verstärkung« der redaktionellen »Leistung« des Hamburger Abendblatts, insbesondere durch neue inhaltliche Elemente, wurden aufwendige Vertriebs- und Marketingkampagnen aus der Taufe gehoben.810 Als Antwort auf das geplante siebentägige Erscheinen des Hamburger Fremdenblatts initiierte Springer zudem eine Sonntagsausgabe.811 Im Gegensatz zur Vorkriegszeit störten nur wenige Verlagsobjekte, darunter die Welt am Sonntag, die Sonntagsruhe der jungen Bundesrepublik, obwohl das verlegerische Potential des Sonntagsmarkts erheblich war.812 So ist denkbar, dass Springer insgeheim die Gelegenheit begrüßte, endlich eine eigene Sonntagszeitung auf den Markt zu bringen. Für die verlegerische Betreuung der so titulierten Sonntagsausgabe gewann er den ehemaligen Broschek-Geschäftsführer Schmidt di Simoni, der den Traditionsverlag aufgrund von Differenzen über den unternehmerischen Kurs im Februar 1954 verlassen hatte.813 Redaktionell lag die Sonntagsausgabe in den Händen des Hamburger Abendblatts, dessen Stil und »Duktus«, ergänzt um »beschauliche« Sonntagsthemen, das Schwesterblatt übernahm.814 Bemerkenswert war, dass die Sonntagsausgabe nicht in das Hamburger Abendblatt-Abonnement eingeschlossen wurde – vermutlich um eine Erhöhung der Bezugspreise zu verhindern und um größtmögliche Flexibilität zu wahren. Diese Flexibilität, die viele Beteiligte als Option auf eine spätere geräuschlose Einstellung der Sonntagsausgabe verstanden, sollte 1956 die Umwandlung des Blattes in die Bild am Sonntag erleichtern. Am 15. August 1954, rund zwei Wochen vor dem geplanten Start des Hamburger Fremdenblatts, erschien die Sonntagsausgabe mit einer taktischen Druckauflage von 600.000, die anfangs kostenlos, später für 25 Pfennige abgegeben wurden.815 Binnen weniger Monate erreichte die regionale Sonntagszeitung eine Verkaufsauflage von 50.000 Exemplaren.816 Nach der Umstellung auf einen bundesweiten Vertrieb überschritt sie im Herbst 1955 die Grenze von 100.000817, bevor im April 1956 die Umwandlung in die Bild am Sonntag erfolgte.

Neben den verlegerisch-redaktionellen Abwehrmaßnahmen antwortete das Verlagshaus mit zahlreichen juristischen und taktischen Manövern auf das Wiedererscheinen des Hamburger Fremdenblatts. Unter Federführung des Hausjuristen Arning ging die Verlagsleitung gerichtlich gegen irreführende Werbebotschaften und bizarre Anzeigenmanipulationen der Fremdenblatt-Herausgeber vor.818 Zu den taktischen Maßnahmen, die Springer zur Schwächung des Broschek- und Fremdenblatt-Verlags einleitete, zählte der schließlich gescheiterte Versuch, den umfangreichen Constanze-Druckauftrag von Broschek abzuziehen.819 Zudem wurden der Hamburger Anzeiger und dessen Verlagshaus Girardet & Co. KG, an dem Springer eine stille Beteiligung hielt, in den Abwehrkampf eingebunden.820 Allein die Gegenmaßnahmen des Girardet-Verlags sollen sich auf rund 300.000 Deutsche Mark summiert haben. Auf Seiten des Axel-Springer-Verlags lassen sich die finanziellen Belastungen mit Ausnahme der Werbekosten für das Hamburger Abendblatt, die von 300.000 auf 500.000 Deutsche Mark stiegen, nicht abschätzen.821 Signifikante Auflagenrückgänge verzeichnete das Hamburger Abendblatt nicht.822 Zu den taktischen Abwehrmaßnehmen zählte ferner ein von Kracht initiiertes Darlehensangebot, das der Fremdenblatt-Verlagsgesellschaft über Dritte offeriert und zum geeigneten Zeitpunkt zurückgezogen wurde.823 Der aufstrebende Adlatus des Verlegers koordinierte die operativen Maßnahmen der Abwehrschlacht und führte schließlich zusammen mit Arning die Verhandlungen über die Einstellung des Blattes.824 Nach den Londoner Interventionen im Rahmen des Welt-Erwerbs stellte der 33-jährige Verlegerassistent im Kampf um das Hamburger Fremdenblatt ein weiteres Mal seine taktischen und organisatorischen Fähigkeiten unter Beweis.

Als am 1. September 1954 das Hamburger Fremdenblatt erschien, wurde allerdings rasch deutlich, dass der wiederbelebten Traditionszeitung in redaktioneller Hinsicht kein Erfolg beschieden sein würde. Zwar bezifferten Vertreter der Verlagsgesellschaft die Verkaufsauflage auf mehr als 70.000, doch angesichts der allgemeinen Enttäuschung über das »langweilige« und zugleich »hochgestochen« daherkommende Hamburger Fremdenblatt waren die verkündeten Zahlen wenig glaubwürdig.825 Schon bald kursierten Gerüchte über eine finanzielle Schieflage des kapitalschwachen Fremdenblatt-Verlags, der vor allem seinen Zahlungsverpflichtungen aus den Druckverträgen mit dem Broschek-Verlag nicht nachkam.826 Während die Außenstände wuchsen, kam die Führung des Broschek-Verlags Ende September 1954 zu ersten Krisensitzungen zusammen, über deren Ablauf Springer durch Gewährsmänner bestens informiert war.827 Erschüttert mussten Antje Broschek und der Verwaltungsrat feststellen, in Stünings einem Hasardeur aufgesessen zu sein, in dessen Händen das Traditionsblatt zum Scheitern verurteilt war. Tagelang wurden Rettungsmaßnahmen diskutiert und Sondierungsgespräche mit potentiellen Geldgebern geführt, ohne zu greifbaren Ergebnissen zu gelangen. Zugleich erreichten die Außenstände aus den Druckverträgen existenzbedrohende Dimensionen. In dieser Situation erklärte sich Antje Broschek endlich zu Gesprächen mit Springer bereit – wohlwissend, dass dies das Ende des Hamburger Fremdenblatts bedeuten würde.828 Die von Arning und Kracht geführten Verhandlungen mündeten Ende Oktober 1954 in einer Vereinbarung, die einer Kapitulation gleichkam.829 Der Traditionsverlag verpflichtete sich, das Erscheinen des Hamburger Fremdenblatts einzustellen, das Titelrecht auf den Axel-Springer-Verlag zu übertragen und künftig auf die Herausgabe von Tageszeitungen und Rundfunkzeitschriften zu verzichten. Im Gegenzug wurden dem Broschek-Verlag die Verlängerung der Druckaufträge des Constanze-Verlags und die Weiterleitung von Industriedruckaufträgen zugesichert. Zudem erwarb und mietete die Welt-Verlagsgesellschaft überschüssige Rotationskapazitäten von Broschek. Darüber hinaus gehende Zahlungen wurden nicht vereinbart. Noch in derselben Nacht teilte der Broschek-Verlag der Fremdenblatt-Verlagsgesellschaft mit, dass sie den Lohndruck des Hamburger Fremdenblatts einstellen würde.830 Am 31. Oktober 1954 erschien die letzte Ausgabe. Während die Fremdenblatt-Verlagsgesellschaft liquidiert wurde, beschränkte sich der Broschek-Verlag, einst Hamburgs größtes Zeitungshaus, fortan auf das Tiefdruckgeschäft. Die Geschicke des Unternehmens wurden bis in die 1960er-Jahre hinein maßgeblich von Antje Broschek bestimmt, die bis zu ihrem Tod ein freundschaftliches Verhältnis zu Springer pflegte.831 Am 24. Dezember 1954 führte das Hamburger Abendblatt erstmals eine Titelunterzeile mit dem Inhalt Hamburger Fremdenblatt.832 Die damit einhergehende symbolische Inbesitznahme des ehemaligen Traditionsblattes war für Springer ein persönlicher Sieg von großer Tragweite. Mehr als sechs Jahre hatte er mit großer Beharrlichkeit gegen das Wiedererscheinen des Hamburger Fremdenblatts gekämpft und mit Bedacht die Schwächen des Broschek-Verlags, die mangelnden Führungskompetenzen, die fehlende Geschlossenheit, die lange Restitutionsphase, den geringen Unternehmergeist und die unterentwickelten politischen Verbindungen, in seinem Sinne genutzt. Der einst übermächtige Konkurrent des väterlichen Verlagshauses war geschlagen.