Verkaufsbemühungen

Nach den Oster-Unruhen 1968 erwuchs aus Springers resignativer Stimmungslage und innerer Entfremdung vom Verlagsbetrieb die denkbar weitreichendste Entscheidung, die ein Unternehmer treffen kann: Er beschloss, den Verlagskonzern teilweise zu veräußern. In einer vielzitierten Unterredung auf dem Hamburger Flughafen beauftragte Springer seinen Generalbevollmächtigten, geeignete Käufer für eine 49-prozentige Verlagsbeteiligung zu sondieren.121 Naturgemäß unterlag das Verkaufsvorhaben strengster Geheimhaltung.122 Infolgedessen sind die weiteren Schritte Krachts nicht oder nur bruchstückhaft überliefert. Genauer lassen sich aus heutiger Sicht nur die sehr weit gediehenen Verhandlungen mit Reinhard Mohn über einen Teilverkauf an den Bertelsmann-Verlag rekonstruieren.

Erste Verhandlungen

Die ersten Verkaufsgespräche führte Kracht offenbar mit Konrad Henkel, der eine Beteiligung von 40 Prozent und günstige Anzeigenrahmenverträge anstrebte.123 Die Hintergründe der Verhandlungen bleiben ebenso im Dunkeln wie ihr späteres Scheitern. Zu einem erfolgreichen Abschluss brachte Kracht dagegen den parallel vorangetriebenen und ausführlich dargestellten Verkauf des Zeitschriftenverlags Kindler & Schiermeyer, der Wochenzeitschrift Das Neue Blatt sowie der Fachzeitschriften der Ullstein GmbH.124 Der Verzicht auf das wachstumsträchtige Zeitschriftengeschäft löste Verwunderung unter Verlagsexperten aus. Dagegen sah sich Springer in seiner Entscheidung durch weltpolitische Ereignisse bestätigt: Im August 1968 rollten sowjetische Panzer den hoffnungsvollen »Prager Frühling« nieder und lösten beim Verleger ebenso wie bei vielen Deutschen große Ängste aus.125 Springer verstärkte seine Bemühungen, Vermögenswerte aus der betrieblichen in die private Sphäre zu übertragen und krisensicher anzulegen.126 In großem Stil verlagerte Kracht Springers privates Kapital ins Ausland, um dem Verleger im Falle einer Emigration einen wohlversorgten Lebensabend zu ermöglichen. Aufwendige Notfallpläne mit Fluchtbooten und -wohnungen gehörten ebenfalls dazu.127 Anfang 1969 trat Kracht erneut in Verkaufsverhandlungen ein, die nunmehr mit zwei nordamerikanischen Unternehmen geführt wurden.128 Die gleichzeitigen Gespräche mit dem Bürogerätehersteller Xerox Corporation und dem Medienkonzern McGraw-Hill Inc. gingen offenbar auf die transatlantischen Beziehungen von Cramer zurück, der zunehmend zu einem der engsten Vertrauten von Springer avancierte. Ein Zusammengehen mit dem Technologiekonzern Xerox versprach den Einstieg in das Geschäft mit den elektronischen Medien, das bislang keine erfolgversprechenden Ansätze im eigenen Hause entwickeln konnte. Allerdings scheiterten die beiden amerikanischen Vorstöße – offenbar weil sich Springer einen US-amerikanischen Teilhaber letztlich nicht vorstellen konnte.129 Unterdessen hatten Kracht und der mit Springer befreundete Unternehmensmakler Walter Blüchert Sondierungen mit der Deutschen Bank AG aufgenommen, deren Sprecher Karl Klasen Springer seit den 1950er-Jahren eng verbunden war.130 Die Überlegungen sahen vor, 49 Prozent der wesentlichen Verlagsgesellschaften an die Deutsche Bank AG zu veräußern, die wiederum die Anteile an interessierte Großunternehmen, wie Reemtsma, Unilever oder Allianz, weiterverkaufen wollte. Die Verhandlungen dauerten bis Ende 1969, bevor sie seitens der Deutschen Bank AG offenbar aus politischen Gründen aufgegeben wurden.

Derweil hatte ein anderer Unternehmer gezeigt, wie rasch persönlich belastende Verlagsanteile in klingende Münze umgewandelt werden konnten. Richard Gruner hatte im Februar 1969 überraschend seine Spiegel-Beteiligung von 25 Prozent an Augstein verkauft, bevor er im März und Mai 1969 in zwei Schritten auch seine Gruner & Jahr-Anteile von 39,5 Prozent jeweils zur Hälfte an Jahr und Bucerius abgab.131 Um geschätzte 175 Millionen Deutsche Mark reicher zog sich der erst 43-jährige ehemalige Druckereibesitzer nach Liechtenstein und in die Schweiz zurück.132 Gruners Beteiligung an Gruner & Jahr war übrigens im Februar 1969 auch Springer angeboten worden, der das Angebot aus strategischen und verlegerischen Gründen abgelehnt hatte.133 In strategischer Hinsicht hätte ein Einstieg bei Gruner & Jahr erstens den eigenen Bemühungen um einen Teilrückzug aus dem Verlagsgeschäft widersprochen, zweitens nur unter Ausscheiden des Erzfeindes Bucerius stattfinden können und wäre drittens wettbewerbspolitisch schwerlich durchsetzbar gewesen. Unter verlegerischen Gesichtspunkten war für Springer eine Beteiligung an einem Verlag ausgeschlossen, »der eine Politik macht, die ich für verderblich halte, ich auch nicht beteiligt sein möchte, wenn ich Geld verdiene, aber diese Politik dort weiter Bestand hat, ich wollte auch andererseits nicht in dieses Haus reingehen, mit dem Bestreben, diese Redaktion nun umzudrehen.«134

Einer der Gründe, die Gruner zu einem Verkauf bewegten, war die Forderung der Stern-Redaktion nach Redaktionsstatuten, die den schreibenden Kräften erheblich Einfluss auf die Unternehmenspolitik sichern sollten.135 Auch in der Welt-Redaktion wurde in zurückhaltender Form der Ruf nach redaktioneller Mitbestimmung laut.136 Springer zeigte sich erschüttert und stellte im Juni 1969 klar, dass er »nie und nimmer bereit sei, ein Redaktionsstatut – welcher Art auch immer – zu akzeptieren«.137 Zugleich glaubte er »an die reale Möglichkeit, daß es darüber zu einem Streik der Redakteure kommen könnte, der den Bestand des Unternehmens in seinem finanziellen Kern treffen« würde. Die Befürchtungen um ein Redaktionsstatut markierten den Tiefpunkt der resignativen Stimmungslage des Verlegers. »Ich hasse meinen Beruf«, ließ Springer im gleichen Monat wissen. Sollte es zu einem Redaktionsstatut kommen, würde er »die Zeitung oder auch mehrere Objekte einstellen«. Aus diesem Grund wolle er »einen Teil des von ihm in das Unternehmen investierten Eigenkapitals dem Risiko entziehen«. In mehreren Expertenrunden wurde die Entnahme von 500 Millionen Deutsche Mark diskutiert, die schließlich nicht realisiert wurde. Stattdessen beschloss der Verleger, von der Abgabe einer »49-prozentigen Unterbeteiligung« abzurücken und das »gesamte Unternehmen [zu] verkaufen«.

Nach dem Scheitern der Verhandlungen mit der Deutschen Bank AG regte Walter Blüchert, der Springer bei nahezu allen künftigen Veräußerungsmaßnahmen beraten sollte, Gespräche mit Reinhard Mohn, dem expandierenden Buch- und Zeitschriftenverleger aus Gütersloh, an. Zwar bleiben die näheren Umstände der Kontaktanbahnung aus heutiger Sicht im Dunkeln, doch schien für Springer rasch deutlich geworden zu sein, dass eine Veräußerung an Mohn eine ernstzunehmende Option darstellen würde. Bereits Mitte Oktober 1969 kam es zu einer Unterredung zwischen Springer und dem Bertelsmann-Inhaber, an der auch Tamm und Kracht sowie der Generalbevollmächtigte von Mohn, Manfred Köhnlechner, teilnahmen.138 Nach dem Treffen zeigte sich Springer positiv beeindruckt vom Gütersloher Buchunternehmer, mit dessen weltanschaulicher Ausrichtung er sich in »totaler Übereinstimmung« sah. Zudem schienen sich die Verlagshäuser in idealer Weise strategisch zu ergänzen: hier die Zeitungen und Zeitschriften, dort das Buchgeschäft und erste Erfahrungen mit dem zukunftsträchtigen »Kassetten-Fernsehen«, gemeinsam zu nutzende Druckereien und Vertriebskanäle.139 Einzig Mohns Beteiligung an Gruner & Jahr hatte in den Augen Springers keinen Platz im neuen Gemeinschaftsunternehmen. Der Verkauf der Anteile am Hamburger Zeitschriftenverlag wurde als unverhandelbare Bedingung für ein Zusammengehen formuliert. Beide Parteien waren sich einig, dass ein stufenweiser Anteilsübergang an Bertelsmann erfolgen sollte, bis schließlich eine Sperrminorität in der Hand Springers verbleiben würde.140 Voraussetzung für eine solche Transaktion war die Umwandlung oder Eingliederung der wesentlichen Konzerngesellschaften in eine Kapitalgesellschaft.

Die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft

Bereits im September 1969 hatte die Verlagsführung das Inkrafttreten des Umwandlungsgesetzes zum Anlass genommen, die nun wesentlich vereinfachte Umwandlung des komplex strukturierten Unternehmens in eine Aktiengesellschaft zu prüfen.141 Die Vorteile einer Aktiengesellschaft lagen aus Springers Sicht vor allem in der leichteren Übertragbarkeit von Unternehmensanteilen an mögliche Käufer und Erben sowie in der Trennung zwischen den Eigentümer- und Managementfunktionen. Der 57-jährige Verleger war sich der Risiken des Alleininhaberprinzips bewusst, das seit Ende der 1940er-Jahre zu einer vollkommen auf ihn ausgerichteten Konzernstruktur geführt hatte. Sein Ableben oder ein gesundheitsbedingter Ausfall hätte rasch das Ende seines Lebenswerkes bedeuten können. Zudem hatte sich aus dem ständigen Zusammenspiel von geschäftspolitischen, steuerlichen und haftungsrechtlichen Überlegungen eine gesellschaftsrechtliche Komplexität entwickelt, die zweifelhafte Abhängigkeiten von Fachleuten, wie beispielsweise dem langjährigen  Wirtschaftsprüfer Früchtnicht, begründete, große finanzielle Unsicherheiten barg und strukturelle Veränderungen verhinderte. Neben einer Vereinfachung der Unternehmensstrukturen, Entscheidungsabläufe und Finanzströme konnte die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft überdies zum willkommenen Anlass genommen werden, die Auszahlung des Kommanditisten Voss durchzusetzen. Vor diesem Hintergrund entwickelte ein Arbeitskreis unter der Leitung von Kracht ein Konzept zur Umwandlung des Verlagshauses in eine Aktiengesellschaft, das im Dezember 1969 von Springer verabschiedet wurde.142

 

Grafik 22: Gesellschaftsrechtliche Struktur (Januar 1971)146

Anfang Januar 1970 wurde eine bestehende, aber nicht tätige Tochtergesellschaft in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, nachdem die Anteile der Axel Springer Verlag GmbH, der Axel Springer & Sohn KG, der Hammerich & Lesser Verlag KG und später auch der Die Welt Verlagsgesellschaft mbH sowie die betriebsnotwendigen Grundstücke in diese Gesellschaft eingebracht worden waren.143 Alleinaktionär Springer übernahm den Aufsichtsratsvorsitz; Kracht und der mit 15 Millionen Deutsche Mark ausgezahlte Voss wurden zu stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden ohne echte Gestaltungsmacht ernannt.144 Zum einzigen Vorstandsmitglied wurde Tamm bestellt. Mit der ungewöhnlichen Konstruktion des Gremiums zielte Springer nicht nur auf die Schaffung einer ungeteilten operativen Verantwortung ab, sondern strebte auch eine Verschlankung der Abstimmungsprozesse an. Dies galt natürlich nicht für verlegerische Entscheidungen, die weiter dem Verleger vorbehalten blieben. Faktisch agierte Springer weiterhin so, als sei er Alleininhaber mit uneingeschränkter Geschäftsführungsbefugnis, wobei sich der seit Jahren erkennbare Rückzug aus dem operativen Tagesgeschäft in beschleunigter Form fortsetzen sollte. Im Juni 1970 erfolgte schließlich die Verschmelzung des Vermögens der eingebrachten Tochtergesellschaften mit der Aktiengesellschaft, die in Axel Springer Verlag AG umbenannt wurde.145

Wohl einzigartig war die Satzung der Axel Springer Verlag AG, welche die vier verlegerischen Prinzipien Springers als formale Handlungsmaxime der Aktiengesellschaft festschrieb. Auf Anraten des späteren Generalbevollmächtigten Eberhard von Brauchitsch entstand im Dezember 1970 aus steuerlichen Gründen die Axel Springer Gesellschaft für Publizistik KG als oberste Holding-Gesellschaft, die sämtliche Anteile der Axel Springer Verlag AG vereinte und ein Organschaftsverhältnis mit dem Verlagskonzern begründete.147

Unterdessen war die erste Verhandlungsrunde mit Mohn im November 1969 erfolglos abgebrochen worden, nachdem einerseits Unsicherheiten um den von Springer geforderten Verkauf der Gruner & Jahr-Anteile entstanden waren und andererseits die Deutsche Bank AG die geplante Finanzierung der Transaktion in Frage gestellt hatte.148 Anschließend erbot sich Mohns Hausbank, die Westdeutsche Landesbank AG, den vorgesehenen Anteil von 75 Prozent minus eine Aktie vom Verleger zu übernehmen.149 Der umtriebige WestLB-Vorstandsvorsitzende Ludwig Poullain plante, mit den Verlagsaktien einen Investmentfonds zu bestücken, der aus »lebendigen Unternehmen« bestehen sollte. Springer erhoffte sich von einer solchen Lösung eine größtmögliche Unabhängigkeit für sein Verlagshaus. Zudem versprach die Verbindung zur Westdeutschen Landesbank AG gesicherten Zugang zu Fremdkapital, das für die angestrebte Expansion im Bereich der audiovisuellen Medien benötigt wurde. Nach einer Unterredung zwischen Springer und Poullain wurden die Kaufverträge unter Mitarbeit von Lois Erdl, dem Münchener Anwalt des Verlegers, und Kracht unterschriftsreif vorbereitet, bevor eine Woche vor der geplanten Unterzeichnung Ende Dezember 1969 die sozialdemokratische Landesregierung der Transaktion ihre Zustimmung verweigerte.150 Springers Reaktion auf das Scheitern der Verhandlungen verdeutlichte auf exemplarische Weise seine ambivalente Haltung gegenüber dem gesamten Verkaufsvorhaben, von dem er nichts mehr fürchtete als den Verlust seiner verlegerischen Unabhängigkeit:

»Ich war so glücklich und froh, daß das nichts geworden ist[,] ohne überhaupt erklären zu können, warum ich froh war. Ich war so glücklich über das gescheiterte Gespräch, das doch so hervorragend war, daß ich mich mittags zwei Stunden hingelegt habe und geschlafen und ich bin abends bis um sieben selig im Büro gewesen. Es ist ganz sicherlich das Vorgefühl gewesen, einer Katastrophe, die eingetreten wäre, wenn wir das mit den Leuten gemacht hätten, weil nämlich die ganzen Sparkassenleute doch unaufhörlich bei uns angekommen wären, hier mit der Bild-Zeitung, hier mit der Welt […] und können Sie nicht und so.«151

Allerdings schien sein neuerliches Bekenntnis zur verlegerischen Unabhängigkeit auch das Ergebnis einer veränderten Gemütsfassung gewesen zu sein. Erkennbar überwand der Verleger 1969 seine resignative Grundstimmung, die insbesondere nach dem Regierungsantritt der sozialliberalen Koalition und dem Paradigmenwechsel der neuen Ostpolitik dem altbekannten politischen Kampfgeist wich. Katalysierend wirkte vor allem der neue Welt-Chefredakteur Herbert Kremp, der Springers redaktionelles Interesse in einem Maß zu wecken vermochte, wie es zuletzt Zehrer in den 1950er-Jahren gelungen war.152 Zwischen dem Verleger und dem temperamentvollen Konservativen entfaltete sich eine dichte Korrespondenz, die Auskunft über Springers neuen Enthusiasmus im Einsatz für seine politischen Ziele gab. Zudem schöpfte er neue Lebenskraft aus der Beziehung mit dem ehemaligen Kindermädchen Friede Riewerts, die im Frühjahr 1967 an seine Seite getreten war und zunehmend an Bedeutung gewann, ohne dass zunächst das Verlagshaus davon erfuhr.153 Als gemeinsames Refugium, fern den Unbilden und Zumutungen der Welt, erwarb der Verleger im Sommer 1968 das schleswig-holsteinische Barockschloss Schierensee, das er und Friede Riewerts in den Folgejahren mit einer hohen zweistelligen Millionensumme zu einem repräsentativen Landsitz ausbauen ließen. Daneben blieb die Nordseeinsel Sylt eine bevorzugte Ferien- und Wochenenddestination, die allerdings nicht nur Rückzugsort, sondern auch Arbeits- und Repräsentationsstätte des Verlegers war. Für letzteren Zweck hatte Springer 1963 den traditionsreichen Klenderhof in Kampen erworben und zu einem luxuriösen Verlagsgästehaus umbauen lassen.154 Für seine kurzen Hamburg-Aufenthalte erwarb er 1968 ein elegantes Stadthaus an der Binnenalster.

Zwei Verlagsgiganten unter sich: Die Fusionsverhandlungen mit Bertelsmann

Mit der Überwindung der zweiten Midlife Crisis war auch der geplante Rückzug auf das verlegerische Altenteil in weitere Ferne denn je gerückt. Dies schloss jedoch nicht aus, einen Teil des Verlagshauses unter Wahrung der publizistischen Unabhängigkeit zu verkaufen. So wurde allgemein begrüßt, dass der Generalbevollmächtigte von Bertelsmann, Köhnlechner, Anfang Januar 1970 erneut Mohns Interesse an einer Beteiligung am Axel-Springer-Verlag bekräftigte.155 Rasch wurden Verhandlungen zwischen Kracht, Erdl und Köhnlechner aufgenommen, in deren Mittelpunkt die Veräußerung eines Anteils von 33,3 Prozent sowie eine Option auf weitere 17 Prozent im Falle von Springers Tod standen. Eine Abgabe der Majorität, wie noch im Vorjahr angestrebt, stand nun nicht mehr zur Debatte. Im Gegenteil: In aller Entschiedenheit unterstrich Springer seine Forderung nach unternehmerischer Autonomie: »Herr Bertelsmann kriegt einen Sitz im Aufsichtsrat. Schluß, aus. Wo er nichts zu sagen hat. […] Den Vorstand setzt zusammen der Mehrheitsinhaber. Ich. Ich mit meinen 66 Prozent, setze ganz allein den Vorstand« zusammen.156 Unter strengster Geheimhaltung gelangten die Verhandlungen rasch zu einem Abschluss, der durch die beiden Bevollmächtigten Kracht und Köhnlechner Mitte Februar 1970 im Hamburger Hotel »Vier Jahreszeiten« besiegelt wurde. Die Vereinbarung sah vor, dass Mitte 1972, nach Vollendung von Springers 60. Lebensjahr, ein Anteilspaket von 33,3 Prozent der inzwischen begründeten Axel Springer Verlag AG an den Bertelsmann-Verlag übergehen sollte.157 Zudem erhielt Bertelsmann in einem separaten Vertrag, dem sogenannten »Lilien-Vertrag«, ein Vorkaufsrecht auf weitere 17 Prozent des Verlagshauses nach dem Ableben von Springer.158 Im Gegenzug leistete das Gütersloher Unternehmen einen Kaufpreis von rund 330 Millionen Deutsche Mark, der sofort fällig war und gleichzeitig ein Gewinnbezugsrecht begründete.159 Darüber hinaus verpflichtete sich der Bertelsmann-Verlag, seine Anteile an Gruner & Jahr innerhalb von zwei Jahren zu verkaufen.160 Um eine reibungslose Veräußerung zu ermöglichen, vereinbarten beide Parteien Stillschweigen über die Transaktion. Angesichts der Bedeutung des Zusammenschlusses konnte ein solches Unterfangen nur ein frommer Wunsch bleiben. Offenbar informierte Mohns stellvertretender Generalbevollmächtigter Manfred Fischer bereits kurz nach der Vertragsunterzeichnung die Mitgesellschafter von Gruner & Jahr.161 Während Jahr keine erkennbare Reaktion zeigte, begrüßte Bucerius offenbar den Einstieg von Mohn in den Axel-Springer-Verlag.162 Der Intimfeind, der seit Langem Kenntnis von den Übernahmeverhandlungen hatte, sah im Teilverkauf den ersten Schritt für ein Ausscheiden Springers. Dagegen regte sich in der Stern-Redaktion heftiger Widerstand gegen die Aussicht, Teil eines Gemeinschaftsunternehmens von Mohn und Springer zu werden. Augenscheinlich wurde der dem Bertelsmann-Verlag vorgegebenen Verpflichtung, die Anteile an Gruner & Jahr innerhalb von zwei Jahren zu verkaufen, wenig Wert beigemessen. Unter Federführung der Redakteure Manfred Bissinger und Peter Neuhauser bereitete der Stern einen Bericht über den »Ausverkauf bei Springer« vor, nicht ohne auf wohlinformierte Quellen zurückzugreifen.163 Ersten Gerüchten über einen Zusammenschluss von Bertelsmann und Springer begegnete die Verlagsführung mit einer Pressemeldung über eine Kooperation der beiden Verlagshäuser im Bereich »audiovisueller Kommunikationsmittel und ihrer Buchverlage«.164 In der Tat fußte die als »Tarnmaßnahme« lancierte Verlautbarung von Tamm auf handfesten Fakten.165 Als Ende Januar 1970 die angestrebte Beteiligung am Studio Hamburg zu scheitern drohte, regte Kracht an, die »audiovisuellen Bemühungen« Springers mit Bertelsmann zu »poolen«. Nachfolgend begannen Kooperationsgespräche. Innerhalb weniger Stunden nach Veröffentlichung der Pressemeldung wurde der Verlagsführung jedoch immer deutlicher, dass ein Dementi der Transaktion nicht mehr haltbar war. Am Folgetag gab Kracht daher bekannt, dass »Axel Springer […] Bertelsmann zu einem Drittel an seinem Unternehmen beteiligen« wird.166 Auslöser für die kommunikationspolitische Kehrtwende war augenscheinlich der geplante Stern-Artikel, der Kracht wenige Tage vor seiner Veröffentlichung zugespielt worden war.167 Springer zeigte sich nicht nur empört über die zahlreichen Indiskretionen, die dem Bericht zugrunde lagen, sondern war vor allem über die Kernaussage aufgebracht, dass der »größte deutsche Meinungsmacher« 74 Prozent seines Verlagshauses abgeben und damit »abtreten« würde.168 Umgehend reagierte der Verleger mit einer öffentlichen Erklärung, dass »nie und […] in keiner Form an einen ›Ausverkauf‹ der Axel Springer Verlag AG gedacht« gewesen sei.169 Zudem erwirkte das Verlagshaus gegen den Stern eine einstweilige Verfügung, die zwar die Veröffentlichung des Artikels Anfang März 1970 nicht verhinderte, diesen aber entschärfte. Es schlossen sich wochenlange juristische Auseinandersetzungen mit dem Wochenmagazin an, die mit größtem Aufwand sowie unter persönlicher Beteiligung des Verlegers betrieben wurden und im Mai 1970 schließlich in einem Vergleich endeten.170

Die Stern-Veröffentlichung hatte jedoch weitaus schwerwiegendere Folgen als die geschilderten juristischen Auseinandersetzungen. Springer entwickelte aufgrund der zahlreichen Indiskretionen ein tiefes Misstrauen gegen die Gütersloher Beteiligten, die, so war er zunehmend überzeugt, mit allen Mitteln an der mehrheitlichen Übernahme seines Verlagshauses arbeiteten.171 Insbesondere das Bekanntwerden der streng vertraulichen Todesfall-Klausel erregte beim Verleger höchsten Unmut.172 Zugleich gewann er den Eindruck, dass der vereinbarte Verkauf der Gruner & Jahr-Anteile ein reines Lippenbekenntnis der Bertelsmann-Führung war. Die Hinweise für eine solche Konstellation waren nicht von der Hand zu weisen. Bereits im Stern-Artikel äußerte sich Poullain, der mit seiner Westdeutschen Landesbank AG die Transaktion finanzierte, in branchenunüblicher Offenheit: »Das Geschäft läuft in Etappen. Die restlichen Anteile […] sollen in absehbarer Zeit den Besitzer wechseln.«173 Noch deutlicher wurde Köhnlechner, als er im Mai 1970 großsprecherisch seine Vorfreude ausdrückte, die »Produkte Stern und Bild in Gütersloh zu koordinieren«.174 Der Spiegel griff sogar nachfolgend dementierte Gerüchte auf, nach denen der Bertelsmann-Generalbevollmächtigte und Bucerius bereits vereinbart hätten, Letzterem die Welt als Gegenleistung für dessen Anteile an Gruner & Jahr zu überlassen. Die Spur des Misstrauens führte schließlich zurück in das eigene Verlagshaus und erreichte mit Kracht den einstmals engsten Vertrauten des Verlegers. Ihm machte Springer den schwerwiegenden Vorwurf, in den Verhandlungen eigenen Interessen gefolgt zu sein und Nebenabreden mit Köhnlechner getroffen zu haben. Geräuschlos trennte sich Springer im Sommer 1970175 von dem Mann, der zwanzig Jahre zuvor vom Redakteur zu seinem engsten Mitarbeiter aufgestiegen war, der als kaufmännischer Autodidakt begonnen hatte, um später das Verlagshaus als Generalbevollmächtigter nach modernen betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten zu führen; einem Mann, der als engster Vertrauter nicht nur Springers millionenschweres Privatvermögen diskret verwaltet, sondern auch zahlreiche delikate Aufträge persönlichster Art erledigt hatte. Ohne Zweifel war Kracht über die Jahre zu einem der einflussreichsten Verlagsmanager der damaligen Zeit geworden, bevor schließlich das früher unerschütterliche Vertrauensverhältnis zu Springer im Frühjahr 1968 offen zerbrach. Die Hintergründe und die Stichhaltigkeit der von Springer im Rahmen der Bertelsmann-Transaktion erhobenen Vorwürfe bleiben aus heutiger Sicht ebenso im Dunkeln wie die weiteren Umstände der Trennung. Es wird gemutmaßt, dass der damals 49-Jährige nach seinem Ausscheiden weiterhin ein großzügiges Salär von Springer bezog, ihm im Gegenzug aber jedwede Tätigkeit in der Verlagsbranche untersagt blieb. Jahre später sollte Kracht 1980 vom inzwischen 68-jährigen Springer zeitweise zurückberufen werden, um einen Gegenpol zum mächtigen Tamm zu bilden.

Im Frühjahr 1970 gelang es indes nicht mehr, das schwelende Misstrauen gegenüber Bertelsmann einzudämmen. Ende März 1970 entschied Springer, das vertraglich fixierte Vorkaufsrecht im Todesfall zu revidieren.176 Für ihn war es inzwischen undenkbar, dass Mohn eines Tages die Mehrheit seines Verlagshauses übernehmen würde. Zugleich ließ er die Kooperation im audiovisuellen Bereich stoppen.177 Das sich abkühlende Verhältnis zwischen den einander Versprochenen blieb wiederum Poullain nicht verborgen, der ungeachtet seiner Rolle als Gütersloher Hausbankier Springer das Angebot machte, für Bertelsmann zu gleichen Konditionen einzuspringen.178 Weshalb ausgerechnet eine solche Transaktion nun die Zustimmung der sozialdemokratischen Landesregierung Nordrhein-Westfalens erhalten sollte, blieb im April 1970 ebenso unklar, wie die Frage, woher Poullain die Chuzpe nahm, nach den Stern-Indiskretionen von Springer als Käufer akzeptiert werden zu wollen. Entsprechend erfolglos blieb der neuerliche Vorstoß des Landesbankchefs.

Unter dem Eindruck immer befremdlicherer Informationen über tatsächliche und vermeintliche Intentionen, Äußerungen und Winkelzüge von Beteiligten traf Springer im Mai 1970 schließlich die Entscheidung, den Anteilsverkauf rückgängig zu machen.179 Die näheren Umstände des Beschlusses bleiben unbekannt. In Bernhard Servatius fand der Verleger einen bislang nicht mit der Sache befassten Rechtsanwalt, dem zuzutrauen war, den Gordischen Eheknoten zwischen Springer und Bertelsmann ohne größere Kollateralschäden wieder zu lösen. Der talentierte Jurist hatte bereits im Vorjahr seinen Einstand gegeben, als er auf Empfehlung des neuen Chefredakteurs der Welt, Herbert Kremp, für den Verleger ein Gutachten gegen die redaktionelle Mitbestimmung erstellt hatte.180 Nun sollte sich Servatius seine Sporen verdienen, die ihn nicht nur zu einem der engsten Vertrauten der Verlegers, sondern auch zum Sachwalter seines Erbes aufstiegen ließen. Zusammen mit Servatius formulierte Springer ein 15-seitiges Schriftstück an Mohn, das mögliche Widerstände gegen die Vertragsrevision im Keim ersticken sollte.181 Ungeachtet aller juristischen Zielsetzungen, die mit dem Anfang Juni 1970 versandten Schreiben verbunden waren, ließ Springer keinen Zweifel an seinem persönlichen Standpunkt. Tief enttäuscht zeigte er sich über die mangelnde moralische Integrität der Bertelsmann-Führung, deren Täuschungsmanöver und Verfehlungen er stichhaltig aufführte, um alsdann über den Gesamtkonzern zu urteilen: »Was sich vorher als Familienunternehmen darstellte, entpuppte sich als rastloser Aufkaufsbetrieb für Verlagsanteile. […] Weit entfernt von dem Ethos und der Solidität eines von einem bestimmten Geist gebildeten und von Tausenden von fleißigen Köpfen und Händen betriebenen Verlages«. Am Ende stellte Springer die rhetorische Frage, ob er »einem solchen seelenlosen Unternehmens-Gebilde […] nach [seinem] Tode die Aktienmajorität […] überlassen solle«. Die Ungültigkeit des Kaufvertrages begründete Springer mit der Verletzung der ausdrücklich vereinbarten Schweigepflicht, nicht ohne auf konkrete Einzelfälle und insbesondere die unrühmliche Rolle von Köhnlechner einzugehen. Den Schlusspunkt bildete Springers Wunsch, »aus einer Sache ohne Zerwürfnis herauszukommen, die durch die Entwicklung jede vernünftige Lebensfähigkeit verloren hat«.

Mohn, der kurz zuvor die Umwandlung seines Verlagskonzerns in eine Aktiengesellschaft beschlossen hatte, wurde wohl weniger durch den sich bereits abzeichnenden Rückzieher Springers überrascht, als vielmehr durch einige ihm unbekannte Details, mit denen der Hamburger Verleger aufwartete.182 Wie Kracht musste auch Köhnlechner wenig später seinen Posten als Generalbevollmächtigter räumen, ohne dass die Hintergründe bekannt geworden sind. Mohn, den Springer von allen direkten Vorwürfen ausgenommen hatte, wurde offenbar rasch klar, dass juristische Gegenmaßnahmen nicht nur mit unsicheren Erfolgsaussichten verbunden, sondern auch dem so sorgsam gepflegten öffentlichen Ruf höchst abträglich gewesen wären. Lautstarke Auseinandersetzungen entsprachen ganz und gar nicht dem ruhigen Naturell des stets verbindlich auftretenden Gütersloher Firmenchefs. Dennoch dauerte es fast zwei Monate, bis es Tamm in aufreibenden Verhandlungen gelungen war, die Elefantenhochzeit rückgängig zu machen.183 Nach dem erfolgreichen Abschluss der Trennungsgespräche reagierte Springer mit größter Erleichterung auf den berühmt gewordenen Ausspruch seines obersten Verlagsmanagers: »Das Reichsgebiet ist wieder feindfrei.«184 Die Verkaufsbemühungen waren allerdings nur kurzzeitig zum Erliegen gekommen. In den folgenden Jahren wurden mit unterschiedlichsten Interessenten immer neue Verhandlungen geführt, die 1983 zur Veräußerung eines Minderheitsanteils an die Familie Burda und 1985 zum Börsengang des Verlagshauses führen sollten.

Unterdessen schloss der Alleinvorstand im September 1970 die organisatorische Neuordnung ab, die mit der Konsolidierung des Verlagshauses in eine Aktiengesellschaft notwendig geworden war.185 Aufgrund des Fehlens eines mehrköpfigen Vorstands schuf Tamm ein oberstes operatives Führungsgremium der Axel Springer Verlag AG, dem die Vorsitzenden der sieben ins Leben gerufenen Geschäftsführungsbereiche Zeitungen, Zeitschriften, Anzeigen, Vertrieb, kaufmännische Verwaltung, Technik sowie Medien und Information angehörten. Mit der Neugliederung hatte Tamm endgültig die gemischt-regionale Organisationsstruktur der Verlagshäuser Hamburg, Berlin, Ahrensburg und Die Welt aufgegeben, deren Verlagsobjekte nun in den beiden Geschäftsführungsbereichen Zeitungen und Zeitschriften aufgegangen waren.

Die verlegerischen Entscheidungen wurden weiterhin direkt von Springer getroffen. Unterstützt wurde der Verleger durch einen ebenfalls im September 1970 geschaffenen »Arbeitskreis Verleger Axel Springer«, dem seine engsten Mitarbeiter Tamm, Boenisch, Hagen, Nagel und der neue Leiter des Verlegerbüros, Cramer, angehörten.186