Bild-Zeitung: Millionenfacher Markterfolg mit einem neuen Presseprodukt

Als am 24. Juni 1953 die Bild-Zeitung erstmals erschien, ahnte wohl auch Springer nicht, welche publizistische Zeitenwende von dem damals vierseitigen Schwarz-Weiß-Blatt mit dem markanten Logo in roter Druckfarbe ausgehen würde. Mit einem für Deutschland neuartigen verlegerischen Konzept, das Boulevard-Inhalte mit einem gefühlsbetonten Human-Interest-Journalismus und systematischer Visualisierung kombinierte, sollte sich die Bild-Zeitung ein Millionenpublikum erschließen, darunter viele Leserschichten, die bislang keine Zeitungen konsumiert hatten. Schon bald entwickelte sich die Bild-Zeitung nicht nur zu einem zentralen Informations- und Unterhaltungsmedium, sondern auch zu einem prägenden Kulturgut im Alltagsleben der Bundesdeutschen.

Entwicklung eines neuen Zeitungstyps

Zwar ist die Gründungsphase der Bild-Zeitung nur spärlich überliefert und in späteren Jahren immer wieder zum Gegenstand einer vielfältigen Legendenbildung geworden, doch ist allgemein unbestritten, dass der Verleger das Grundkonzept der Bild-Zeitung entwickelte und die treibende Kraft während des Realisierungsprozesses war.546 Springers Planungen sahen eine am Morgen erscheinende, niedrigpreisige Straßenverkaufszeitung vor, die sich inhaltlich und gestalterisch an den modernen Boulevard-Zeitungen Großbritanniens und der Vereinigten Staaten orientierte. Maßgeblich inspiriert wurde er bei seinen Überlegungen von zwei Tageszeitungen: der Hamburger Morgenpost und dem britischen Daily Mirror.547 In Anlehnung an die damals sehr erfolgreiche Hamburger Morgenpost konzipierte er die Bild-Zeitung als Morgenzeitung, die im Straßenverkauf für 10 Pfennige vertrieben wurde.548 Dabei war die angestrebte Preisführerschaft nur ein Aspekt unter vielen. Mit seinem Gespür für die Bedürfnisse der breiten Bevölkerung hatte der Verleger erkannt, welches Absatzpotential in einem erschwinglichen Blatt lag, das im Gegensatz zu den meisten anderen Hamburger Tageszeitungen vor Arbeitsbeginn erworben werden konnte und »auf die Psyche des Morgens-ins-Büro-Fahrenden« ausgerichtet war.549 Daily Mirror, aber auch andere britische und US-amerikanische Tageszeitungen dienten als Maßstab für das neue Verlagsobjekt.550 Seit Beginn seiner verlegerischen Tätigkeit war Springer fasziniert von der fortschrittlichen anglo-amerikanischen Presse, besonders vom modernen massenwirksamen Journalismus, der konsequenten Betonung visueller Effekte, den kreativen Werbemaßnahmen und der innovativen Drucktechnik:551

»Ich sah mich um, in England, Skandinavien, in Amerika, und ich erkannte, daß im Zeitalter der Massen auch die Publikationsmittel für das große Publikum anders gestaltet werden müssen als in früheren Jahrzehnten. […] Aus solchen Gedankengängen entstand die ›BILD-Zeitung‹, die zwar in Hamburg aus der Taufe gehoben wurde, aber von Anfang an als Zeitung eines neuen Typs für ganz Deutschland gedacht war.«552

Die Überlegungen des Verlegers über »Publikationsmittel für das große Publikum« blieben jedoch nicht auf die Presse beschränkt, sondern umfassten auch bereits das Fernsehen, das im Dezember 1952 seinen Programmbetrieb in der Bundesrepublik aufnahm.553 Schon seine Pläne für eine Lichtspielhaus-Kette Anfang der 1940er-Jahren hatten gezeigt, wie hoch Springer das unternehmerische Potential der visuellen Medien einschätzte. Zehn Jahre später hatte das Fernsehen seinen Siegeszug angetreten und konnte in den Vereinigten Staaten mit 15 Millionen Fernsehgeräten im Jahre 1952 bereits als Massenmedium bezeichnet werden.554 Der Durchbruch des Fernsehens in den USA bestärkte Springer in seiner Überzeugung, dass das bewegte und unbewegte Bild als Informationsträger zunehmend an Bedeutung gewinnen und ein »optisches Zeitalter«555 anbrechen würde.556 Insbesondere der emotionalen Wirkung von Bildern räumte er einen großen Stellenwert ein.557 Diese Erkenntnisse hatte Springer 1948 bereits in die Gestaltung des Hamburger Abendblatts einfließen lassen, das »viel mehr durchillustriert war als irgendeine andere Zeitung«.558 Eine radikale Weiterentwicklung erfuhr das visuelle Prinzip in seinem erstem Konzept für die Bild-Zeitung, das zu einem Großteil aus Photos mit kurzgefassten Bildunterschriften bestehen sollte.559 Auch wenn das Vorhaben später in Teilen modifiziert werden musste, war seine Idee einer Tageszeitung, die »dem Bild […] Vorrang«560 gab, bahnbrechend. Somit bestand das von Springer entwickelte Zeitungskonzept aus drei Elementen: dem innovativen Einsatz von Bild und Layout, der vorsichtigen Adaption des massenwirksamen britischen und US-amerikanischen Boulevard-Journalismus sowie der von der Hamburger Morgenpost erprobten Ausgestaltung als Straßenverkaufszeitung mit einem Vertriebspreis von 10 Pfennigen.

Wann Springer seine Ideen für die spätere Bild-Zeitung entwickelte und erstmals kundtat, lässt sich heute nicht mehr rekonstruieren. Die frühesten schriftlichen Zeugnisse zur Gründung der Bild-Zeitung sind Druckkosten-Kalkulationen, die im Oktober 1951 für ihn erstellt wurden.561 Einzelgespräche »in lockerer Form« und »gelegentlich viele Stunden« dauernde »Gesamtgespräche« mit führenden Verlagsvertretern, wie Voss, Siemer, Michael, von Bargen, Szimmetat, Klosterfelde oder Schultz-Dieckmann, aber auch Vertrauten, wie Hans Zehrer, folgten spätestens ab April 1952.562 Die intensiven Beratungen zeigten nicht nur, welchen Stellenwert das neue Zeitungsprojekt für Springer hatte, sie waren auch ein charakteristisches Beispiel für Kreativprozesse, die der Verleger in den 1940er und 1950er-Jahren initiierte und begleitete. Sobald seine – oftmals auf einem Notizpapier dahin gekritzelten – Ideen bis zu einem bestimmten Punkt gediehen waren, wurden sie mit Einzelpersonen oder in kleinen Runden intensiv erörtert. Auf bemerkenswerte Weise gelang es Springer in solchen Gesprächen, einerseits als Führungspersönlichkeit wahrgenommen zu werden und seine umfangreichen Kompetenzen als Zeitungsmacher einzubringen sowie andererseits mit einer offenen Gesprächsführung und gezielten Fragen vom Wissen und der Erfahrung der Diskussionsteilnehmer zu profitieren. Die Konzeption der Bild-Zeitung wurde ferner durch Rosemarie Alsen unterstützt, die seit Ende der 1940er-Jahre mit Springer zusammenlebte und ihn im Dezember 1953 nach seiner Scheidung von Katrin Springer heiratete.563 Die kultivierte Dressurreiterin aus bestem, aber politisch schwer belastetem Hause war nicht nur Gesprächspartnerin in verlegerischen Fragen, sondern klebte im Anfang 1952 bezogenen gemeinsamen Anwesen am Hamburger Falkenstein auch die ersten Testnummern der Bild-Zeitung.564 Weit über das neue Verlagsobjekt hinaus, hatte die selbstbewusste Rosemarie großen Einfluss auf den Verleger, der sich in diesen Jahren zu einer »distinguiert auftretenden und repräsentierenden Persönlichkeit«565 entwickelte und nicht nur sein Interesse für Kunst und Kultur, sondern auch für den Reitsport und Golf entdeckte. Zusammen mit seiner weltläufigen Frau unternahm Springer unzählige Reisen, nicht zuletzt zu den Dressur-Wettkämpfen, welche die Olympiareiterin zum Stolz des Verlegers bestritt.

Im gemeinsamen Haus an den Elbhängen entstand in direkter Anlehnung an die geplanten Inhalte wohl auch der Titel der Bild-Zeitung.566 Anschließend entwickelte der an den Planungsgesprächen teilnehmende Werbegrafiker Günther T. Schultz, ein langjähriger Freund Springers, das prominente Logo mit den Unterzeilen »Zehn Pfennig« und »Zeitung«. Die ersten Probenummern der Bild-Zeitung ließ Springer unter dem Tarntitel »Lido« von Hör zu-Chefredakteur Rhein erstellen und drucken.567 Getreu den Vorgaben des Verlegers, bestanden sie nur aus Schwarz-Weiß-Photos und Bildunterschriften. Zudem hatte er sich für ein großes Format entschieden, um die Wirkung der Bilder voll zur Geltung kommen zu lassen und den Wert der »Zehn-Pfennig-Zeitung« zu steigern.568 Ungeachtet der fortschreitenden Planungen für Springers Zeitungsprojekt regten sich im Verlagshaus zahlreiche kritische Stimmen, die aus unterschiedlichen Gründen Vorbehalte äußerten.569 Im Mittelpunkt der Kritik stand die Skepsis vor einer Tageszeitung, die fast ausschließlich aus Bildern bestand.570 Es wurde auch die Befürchtung geäußert, dass der Vertriebspreis von 10 Pfennigen zu niedrig sei.571 Auf Ablehnung stieß der Bezugspreis ebenfalls bei den Grossisten, die einen profitablen Vertrieb der Bild-Zeitung nicht für möglich hielten.572 So musste Springer in den Anfangszeiten der bahnbrechenden Zeitungsidee vor allem Überzeugungsarbeit leisten. Nicht ohne Wirkung blieb offensichtlich ein gewichtiger redaktioneller Einwand von Rhein, der das Zeitungskonzept aus Mangel an aktuellem und hochwertigem Bildmaterial für nicht realisierbar hielt.573 So enthielt die Erstausgabe der Bild-Zeitung im Gegensatz zur voll illustrierten Testnummer »Lido« einen kaum bebilderten Innenteil. Zuvor waren die Vorbereitungen für das Erscheinen des Blattes erheblich beschleunigt worden, da Gerüchte über Planungen der Welt-Verlagsgesellschaft bekanntgeworden waren, ebenfalls eine Straßenverkaufszeitung herauszubringen.574 Überdies hatte sich Springer für ein Erscheinen der Bild-Zeitung kurz vor Beginn der Olympischen Spiele in Helsinki entschieden, um das gesteigerte Informationsbedürfnis der Allgemeinheit für das neue Blatt zu nutzen.575 Aus Zeit- und Kostengründen stellte er keine große Redaktion mit hauptamtlichen Mitarbeitern zusammen, sondern zog ein gutes Dutzend erfahrener und engagierter Redakteure vom Hamburger Abendblatt ab.576 Die »organisatorische Leitung« übernahm der Hamburger Abendblatt-Redakteur von Bargen, der mit dem späteren Chefredakteur Michael und dem Redaktionskollegen Wegner den Kern der Bild-Redaktion bildete.577

Abbildung 9: Erstausgabe der Bild-Zeitung (1952)

Startschwierigkeiten

Am 24. Juni 1952 erschien die erste Ausgabe der Bild-Zeitung mit einem Außenteil, der durchgängig aus Schwarz-Weiß-Photos mit Bildunterschriften bestand, und mit einem zweiseitigen Innenteil aus Kurzbeiträgen, darunter Sinnsprüche, das Horoskop, die berühmte Kolumne »Hans im Bild« von Hans Zehrer und Sportmeldungen.578 Zeitungsanzeigen existierten nicht und wurden von Fachleuten auch für nicht realisierbar gehalten.579 Nachdem am Tag des ersten Erscheinens 500.000 Exemplare kostenlos in Hamburg verteilt worden waren, setzte am 25. Juni 1952 der offizielle Straßenverkauf in Nord- und Westdeutschland zu einem Vertriebspreis von 10 Pfennigen ein.580 Doch das allgemeine Interesse an der Bild-Zeitung, an die der Verleger so hohe Erwartungen knüpfte, blieb gering. Die Auflagenentwicklung enttäuschte nicht nur, sondern sorgte im Zusammenspiel mit der Auflagenhöhe und dem fehlenden Anzeigengeschäft für empfindliche Verluste.581 Bis Ende 1952 lag die durchschnittlich verkaufte Auflage bei lediglich 165.000 Exemplaren.582 Ungeachtet der entmutigenden Entwicklung hielt Springer unbeirrt an seinem Konzept fest. Weiterhin nahm er starken Einfluss auf die tägliche Redaktionsarbeit, vor allem in den Redaktionskonferenzen. Seine intensive redaktionelle Mitwirkung erinnerte an die Gründungsjahre des Hamburger Abendblatts und sollte in dieser Form zukünftig keinem seiner Verlagsobjekte mehr zuteil werden. Als bis Ende 1952 dennoch keine Besserung eintrat und Gerüchte über die Einstellung der Zeitung die Runde machten, rang sich Springer auf Zureden zahlreicher Mitarbeiter durch, Umfang und Bedeutung der Textelemente zu erhöhen.583 Nach einer Zusammenkunft mit dem seit Oktober 1952 amtierenden Chefredakteur Michael und Voss beschied Springer im Januar 1953: »Michael, wir müssen Text machen! Wir müssen mehr Text machen!«584 In einem experimentellen Prozess wurden sukzessive Inhalt und Aufbau der Bild-Zeitung verändert. An die Stelle von Bildunterschriften im Außen- und besinnlicher Kurzlektüre im Innenteil traten zunehmend durchrecherchierte, jedoch überwiegend unpolitische Beiträge. Human-Interest-Nachrichten, übrigens weitgehend ohne Sex, aber mit reichlich Crime, »zeitgeschichtliche Reportagen« und »Sportberichterstattung« machten den Großteil der Artikel aus.585 Darüber hinaus wurden dem Leser Aktionen, Lebenshilfe, Witze, Bildergeschichten586, Novelletten und Romane präsentiert. Photos und Zeichnungen hatten zwar weiterhin einen überdurchschnittlichen Anteil, blieben jedoch im Gegensatz zum ursprünglichen Konzept auf ihre illustrierende Funktion beschränkt. Durch den erhöhten Textumfang stieg nicht nur der Informationsgehalt, sondern auch die Wirkungsmacht des von Springer propagierten Human-Interest-Journalismus, der fortan durch die Redaktion entscheidend weiterentwickelt und perfektioniert werden sollte. Vom Daily Mirror übernahm die modifizierte Bild-Zeitung die Schlagzeile und nutzte sie in einem bisher in Deutschland nicht gekannten Maße als Instrument zur Erzeugung von Aufmerksamkeit und Kaufimpulsen. Die Kombination aus Schlagzeile, Überschrift, Artikeln und Bildern ließ die Redaktion der Bild-Zeitung innovative Layout-Techniken entwickeln.587 Zudem unterschied sich Bild von anderen Tageszeitungen durch einen dynamischen Umbruch und durch einen vollständigen  Verzicht auf herkömmliche Sparten.588 Von großer Bedeutung für Springers konzeptionellen Sinneswandel und die Weiterentwicklung des bisher nicht erfolgreichen Konzepts der Bild-Zeitung war der Chefredakteur Michael, der im Oktober 1952 von Bargen abgelöst hatte.589 Michael verfügte nicht nur über ein ausgeprägtes journalistisches Gespür für die Bedürfnisse eines breiten Leserspektrums590, sondern stellte mit der Neukonzeption der Bild-Zeitung sein Talent als innovativer »Blattmacher« unter Beweis. Von ebenso großer Bedeutung für den Erfolg der Bild-Zeitung war die Führungsstärke des damals bereits 62-jährigen Chefredakteurs.591 Mit ruhiger Hand leitete er eine bunt zusammen gewürfelte und hoch motivierte Redaktion, die infolge der zunehmenden Auflage, Umfänge und Verbreitungsgebiete ein rasantes Wachstum erfuhr. Unter Michael wuchs die Redaktion zwischen 1952 und 1958 von einer Handvoll auf über 100 Redakteure.592

Abbildung 10: Axel Springer mit der Erstausgabe der Bild-Zeitung (1952)

Neben der Blattkonzeption machte Springer schwere Mängel in der Vertriebsorganisation für den ausbleibenden Erfolg der Bild-Zeitung verantwortlich.593 Nach dem monatelang schleppenden Verkauf hatten die meisten Vertriebsstellen, wie etwa die Bahnhofsbuchhandlungen, die Bild-Zeitung längst in die hinteren Reihen verbannt. Dieser Umstand war den Verantwortlichen im Verlagshaus, das mit Abonnementszeitungen, wie dem Hamburger Abendblatt und der Hör zu, groß geworden war, verborgen geblieben. Alarmiert forderte Springer: »Das Ding muß sichtbar werden!«594 Daraufhin organisierte der Vertriebsleiter Szimmetat einen »fliegenden Straßenhandel« »nach angelsächsischem Muster« mit Zeitungshändlern mit den berühmten »weißen Mützen […] und Mänteln« mit rotem Bild-Signet und flankiert durch innovative Werbekampagnen.

Der verlegerische Durchbruch

Die redaktionelle Umgestaltung der Bild-Zeitung und die Reorganisation des Vertriebs bildeten die entscheidenden Voraussetzungen für die Auflagenexplosion, die bereits im Februar 1953595 ihren Anfang nehmen sollte. Im September 1953 wurden erstmals über eine Million Exemplare verkauft.596 Ein Jahr später war die Bild-Zeitung schon die größte Tageszeitung Europas.597 Im Dezember 1952 gab auch die werbetreibende Wirtschaft ihre langgehegten Vorbehalte gegen die Boulevard-Zeitung auf und schaltete erstmals Anzeigen.598 Allerdings blieb die wirtschaftliche Bedeutung des Anzeigengeschäfts im Vergleich zum Hamburger Abendblatt und zur Welt unterdurchschnittlich. 1953 stiegen die Gesamterlöse der Bild-Zeitung auf 15,2 Millionen Deutsche Mark; im gleichen Zeitraum wird das Verlagsobjekt die Gewinnschwelle überschritten haben.

Nach dem verlegerischen Durchbruch der Bild-Zeitung zog sich Springer aus dem redaktionellen Tagesgeschäft zurück.599 Wie die Chefredakteure von Hamburger Abendblatt und Hör zu verfügte damit auch Michael über einen ausgeprägten Gestaltungsspielraum. Abgesehen von den regelmäßigen, an den Chefredakteur gerichteten Kommentaren des Verlegers zu Inhalt und Aufmachung war Springer fortan nur noch an wichtigen Personal- und Strukturentscheidungen beteiligt.600 Unter der Ägide des Chefredakteurs Michael und des Verlagsleiters von Bargen betrafen diese Entscheidungen in erster Linie die bemerkenswerte Expansion der Bild-Zeitung. Der Redaktionsapparat schuf werktäglich drei Bild-Ausgaben, die Hamburg-Ausgabe für den norddeutschen Raum, die Bundes-Ausgabe für den west- und süddeutschen Raum und die Berlin-Ausgabe für den Westteil der ehemaligen Hauptstadt.601 Schwach blieben trotz vielfältiger Bemühungen die Absatzahlen in Süddeutschland. Diese überregionale Verbreitung der Bild-Zeitung machte gleichzeitig den Rückgriff auf vielfältige Druckereien über Hamburg hinaus notwendig.602 Neben der Ausweitung der Redaktionen und Druckorte wurde unter den Vertriebsleitern Otto Harenberg und Fritz Wirth die Vertriebsorganisation fortlaufend ausgebaut. 1966 verfügte die Bild-Zeitung mit annähernd 70.000 Verkaufsstellen über das größte und dichteste Vertriebsnetz des westdeutschen Pressewesens. Insbesondere in ländlichen Regionen erschloss die Bild-Zeitung ein bislang unbedientes Leserspektrum. Im Mittelpunkt des Vertriebs standen die Presse-Grossisten, die der Verlag durch großzügige Vergütungsregelungen, enge persönliche Kontakte und kontinuierliche Beratungsangebote steuerte.603 Unterstützung erhielt der Vertrieb durch die innovative Werbeabteilung von Schreckenbach. Wie bereits beim Hamburger Abendblatt, kreierten die Werbefachleute, nicht selten auf Anregungen des Verlegers, vielbeachtete Marketingaktionen, wie das »30.000-DM-Preisausschreiben« oder die Wahl des »idealen deutschen Frauentyps«.604

Grafik 4: Entwicklung der Bild-Zeitung (bis 1960)607

Bis zum Beginn der 1960er-Jahre stieg die durchschnittliche Verkaufsauflage der Bild-Zeitung auf über 3 Millionen Exemplare.605 Gleichzeitig erwirtschaftete das Blatt mit Gesamterlösen von fast 78 Millionen Deutsche Mark rund 18 Prozent des Verlagsumsatzes.606 Das Ergebnis wuchs bis zum Ende der 1950er-Jahre auf über 10 Millionen Deutsche Mark. Neben der Hör zu wurde die Bild-Zeitung damit zum wichtigsten Ertragsbringer.