Expansion auf dem Zeitschriftenmarkt

Mit dem Erwerb des Münchener Kindler & Schiermeyer-Verlags läutete Springer im Juli 1965 den letzten Akt seiner verlegerischen Expansion ein, auf deren Höhepunkt er nicht nur die meisten Zeitungen in der Bundesrepublik verkaufte, sondern auch zum größten Zeitschriftenverleger aufstieg. Zeitgleich begannen die öffentlichen Angriffe auf Springer, dessen vermeintlich marktbeherrschende Stellung in immer schärferen und vielstimmigeren Tönen als Meinungsmonopol gegeißelt wurde. Unter dem Eindruck des politischen Sperrfeuers sollte er im Juni 1968 überraschend den Münchener Zeitschriftenverlag veräußern und Kindler & Schiermeyer damit zum Symbol für das Ende seines unternehmerischen Expansionsstrebens machen.

Im Sommer 1965 hatte sich der Münchener Verlagsunternehmer Helmut Kindler entschieden, seinen Zeitschriftenverlag Kindler & Schiermeyer zu veräußern.468 Die Gründe lagen wohl im mangelnden Interesse am Zeitschriftengeschäft und in den wachsenden Verlusten der Wochenillustrierten Revue, die Kindler 1949 begründet hatte. Zudem versprach eine Veräußerung zusammen mit dem ertragsstarken Jugendmagazin Bravo einen attraktiven Verkaufserlös. Nachfolgend wandte sich Kindler an Kracht, der offenbar sogleich die Initiative ergriff, jedoch bei Springer auf Skepsis stieß.469 Der Presseunternehmer hatte für Zeitschriften nie ein besonderes verlegerisches Interesse entwickelt. Darüber hinaus war der Verlagskonzern zu dieser Zeit aufgrund der Investitionsvorhaben in Berlin und Ahrensburg, wie erwähnt, vergleichsweise hoch verschuldet. Allerdings scheint es dem Majordomus schließlich doch gelungen zu sein, Springer von den Vorzügen eines Erwerbs zu überzeugen, die vor allem in der Erschließung des bislang vernachlässigten Zeitschriftengeschäfts lagen. Das besondere Augenmerk des ehrgeizigen Generalbevollmächtigten lag auf der ertragsstarken Jugendzeitschrift Bravo, die seit ihrer Gründung 1956 erfolgreich junge Leserschichten erschlossen hatte, deren Konsumentenbedürfnisse im Zuge des allgemeinen gesellschaftlichen Wandels immer stärker an Bedeutung gewannen. Ertragskraft und Wachstumsdynamik schienen sich in der Wochenzeitschrift auf ideale Art und Weise zu verbinden. Zudem verfügte Kindler & Schiermeyer über eine leistungsfähige Tiefdruckerei in Oberföhring, die nicht nur die Herstellung des Bravo-Magazins absicherte, sondern auch interessante drucktechnische Optionen für weitere Titelerwerbungen bot. Ein weiteres Argument für eine Übernahme von Kindler & Schiermeyer war der Expansionsdrang der Verlagshäuser Gruner & Jahr und Heinrich Bauer, denen Kracht, so scheint es, keine zusätzlichen verlegerischen Betätigungsfelder überlassen wollte. Dies galt im besonderen Maß für den Bauer-Verlag, der die Eingliederung der Revue in sein Illustriertenreich anstrebte.470 So entwickelte sich im Juli 1965 mit dem Hamburger Konkurrenten ein heftiger Bieterwettstreit, den Kracht aufgrund eines höheren Gebots schließlich zugunsten Springers entscheiden konnte. Mitte Juli 1965 übernahm die Axel Springer & Sohn KG für 27 Millionen Deutsche Mark sämtliche Anteile der Kindler & Schiermeyer Verlag GmbH.471 Durch die sofortige Veräußerung der Illustrierten Revue an den Münchener Th.-Martens-Verlag und die Abgabe weiterer Vermögenswerte flossen 15 Millionen Deutsche Mark zurück in die Kassen der Verlagsgesellschaft.472 Allerdings sollte die Revue später doch noch in die Hände des Bauer-Verlags gelangen: Im Juli 1966 verkaufte der finanziell angeschlagene Th.-Martens-Verlag die Revue an den Hamburger Konkurrenten, der das Verlustobjekt mit der hauseigenen Neuen Illustrierten verschmolz.473

Kracht übernahm nachfolgend die Geschäftsführung der neuen Münchener Dependance, die er, ohne seine Position als Generalbevollmächtigter aufzugeben, bis 1968 in weitgehender Autonomie leitete.474 Einzig Grundsatzentscheidungen und die Verabschiedung der Finanzpläne lagen abschließend in den Händen Springers, dessen Einfluss jedoch nicht zuletzt aus Mangel an Interesse gering blieb.475 Dieser Umstand sollte Mitte 1968 zur entscheidenden Sollbruchstelle werden und die leidenschaftslose Trennung vom Münchener Engagement möglich machen. Doch vorerst schien für den beständig zwischen Hamburg, Berlin und München pendelnden Kracht der Traum aufzugehen, erstmals als Verleger tätig zu werden. Der 44-Jährige leitete einen ambitionierten Expansionskurs ein, auf dessen Höhepunkt Kindler & Schiermeyer zusammen mit dem Hamburger Stammhaus zum auflagenstärksten Zeitschriftenverlag der Bundesrepublik avancieren sollte.476 Sein erster Coup war, das renommierte Journalistenduo Karl-Heinz Hagen und Günter Prinz477 für das Eltern-Magazin zu gewinnen, das er im Mai 1966 vom Krefelder C. Busch-du Fallois-Verlag für wenige tausend Deutsche Mark erworben hatte.478 Hagen, der nach seinem Abschied von der Bild-Zeitung als Chefredakteur der Illustrierten Quick und später als Herausgeber der Revue gewirkt hatte, entwickelte zusammen mit seinem ehemaligen Stellvertreter Prinz die Monatszeitschrift zu einem innovativen verlegerischen Angebot für junge Familien. Nach dem Start des neukonzipierten und in Eltern umbenannten Titels stieg die Auflage innerhalb eines Jahres auf über eine Million Exemplare.479 Kurz nach der Übernahme des Eltern-Magazins bot der finanzschwache Münchener Th.-Martens-Verlag im Juni 1966 seine Objekte Quick, Twen, Kicker und die erst elf Monate zuvor erworbene Revue zum Verkauf an.480 Mit Blick auf die Konzentrationsdebatte schien Springer vor einer vollständigen Übernahme des süddeutschen Zeitschriftenverlags zurückzuschrecken. Stattdessen schlug er seinem Verlegerkollegen Franz Burda vor, einen verdeckten Erwerb durch das Offenburger Verlagshaus zu finanzieren, stieß aber auf Ablehnung. Schließlich erwarb der Bauer-Verlag im Juni 1966 die beiden Illustrierten Revue und Quick, während Kracht die Monatszeitschrift Twen und das wöchentliche Fußballblatt Kicker übernahm.481 Die Sportzeitschrift wurde in die Axel Springer & Sohn KG eingegliedert und nahm bis zu ihrem Verkauf 1968 eine wenig befriedigende verlegerische Entwicklung.482 Twen fiel für 100.000 Deutsche Mark dem Kindler & Schiermeyer-Verlag zu, der dem Objekt in den folgenden zwei Jahren zu einer Auflagenverdoppelung verhelfen sollte, ohne es jedoch aus der Verlustzone führen zu können. Gleichzeitig erwarb Kindler & Schiermeyer für die gleiche Summe die beiden Jugendzeitschriften Ok und Wir vom Heinrich-Bauer-Verlag, der mit diesem Schritt vermutlich die Übernahme und Konsolidierung der beiden Illustrierten Revue und Quick finanzierte.483 Unverzüglich ließ Kracht die beiden Schwesterblätter unter dem Titel Ok zusammenlegen, bevor Ok wohl aus finanziellen Gründen im April 1967 mit dem Jugendmagazin Bravo fusioniert wurde.484 Ende 1966 setzte er seinen Expansionskurs im Zeitschriftenbereich fort, als er die Dortmunder Deutsche Wochenzeitschriften-Verlag GmbH mit der Programmzeitschrift Funk Uhr von der Westfälischen Verlagsgesellschaft und Heinrich Becker erwarb.485 Die Funk Uhr, deren Verlagsbetrieb einige Monate später aus steuerlichen Gründen an die Muttergesellschaft Axel Springer & Sohn nach Hamburg verkauft wurde, verzeichnete in den folgenden Jahren ein stetiges Auflagenwachstum von 760.000 Exemplaren im Jahr 1966 auf über 2,6 Millionen Anfang der 1980er-Jahre.486 1968 erwirtschaftete die Funk Uhr ein Betriebsergebnis von rund einer Million Deutsche Mark.487 Kurz vor dem Erwerb der Funk Uhr hatte Kracht vom Deutschen Wochenzeitschriften-Verlag die Boulevard-Postille Das Grüne Blatt übernommen, die alsbald mit dem Neuen Blatt fusioniert wurde.488

In den Bilanzen von Kindler & Schiermeyer hinterließ Krachts forcierter Expansionskurs deutliche Spuren. Überdies durchlebte das wirtschaftliche Rückgrat des Münchener Verlagshauses, die Jugendzeitschrift Bravo, 1966 eine Schwächephase mit Auflagenverlusten.489 So wandelte sich bei Umsätzen von 50 Millionen Deutsche Mark der Jahresüberschuss von drei Millionen in einen Fehlbetrag von rund 5 Millionen Deutsche Mark.490 Allerdings hellte sich die verlegerische Situation im Folgejahr wieder auf.491 Die Verkaufsauflage von Bravo legte um 15 Prozent zu, während der Absatz des Eltern-Magazins um 61 Prozent wuchs und die Twen-Auflage sich auf niedrigem Niveau verdoppelte. Im März 1967 initiierte Kracht die Konzeption eines neuartigen Lifestyle-Magazins für junge Menschen.492 Mit einem Investitionsbudget von geschätzten 10 Millionen Deutsche Mark gehörte das Verlagsvorhaben in der damaligen Bundesrepublik zu den aufwendigsten seiner Art.493 Auf die weitreichenden Folgen der vielbeachteten Titelgründung wird an späterer Stelle noch eingegangen. Weniger erfolgreich entwickelte sich der Comic-Titel Tina, den Kracht in Lizenz von Fleetway Publications des britischen Verlegers und Springer-Freundes Cecil King auf den Markt gebracht hatte; das Magazin wurde bereits nach wenigen Nummern wieder eingestellt.494 Der Preis des Münchener Expansionskurses war unverändert hoch. Ein weiteres Jahr in Folge musste Springer einen Fehlbetrag von rund 5 Millionen Deutsche Mark ausgleichen.495 Ungeachtet der Verlustsituation und der inneren Distanz zum Münchener Verlagshaus gab es jedoch zum Jahreswechsel 1967/68 keine Anzeichen, dass Springer den verlegerischen Kurs seines Majordomus in Frage stellte.