Ein Großunternehmen entsteht: Organisation und Führung des Verlagshauses

Mitte der 1950er-Jahre blickte Springer auf ein Verlagsunternehmen, das sich innerhalb eines Jahrzehnts von einem überschaubaren Buchverlag zu Deutschlands größtem Pressekonzern mit drei Tageszeitungen, zwei Sonntagszeitungen und vier Zeitschriften entwickelt hatte. Gleichzeitig war die Belegschaft von einigen wenigen Mitarbeitern auf fast 3.000 Angestellte an den beiden wesentlichen Standorten Hamburg und Essen gewachsen.848 Zum Ende des Jahrzehnts beschäftigte der Verlagskonzern fast 10.000 Mitarbeiter.

Komplexe gesellschaftsrechtliche Strukturen

Diese Expansion spiegelte sich auch in den gesellschaftsrechtlichen Strukturen wider, die Ende der 1940er-Jahre an Komplexität gewannen und unter dem Einfluss von Voss vor allem nach steuer- und haftungsrechtlichen Überlegungen gestaltet wurden. Bis Mitte der 1950er-Jahre waren zu dem väterlichen Hammerich & Lesser-Verlag, Herausgeber der Programmzeitschrift Hör zu und der Illustrierten Kristall sowie Betreiber des Buchverlagsgeschäfts, vier weitere wesentliche Verlagsgesellschaften getreten:

  • Axel Springer Verlag GmbH, die im Januar 1947 rechtswirksam begründet worden war, zwischenzeitlich das Hamburger Abendblatt verlegte und nach dessen Ausgliederung als Beteiligungsgesellschaft fungierte;

  • aus der ruhenden Hammerich & Lesser Verlag OHG hervorgegangene Axel Springer & Sohn KG, die die drucktechnischen Kapazitäten errichtete und anschließend betrieb sowie das Verlagsgeschäft des Hamburger Abendblatts, der Bild-Zeitung und der Bild am Sonntag verantwortete;

  • Die Welt Verlagsgesellschaft mbH, die im September 1953 von der Axel Springer Verlag GmbH erworben wurde und das Verlagsgeschäft der Welt, der Welt am Sonntag und des Neuen Blattes sowie die Essener Druckerei übersah;

  • zuletzt die Constanze Verlag GmbH, ein im Dezember 1947 begründetes Gemeinschaftsunternehmen von Springer und Jahr, das die Frauenzeitschrift Constanze verlegte.849

Darüber hinaus bestanden eine Reihe von Beteiligungsunternehmen, wie die Verlagsreisebüros und Grundstücksgesellschaften. Ab September 1956 erwarben die Axel Springer Verlag GmbH und die Hammerich & Lesser Verlag GmbH Anteile der Ullstein AG und hielten Beteiligungen an den Berliner Grundstücks- und Druckereigesellschaften. Kurz zuvor war die Axel Springer Verlag GmbH als Komplementärin in die Axel Springer & Sohn KG eingetreten. Zudem übernahm der Zeitschriftenverlag Hammerich & Lesser im Juli 1957 die Tiefdruckkapazitäten von Axel Springer & Sohn, so dass das Zeitungs- und Zeitschriftengeschäft nun vollständig gesellschaftsrechtlich getrennt war. Zur Herstellung einer steuermindernden Unternehmereinheit zwischen den Stammfirmen wurde die Hammerich & Lesser Verlag GmbH Ende 1959 in eine GmbH & Co. KG mit der Axel Springer Verlag GmbH als Komplementärin umgewandelt.

Grafik 8: Gesellschaftsrechtliche Struktur (Januar 1956)850

Effiziente Arbeitsteilung: Die Führung des Verlagshauses durch Inhaber und Teilhaber

Während der Constanze-Verlag und die Welt-Verlagsgesellschaft autonome Einheiten bildeten, folgten die Führungs- und Organisationsstrukturen der Stammgesellschaften Hammerich & Lesser-Verlag, Axel Springer Verlag und Axel Springer & Sohn bereits in den Gründungsjahren nicht gesellschaftsrechtlichen, sondern funktionalen Gesichtspunkten. So gliederte sich der Kernverlag in die Funktionsbereiche Redaktionen, Werbeabteilung, Vertriebsabteilung, Anzeigenabteilung, technische und kaufmännische Abteilungen sowie in die Buchverlagssparte.851 Die Abteilungen wurden von zwei abgestuften Führungsebenen, der Geschäftsleitung und der untergeordneten Verlagsleitung gesteuert.

Springer und Voss als geschäftsführende Gesellschafter aller wesentlichen Konzernunternehmen bildeten die Geschäftsleitung, die bis in die 1960er-Jahre jedoch nur auf dem Papier zu formellen Sitzungen zusammentrat. Gleiches galt für Gesellschafterversammlungen. Prinzipiell stießen Gremiensitzungen und Konferenzen852 sowohl bei Springer als auch bei Voss auf Ablehnung. Wichtige Entscheidungen trafen beide Teilhaber im engen persönlichen Austausch, der täglich im Verlagshaus, aber auch im privaten Umfeld stattfand. In den 1950er-Jahren wurden unternehmenspolitische Entscheidungen zunehmend von Rechtsanwälten und Wirtschaftsprüfern begleitet, ohne dass Springer und Voss ihre aktive Inhaberrolle aufgegeben hätten. Unter den Beratern nahmen insbesondere der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer Hans Früchtnicht sowie der Rechtsanwalt Hermann Arning eine führende und einflussreiche Rolle ein. Die Aufgabenverteilung auf der Geschäftsführungsebene folgte persönlichen Interessen und Kompetenzen. Der redaktionelle Bereich war die uneingeschränkte Domäne des Verlegers, der vorzugsweise über die jeweiligen Chefredakteure auf die Verlagsobjekte einwirkte. Aus den 1950er und 1960er-Jahren sind unzählige, an die Chefredakteure gerichtete Aktennotizen überliefert, in denen Springer redaktionelle und inhaltliche Aspekte auf oftmals höchst amüsante Weise kritisierte, seltener auch lobte.853 Seiner Verlegerposition, seinem Selbstverständnis und seinen Fähigkeiten entsprechend, war der wortgewandte, charismatische und bestens vernetzte Verleger zudem für Repräsentationsaufgaben und die Pflege bedeutsamer Außenkontakte, insbesondere zu Politikern und hochrangigen Wirtschaftsvertretern, zuständig. Persönliche Gespräche und Korrespondenzen mit politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträgern sowie die mit den Unterredungen verbundene Reisetätigkeit bildeten in den 1950er-Jahre zunehmend den Schwerpunkt der Verlegertätigkeit. Schon nach der Gründung des Hamburger Abendblatts hatte Springer begonnen, seine politischen Kontakte über Hamburg hinaus auf Bonn und Wahnerheide, das Hauptquartier des britischen Hochkommissars, auszudehnen, um Einfluss in Fragen der Papierversorgung, Finanzierung oder Verlagspolitik zu nehmen.854 Zur Verbesserung der politischen Kontaktpflege gründete er 1951 eine Bonner Repräsentanz, die über anderthalb Jahrzehnte von dem ehemaligen Hamburger Abendblatt-Korrespondenten Carlfranz Velte geleitet wurde.855 Jenseits der redaktionellen und politischen Bereiche widmete sich Springer all jenen Themen, die entweder von verlagsstrategischer Bedeutung waren oder auf sein persönliches Interesse stießen. Persönliche Unterstützung erfuhr Springer seit dem Beginn der 1950er-Jahre durch Christian Kracht, der Ende 1948 als Redakteur des Hamburger Abendblatts begonnen hatte, bald zum Assistenten des Verlegers avancierte und 1952 für mehrere Monate in den Vereinigten Staaten hospitierte. In den 1950er-Jahren stieg der verlässliche Organisator, besonnene Analytiker und gewiefte Verhandlungsführer zu Springers engstem Mitarbeiter auf, der überdies die Betreuung des Privatvermögens und die Regelung familiärer Angelegenheiten des Verlegers übernahm. Anfang der 1960er-Jahre sollte Kracht schließlich an die Spitze der Verlagsverwaltung rücken und den über 70-jährigen Karl Andreas Voss ablösen.

Abbildung 13: Axel Springer und Christian Kracht auf Reisen (1957)

In den 1950er-Jahren war der allseits respektierte Voss allerdings noch unangefochtenes Oberhaupt der kaufmännischen, administrativen und technischen Bereiche. Wie bereits dargestellt, hatten sich Springer und Voss auf eine effiziente Arbeitsteilung verständigt, die von klar abgegrenzten Gestaltungsspielräumen, gegenseitigem Respekt und einer engen Abstimmung in unternehmenspolitisch bedeutsamen Fragestellungen geprägt war. Voss gelang es in den ausgehenden 1940er- und beginnenden 1950er-Jahren, dem rasant wachsenden Unternehmen geeignete Organisationsstrukturen zu geben, die im Sinne der Professionalitätsansprüche des Teilhabers formalisiert waren, zugleich aber die nötige Flexibilität aufwiesen. Insbesondere glückte es, innerhalb der sehr konventionellen und über die Jahre kaum veränderten Verlagsstrukturen, ein erstaunliches Maß an Dynamik zu erzeugen, ohne das ein Unternehmenswachstum weder möglich noch handhabbar gewesen wäre. Freilich verfügte Voss auch über gute personelle Voraussetzungen. Die Verlagsführung verkörperte nicht nur anerkannte Fachkompetenz und langjährige Erfahrung, sondern auch Innovationsorientierung, unternehmerisches Denken und eine hohe Motivation. Beispielhafte Vertreter waren der Anzeigenexperte Helmuth Klosterfelde, der Werbefachmann Hans Heinrich Schreckenbach und der innovative Druckereiingenieur Walter Matuschke. Insgesamt war die Führungskultur der 1950er-Jahre von starker Sachorientierung und einem ausgeprägten Gemeinschaftssinn gekennzeichnet, der nicht zuletzt durch die charismatischen Fähigkeiten des Verlegers befördert wurde. Auch jenseits der Führungsebene setzte Springer seine Ausstrahlungskraft systematisch als Motivationsinstrument ein und schuf auf diese Weise eine besondere Verbundenheit der Belegschaft mit dem Inhaber. Die starke Identifikation mit dem Verlagshaus beruhte zudem auf materiellen Anreizen, wie überdurchschnittlichen Vergütungsstrukturen und hohen Sozialleistungen.856 Der Verleger gewährte die großzügigen Mitarbeiterzuwendungen jedoch nicht nur aus Incentivierungsgründen, sondern auch aus einer tief verwurzelten Sozialorientierung und einer Freude am Geben – letzteres im Übrigen nicht frei von Geltungsbedürfnis.857

Bis Mitte 1948 wurde die Verlagsleitung für sämtliche Objekte von Voss wahrgenommen. Zu seiner Entlastung übernahm im Juli 1948 der ehemalige Anzeigenleiter des Scherl-Verlags, Hans Funk, die Verlagsleitung des geplanten Hamburger Abendblatts und die verbandspolitische Vertretung des Verlagshauses. 1953 verantwortete der Verlagsdirektor zudem die Verlagsleitung der Bild-Zeitung.858 Mitte der 1950er-Jahre betraute Springer Funk mit dem Aufbau der Berliner Verlagsdependance. Allerdings schien es frühzeitig zu Konflikten sowohl mit anderen Führungskräften, als auch mit Springer selbst gekommen zu sein.859 1950 widerrief Springer das Angebot einer Teilhaberschaft.860 Mit der Expansion des Verlagshauses wuchsen die Anforderungen an die Verlagsführung. Im November 1954 beschlossen Springer und Voss, die bislang zweiköpfige Verlagsleitung zur Sicherstellung einer »planmäßigen Führung« umfassend zu erweitern.861 So gab Funk die Verlagsleitung des Hamburger Abendblatts an den bisherigen Werbeleiter Schreckenbach und die der Bild-Zeitung an den stellvertretenden Chefredakteur von Bargen ab und widmete sich fortan der Gesamtleitung des Zeitungsverlags. Zugleich vertrat er das Unternehmen in den jeweiligen Berufsverbänden. Die kaufmännische Steuerung von Hör zu und Kristall übernahm als Verlagsleiter der langjährige Hör zu-Anzeigenleiter Ernst Naumann.862 Zudem rückten der Anzeigenleiter Klosterfelde und der Vertriebsleiter Szimmetat zur Verbesserung der objektübergreifenden Koordination in die Verlagsleitung auf. Kracht wurde zu einem »Verlagsleiter für besondere Aufgaben« bestellt. Mit der nachfolgend kaum veränderten Führungsorganisation gelang es Voss bis zum Beginn der 1960er-Jahre, das Stammhaus einer einheitlichen kaufmännischen Leitung zu unterwerfen. Erst die großangelegte Expansion nach Berlin sollte der zentralistischen Verlagsorganisation ihre Grenzen aufzeigen.

Grafik 9: Wirtschaftliche Entwicklung des Gesamtunternehmens (bis 1960)866

Grafik 10: Bruttoerlöse der Verlagsobjekte (bis 1960)867

Grafik 11: Ergebnisanteile der Verlagsobjekte 1950 und 1960871

Das außerordentliche Unternehmenswachstum der 1950er-Jahre wird vor allem mit Blick auf die Umsatzzahlen deutlich. 1950 erlösten die wesentlichen Verlagsgesellschaften, die Axel Springer Verlag GmbH, die Hammerich & Lesser Verlag GmbH und die Springer & Sohn KG, konsolidiert rund 26 Millionen Deutsche Mark. Zehn Jahre später lag der konsolidierte Umsatz der drei Stammfirmen, der Welt-Verlagsgesellschaft und der Ullstein GmbH bei mehr als 425 Millionen.863 Die Erlöse der drei zentralen Verlagsgesellschaften wuchsen in diesem Zeitraum um mehr als 25 Prozent pro Jahr. Das konsolidierte Ergebnis stieg im gleichen Zeitraum von etwa 0,1 Millionen auf über 50 Millionen Deutsche Mark.864 Die ertragsstärksten Objekte waren im Jahre 1960 die Programmzeitschrift Hör zu und die Bild-Zeitung mit einem Ergebnisanteil von jeweils mehr als 20 Prozent.865

Ab Mitte der 1950er-Jahre konnten die Einnahmeüberschüsse nur noch zum Teil einer produktiven Verwendung im eigenen Unternehmen zufließen. Die freie Liquidität wurde in konservative Finanzanlagen und Immobilien investiert.868 Letzteres erfolgte vor allem in Hamburg und Berlin. Eine Differenzierung zwischen dem Firmen- und Privatvermögen des Verlegers wurde erst ab Mitte der 1960er-Jahre vorgenommen, als sich Springer gegen haftungsrechtliche und politische Risiken abzusichern begann.869 In der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre übernahm Kracht die Verwaltung der Finanzanlagen, die nachfolgend zunehmend internationalisiert und steuerlich optimiert wurden.870