Die drucktechnische Verselbständigung

Während sich das Hamburger Abendblatt auf dem hanseatischen Zeitungsmarkt außerordentlich erfolgreich positionierte, blieb die Abhängigkeit von der Broschek-Druckerei ein existenzbedrohendes Risiko für das junge Verlagsobjekt. Zwar wurde im April 1949 der bestehende Lohndruckvertrag mit der britischen Welt-Verlagsgesellschaft bis Ende 1950 verlängert, dennoch war Springer nach Ende der Vertragslaufzeit im besten Falle vom Wohlwollen der Briten, im schlechteren Falle von der Gunst etwaiger Treuhänder und Angehöriger der Familie Broschek abhängig.497 Gleichzeitig kam es 1949 im Rahmen der Aufhebung der Lizenzpflicht zu einer weiteren Verknappung der Druckkapazitäten, die von ihren Besitzern, fast ausschließlich Altverlegern, für geplante eigene Presseerzeugnisse reserviert wurden.498 Bestrebungen der britischen Besatzungsbehörden, die bestehenden Lohndruckverträge der Lizenzträger gesetzlich zu schützen, scheiterten in Hamburg, unter anderem am Widerstand von Bürgermeister Brauer. Auch der Hamburger Beratende Ausschuß für das Pressewesen, begleitet durch persönliche und schriftliche Eingaben Springers, hatte vergeblich ein Gesetz zur »drucktechnischen Sicherstellung der [lizenzierten] Zeitungen« gefordert.499 Springers Situation verschlechterte sich, als deutlich wurde, dass die Welt-Verlagsgesellschaft ihren Pachtvertrag mit Broschek & Co. nicht über 1950 hinaus verlängern würde.500 Er versuchte nun, die PR/ISC-Nachfolgerin Information Services Division (ISD) zu einer administrativen oder vertraglichen Regelung zu bewegen, die den zukünftigen Druck des Hamburger Abendblatts ohne eine »Genehmigung des der Lizenzpresse feindlich gesinnten derzeitigen Treuhänders von Broschek & Co., Herrn Dr. Merkel« gesichert hätte.501 Auch diese Initiative scheiterte, nicht zuletzt, weil gewisse britische Kreise hierin eine Benachteiligung des Broschek-Verlags sahen.502 Als die Briten im September 1949 die Vermögenskontrolle über den Broschek-Verlag an das Hamburger Landesamt für Vermögenskontrolle übertrugen, keimte die Hoffnung auf, dass Bürgermeister Brauer als oberster Dienstherr des Landesamtes die Absetzung des ungeliebten Broschek-Treuhänders Merkel durchsetzen würde.503 Brauers anschließender Vorstoß, einen neuen Treuhänder zu berufen, blieb allerdings aus unbekannten Gründen ohne Erfolg.504 Als sich im Dezember 1949 Springers Gegenspieler innerhalb der Broschek-Erbengemeinschaft durchsetzten und auf einer Sitzung des Landesamts für Vermögenskontrolle lediglich eine Verlängerung des Lohndruckvertrages bis Ende 1951 anboten, zogen Springer und Voss die Konsequenzen und beschlossen die Errichtung einer eigenen Zeitungsdruckerei.505

Aufbau einer Zeitungsdruckerei

Im Januar 1950 fassten Springer und Voss den offiziellen Gesellschafterbeschluss über das Investitionsprojekt.506 Die bislang inaktive Springer & Sohn, die 1947 aus der alten Hammerich & Lesser Verlag OHG hervorgegangen war, wurde mit der Errichtung einer Zeitungsdruckerei beauftragt.507 Wenige Wochen später wurde Voss mit einem Gesellschafteranteil von 10 Prozent Teilhaber von Springer & Sohn.508. Kurz zuvor war es ihm gelungen, den ehemaligen technischen Leiter des Ullstein-Verlags, Walter Matuschke,509 als Berater zu verpflichten.510 Der renommierte Druckexperte, der im Januar 1952 zum technischen Direktor berufen wurde, sollte den Axel-Springer-Verlag in den folgenden zwei Jahrzehnten mit den europaweit größten und modernsten Druckkapazitäten ausrüsten.511 Matuschke galt als Vordenker seines Faches, pflegte enge Kontakte zu den US-amerikanischen und japanischen Innovationsführern und entwickelte eine Vielzahl von drucktechnischen Patenten. 1961begründeteerzusammenmitanderen Verlagendie International Newspaper Color Association, den Weltverband der Drucktechnik.512 So war die Rekrutierung von Walter Matuschke ein typisches Beispiel für Springers Anspruch, die Besten ihres Fachs für das Verlagshaus zu gewinnen.

Die Planung und der Aufbau der Zeitungsdruckerei sind nur in Fragmenten überliefert. Dokumentiert ist, dass Voss und Matuschke im Frühjahr 1950 bei der Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg AG (MAN AG) für rund 2,3 Millionen Deutsche Mark eine erste Zeitungsrotation bestellten.513 Im Spätsommer und Herbst 1950 erwarb Voss für 200.000 Deutsche Mark acht zusammenhängende Trümmergrundstücke in der westlichen Innenstadt, auf denen durch den Architekten Peter Pruter in Rekordzeit für rund eine Million Deutsche Mark ein Druckereigebäude errichtet wurde.514 Die Gesamtinvestitionen von 3,5 Millionen Deutsche Mark finanzierte Voss im Wesentlichen durch ein Darlehen der Hamburgischen Landesbank in Höhe von 1,4 Millionen Deutsche Mark sowie durch Schuldwechsel, die binnen zwei Jahren durch den Entfall der Lohndruckkosten getilgt wurden.515 Aus steuerlichen Gründen übernahm die Druckereigesellschaft im April 1951 das »gesamte Zeitungsgeschäft« des Hamburger Abendblatts von der Axel Springer GmbH.516

Erweiterung um Tiefdruckkapazitäten

Nachdem bereits im April 1951 die Herstellung des Hamburger Abendblatts aufgenommen worden war, erfolgte Anfang Mai 1951 die feierliche Einweihung der drucktechnischen Anlagen, die den Kern des größten deutschen Zeitungsdruckkomplexes bilden sollten.517 In einer Rede vor den versammelten Honoratioren der Hansestadt kündigte der Verleger an, den Standort um eine Tiefdruckerei und um ein Verwaltungsgebäude zu erweitern.518 Die Erweiterung um eine Zeitschriftendruckerei war, wie auch schon beim Hamburger Abendblatt, vor allem dem Wunsch geschuldet, die eigene Wettbewerbsposition und das rasante Unternehmenswachstum produktionsseitig abzusichern. Während der Planungsphase machte Springer dem Broschek-Verlag ein Kooperationsangebot, das die Gründung eines gemeinsamen Zeitschriftenverlags vorsah.519 Der Vorschlag zielte darauf ab, Springers Zeitschriftenobjekte in das Gemeinschaftsunternehmen einzubringen, während Broschek & Co. seine Tiefdruckkapazitäten beisteuern und auf das Zeitungsgeschäft weitgehend verzichten sollte. Offenbar auf Betreiben von Treuhänder Merkel und Albert Broschek wurde die Offerte abgelehnt. Daraufhin trieb Springer den Druckereiausbau in alleiniger Regie voran. Finanziert wurde die Errichtung der Tiefdruckerei zusammen mit weiteren Investitionen in die Zeitungsrotation durch eine im Dezember 1951 beschlossene stille Beteiligung der Hammerich & Lesser Verlag GmbH an der Springer & Sohn KG von sechs Millionen Deutsche Mark.520 Die in den folgenden beiden Jahren geleistete Einzahlung der Hör zu- und Kristall-Herausgeberin wurde allein aus den Gewinnen der beiden Zeitschriften erwirtschaftet.521 Keine fünfzehn Monate nach Voss’ Ankündigung, verließ im August 1952 die erste selbstgedruckte Ausgabe der Hör zu das Verlagshaus.522 Kurz zuvor war auf den Zeitungsrotationen in der Kaiser-Wilhelm-Straße die Herstellung der Bild-Zeitung angelaufen, die als Morgenzeitung die nächtlichen Leerkapazitäten der bislang allein vom Hamburger Abendblatt belegten Druckmaschinen ideal nutzen konnte.

Im weiteren Verlauf der 1950er-Jahre wurden die drucktechnischen Kapazitäten an der Kaiser-Wilhelm-Straße kontinuierlich erweitert. Seit August 1954 übernahm Axel Springer & Sohn523 die Herstellung der norddeutschen Ausgabe der Welt.524 Gleichzeitig verlangte die in dreifacher Millionenauflage erscheinende Bild-Zeitung trotz der Schaffung von Außendruckstandorten den Einsatz immer neuer Rotationsmaschinen in Hamburg.525 Dies galt auch für die Hör zu, deren verkaufte Auflage bis zum Ende der 1950er-Jahre ebenfalls auf über 3 Millionen stieg.526 Zugleich forderte der technische Fortschritt, insbesondere der Trend zum Farbdruck, zunehmend größere finanzielle Anstrengungen – insbesondere in einem Verlagshaus, das sich als Innovationsführer begriff.527 Im Juli 1957 erwarb Hammerich & Lesser mutmaßlich aus steuerlichen Gründen sämtliche Tiefdruckmaschinen von Axel Springer & Sohn, so dass fortan das Zeitschriftengeschäft und die Zeitschriftenherstellung in einer Gesellschaft vereint waren.528 Darüber hinaus finanzierte Hammerich & Lesser den weiteren Druckereiausbau von Axel Springer & Sohn mit einer weiteren stillen Einlage von 4 Millionen Deutsche Mark.529 Ende der 1950er-Jahre summierten sich schließlich die drucktechnischen Gesamtinvestitionen am Standort Hamburg auf über 55 Millionen Deutsche Mark.530 Bis auf einen Investitionskredit der Hamburger Sparcasse von 1927, der das ursprüngliche Darlehen der Hamburgischen Landesbank abgelöst hatte und mit bis zu 3 Millionen Deutsche Mark in den Büchern der Axel Springer & Sohn KG stand, wurden die Investitionen aus den beträchtlichen Zahlungsüberschüssen der Verlagsobjekte finanziert.531

Mit dem Erwerb der Welt-Verlagsgesellschaft im September 1953 wurde das Druckhaus Essen Teil des Verlagskonzerns.532 Neben der Welt wurde ab Ende 1953 auch die westdeutsche Ausgabe der Bild-Zeitung auf den Essener Rotationen hergestellt.533 Weitere Druckkapazitäten erschlossen sich im Zuge der Minderheitsbeteiligung an der Ullstein AG. Dessen Berliner Druckhaus Tempelhof produzierte ab Oktober 1957 die Berliner Ausgaben der Bild-Zeitung und der Welt.534 Gleichzeitig ließ Springer an der Berliner Kochstraße unter Federführung von Funk und Matuschke für insgesamt 11,6 Millionen Deutsche Mark eine Zeitungsrotation errichten, die ab Mai 1961 die Herstellung der Berliner Bild-Zeitung vom Druckhaus Tempelhof übernahm; einige Monate später folgte die Berliner Ausgabe der Welt.535 Weit weniger beachtet von Springer, begründeten Voss und der technische Generaldirektor Matuschke im Februar 1959 einen vierten Produktionsstandort in Darmstadt.536 Auf einem kurz zuvor von der Darmstädter Grundstücksgesellschaft Axel Springer und Axel Springer Verlag GbR erworbenen Gelände errichtete der Hammerich & Lesser-Verlag eine Tiefdruckerei für rund 5 Millionen Deutsche Mark, in der ab Januar 1960 die süd- und westdeutschen Ausgaben der Hör zu hergestellt wurden.537 Finanziert wurde die Darmstädter Druckerei im Wesentlichen durch ein Schuldscheindarlehen der Vereinigten Lebensversicherungsanstalt a. G. (Iduna-Gruppe) von 4 Millionen Deutsche Mark, das bereits 1963 durch laufende Einnahmeüberschüsse getilgt werden konnte.538 In den 1960er-Jahre schlossen sich weitere drucktechnische Investitionen in Millionenhöhe am Standort Darmstadt an.539

Errichtung eines Verlagssitzes

1953 konkretisierten sich die Pläne für die Errichtung eines Verwaltungsgebäudes für das bislang über mehrere Hamburger Standorte verteilte Verlagshaus. Noch bevor Springer die monatelangen Verhandlungen um Die Welt aufnahm, wurde im Frühjahr 1953 mit der Hamburger Vereinigte Lebensversicherungsanstalt a. G., einer Gesellschaft der Iduna-Gruppe, ein Finanzierungskonzept entwickelt, das die Erbauung des schließlich 6,5 Millionen Deutsche Mark teuren Verwaltungsgebäudes durch das Versicherungsunternehmen in Verbindung mit einer anschließenden Vermietung an den Axel-Springer-Verlag vorsah.540 Mutmaßlich initiiert wurde das gemeinschaftliche Investitionsprojekt vom aufstrebenden Iduna-Generaldirektor und späteren Krupp-Generalbevollmächtigten Berthold Beitz, mit dem Springer seit Beginn der 1950er-Jahre ein freundschaftliches Verhältnis verband.541 Die persönliche Beziehung war sicherlich ausschlaggebend, dass der dynamische und charismatische Beitz den Verleger und seinen Teilhaber dazu bewegen konnte, derartiges investitionspolitisches Neuland zu betreten. Mit dem Erwerb der Aktienmehrheit an der Immobiliengesellschaft Conventgarten AG Ende 1951 und weiteren Grundstückskäufen 1952 und 1953 hatte die Axel Springer & Sohn KG das Areal zwischen der Kaiser-Wilhelm-Straße, der Neustädter Straße und Fuhlentwiete vollständig arrondieren können.542 Im August 1953 wurden die Architekten Peter Pruter und Ferdinand Streb mit der Errichtung des neuen Verlagssitzes beauftragt.543 Streb war als Hausarchitekt der Iduna-Gruppe von Beitz empfohlen worden, nachdem ein erster Entwurf des bislang für Springer tätigen Pruter auf Kritik in der Baubehörde gestoßen war. In der zweiten Jahreshälfte 1953 begann die Bautätigkeit, die von Springer persönlich in zahlreichen ästhetischen Fragestellungen begleitet wurde. Im Folgejahr reiste der Verleger gar nach Italien, um dort mit einem Iduna-Direktor und den beiden Architekten den Marmor für die Gebäudefassaden auszuwählen.544 1956 bezog der Verlagskonzern das dreizehnstöckige, schiffsförmige Hochhaus. Nach einer Steuerprüfung 1964 wurde der Vertrag mit der Vereinigten Lebensversicherungsanstalt a. G. rückwirkend abgewickelt und das Verlagsgebäude an der Kaiser-Wilhelm-Straße von Axel Springer & Sohn aus Barmitteln erworben.545

Abbildung 8: Das Hamburger Verlagshaus (1956)