Erste Lizenz: Rückkehr ins Buchverlagsgeschäft

Mitte Dezember 1945 wurde Springers Traum einer verlegerischen Tätigkeit nach Kriegsende wahr. Mit Datum vom 11. Dezember 1945 hatte die Informationskontrolle der britischen Militärregierung den beiden Antragsstellern Axel und Hinrich Springer eine Lizenzurkunde ausgestellt, die unter zahlreichen Auflagen die Publikation von Büchern gestattete.96 Zuvor war der Lizenzantrag durch den leitenden Presseoffizier Major Barnetson und durch einen weiteren Vertreter der Militärregierung in Hamburg positiv beschieden worden.97 Auch die nachrichtendienstliche Überprüfung der Antragssteller wurde »ohne Beanstandungen« abgeschlossen. Inwieweit darüber hinaus die oberste Abteilung der Public Relations/Information Services Control (PR/ISC) im westfälischen Bünde in die Entscheidungsfindung eingebunden war, bleibt unbekannt. Ab sofort war es Springer möglich, den im Krieg eingelagerten Buchbestand zu verwerten. Von den insgesamt über 50.000 Exemplaren lagerten etwa 25.000 Bücher in den westlichen Besatzungszonen.98 Ungeachtet der schwierigen materiellen Situation der deutschen Bevölkerung war die Nachfrage nach Büchern und Presseartikeln gewaltig.99 Der Bedarf an Zerstreuung und Ablenkung war in den ersten Nachkriegsjahren ebenso groß wie das Interesse an bislang verbotenen Kulturgütern und freier geistiger Auseinandersetzung. Allerorten blühte das kulturelle Leben. Der Nachfrage nach Druckerzeugnissen stand aufgrund von Papiermangel, begrenzten Druckkapazitäten und restriktiver Besatzungspolitik allerdings nur ein überschaubares Publikationsangebot gegenüber. Wie schon in den Kriegsjahren setzte Springer bis zur Währungsreform seine Verlagserzeugnisse weitgehend im gewohnten, aber nicht mehr obligatorischen Zuteilungsverfahren ab, das die Belieferung von einigen wenigen ausgewählten Buchhandlungen und Presseverkaufsstellen vorsah.100 Bemerkenswerterweise wartete Springer nur wenige Tage nach der Lizenzierung mit einer ersten Neuerscheinung auf: einem Abreißkalender für das Jahr 1946. Unter dem Titel »Besinnung. Ewige Worte der Menschlichkeit« hatte der Verleger bereits längere Zeit vor der Lizenzerteilung erbauliche Sinnsprüche zusammenstellen und durch die weitgehend unzerstörte Druckerei des Broschek-Verlags in einer Auflage von 6.000 Stück produzieren lassen.101 Der Kalender wurde anschließend nicht nur verkauft, sondern vor allem an Geschäftspartner verschenkt und wurde in den Folgejahren zum wichtigsten Werbeartikel des Verlagshauses.

Während Springer bei der ersten Neuerscheinung nach Kriegsende offensichtlich auf eigene Papierbestände zurückgreifen konnte, verhinderte in den folgenden Monaten der eklatante Rohstoffmangel jegliche Buchproduktion.102 Papierzuteilungen durch die Besatzungsbehörden blieben offensichtlich auf den Pressebereich beschränkt. Unvermindert setzte Springer seine Bemühungen fort, seine während des Krieges in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen eingelagerten Papierbestände von über 400 Tonnen zu nutzen.103 Bereits im Juni 1945 waren Springer, Jahr und Schmeling damit gescheitert, dort lagernde »Papierquantitäten« vor den Sowjets zu sichern.104 Anfang 1946 folgten weitere Initiativen, darunter die Erwägung, eine sowjetische Verlagslizenz zu beantragen, um in Leipzig die Buchproduktion mit den dortigen Papierbeständen aufzunehmen.105 Während die Papierfrage weiterhin ungelöst blieb, widmete sich Springer zusammen mit den Mitarbeitern Walther Hansemann und Robert Warnecke der weiteren Ausarbeitung des Verlagsprogramms. An Titelrechten, insbesondere im Bereich der leichten und gehobenen Unterhaltungsliteratur, mangelte es dank langjähriger Autorenkontakte von Hinrich und Axel Springer nicht. Der in Hamburger Künstlerkreisen verkehrende Jungverleger stand mit manchem Schriftsteller nicht nur in geschäftlicher, sondern auch in freundschaftlicher Verbindung. Nicht zuletzt durch die verlegerische Unterstützung, die Springer verbotenen oder politisch unerwünschten Autoren im Dritten Reich hatte zukommen lassen, genoss der Verleger Respekt und Loyalität in Schriftstellerkreisen.106 Das im Lizenzantrag vorgestellte Verlagsprogramm sah im Rahmen der »Neuen Reihe« die Herausgabe von Schulbüchern, die Schaffung einer »Englischen Reihe«, die Publikation von »Schriften zur Zeit«, die Veröffentlichung von Romanen und zeitgeschichtlichen Darstellungen sowie die Einrichtung einer »Bühnenvertriebsabteilung« vor.107

Zudem begründete Springer im Frühjahr 1946 zusammen mit seinem Vater ein weiteres Verlagsunternehmen unter dem Namen Axel-Springer-Verlag, der anfangs »ausgewählte schöngeistige Literatur«, später eine auflagenstarke »Volksbibliothek« mit preisgünstigen »Romanen und Erzählungen der Weltliteratur« publizieren sollte.108 Zwar wurden ab August 1946 einzelne Neuerscheinungen zugelassen, doch blieben aufgrund des anhaltenden Papiermangels und ungeachtet Springers zahlreicher Vorstöße bei den britischen Besatzungsbehörden die Veröffentlichungsspläne weitgehend unrealisiert.109 Unvermindert setzte der Verleger allerdings den Verkauf der vorhandenen Buchbestände fort.110 Überdies begann Springer, sich um britische, später auch US-amerikanische Titelrechte zu bemühen, die er nach persönlichen Verhandlungen in London durch seinen britischen Statthalter Fritz Simon erwerben ließ.111 Anfang 1948 ermöglichten Papierzuteilungen der Hansestadt die Publikation der von Bürgermeister Brauer angeregten und von Senatssprecher Lüth herausgegebenen Schriftenreihe Neues Hamburg, die den hanseatischen Wiederaufbau thematisierte und mit Blick auf die überschaubare Auflage von Springer wohl eher aus politischen Gründen verlegt wurde.112

Mit den Vorbereitungen für das Erscheinen des Hamburger Abendblatts ab Mitte 1948 schien Springer sein persönliches Engagement im Buchverlagsgeschäft deutlich reduziert zu haben. Die rasant ansteigenden Erlöse der Hör zu und des Hamburger Abendblatts ließen zudem die wirtschaftliche Bedeutung der Buchsparte erheblich sinken.113 Hatten die Buchverlagsumsätze der beiden Schwesterverlage im Jahre 1946 mit 0,4 Millionen Reichsmark noch rund 38 Prozent der Gesamterlöse ausgemacht, sank 1947 ungeachtet einer Verdoppelung der Spartenerlöse der Umsatzanteil auf 17 Prozent. Im Juni 1948 spielte der Buchverlag ein letztes Mal eine wichtige Rolle. Vorausschauend hatte Karl Andreas Voss vor der Währungsreform größere Buchbestände drucken lassen, die der Verlagsleiter nach dem Stichtag gegen Deutsche Mark-Wechsel verkaufte.114 Für die Zahlungsanweisungen erhielt der spätere Teilhaber wiederum einen Diskontkredit der Hamburger Vereinsbank in Höhe von 150.000 Deutsche Mark, wodurch der anfängliche Bedarf an Hartwährungsliquidität gedeckt werden konnte.

Nach der Währungsreform rechneten Springer und Voss »aus Mangel an Kaufkraft« mit einem starken Nachfrageeinbruch auf dem Buchmarkt.115 Zwar setzte die Absatzkrise später als erwartet ein, doch traf sie 1949 das Verlagshaus mit voller Härte. »Die Lage im Buchverlagswesen ist im Allgemeinen katastrophal. Sie kann deshalb auch bei uns nicht besonders rosig sein«, schrieb Springer im Mai 1949 an einen Verlegerkollegen.116 Springer und Voss reagierten schnell und stellten die »belletristische Produktion«, immerhin der historische Kern des Verlagshauses, ein.117 Der verbleibende kaufmännische Fachbuchverlag nahm zusammen mit der Versandbuchhandlung Bücherdienst für Handel und Industrie Voss, die der Teilhaber im Juni 1949 in das Verlagshaus eingebracht hatte, eine positive Entwicklung. Bis Mitte der 1950er-Jahre wuchsen die Spartenerlöse auf rund drei Millionen Deutsche Mark.118 Dennoch führte der Buchverlag angesichts seiner geringen wirtschaftlichen Bedeutung eine Randexistenz.119 Anfang der 1960er-Jahre wurden die Buchverlagsaktivitäten zurückgefahren und die Verlagsrechte auf den Ullstein-Buchverlag übertragen.