Vom Verlagshaus zum Verlagskonzern: Die Professionalisierung der Unternehmensstrukturen

Anfang der 1960er-Jahre wurde zunehmend deutlich, dass die Mitte der 1950er-Jahre geschaffenen Verlagsstrukturen den kaufmännischen Anforderungen eines Großunternehmens mit mehr als einem Dutzend Verlagsobjekten und 10.000 Mitarbeiter an vier wesentlichen Standorten nicht mehr gewachsen waren. Unverändert wurden wesentliche Entscheidungen von Springer und Voss in persönlichen Abstimmungsgesprächen oder in kleinen Runden mit involvierten Verlagsmitarbeitern getroffen. Für die beiden Teilhaber war eine solche Führungsstruktur mit einer hohen persönlichen Arbeitsbelastung verbunden. Ein oberstes Leitungsgremium existierte mit Ausnahme von seltenen Gesellschafter- und Geschäftsführerversammlungen ebenso wenig wie formalisierte Entscheidungsprozesse und klare Kompetenzregelungen. Konzernweite Steuerungsinstrumente, wie die Unternehmensplanung oder das Berichtswesen, waren unterentwickelt oder fehlten ganz. Gleiches galt auch für die gemeinschaftlich genutzten Zentralfunktionen des Verlagshauses, denen es an Fachkenntnis und Durchschlagskraft für ein systematisches Synergiemanagement mangelte. Primär war das gesamte Verlagshaus auf den Inhaber zugeschnitten, der unverändert über alle wesentlichen Vorgänge persönlich entschied, ohne jedoch den Gestaltungsspielraum seiner Führungskräfte übermäßig einzuschränken. Voss’ Verlagsstrukturen gehorchten mit Ausnahme des Vertriebs und der Werbung den betriebswirtschaftlichen Erkenntnissen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Während andere Verlagsbereiche regelmäßig verlegerische und technische Innovationen aufgriffen, fanden moderne Managementgrundsätze keinen Eingang in die Arbeit des altgedienten Verlagskaufmanns. Die Symptome dieser geschilderten organisatorischen Unzulänglichkeiten, vor allem die beständigen Informationsdefizite und die fehlende bereichsübergreifende Steuerung, stießen zu Beginn der 1960-er Jahre auf zunehmende Kritik im weiteren Kreis der Verlagsführung.393 1962 brachte der Verlagsleiter des Hamburger Abendblatts, Schreckenbach, die Problemlage auf den Punkt, als er in einem sorgenvollen Brief an Springer schrieb: »Es ist schwer, an der Verantwortung für das Funktionieren eines 10-Zylinder-Motors mitzuwirken, wenn man nur einen dieser 10 Zylinder (ein Verlagsobjekt) kennt und nicht die anderen 9 Zylinder, geschweige denn das Chassis, das Getriebe etc.«394 Im gleichen Schreiben schlug er die Schaffung eines »permanent tagenden, an der Gesamt-Verantwortung mittragenden Gremiums« vor.

Eine vereinheitlichte Verlagsführung unter Leitung von Christian Kracht

Im Frühjahr 1962 zog Springer die Konsequenzen aus den Steuerungsproblemen und beauftragte Kracht mit der Konzeption eines neuen Führungssystems, das die operativen Verlagsgesellschaften einer einheitlichen Leitung unterwerfen sollte.395 Überdies beabsichtigte der Verleger, den fast 70-jährigen Voss von allen Geschäftsführungsaufgaben zu entbinden und Kracht zum obersten Verlagsmanager zu berufen. Das Ende der Ära Voss hatte sich seit geraumer Zeit angedeutet. Seit Beginn der 1960er-Jahre zog sich der Teilhaber aus Altersgründen zunehmend aus der Tagesarbeit zurück.396 Gleichzeitig verantwortete Kracht längst nicht mehr nur Sonderaufgaben, sondern übernahm mehr und mehr reguläre Leitungsfunktionen, in denen der langjährige Verlegerassistent, wie zuletzt bei der Sanierung des Ullstein-Verlags, seine analytische Brillanz und Führungsqualität unter Beweis stellte. Darüber hinaus kam es im Sommer 1962 zwischen den beiden Gesellschaftern erstmals offen zu »tiefgreifenden Meinungsverschiedenheiten«, in deren Mittelpunkt vor allem die Differenzen über das Investitionsvorhaben in Berlin standen.397 Springer legte die ablehnende Haltung seines Teilhabers offenbar als Illoyalität aus und zeigte sich persönlich enttäuscht. Aus Kleinigkeiten entwickelten sich in diesen Wochen harsche Briefwechsel zwischen den einst so einvernehmlich und respektvoll agierenden Geschäftspartnern.398

Nach einem monatelangen Revisionsprozess verabschiedeten Springer und Voss im November 1962 schließlich das neue Führungskonzept, das die Einführung neuer Leitungsstrukturen und die Berufung Krachts zum obersten Verlagsmanager der operativen Konzerngesellschaften Axel Springer & Sohn KG und Hammerich & Lesser Verlag KG vorsah.399 Mit der Schaffung eines sogenannten Direktoriums, dem die wichtigsten kaufmännischen Führungskräfte, nicht jedoch Springer und Voss, angehörten, zielte der Verleger nicht nur auf eine Verbesserung der internen Koordination und Entscheidungsqualität, sondern auch auf eine persönliche Arbeitsentlastung.400 Zudem stellte der 50-jährige Verleger mit diesem Direktorium erstmals die »Kontinuität der Firmenführung« bei »schwerer Erkrankung« oder »Tod« der Gesellschafter sicher. Springer plante sogar, übergangsweise seine Erben an die Entscheidungen des Direktoriums zu binden. Voss schied nach vierzehn Jahren aus der Geschäftsführung aus und beschränkte sich auf seine Funktion als Gesellschafter und stiller Teilhaber. Doch nahm der 70-Jährige seine weitgehende Entmachtung offenbar nur widerstrebend hin: Nur wenige Tage vor der entscheidenden Gesellschafterversammlung hatte Springer noch einmal die Machtverhältnisse deutlich gemacht und erklärt, dass das Direktorium »durch Beschluss des Alleininhabers« entstünde. Zuvor hatten die beiden Gesellschafter eine Einigung im Streit um die Investitionen in der Kochstraße herbeigeführt. Durch veränderte Beteiligungsstrukturen und Gesellschafterverträge sollte Voss zukünftig weder an den Verlusten, noch an den Erträgen der Ullstein GmbH partizipieren.401 Im Rahmen der Reorganisation veräußerte er seine 10-prozentige Beteiligung an der Axel Springer GmbH zum Nennwert an den Verleger und gab seine stille Beteiligung von 5 Millionen Deutsche Mark an der Hammerich & Lesser Verlag KG auf.402

Im Januar 1963 berief Springer Kracht zum alleinzeichnungsberechtigten Geschäftsführer der Obergesellschaft Axel Springer Verlag GmbH mit Generalvollmacht für die beiden wesentlichen operativen Tochtergesellschaften Axel Springer & Sohn KG und Hammerich & Lesser Verlag KG sowie zum Vorsitzenden des Direktoriums.403 Weitere reguläre Direktoriumsmitglieder waren Rolf von Bargen, Verlagsleiter der Bild-Gruppe, Hans Heinrich Schreckenbach, Verlagsleiter des Hamburger Abendblatts, Ernst Naumann, Leiter der Zeitschriftengruppe, Kurt Göbel, kaufmännischer Leiter, und Walter Matuschke, technischer Gesamtleiter. Beraten wurde das Gremium ferner durch den Chefredakteur des Hamburger Abendblatts und Vertrauten des Verlegers, Otto Siemer, durch den Anzeigenleiter Helmuth Klosterfelde und durch den Vertriebsleiter Gerhard Kripahle. Hans Funk, der seit 1948 das Zeitungsgeschäft des Verlagshauses verantwortet hatte, sollte das Unternehmen wenige Monate später im Streit verlassen.404

Mit dem Direktorium und der Berufung Krachts zum alleinzeichnungsberechtigten Geschäftsführer hatte Springer im Januar 1963 erstmals eine Managementebene geschaffen, die in Fragen der Verlagsverwaltung unabhängig von den Gesellschaftern agieren konnte. Wesentliche Entscheidungen wurden jedoch auch im kaufmännischen Bereich weiterhin von Springer getroffen. Von einer einheitlichen Führung waren zudem der Ullstein-Verlag und die Welt-Verlagsgesellschaft vorläufig aus politischen Gründen ausgenommen. Die Verantwortung für die Redaktionen blieb unverändert in den Händen Springers. Dennoch vergrößerten das Direktorium und die Unternehmensführung durch Kracht die Distanz zwischen dem Verleger und seinem Verlagshaus. Immer kleiner wurde der Kreis der Verlagsmanager, mit denen Springer regelmäßig verkehrte. Dies war nicht nur den Gesetzen der Konzernhierarchie geschuldet, sondern geschah vor allem auf Wunsch des Verlegers, der »frei für unternehmerische Entscheidungen« und, weitaus wichtiger: frei für sein politisches Engagement sein wollte.405 Die Pflege der politischen Kontakte im In- und Ausland, das damit verbundene persönliche Gespräch oder die umfassende Korrespondenz nahmen in den 1960er-Jahren einen immer größeren zeitlichen Raum ein. Hiermit eng verbunden war eine intensive Reisetätigkeit, die durch die Schaffung des Verlagsstandortes in Berlin noch erheblich ausgeweitet wurde. Nachdem Springer seinen Lebensmittelpunkt nach Berlin verlagert hatte, distanzierte er sich nicht nur räumlich, sondern auch innerlich von Hamburg. Zwei eigentümliche Parallelwelten entstanden: In Berlin saß der Verleger, hier fanden die wichtigsten Gremiensitzungen statt. In Hamburg arbeiteten die Zentralredaktionen und die Verlagsverwaltung. Neben sachlichen Beweggründen für die Entfremdung vom Verlagsbetrieb gab es überdies emotionale Faktoren. Aus einer persönlichen Attitüde heraus lehnte es Springer vor allem in der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre zunehmend ab, mit untergeordneten Verlagsangehörigen zusammenzukommen, insbesondere wenn sie nicht dem redaktionellen Bereich entstammten.406 Zugleich verstärkten sich seine cholerischen Anwandlungen, ohne dass er die Fähigkeit verlor, im nächsten Moment wieder als charismatischer Motivator aufzutreten.407 Der selektive und stimmungsgeladene Umgang mit seinen Untergebenen erschwerte die sachorientierte Zusammenarbeit und legte den Keim für eine Günstlingswirtschaft, die Ende der 1960er-Jahre offen ausbrechen sollte. Vorerst war es vor allem dem ebenso unbestechlichen wie konzilianten Kracht zu verdanken, dass die sachliche und vertrauensvolle Atmosphäre, die Voss einst im Verlagshaus geschaffen hatte, erhalten blieb.

Nach seinem Aufstieg an die Verlagsspitze forcierte der Majordomus im Einklang mit Springers politischen und verlegerischen Zielen den Expansionskurs des Hauses.408 Konsequenter, als es seine Vorgänger getan hatten, unterwarf er alle Unternehmensbereiche einem nachhaltigen Wachstumskurs. Die Arbeit des kaufmännischen Autodidakten war nicht nur durch seine besonderen analytischen, kreativen und kommunikativen Fähigkeiten geprägt, sondern auch durch eine große persönliche Offenheit für neueste betriebswirtschaftliche Erkenntnisse, die er sich durch das Studium von Fachliteratur sowie durch Wettbewerbsanalysen zugänglich machte.409 Auf Geheiß von Kracht wurden erstmals studierte Betriebswirte eingestellt, die bald zum Rückgrat der erneuerten Verlagsverwaltung werden sollten. Wie schon bei der Sanierung des Ullstein-Verlags, pflegte er einen sachlichen Führungsstil und schuf wichtige motivatorische Grundlagen, indem er frühzeitig Verantwortung an fähige Mitarbeiter delegierte und systematisch Gestaltungsspielräume ohne bürokratische Hemmnisse gewährte.410

Im Mai 1963 überzeugte Kracht den Verleger davon, die Koordinationsfunktion der obersten Konzerngesellschaft, der Axel Springer Verlag GmbH zu stärken, die im Grunde außerhalb des formalen Einflussbereiches des Verlagsmanagers lag.411 Zur verbesserten »Steuerung der Geschäftspolitik des Gesamthauses wird die Tätigkeit der Holding […] aktiviert« und eine wöchentliche Geschäftsführerkonferenz mit Springer, Voss, Kracht und den Geschäftsführern der Ullstein GmbH und der Welt-Verlagsgesellschaft ins Leben gerufen. Gleichzeitig führte Kracht ein konzernweites Liquiditätsmanagement, ein integriertes Berichtswesen und eine Konzernrevision ein.412 Die Vision einer einheitlichen Konzernführung rückte in greifbare Nähe. Mit dem konzernübergreifenden Berichtswesen legte er die Grundlage für eines seiner wichtigsten Steuerungsinstrumente, dem Finanzplan, der das später etablierte Führungsprinzip der »dezentralen Autonomie bei koordinierter Kontrolle« möglich machte.413 Einige Monate später wurden weitere Stabsabteilungen, darunter eine betriebswirtschaftliche Abteilung, ein konzernweiter Zentraleinkauf für Papier und Farben sowie eine Führungsnachwuchsbetreuung ins Leben gerufen.414

Abbildung 18: Axel Springer mit Mitarbeitern auf dem Klenderhof, dem Verlagsgästehaus auf Sylt (1970)

Der »Redaktionelle Beirat«

Im Dezember 1963 schuf Springer mit dem »Redaktionellen Beirat« ein verlegerisches Pendant zum Direktorium.415 Wesentliche Aufgabe des Chefredakteursgremiums war die »Überprüfung und Weiterentwicklung von Zeitungen«.416 Zum Vorsitzenden der »Forschungsabteilung« ernannte er Cramer. Allerdings wurde rasch deutlich, dass die Bemühungen des »Redaktionellen Beirats« um eine verbesserte Koordination der Innovationsprozesse nur begrenzt greifbare Ergebnisse zeigten.417 Bedeutsame Chefredakteure nahmen kaum an den Beiratssitzungen teil. Nach dem Ausscheiden des wenig führungsstarken Cramer übernahm im Januar 1965 der tatkräftige Horst Mahnke, zuvor Chefredakteur der defizitären Kristall, den Vorsitz des »Redaktionellen Beirats«, der unter seiner Ägide immer stärker auf fernseh- und pressepolitischen Feldern aktiv wurde.418 Mit Blick auf Springers Fernsehambitionen und unter dem Eindruck der sich verschärfenden Auseinandersetzungen um die Pressekonzentration begann der frühere SS-Angehörige, im großen Stil Materialsammlungen über politisch relevante Vorgänge anzulegen und im Sinne der politischen Ziele des Verlagshauses einzusetzen. Zur gleichen Zeit geriet der »Redaktionelle Beirat« zunehmend ins Visier der Kritiker des Verlagshauses, die dem Verleger vorwarfen, mit Hilfe des Gremiums die redaktionellen Meinungen innerhalb des Verlags zu konformisieren. Als schließlich die national-sozialistische Vergangenheit Mahnkes aufgedeckt wurde, schob der Verleger den engen Mitarbeiter auf eine Verbandsposition ab und berief Cramer zum Leiter des Gremiums.419 Nach dem Ausscheiden von Mahnke verlor der »Redaktionelle Beirat« endgültig an Bedeutung.

Die Tiefdruckerei in Ahrensburg

In der ersten Jahreshälfte 1964 konkretisierten sich die Pläne für eine neue Tiefdruckerei, deren Notwendigkeit vor allem aus der zunehmenden Bedeutung der Anzeigenerlöse erwuchs.420 Das florierende Anzeigengeschäft, das bei Hör zu seit Beginn der 1960er-Jahre mehr als 50 Prozent des Erlösvolumens ausmachte, schlug sich nicht nur in immer größeren Heftumfängen, sondern auch in stetig wachsenden drucktechnischen Anforderungen, insbesondere beim Farbeinsatz, nieder. Zudem resultierte aus dem starken Konkurrenzdruck des Zeitschriftenmarktes ein beständiger Qualitätswettbewerb, der nicht zuletzt steigende Kundenansprüche zur Folge hatte. Bereits zu Beginn der 1960er-Jahre war deutlich geworden, dass die Zeitschriftendruckerei in Hamburg den geschilderten Anforderungen qualitativ und quantitativ nicht mehr gewachsen war. »Behördliche Auflagen« und begrenzte räumliche Möglichkeiten schlossen die Modernisierung und Erweiterung der bestehenden Tiefdruckerei an der Kaiser-Wilhelm-Straße aus.421 So fiel 1962 die Entscheidung, im Hamburger Umland einen neuen Druckereistandort zu errichten.422 Ideale Standortvoraussetzungen bot Schleswig-Holstein – nicht nur wegen seiner Nähe zu Hamburg und den norddeutschen Vertriebsgebieten, sondern auch mit Blick auf die Zonenrandförderung und die politischen Verbindungen zur Landesregierung.423 Auf die 1962 aufgenommenen Grundstückssondierungen folgten politische Verhandlungen über Steuererleichterungen und Finanzierungshilfen, die Mitte 1964 mit dem Erwerb eines 230.000 Quadratmeter großen Grundstücks in Ahrensburg abgeschlossen wurden.424 Bemerkenswert war das Investitionsvolumen von mehr als 100 Millionen Deutsche Mark, das etwa den Baukosten des Berliner Verlagssitzes entsprach.425 Ursprünglich sollte rund die Hälfte der Investitionskosten über Bankkredite finanziert werden.426 Später fiel der Fremdfinanzierungsanteil deutlich geringer aus. Der Rest stammte aus den steueroptimierten Einnahmeüberschüssen der Druckerei- und Verlagsgesellschaft Axel Springer & Sohn, die Ende 1964 Hammerich & Lesser als Bauherrin und Betreiberin ablöste. Im Juni 1967 nahm die neue Tiefdruckerei ihren Betrieb auf.427

Die zeitgleiche Durchführung von zwei gewichtigen Investitionsvorhaben führte »zum ersten Mal in der Geschichte dieses Hauses« in eine »Phase hoher Kreditbelastung«.428 Allein 1965 vervierfachten sich die Bankschulden auf über 60 Millionen Deutsche Mark und erreichten Ende 1967 ihren Höchststand von 90 Millionen, denen bilanzierte Vermögenswerte von etwa 300 Millionen und weitere stille Reserven von geschätzten 700 Millionen Deutsche Mark gegenüberstanden.429 In einem Schreiben an die obersten Führungskräfte wies Kracht im Februar 1965 auf die »Finanzierungssorgen« hin und forderte unbedingte Kostendisziplin.430 Zu den Sorgenkindern zählte vor allem die im Bau befindliche Tiefdruckerei Ahrensburg selbst, deren Kapazitätsauslastung aufgrund fehlerhafter Bedarfsabschätzungen nur noch auf rund 60 Prozent prognostiziert wurde.431 Im Juli 1965 wandte sich der Verleger an seinen alten Weggefährten John Jahr und erinnerte ihn an eine im März 1960 getroffene Vereinbarung, im Bedarfsfall Objekte im Axel-Springer-Verlag drucken zu lassen.432 Überraschenderweise war es schließlich nicht der Gruner & Jahr-Verlag, sondern eine andere Verlagsbeteiligung des ehemaligen Kompagnons, die Interesse an einem Druckauftrag signalisierte – noch dazu handelte es sich um ein Pressehaus, das Springer in inniger Feindschaft verbunden war: der Spiegel-Verlag.433 Spiegel-Verlagsleiter Hans Detlev Becker benötigte für das immer anspruchsvollere Anzeigengeschäft drucktechnische Kapazitäten, die nach Qualität und Umfang nur Springers Ahrensburger Druckerei bieten konnte.434 Rasch kamen Kracht und der ihm freundschaftlich verbundene Spiegel-Verlagsleiter zu einer Einigung. Aus Sicht des Generalbevollmächtigten handelte es sich um ein höchst lukratives Geschäft mit langfristig garantierten Nettoerlösen im Millionenbereich.435 Dennoch war beiden Verlagsmanagern klar, welch ein Politikum sich hinter einer drucktechnischen Verbindung zwischen Augstein und Springer verbarg. So kostete es Kracht erhebliche Überzeugungsarbeit, um Springer für das Vorhaben zu gewinnen, das schließlich im Herbst 1965 bei einem Treffen der beiden Verleger auf Sylt besiegelt wurde.436 Der 10-jährige Druckauftrag war an das gentlemen agreement der beiden Presse-Antagonisten gekoppelt, persönliche Angriffe publizistischer Art künftig zu unterlassen.437 Das Stillhalteabkommen war allerdings nicht von langer Dauer. Wenige Monate später wurde Springer heftiger denn je vom Nachrichtenmagazin attackiert. Beobachter glaubten, dass der wegen des Druckvertrags öffentlich kritisierte Augstein nun in besonderem Maße seine publizistische Unabhängigkeit unter Beweis stellen wollte. Der Verleger reagierte nicht nur mit persönlicher Verbitterung, sondern auch mit periodisch wiederkehrenden Vorstößen, das Vertragsverhältnis zu beenden.438 Die Initiativen scheiterten stets an juristischen Klauseln und wirtschaftlichen Bedenken gegenüber einer Auflösung des lukrativen Druckvertrages.

Die Dezentralisierung des Verlagskonzerns

Unterdessen wuchsen Krachts Zweifel an der Zweckmäßigkeit des bestehenden zentralistischen Führungssystems. Intensiv studierte er die Führungsorganisationen bedeutsamer Unternehmen und kam schließlich zu dem Schluss, dass das angestrebte Wachstum nur mit einer dezentralen Konzernarchitektur handhabbar wäre.439 Im September 1964 wandte er sich in einem fünfseitigen Memorandum an Springer und sprach sich für ein dezentrales Führungssystem bei »koordinierter Kontrolle« nach dem Vorbild von General Motors aus. Im Mittelpunkt seiner Empfehlungen standen regionale »Verlagshäuser«, denen »bei der Lösung ihrer dortigen Probleme […] weitgehende Unabhängigkeit« gewährt werden sollte. Weiter führte Kracht aus, dass das »Erfolgsgeheimnis« aber darin läge, »daß die Dezentralisation mit einer straffen Koordination und Kontrolle an der Spitze verbunden« werde. Bemerkenswert rasch gab Springer seine Zustimmung für die durchgreifende Reorganisation des Verlags. Bereits im November 1964 verkündete Kracht die Schaffung von fünf »in sich geschlossenen Unternehmensbereichen«:

Grafik 18: Gesellschaftsrechtliche Struktur (Juli 1966)455

  • Verlagshaus Axel Springer Hamburg, zuständig für die wesentlichen Teile des Zeitungsgeschäftes

  • Verlagshaus Axel Springer Ahrensburg, zuständig für das Zeitschriftengeschäft 

  • Verlagshaus Die Welt

  • Verlagshaus Axel Springer Berlin, zuständig für die Berliner Verlagsaktivitäten einschließlich der Ullstein GmbH

  • Verlagshaus Buchverlag Ullstein.440

Jedes Haus verfügte über ein eigenes Direktorium, dessen jeweilige Vorsitzende zugleich Mitglieder des zentralen Leitungsgremiums, der »Holding-Konferenz«, wurden. Der im März 1965 begründeten »Holding-Konferenz« gehörten von Bargen, Naumann, Schreckenbach, Tamm, Wallenberg für den Buchverlag und als Fachdirektor Vertrieb Kripahle, als Fachdirektor Technik Matuschke und als redaktionelles Mitglied Otto Siemer an.441 Das neue Gremium löste nicht nur das Direktorium für die Axel Springer & Sohn KG und die Hammerich & Lesser Verlag KG ab, sondern war auch, wie der Name ausdrückte, für die Konzernobergesellschaft, die Axel Springer Verlag GmbH, zuständig. Zugleich wurde die Geschäftsführungsbefugnis von Kracht auf die Holding selbst ausgeweitet und mit einer Generalvollmacht für den Gesamtkonzern untermauert.442 Mit diesem Schritt übernahm Kracht die operative Gesamtverantwortung für den Konzern und stand auf dem Zenith seiner Macht. Zur Gewährleistung einer nachhaltigen Koordination und Kontrolle wurden die bestehenden Zentralfunktionen, darunter Finanzen, Einkauf, Revision, Anzeigenpolitik und Marktforschung, ausgebaut und erweitert. Krachts wichtigstes Steuerungsinstrument war der bereits erwähnte Finanzplan, auf dem das System der kontrollierten Autonomie der ergebnisverantwortlichen Verlagshäuser basierte.443 Eine weitaus geringere Bedeutung hatte der Finanzplan für Springer, der zwar die Zahlenwerke absegnete, aber unverändert den Erfolg seiner Verlagsobjekte anhand der Auflagenziffern bemaß – neben verlegerischen und politischen Kriterien qualitativer Art.

Im September 1964 initiierte Kracht nicht nur das dezentrale Führungssystem, sondern leitete auch eine grundlegende gesellschaftsrechtliche Neuausrichtung des Verlagshauses ein.444 Das historisch gewachsene Gefüge aus einer Obergesellschaft, der Axel Springer Verlag GmbH, und den vier wesentlichen Verlagsgesellschaften, der Hammerich & Lesser Verlag KG, der Axel Springer & Sohn KG, der Die Welt Verlagsgesellschaft mbH und der Ullstein GmbH, entsprach aus seiner Sicht weder den bestehenden wirtschaftlichen Verhältnissen, noch bildete es eine tragfähige Grundlage für den zukünftigen Konzern.445 Die komplexen gesellschaftsrechtlichen Strukturen waren über Jahre hinweg vor allem aus steuer-, haftungs- und ertragspolitischen Überlegungen entstanden und folgten nur begrenzt den Erfordernissen des Verlagsgeschäftes, wie zum Beispiel den neugestalteten Führungs- und Entscheidungsprozessen der einzelnen Verlagshäuser. Akuten Handlungsbedarf lösten allerdings die steuerlichen Risiken aus, die aus dem bestehenden gesellschaftsrechtlichen Konstrukt erwuchsen, und die neben anderen verlustträchtigen Vorfällen deutlich machten, dass der langjährige Steuerberater des Verlagshauses, Hans Früchtnicht, zunehmend überfordert war.446 Im April 1965 stellten die Steuerbehörden das Organschaftsverhältnis zwischen dem Hammerich & Lesser- und dem Ullstein-Verlag in Frage, wodurch steuerliche Verluste im zweistelligen Millionenbereich drohten.447 Nur durch eine Übertragung aller Vermögenswerte des Hammerich & Lesser-Verlags auf die Schwestergesellschaft Axel Springer & Sohn konnte ein finanzielles Fiasko verhindert werden. Nach monatelangen Blockaden durch Voss und dem ihm treu ergebenen Früchtnicht bedurfte es eines Machtworts von Springer, bevor Anfang Mai 1965 der rückwirkende Verkauf aller Aktiven und Passiven zu Buchwerten beschlossen wurde.448 Damit gab die Hammerich & Lesser Verlag KG ihr Zeitschriftengeschäft, darunter insbesondere die Programmzeitschrift Hör zu, an die Axel Springer & Sohn KG ab, die bislang nur für das Zeitungsgeschäft zuständig war. Auch die 78-prozentige Ullstein-Beteiligung des Hammerich & Lesser-Verlags wechselte in diesem Zusammenhang an die Schwestergesellschaft.449 Doch die Bündelung des Zeitungs- und Zeitschriftengeschäftes in der Axel Springer & Sohn KG bildete nur den ersten Teil von Krachts weitreichendem Plan, das gesamte Verlagsvermögen außerhalb der Beteiligungen auf eine Besitz- und eine Betriebsgesellschaft aufzuteilen.450 Ziel des Vorhabens, das mit Springer bereits seit längerer Zeit erörtert wurde, war erstens eine verbesserte »Haftungstrennung« für den Inhaber und zweitens die Absicherung der betrieblichen Kontinuität im Erbschaftsfall. Nach monatelangen Vorbereitungen durch eine mehrköpfige »Expertenkommission« gab der Verleger im Dezember 1965 seine Zustimmung, den Grundbesitz aus der Axel Springer & Sohn KG herauszulösen und der Haftung des Verlagsbetriebs zu entziehen.451 Rund drei Monate später wechselten Grundstücke im Marktwert von 30 Millionen Deutsche Mark in den Privatbesitz des Verlegers, während die auf 150 Millionen taxierten Gebäude der Axel Springer & Sohn KG auf dem Wege einer Erbbaurechtsübertragung in die Besitzgesellschaft Hammerich & Lesser Verlag KG übergingen.452 Gleichzeitig wurde der Komplementäranteil der Obergesellschaft Axel Springer Verlag GmbH am Hammerich & Lesser-Verlag haftungsmindernd reduziert und zwischen der Betriebs- und Besitzgesellschaft eine steuerschonende Unternehmereinheit hergestellt.453 Auf diese Weise entzog Springer Vermögenswerte von 165 Millionen Deutsche Mark dem unternehmerischen Risiko; dies entsprach 55 Prozent des Gesamtwertes aller Aktiva der Kerngesellschaft Axel Springer & Sohn. Zudem ermöglichte das Konstrukt eine differenzierte Erbregelung, nach der Springers Erben den Grundbesitz erhalten hätten und der Verlagsbetrieb kontinuitätssichernd von einem »Testamentsvollstreckerrat« geführt worden wäre.454

Springers Beteiligung an der organisatorischen und gesellschaftsrechtlichen Neuausrichtung beschränkte sich offenbar auf informelle Abstimmungsgespräche mit Kracht und die Beschlussfassung über die ausgearbeiteten Konzepte. Einmal mehr wird beispielhaft deutlich, wie der Verleger selbst strategisch bedeutsame Vorgänge konsequent delegierte, sobald sie seinen politischen und verlegerischen Interessen nicht entsprachen, ohne jedoch seine Entscheidungsrechte aufzugeben. Nach den monatelangen Auseinandersetzungen musste Früchtnicht Anfang 1966 seine fast 20-jährige Steuerberatungstätigkeit für das Verlagshaus vorläufig beenden und einer hauseigenen Steuerabteilung weichen.456 Wirtschaftsprüfungsaufträge wurden erst wieder unter Tamm an Früchtnicht vergeben. Gegenüber Voss freilich waren die Loyalitätsgefühle offenbar zu groß, als dass Springer die Auseinandersetzungen zum Anlass genommen hätte, seinem langjährigen Geschäftspartner den verbliebenen Kommanditanteil zu entziehen. Dies sollte erst vier Jahre später im Rahmen der Umwandlung in eine Aktiengesellschaft geschehen.

Der Wachstumstrend der ausgehenden 1950er-Jahre setzte sich derweil leicht abgeschwächt fort. Zwischen 1960 und 1966 stiegen die konsolidierten Konzernumsätze von rund 500 Millionen auf 875 Millionen Deutsche Mark; dies entsprach einer durchschnittlichen jährlichen Steigerungsrate von 10 Prozent.457 Die konsolidierten Erträge verdoppelten sich im gleichen Zeitraum von rund 40 Millionen auf weit über 80 Millionen Deutsche Mark.458 Die Umsatzrendite bewegte sich im Laufe der 1960er-Jahre um 10 Prozent. Allerdings blickten Springer und Kracht ab Mitte des Jahrzehnts zunehmend sorgenvoll in die Zukunft. Ab 1966 zeichnete sich eine Abschwächung der konjunkturellen Entwicklung ab.459 Im Januar 1967 schlugen sich die rezessiven Tendenzen in den Liquiditäts- und Ertragszahlen des Verlagshauses nieder, das vor allem unter sinkenden Anzeigenerlösen und steigenden Kosten litt.460 Wenig später beschloss Kracht mit den verlagskaufmännischen Führungsspitzen erhebliche Einsparmaßnahmen, die im Februar 1967 verschärft wurden und schwerpunktmäßig soziale Einschnitte umfassten.461 Erstmals in der Geschichte des Verlagshauses wurden die üppigen Sozialleistungen deutlich eingeschränkt und die von Springer verfochtene Sozialorientierung Wirtschaftlichkeitsüberlegungen unterworfen. Die Belegschaft reagierte mit derart scharfen Protesten gegen die Kostensenkungsmaßnahmen, dass Kracht im Mai 1967 feststellen musste, dass die »Betriebsatmosphäre gestört sei«.462 Die »Stimmung der Betriebsangehörigen« sei »bei dem Beschluß über den Abbau der Sozialleistungen nicht richtig erkannt worden«. Vehement forderte der Generalbevollmächtigte, »nach neuen Wegen zu suchen, um das Absinken der Betriebsstimmung auszugleichen und die Mitarbeiter stärker an das Unternehmen zu binden.« Eine Reihe von sozialen Einschnitten wurde daraufhin zurückgenommen und neue Sozialleistungen geschaffen.463 Als der Verleger im Oktober 1967 erstmals nach vielen Jahren wieder auf einer Betriebsversammlung sprach, war es offenbar gelungen, das Betriebsklima wieder zu verbessern. Die unversehens ergriffenen Sozialmaßnahmen folgten in für Springer typischer Weise sowohl ideellen Motiven, als auch handfesten Eigeninteressen. Zum einen war die Sozialorientierung des Verlegers, der seine Mitarbeiter am wirtschaftlichen Erfolg des Hauses beteiligen wollte, nicht verloren gegangen. Überdies hatte sich die Ertragslage im Laufe des Jahres 1967 erholt und machte eine großzügigere Haltung möglich. Mindestens ebenso bedeutsam ist indes die Tatsache, dass zur gleichen Zeit die öffentlichen Angriffe auf das Verlagshaus eskalierten und jeder zusätzliche interne Konflikt nicht nur die eigenen Kräfte geschwächt, sondern auch dem Verlagshaus eine weitere Blöße gegeben hätte. Die öffentliche Aufdeckung der von Arning eingesetzten und dann entlassenen ZDF-Spitzel hatten dies zur Genüge bewiesen.

Grafik 19: Wirtschaftliche Entwicklung des Gesamtunternehmens (1960–1970)464

Die überraschend schnelle konjunkturelle Erholung, der konsequente Sparkurs und die Forcierung des Anzeigengeschäfts schlugen sich 1968 in einem Rekordergebnis nieder. Bei Gesamterlösen von etwa 900 Millionen Deutsche Mark erwirtschaftete der Konzern einen konsolidierten Ertrag von rund 135 Millionen und damit eine Umsatzrendite von annähernd 15 Prozent.465 Im folgenden Jahrzehnt sollte der Axel-Springer-Verlag eine solche Ertragskraft in Relation zum Umsatz nicht mehr erreichen.

Grafik 20: Bruttoerlöse der Verlagsobjekte (1960–1970)466

Grafik 21: Ergebnisanteile der Verlagsobjekte 1960 und 1968467