»Stunde Null«: Verlegerischer Neuanfang im Zeichen britischer Pressepolitik

Am 3. Mai 1945 endeten mit der kampflosen Übergabe der Hansestadt an den britischen Brigadegeneral David Spurling die Schrecken des Krieges und der nationalsozialistischen Herrschaft.52 Fast 50.000 Hamburger waren den alliierten Bombenangriffen zum Opfer gefallen. Ebenso viele Menschen hatten einen gewaltsamen Tod in den Konzentrationslagern der Stadt gefunden. 70.000 Hamburger waren an den Fronten des Zweiten Weltkrieges gestorben. Die Stadt selbst glich einem Trümmerfeld, in dem das Leben der verbliebenen 1,1 Millionen Einwohner zum Erliegen gekommen schien. Im Gegensatz zur Geistesverfassung weiter Bevölkerungsteile stand die Gemütslage Springers, der erfüllt von einem »unbändigen Optimismus« das Kriegsende im elterlichen Landhaus in der Lüneburger Heide überdauerte.53 Als die Briten am 20. April 1945 Bendestorf überrollten, war er, soweit es die Verhältnisse ermöglichten, auf die Nachkriegszeit vorbereitet. Im umgebauten Schweinestall, der seit der Ausbombung des Betriebes in der Altonaer Königstraße den Hammerich & Lesser-Verlag beherbergte, versammelte Springer vier verbliebene Mitarbeiter, darunter den langjährigen kaufmännischen Leiter Helmuth Covents. In materieller Hinsicht verfügte Springer in der »Stunde Null« über einen monatelang unbemerkt eingelagerten Buchbestand von über 50.000 Exemplaren sowie über Papiervorräte von mehr als 400 Tonnen.54 Überdies befand sich im Springerschen Heustall ein altersschwacher Opel P4.55

Verlagspläne mit John Jahr und Max Schmeling

Vorerst konnte jedoch der Jungverleger die Elbe wegen der allgemeinen Passierscheinpflicht nicht queren und blieb im frühlingshaften Bendestorf zur Tatenlosigkeit verdammt. Dieser Zustand änderte sich im Juni 1945, als Springer unerwarteten Besuch von seinem langjährigen Geschäftspartner Jahr und dem ehemaligen Boxchampion Max Schmeling erhielt, um ihn für eine gemeinsame unternehmerische Tätigkeit zu gewinnen.56 Der ehemalige Sportjournalist Jahr hatte bereits während der Weimarer Republik enge freundschaftliche Bande zu Schmeling geknüpft.57 In den 1930er- und 1940er-Jahren verkehrte der Boxchampion als regelmäßiger Gast im großen Haus des Verlegers in Berlin-Dahlem. Bei den zahlreichen Zusammenkünften entstanden die ersten gemeinsamen publizistischen Pläne für die Nachkriegszeit.58 Der Taktiker Jahr verband sich mit Schmeling jedoch nicht allein wegen der vielfältigen persönlichen Verbindungen und ausgeprägten unternehmerischen Ambitionen des ehemaligen Berufsboxers. Eine gewichtige Rolle wird zudem gespielt haben, dass sich Jahr angesichts seiner NSDAP-Mitgliedschaft und seiner engen Kontakte zu Größen des Dritten Reiches bewusst war, einen politisch unbelasteten Geschäftspartner zu benötigen. Gleichermaßen erfolgte auch Springers Einbindung nicht allein aus hoher persönlicher und fachlicher Wertschätzung, sondern eben auch wegen der politischen Unbedenklichkeit des Jungverlegers.59

Noch vor dem folgenschweren Besuch in Bendestorf hatten Jahr und Schmeling im Mai 1945 erste verlegerische Initiativen ergriffen. Ohne dass Jahr persönlich in Erscheinung getreten war, hatte Schmeling gegenüber der britischen Militärregierung in Hamburg sein Interesse an der »Wiedereröffnung eines Verlagsunternehmens« bekundet.60 Durch die Herausgabe von Schulbüchern beabsichtigte der ehemalige nationalsozialistische Vorzeigesportler, »an der künftigen Erziehung des Volkes und insbesondere der deutschen Jugend nach besten Kräften teilzunehmen«. Nicht ohne Selbstüberschätzung hatte Schmeling erklärt, dass er infolge seiner »bekannten kosmopolitischen Haltung« und seiner »reichen internationalen Erfahrung« für eine solche Tätigkeit »berufen« sei. Tonalität und Stil des Schreibens deuteten allerdings auf die Urheberschaft Jahrs hin, über den es lediglich hieß: »Verlegerische Fachleute […] stehen mir für diese Arbeit zur Verfügung, wobei ich mich für die einwandfreie politische und moralische Gesinnung jedes meiner Mitarbeiter verbürge.« Nur einen Monat nach Ende des Dritten Reiches hatten Jahr und Schmeling den Umerziehungsgedanken der westlichen Alliierten aufgegriffen, um mit dem Schulbuch sogleich das passende Verlagsprodukt für die angestrebte re-education policy anzubieten, die im Kern darauf zielte, »to persuade the Germans to adopt Western intellectual standards und modes of thought«.61 Obwohl die Kontakte zwischen Besatzern und Deutschen in den ersten Wochen nach der Kapitulation auf ein Mindestmaß reduziert blieben, war es Schmeling und Jahr gelungen, vom zuständigen Presseoffizier der britischen Militärverwaltung in Hamburg, Major William D. Barnetson62 empfangen zu werden.63 Nachdem der Name Axel Springer gefallen war, hatte der Major den Wunsch geäußert, den dritten Geschäftspartner kennenzulernen, und einen Passierschein ausgestellt. Ob es nach der gemeinsamen Rückkehr in die Hansestadt zu einem Treffen mit dem Presseoffizier kam, ist jedoch nicht überliefert.

Da der Altonaer Druckereibetrieb ausgebombt und der elterliche Privatbesitz beschlagnahmt war, quartierte sich Springer in der Eppendorfer Isestraße ein.64 Sogleich beteiligte er sich an Jahrs und Schmelings Bemühungen um eine Zulassung für die Herausgabe von Schulbüchern. In diesem Zusammenhang verfasste er ein Exposé über ein Verlagsprogramm für Hammerich & Lesser.65 Mit geschliffenen, teilweise pathetischen Worten erhob Springer die Schaffung einer freiheitlichen Gesinnung zum Leitgedanken seines Verlagsprogramms, das den Leser »zur Freiheit des Denkens«, »zum Bewußtsein dessen, was Menschenwürde ist« oder »zur unbedingten Arbeit am friedliebenden Zusammenleben der Nationen« führen sollte. Dank der zahlreichen Kontakte des Verlegertrios wurde nicht nur die Mitarbeit bekannter Hamburger Erziehungswissenschaftler, sondern auch die Unterstützung der Schulverwaltung und des von den Briten eingesetzten Bürgermeisters Rudolf Petersen gewonnen.66 Die in diesem Fall erfolgte Einbindung öffentlicher Stellen steht beispielhaft für Springers Strategie, politische Kontakte für die eigenen unternehmerischen Ziele systematisch nutzbar zu machen. Auch im verlegerischen Bereich knüpfte er in den Monaten nach Kriegsende zahlreiche persönliche Verbindungen von hohem Stellenwert. Von Vorteil war dabei, dass Hamburg 1945 zum Sammelbecken von publizistischen Kräften aus ganz Deutschland wurde.67

Springers Ambitionen beschränkten sich jedoch nicht nur auf die Herausgabe von Schulbüchern. In seinem Exposé von Juni 1945 unterbreitete er weitere »Verlagsvorschläge«, die die Herausgabe von belletristischer Literatur, insbesondere aus der Feder von internationalen und im Nationalsozialismus verbotenen Autoren, die Veröffentlichung von geschichtlichen und politischen Werken, von Sprachführern und Sportlektüren sowie das Wiedererscheinen der »im Jahre 1941 verbotenen Tageszeitung« des Hammerich & Lesser-Verlags vorsahen.68 In Letzterem ließ Springer erstmals öffentlich seine Zeitungsverlegerambitionen erkennen, wenngleich seine Anmerkungen zeigten, dass er sich über den Zeitpunkt einer möglichen Lizenzierung keiner Illusion hingab. Springer wird die pressepolitische Doktrin des britisch-amerikanischen Oberkommandos Supreme Headquarters Allied Expeditionary Force (SHAEF)69 bekannt gewesen sein.

Die Restriktionen der britischen Pressepolitik

Im »Manual for the Control of the German Information Services« vom April 1945 hatte das SHAEF erstmals ein pressepolitisches Programm aufgestellt, das in der britischen und US-amerikanischen Besatzungszone den Aufbau eines demokratischen Mediensystems unter deutscher Beteiligung vorsah.70 Die erste Phase des dreistufigen SHAEF-Programms, die Ausschaltung deutscher Informationsdienste, war in Hamburg bereits wenige Tage nach Kriegsende abgeschlossen.71 Die zweite Phase der pressepolitischen Entwicklung sah den Aufbau und die Verbreitung alliierter Informationsdienste vor.72 In der Hansestadt begann der alliierte Medieneinsatz nur wenige Stunden nach der deutschen Kapitulation mit der Aufnahme des Sendebetriebs von Radio Hamburg, das mit dem Funkhaus am Hamburger Rothenbaum eines der wenigen unzerstörten Sendestationen der britischen Zone nutzte.73 Wenige Tage später erschienen die ersten gedruckten Nachrichten in Form eines Mitteilungsblattes der Militärregierung, das einen Monat später durch eine wöchentlich herausgegebene Heeresgruppenzeitung mit dem Titel Hamburger Neue Presse abgelöst wurde. Im August 1945 nahm der German News Service, der Nachrichtendienst der britischen Militärregierung und Vorläufer der Deutschen Presse-Agentur seine Tätigkeit in Hamburg auf, wodurch die Hansestadt als überregionaler Medienstandort erheblich gestärkt wurde.74 Erst in einer dritten Phase sah die SHAEF-Direktive die schrittweise Zulassung von deutschen Informationsdiensten unter alliierter Kontrolle vor.75 Insbesondere im Pressebereich zielte die alliierte Politik mithin auf die restlose Zerstörung der tradierten verlegerischen Strukturen, die nach US-amerikanischer Einschätzung ausschließlich den »direct and rigid Nazi orders« sowie den »tenets of Nazi philosophy« gefolgt waren.76 Zur Gewährleistung einer ausgewogenen demokratischen Grundhaltung im Pressewesen beabsichtigten die britischen und US-amerikanischen Verantwortlichen, ausschließlich Gruppenzeitungen zuzulassen, deren beteiligte Verleger jeweils eine politische Richtung repräsentieren und gemeinsam ein breites weltanschauliches Spektrum abdecken sollten.77 Die alliierte Forderung nach einem umfassenden Neuaufbau des deutschen Pressewesens konnte nicht besser mit Springers lang gehegter verlegerischer Vision korrespondieren, die besonderen Umstände nach Ende des Krieges für die Gründung einer eigenen Tageszeitung zu nutzen. Seine zahlreichen unternehmerischen Initiativen, die nur wenige Wochen nach dem totalen Zusammenbruch begannen und erst mit der erfolgreichen Etablierung des Hamburger Abendblatts endeten, zeigten, dass er die aus dem pressepolitischen Neuanfang erwachsenen verlegerischen Möglichkeiten keineswegs ungenutzt verstreichen lassen wollte.

Doch sollten die pressepolitischen Umstände sein ungeduldiges Wesen vorerst auf eine harte Probe stellen. Mitte Juni 1945 beschied die britische Militärregierung in Hamburg dem vorgeschlagenen Schulbuchprogramm eine Absage und wies den Hammerich & Lesser-Verlag darauf hin, dass »typesetting and printing of books and periodicals« weiterhin verboten wären.78 Davon unbeeindruckt setzten Springer, Jahr und Schmeling ihre verlegerischen Initiativen fort. Von Anfang Juli 1945 datiert ein Exposé über die »Gründung einer Zeitung für die Wehrmachtsangehörigen in den nordwestdeutschen Sammellagern« mit dem Titel Norddeutsche Allgemeine Zeitung.79 Ob der Verlagsvorschlag den zuständigen britischen Dienststellen letztlich übergeben wurde, ist zwar nicht überliefert, dennoch war dieses unrealisierte erste Zeitungsprojekt des Hammerich & Lesser-Verlags nach Kriegsende in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Wie schon im Schulbuchbereich, entwickelten Springer, Jahr und Schmeling ein Verlagsprodukt, für das nach ihrer Einschätzung ein akuter Bedarf bestand. Überdies führte das Exposé erneut eine Reihe bedeutsamer Mitarbeiter, darunter Bürgermeister Petersen und Erich Kästner, an, die für das angestrebte Umerziehungsideal einstehen sollten.80 Zudem bot Springer mit Blick auf die allgemeine Papierknappheit81 an, die eigenen eingelagerten Papierbestände zur Verfügung zu stellen.

Nach der Auflösung des britisch-amerikanischen Oberkommandos SHAEF im Juli 1945 entstanden in der britischen Zone neue pressepolitische Strukturen.82 Fortan wurden in der britischen Zone die medienpolitischen Rahmenbedingungen von der bereits bestehenden Abteilung Public Relations/Information Services Control (PR/ISC) im westfälischen Bünde gestaltet, die unter der Leitung von Generalmajor Alec Bishop eine eigenständige Gruppe der britischen Militärregierung Control Commission for Germany/British Element (CCG/BE) bildete.83 Gleichzeitig kündigte der Oberkommandierende der britischen Streitkräfte in Deutschland, Feldmarschall Bernard Montgomery, die baldige Zulassung deutscher Zeitungen an. Zum Unmut Springers rückten die Briten jedoch nicht von ihrem Prinzip ab, Zeitungslizenzen nach politischen Gesichtspunkten zu vergeben.84 Zwar hatte die Militärregierung auf Druck der neuen Labour-Regierung in London das Konzept der parteipolitisch ausgewogenen Gruppenzeitungen aufgegeben; stattdessen favorisierte sie nun Parteirichtungszeitungen, die ebenso wenig mit Springers Plänen für eine parteiungebundene Tagespresse im Einklang standen. Wohl oder übel musste er vorerst seine verlegerischen Initiativen auf den Buch- oder Zeitschriftenbereich beschränken. Ende August 1945 leitete die zuständige PR/ISC-Dienststelle in Hamburg, die 8. Information Control Unit (ICU), unter der Leitung von Major William Barnetson das Lizenzverfahren ein.85 Zu diesem Zeitpunkt hatten Springer und seine beiden Geschäftspartner bereits beschlossen, eine Zulassung für die Herausgabe von Büchern durch den Hammerich & Lesser-Verlag zu beantragen. Zur gleichen Zeit war es dem tatendurstigen Trio ungeachtet der bitteren Wohnungsnot gelungen, drei Büroräume in repräsentativer Lage am Harvestehuder Weg zu beziehen. In der Alstervilla hatte zuvor Irmgard »Bibi« Bibernell, eine Berliner Modeschöpferin und zugleich langjährige Bekannte von Springer, Quartier genommen, ohne jedoch über eine Zuzugsgenehmigung zu verfügen.86 Springer besorgte dank seines Verhandlungsgeschicks und bester behördlicher Verbindungen die obligatorische Bewilligung und erhielt im Gegenzug die Hälfte der Räumlichkeiten.

Doch die Hoffnung auf ein gemeinsames Verlagsunternehmen wurde bald getrübt. Zwei Tage vor der Einleitung des Lizenzverfahrens in Hamburg hatte Schmeling einer Berichterstatterin des britischen Daily Express ein folgenschweres Interview gegeben.87 In seinem Gespräch behauptete er, dass der Hammerich & Lesser-Verlag »innerhalb der nächsten zwei Wochen« eine Lizenz zur Herausgabe von Schulbüchern erhalten und seine Publikationstätigkeit aufnehmen würde. Keine zwei Tage später ließ die Militärregierung Schmeling »wegen Falschaussage gegenüber den alliierten Streitkräften« verhaften und gleichzeitig in einer Pressemitteilung sowie einer Bekanntmachung an Springer verkünden, dass eine Lizenzierung des Hammerich & Lesser-Verlags ausgeschlossen sei, »as long as Schmeling is associated with it«.88 Das harte Vorgehen gegen Schmeling und die bemerkenswerte Pressemitteilung lassen vermuten, dass gewisse britische Dienststellen auf einen öffentlichen Fehltritt des ehemaligen nationalsozialistischen Vorzeigesportlers gewartet hatten, um diesen zur persona non grata zu erklären und vom Lizenzverfahren auszuschließen. Zwar wurde Schmeling Ende September 1945 durch ein britisches Militärgericht in Hamburg »aus Mangel an Beweisen« freigesprochen, doch war an eine verlegerische Tätigkeit vorerst nicht zu denken.89 Nach weiteren persönlichen Rückschlägen reüssierte der ehemalige Boxweltmeister seit Ende der 1940er-Jahre auf zahlreichen unternehmerischen Gebieten, vor allem in der Getränkeindustrie. Gleichzeitig blieben sich die beiden verhinderten Geschäftspartner in lebenslanger Freundschaft verbunden. Wenige Tage nach dem erzwungenen Ausscheiden Schmelings wurde Springer eröffnet, dass auch Jahr, der als erfolgreicher Verleger im Dritten Reich nicht nur Parteimitglied gewesen war, sondern zudem Kontakte zu hochrangigen Vertretern des nationalsozialistischen Regimes gepflegt hatte, als politisch belastet galt. Im Anschluss an ein Gespräch mit Major Barnetson Anfang September 1945 gab Springer eine eidesstattliche Erklärung ab, dass eine weitere Zusammenarbeit mit John Jahr nur nach »vorheriger Anerkennung […] durch die Militärregierung« erfolgen würde.90 Notgedrungen musste sich Jahr aus dem Gemeinschaftsunternehmen zurückziehen, ohne jedoch die verlegerische Zusammenarbeit mit Springer aufzugeben. Selbst vor diesem machte die Debatte um die Rolle im Dritten Reich nicht halt. Felix Jud, der bekannte Hamburger Buchhändler und langjährige Freund der Verlegerfamilie, sprach sogar von einer »Presse- und Rundfunkkampagne gegen […] Axel Springer«.91 Zwar sind die Inhalte, Urheber und Hintergründe der politischen Angriffe heute nicht mehr rekonstruierbar, doch schien Springer veranlasst gewesen zu sein, ein Leumundszeugnis vom ehemaligen KZ-Häftling Jud einzuholen. Letztendlich schmälerten weder die Vorgänge um Schmeling und Jahr, noch die öffentlichen Auseinandersetzungen um die eigene Person Springers Aussichten auf eine Lizenz. Für die zuständigen britischen Verantwortlichen galt er als politisch unbelastet und zählte daher zu den wenigen Verlegern, die überhaupt für eine Lizenzvergabe in Frage kamen.

Im Oktober 1945 beantragte Springer zusammen mit seinem Vater eine Zulassung für die Wiederaufnahme der Buchverlagstätigkeit der Hammerich & Lesser OHG.92 Mit größter Akribie hatte Axel Springer zuvor die begleitenden Fragebögen der britischen Informationskontrolle ausgefüllt und mehrseitige Anlagen zum Verlagsprogramm verfasst. Geschickt erzeugte Springer den Eindruck, über einen funktionsfähigen Verlagsbetrieb zu verfügen, der sofort in der Lage sein würde, mit einem profilierten Mitarbeiterstamm und besten Autorenkontakten die Publikationstätigkeit wiederaufzunehmen. Nur am Rande erwähnten die Antragssteller die vollständige Zerstörung des Druck- und Verlagshauses in der Altonaer Königstraße. Die Rolle des Vaters, der schwer krank in Bendestorf verblieben war, ist aus heutiger Sicht unklar. Zwar übernahm der 65-jährige Teilhaber keine operativen Aufgaben mehr, doch schien Hinrich Springer weiterhin ein wichtiger Ratgeber gewesen zu sein.

Während der Lizenzantrag von den Briten geprüft wurde, wandte sich Springer einem neuerlichen Gemeinschaftsprojekt mit Jahr zu, ohne dass dieser offiziell in Erscheinung trat. Unter Rückgriff auf den Erfahrungsschatz Jahrs, der zwischen 1937 und 1944 in Berlin die Frauenzeitschrift Die Junge Dame verlegt hatte, entwickelten beide eine Monatsschrift für junge Mütter mit dem Titel Das Kind.93 Im November 1945 übermittelte Springer den zuständigen britischen Dienststellen ein Exposé über die »Zeitschrift für Kindererziehung«, die »pädagogische, medizinische und seelsorgerische Kräfte« vereinen wollte.94 Das Konzept nahm deutliche Anleihen an der dänischen Kinderzeitschrift Børn und ist damit ein frühes Beispiel für Springers Strategie, ausländische Presseinnovationen zu adaptieren. Ungeachtet verschiedener Initiativen des Verlegers, blieb dem Zeitschriftenkonzept jedoch vorerst eine Lizenz versagt.95 Augenscheinlich hatte eine Mutter-Kind-Zeitschrift angesichts des massiven Papiermangels keine Priorität für die britischen Presseoffiziere.