Nachwort

Surinam war lange Zeit ein kleiner weißer Fleck auf der Landkarte. Ein Stückchen Land an der Nordwestküste Südamerikas, dicht bewachsen mit Urwald und Savannengebüsch, von der morastigen Küste bis hin zu den aufragenden Bergen im Hinterland.

Surinam wurde zwar schon 1499 entdeckt, aber erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts setzten einige Glücksritter und Abenteurer einen Fuß in die für Europäer unwirtliche Region. Selbst das hartnäckige Gerücht, dass in Surinam das sagenumwobene Goldland »El Dorado« zu finden sei, trieb nicht viele Auswanderer dorthin. Und jene, welche die wagemutige Reise antraten, mussten sich mit Tropenkrankheiten und wehrhaften indigenen Völkern herumschlagen. Die meisten Europäer kamen dabei nach kurzer Zeit ums Leben.

Viele Länder starteten Kolonialisierungsversuche, und alle trafen sie auf die Gegenwehr der indianischen Völker. Fast einhundertachtzig Jahre dauerte es, bis um 1650 die erste europäische Siedlung entstand.

1657 wurde Surinam, das damals noch Niederländisch-Guayana hieß, durch den Frieden von Breda den Niederlanden zugesprochen. Die Engländer erhielten dafür im Tausch Neu-Amsterdam, das heute New York City heißt.

Den vielfältigen Schwierigkeiten bei der Bewirtschaftung der neu gegründeten Plantagen begegneten die Weißen mit einem regen Import von schwarzen Sklaven aus Westafrika.

Die Einfuhr von Sklaven brachte allerdings neue Probleme mit sich. Viele von ihnen entliefen ihren Herren und gründeten freie Ansiedlungen im Regenwald. Bald war die Zahl dieser sogenannten Maroons so weit angestiegen, dass sie sich durchaus gegen die weiße Kolonialmacht zur Wehr setzen konnten.

Zwischen 1730 und 1793 kam es immer wieder zu kriegerischen Auseinandersetzungen, in deren Folge die niederländische Kolonialmacht Friedensverträge aushandeln musste.

Die freien Ansiedlungen ermöglichten den entflohenen Sklaven die Bewahrung ihrer eigenen Kultur und Religion. Mit der Zeit verwoben sich die Gepräge der verschiedenen Stämme und Völker zu einer ganz eigenen Kultur, die bis heute von den entsprechenden Bevölkerungsgruppen mit großem Selbstbewusstsein gepflegt wird.

Erst 1863, einem im Verhältnis zu anderen Ländern und Kolonien relativ späten Zeitpunkt, wurde die Sklaverei in Surinam abgeschafft. Man fürchtete in der Folge den Verlust von Arbeitskräften und brachte Javaner und Inder aus den asiatischen Kolonien der Niederlande als billige Arbeitskräfte in das Land. Das Schicksal dieser Kontraktarbeiter war in der Folge leider nicht besser als das der ehemaligen afrikanischen Sklaven, die gerade in diesem Land besonders verabscheuenswert behandelt worden waren.

Die Abschaffung der Sklaverei und der florierende Handel mit Rübenzucker führte letztlich zum Niedergang der Plantagenwirtschaft. Infolgedessen verließen viele Europäer das Land. Heute leben in Surinam nur etwa 1% Europäer bzw. Menschen europäischer Herkunft. In Surinam werden neben Niederländisch als Amtssprache heute noch sechzehn weitere Sprachen gesprochen.

Surinam wird häufig als »Welt en miniature« bezeichnet. Es ist ein kleines und junges Land, das erst 1954 in die Selbstverwaltung und 1975 in die Unabhängigkeit entlassen wurde. In den Achtziger- und Neunzigerjahren des 20. Jahrhunderts gab es erneut politische Unruhen, die weltweit Schlagzeilen machten. Ein Militärputsch und ein nachfolgender Guerillakrieg zerrütteten das Land. Erst 1992 konnte eine halbwegs stabile demokratische Ordnung hergestellt werden.

Seitdem ist es ruhiger geworden in diesem Land.

Heute leben in Surinam, im Schatten des Regenwaldes, etwa 600 000 Menschen, davon allein 242 000 in der Hauptstadt Paramaribo. Gut 80% Surinams ist bis heute von einem intakten Regenwald bedeckt. Straßen gibt es nur entlang der Küste und von der Stadt Paramaribo zum internationalen Flughafen, der etwa fünfzig Kilometer südlich der Stadt im Landesinneren liegt. Kleine Sandpisten, die zu den Indianer-und Buschnegerdörfern in die Savannen- und Dschungelgebiete führen, sind die einzigen Verkehrswege. Viele Dörfer liegen jedoch so tief im Dschungel an den mit Stromschnellen übersäten Flussläufen, dass sich kaum jemand dorthin verirrt.

Es gibt zaghafte Versuche, einen sanften Tourismus zu etablieren. Aber man muss Individualist und Naturliebhaber sein, um sich in diesem Land wohl zu fühlen.

Während meiner Recherche habe ich zahlreiche Facetten des Landes und seiner Bewohner kennengelernt. Deutlich spürbar ist das Bemühen, die Vergangenheit intensiv aufzuarbeiten. Eine große Herausforderung stellten die oft widersprüchlichen Angaben aus der Kolonialzeit dar: Berichte über die Bewohner des Landes stammen überwiegend aus der Hand von weißen Kolonisten, Militärs oder Reisenden; Informationen seitens der Sklaven oder gar der Buschneger sind eher dürftig und größtenteils lückenhaft vorhanden. Da Menschen mit dunkler Hautfarbe Mitte des 19. Jahrhunderts in Surinam noch sehr geringschätzig behandelt wurden, fand ich – wenig überraschend – überwiegend negativ gefärbtes Material vor.

Ich habe mir nicht zuletzt deshalb in dieser fiktiven Geschichte die künstlerische Freiheit erlaubt, einige Dinge nur so zu beschreiben, wie sie hätten sein können. Dies gilt zum Beispiel für die Schilderung der Tätigkeit der Herrnhuter Gemeine. Hier bedurfte es für die Fiktion einiger künstlerischer Kniffe, um Erika, Klara und all die anderen engagierten Figuren in den Ablauf einzubinden. Die in der Tat nachweislich auch heute noch hervorragende Entwicklungsarbeit der Herrnhuter in diesem Land ist hingegen der Realität entnommen.

Auch die Medikamentenversuche von Pieter Brick an den Sklaven gehören in diese Aufzählung der Kunstgriffe. Zur damaligen Zeit stellten Fiebererkrankungen ein großes Problem in der Kolonie dar. Malaria, Gelbfieber und andere Tropenkrankheiten führten häufig zum Tod des Erkrankten. Viele der Krankheiten sowie ihre Übertragungswege waren im 19. Jahrhundert noch nicht erforscht.

Eine weitere Erkrankung, die damals noch weltweit Angst und Schrecken verbreitete, war Lepra. Für gewöhnlich brachte man sogenannte Aussätzige in eigenen Lagern unter, um die Verbreitung der Krankheit zu verhindern. Heute gilt Lepra als heilbar, auch wenn die Frage der Übertragungswege noch nicht abschließend geklärt werden konnte.

Ich habe mir erlaubt, einige reale Personen in die Handlung einzubinden. Ihr Tun und Denken allerdings ist frei erfunden. Genau wie die Plantagen mit den dazugehörigen Familien und Sklaven.

Sich bei einer solchen Geschichte an wahren Begebenheiten zu orientieren, ist das eine, diese dann auch passend einzubringen, das andere. Ich habe mich im Wesentlichen bemüht, die Ereignisse in die zeitlichen Gegebenheiten einzufügen – kleinere Abweichungen im zeitlichen Gefüge stehen auch hier im Dienste der Fiktion. Und natürlich ist heute die Bezeichnung »Neger« nicht mehr politisch korrekt. »Mensch« wäre der richtige Ausdruck. Davon waren die Kolonisten damals allerdings noch weit entfernt.

Die Zeit mit Julie hat mir sehr viel Freude bereitet. Vieles fand keinen Platz mehr auf den Seiten, was ich noch gerne ge- und beschrieben hätte. Ich war ein bisschen traurig, als ich Julie und alle anderen alle am 1. Juli 1863 verlassen musste.

Wie ich überhaupt auf dieses Land kam?

Es war im Sommer an der niederländischen Küste. In einem Strandpavillon bestellte ich einen heißen Kakao. Eine junge, hübsche und sehr quirlige Bedienung servierte ihn mir. Wir kamen ins Gespräch. Sie kam aus Surinam und absolvierte gerade ein Austauschjahr. Mich faszinierte ihr Lebenslauf, die Erzählungen über dieses kleine, gleichsam vergessene Land und vor allem die Überlieferung ihrer Familie. Ihre Ururgroßmutter, aus den Niederlanden stammend, heiratete Mitte des 19. Jahrhunderts einen Plantagenbesitzer aus Surinam ...