Kapitel 12

Julie hatte sich gut von ihrem Fieber erholt. Amru beruhigte sie zudem, viele Einwanderer hätten am Anfang mit dem Fieber zu kämpfen. »Das macht die Wärme«, kommentierte sie und wies Julie an, sich noch ein bisschen zu schonen.

Karl und Martina waren in die Stadt gereist. Ihren Mann erwartete sie erst am übernächsten Tag zurück, und Martina sollte, oder besser gesagt wollte, einige Zeit bei ihrer Tante verbringen. Julie war dies ganz recht. Martina hatte ihr mehrmals berichtet, sie habe gehört, dass in letzter Zeit wieder recht viele Einwanderer am Fieber gestorben seien. Ihre Stimme klang höhnisch, und Julie meinte, in ihrem Blick eine gewisse Hoffnung zu erkennen, Julie könnte es genauso ergehen. Anstand war auf jeden Fall etwas, das Martina bisher nicht erlernt hatte. Julie wusste, dass Martina sie nicht ausstehen konnte, aber dass sie sich Julie so offensichtlich wegwünschte ...

Julie ärgerte sich darüber, schließlich hätte Martina zumindest etwas guten Willen zeigen können, um sich mit ihr gut zu stellen. Andererseits beruhigte Julie sich mit dem Argument, Martina sei wahrscheinlich eifersüchtig, dass ihr Vater nun wieder eine Frau an seiner Seite hatte.

Julie fühlte sich ohne Karl und Martina auf der Plantage wesentlich wohler. Sie hatte das Gefühl, frei atmen zu können und nicht ständig auf der Hut sein zu müssen.

Seit dem Vorfall bei der Zuckermühle wachte Karl darüber, Julie nicht zu viel Freiraum gegenüber den Sklaven zu gewähren. Hielt sie sich länger als nötig bei den Sklaven auf, oder erwischte Karl sie bei einem Plausch mit ihnen, herrschte er sie an, das sein zu lassen. Julie nickte dann immer ergeben, murmelte eine Entschuldigung und ging davon. Besser, sie ließ sich mit Karl auf keine Diskussion ein.

Aber Karl hatte anscheinend seine Aufseher angewiesen, während seiner Abwesenheit ein Auge auf Julie zu haben. Als sie mit Amru auf der hinteren Veranda stand und sich einige Zubereitungsvarianten der kassave erklären ließ – es war Julie immer noch nicht geheuer, dass diese Knolle eigentlich giftig war, aber nach der Bearbeitung durchaus vielseitig verwendbar schien –, warf Amru einen vielsagenden Blick in Richtung eines Basya, der auf seinem Weg zum Sklavendorf seine Schritte verlangsamte, als er Julie erspähte. Julie grollte. Durfte sie sich nicht mehr frei bewegen? Was wollte Karl denn? Dass sie sich wie eine Wachspuppe auf einen Stuhl setzte und sich nur auf Abruf bewegte? Das wäre ihm wahrscheinlich am liebsten gewesen.

Julie aber dachte nicht daran, sich in ihrer Freiheit einschränken zu lassen. Sie war froh, dass die Regenzeit endlich vorüber war und sie sich draußen wieder bewegen konnte. Die Monate, die in Europa den Herbst gebracht hätten, waren hier in Surinam anscheinend die angenehmsten und erinnerten eher etwas an den Frühling, wenn auch an einen sehr warmen. Aber die Natur war trunken vom vielen Wasser, und es spross und blühte in so üppiger Pracht, mit schweren, süßen Düften, dass Julie oft fasziniert einfach nur im Garten stand und meinte, den Pflanzen beim Wachsen zusehen zu können. Wehmütig dachte Julie an ihren nahenden Geburtstag. Ob Karl an ihn denken würde?

Julie versuchte, den Tagen eine gewisse Struktur zu geben. Sie orientierte sich dabei an Amru, die den ganzen Tag auf den Beinen war und immer etwas zu tun fand. So fühlte Julie sich nicht ganz so einsam und hatte zumindest ein bisschen das Gefühl, am Plantagenleben teilzunehmen.

»Habt ihr eigentlich so was wie eine Schule hier?«, fragte sie Amru neugierig, als sie diese am Morgen auf ihrem Weg in das Sklavendorf begleitete. Die Männer waren auf den Feldern und mit ihnen auch die Aufseher.

»Schule?« Amru gab ein verächtliches Lachen von sich und schaute Julie an, als hätte diese einen Scherz gemacht. »Was sollen unsere Kinder da lernen? Sie dürfen doch nichts lernen.« Sie schüttelte verständnislos den Kopf und ging weiter.

Julie jedoch verharrte einen Moment und beobachtete einige kleine, krausköpfige Kinder, die sich vor einer Hütte um eine Frau scharten.

Amru bemerkte ihr Zögern. »Mura passt auf die Kinder auf, während die anderen arbeiten«, erklärte sie und richtete Julies Aufmerksamkeit mit einem Blick auf Muras Arme. Julie erschauderte, der Sklavin fehlte eine Hand. »Sie kann so nicht arbeiten. Unfall. Darum passt sie auf die Kinder auf.«

Mura zeigte den Kindern derweil an einer halbfertigen Matte das Flechten. Geschickt klemmte sie sich das eine Ende zwischen die Knie, um mit der vorhandenen Hand die Pflanzenfasern zu richten. Einige der Kinder schauten aufmerksam zu, andere hingegen spielten mit Stöckchen oder waren im Halbschlaf zusammengesackt. Alles in allem machten die Kinder einen guten und gesunden Eindruck. Sie sahen sauber aus und wohlgenährt.

»Aber es wäre doch schön, wenn sie ein paar Dinge lernen könnten«, sinnierte Julie beim Anblick der Kleinen.

»Was denn, Misi?«, fragte Amru verächtlich. »Wir dürfen nicht schreiben und also auch nicht lesen. Wir bringen unseren Kindern bei, gute Sklaven zu sein, das ist es, was die Weißen möchten.«

Julie spürte die Verbitterung der alten Frau. Sie konnte dieses Gefühl gut verstehen, zu lange hatten die Sklaven unter der Herrschaft der Weißen gelitten. Was aber nicht hieß, dass es immer so bleiben musste, Julie hatte in jüngster Zeit immer wieder Diskussionen um das Thema Aufhebung der Sklaverei mitbekommen und entsprechende Artikel in Karls Zeitungen gelesen. Für sie Grund genug, es nicht ruhen zu lassen.

»Aber man sagt doch, dass die Sklaverei in ein paar Jahren aufgehoben werden könnte! Und dann wäre es gut, wenn die Kinder lesen und schreiben gelernt hätten!«, entgegnete sie naiv.

Amru lachte verbittert. »Ach Misi, wenn ich das noch erleben könnte ...«

Julie jedoch war sich recht sicher, dass Amru und alle anderen hier das sehr wohl noch erleben würden. Immerhin hatten England und Frankreich die Sklaverei bereits seit längerem abgeschafft und entsprechende Gesetze geschaffen. Die Niederlande hinkten dieser Entwicklung in ihren Kolonien hinterher, aber es war absehbar, dass sie dem Druck der anderen Länder irgendwann nachgeben würden. Selbst im Heimatland hatte sich bereits eine größere Front gegen die Sklaverei formiert. Karl und die anderen Plantagenbesitzer spielten das Thema zwar rigoros herunter, aber Julie war sich sicher, dass sie es nicht ewig würden verdrängen können. Die Abschaffung der Sklaverei würde eine große Wende für das Land bedeuten. Und im Gegensatz zu den alteingesessenen Kolonisten hatte Julie keine Angst davor. Im Gegenteil. Es graute ihr vor dem Gedanken, ihr restliches Leben als Sklavenhalterin verbringen zu müssen, und sie setzte inzwischen große Hoffnung auf diese Wende im Land. Vielleicht würde sie sich dann auch wohl fühlen können hier. Unter freien Menschen.

Der Gedanke an die Kinder ließ Julie nicht mehr los. Auch später, als sie auf der Veranda saß, wo Nico zu ihren Füßen ein Stück Banane verspeiste und Kiri ihr etwas Kaltes zu trinken gebracht hatte, dachte sie über die Sklavenkinder nach.

Zumal das Thema Kinder auch für sie an Bedeutung gewonnen hatte. Karl hatte ihr vor einiger Zeit ausdrücklich zu verstehen gegeben, dass er Julie die Schuld dafür gab, noch keine Schwangerschaft vermelden zu können. Der Alkohol hatte ihm eines Abends die Zunge gelockert, und er hatte sie angefahren: »Ein hübsches Mädchen hab ich mir da eingefangen, bringt mir den Haushalt durcheinander und schafft es nicht mal, seinen fraulichen Pflichten nachzukommen.«

Julie war zusammengezuckt. Natürlich war ihr bewusst gewesen, dass Karls nächtliche Besuche nicht dazu dienten, ihr Freude zu bereiten. Es ging ihm nur um sich, das war deutlich spürbar, und natürlich wusste sie, dass er es darauf anlegte, einen Erben mit ihr zu zeugen. Seine Zudringlichkeiten waren in letzter Zeit allerdings seltener geworden, vielleicht lag es auch daran, dass sich noch keine Schwangerschaft ergeben hatte.

Bei dem Gedanken spürte Julie einen Kloß in ihrem Hals. Sie konnte sich ja selbst keinen Reim darauf machen – kamen Mann und Frau zusammen, führte das doch unweigerlich irgendwann zu Kindern, oder? Zumindest hatte sie das bis jetzt gedacht. Warum und wie es aber dazu kommen konnte, dass eben genau dies bei ihr jetzt nicht geschah, wusste sie nicht. Lag es wirklich an ihr? Bis dato hatte Julie nie an ihrer Weiblichkeit gezweifelt, sie schien doch ganz normal, oder etwa nicht? Allerdings wusste sie auch nicht recht, wie sich eine Schwangerschaft bemerkbar machte. Vor Jahren hatte Sofia einmal geäußert, dass dies wohl untrüglich durch das Ausbleiben der monatlichen Blutung angezeigt würde. Julie hatte in dieser Hinsicht aber noch keine Veränderungen bemerken können. Eine Menge Fragen brannten ihr auf der Seele, und sie hatte niemanden, den sie ins Vertrauen ziehen konnte. Sie fühlte sich unendlich einsam.

Julie schüttelte den Gedanken ab und konzentrierte sich auf die Sklavenkinder. Solange sie sich nicht um ein eigenes Kind kümmern konnte und musste, konnte sie ihre Kraft doch gut und gerne für die Kinder der Sklaven einsetzen. Und vielleicht würde sie dadurch ja sogar Kontakt zu den anderen Sklavenfrauen bekommen.

Bereits am nächsten Tag wanderte sie wieder zum Sklavendorf. Ihr war es egal, ob die Aufseher sie sahen oder nicht. Sie hoffte, Karl ihr Engagement um die Sklavenkinder irgendwie erklären zu können, wenn es darauf ankam.

Kiri folgte ihrer Misi besorgt. Inzwischen wusste sie, dass alles, was ihre Misi tat, im Zweifelsfall auch auf sie zurückfiel. Dass die Misi sich jetzt so für die Sklavenkinder interessierte, behagte ihr nicht. Sie wusste, dass es Masra Karl missfallen würde.

Im Dorf steuerte Julie auf Mura zu. Die Sklavin war sichtlich verwundert, äußerte aber nichts gegen ihre Anwesenheit – was die Misi wünschte, hatte ohne Widerspruch zu geschehen.

Julie spürte die Verwunderung der Frau und lächelte ihr freundlich zu. Sie verzichtete allerdings auf eine Erklärung und konzentrierte ihre Aufmerksamkeit stattdessen auf die Kinder. Sie wusste, dass sie das Vertrauen der Kinder erst gewinnen musste, schließlich hatten sie von ihren Eltern die Scheu gegenüber den Weißen übernommen. Noch bevor ein Sklavenkind laufen konnte, wurde ihm beigebracht, den Blick zu senken, wenn ein Weißer ihm gegenübertrat.

Die Schar verstummte schlagartig, als Julie sich wie selbstverständlich neben Mura setzte und ihr mit einem Nicken zu verstehen gab, sich nicht stören zu lassen. Mura fuhr zögerlich fort. Die heutige Unterweisung drehte sich immer noch um die Anfertigung des Flechtwerks für eine Matte. Erst als Julie das Gewerk in die Hand nahm und sich an den kunstvollen Schlingen und Schlaufen versuchte, brach das Eis. Die Kinder kicherten und lachten und versuchten mit ihren kleinen Fingerchen, Julies ungeschickten Händen die richtige Richtung zu weisen. Mura schien unsicher, ob sie ihre Schützlinge zurückhalten sollte oder ob Julie ihre zunehmende Aufdringlichkeit dulden würde. Anfänglich tadelte sie die Kinder noch, wenn sie Julie zu nahe kamen. Julie aber lächelte der Sklavin immer wieder aufmunternd zu und zog sogar eines der kleinen Mädchen auf den Schoß. Sie hatte keine Berührungsängste den Kindern gegenüber und hoffte, dass die Kinder und auch Mura ihr gegenüber die Scheu gänzlich verlieren würden.

Lange saßen sie so beisammen und flochten, während die Matte Zentimeter für Zentimeter an Länge gewann. Erst als am Nachmittag die ersten Feldsklaven in das Dorf heimkehrten und die Kinder nach und nach in ihren elterlichen Hütten verschwanden, stand auch Julie auf und verabschiedete sich von Mura.

»Ich hoffe, ich darf wiederkommen?«, fragte sie lächelnd.

»Misi darf jederzeit kommen«, sagte Mura strahlend und vergaß dabei ganz, den Blick gen Boden zu senken.

»Bist du verrückt? Du setzt dich zu den Sklaven?« Karl tobte, als er nach seiner Rückkehr aus der Stadt von seinen treuen Aufsehern erfuhr, was seine Frau während seiner Abwesenheit getrieben hatte. Sie saßen zu Tisch, und Karl stürzte ärgerlich ein Glas Dram hinunter, das dritte oder vierte. Aiku wurde nicht müde, Karls Glas umgehend wieder aufzufüllen. »Das lässt du bleiben, ich will dich im Sklavendorf nicht mehr sehen, und wehe ...«, donnerte er und sah sie wütend an.

»Was dann?«, unterbrach Julie ihn mit fester Stimme. Sie hatte eine solche Reaktion befürchtet, war es inzwischen aber leid, sich auf der Plantage wie eine Gefangene behandeln zu lassen. »Willst du mich dann an den Baum hängen und auspeitschen lassen?« Verärgert warf sie ihre Serviette auf den Teller, ihr war der Appetit mal wieder vergangen.

Karls Gesicht wurde rot vor Zorn. Dann trat plötzlich ein gefälliges Lächeln auf sein Gesicht, und er neigte sich drohend zu Julie. »Aber deine Kiri wird dafür büßen müssen. Es ist dir doch wichtig, dass sie nicht zu Schaden kommt, oder? Also ist es besser, wenn du mich nicht verärgerst.« Damit stand er auf. »Nicht wahr, Mädchen?« Er warf Kiri, die neben der Tür stand, wo sie während des Essens auf ihre Misi zu warten hatte, einen scharfen Blick zu. »Du wirst schon Acht geben, dass deine Misi keine Dummheiten macht«, sagte er höhnisch, bevor er den Raum verließ.

Julie blieb entsetzt sitzen. Kiri stand mit gesenktem Blick da und schluchzte leise.

Natürlich wollte Julie nicht, dass Kiri sich in Gefahr begab. Sie hatte ihr schließlich versprochen, ihr Schutz zu gewähren, und bisher war ihr das auch ganz gut gelungen. Nicht ein Mal hatte ihre Leibsklavin noch an den Baum gemusst. Aber sie wusste nicht, was passieren würde, wenn Karl Kiri befragen würde. Kiri würde ihren Masra wohl kaum anlügen.

Es war schließlich Karl selbst, der Julie auf eine Lösung brachte. Seine Abwesenheit von Dienstag bis Donnerstag brachte ihr einen gewissen Freiraum. Sie schickte Kiri also mittwochs bereits früh zu Amru, die wiederum Mura angewiesen hatte, die Kinder am Vormittag in den Garten nahe dem Haus zu führen. Dort, im Schatten der großen Mangobäume, trafen sie sich dann mit Julie. Hier waren sie auch sicher vor den Aufsehern, die es während der Arbeitszeit selten von den Feldern oder gar in die Nähe des Hauses zog. Von Amru und den anderen Hausmädchen wiederum hatte Julie nichts zu befürchten. Amru sorgte dafür, dass keiner der Sklaven sah, was dort geschah.

Kiri war ebenfalls in Sicherheit, sie hatte bei Amru genug zu tun. Julie selbst war mit dieser Lösung zufrieden und hatte auch zunächst kaum Bedenken, dass Karl etwas davon erfahren könnte. Sie schluckte die Angst vor ihm hinunter. Wenn sie sich nicht ein bisschen eigenes Leben bewahrte, wo würde das hinführen?

Allerdings hatte sie dabei vergessen, dass auch Martina früher oder später wieder auf die Plantage zurückkehren würde.

Kiri waren die Tage, in denen der Masra abwesend war, nicht geheuer. Zu groß war ihre Angst, dass der Masra doch herausfinden würde, was die Misi währenddessen so trieb.

Amru beschwichtigte das Mädchen. »Wenn du hier sitzt, kannst du schließlich nicht wissen, was die Misi gerade macht.« Sie lächelte verschwörerisch. »Und die Misi hat dir ja selbst befohlen, hier bei mir zu sein.«

Kiri hoffte inständig, dass der Masra das auch so sah, wenn er es denn eines Tages doch herausfinden würde.

Amru schien das Ganze Spaß zu bereiten. Dass die Misi sich hinterrücks gegen den Masra auflehnte, hob sie deutlich in der Gunst der Sklaven. Ihre Mittwochstreffen mit Mura und den Kindern hatten zu Erleichterung im Sklavendorf geführt, auch wenn einige der Mütter sich Sorgen machten, dass auch ihre Kinder eine Strafe erwartete, wenn der Masra es herausfand. Amru beschwichtigte die Frauen: Die Misi würde schon aufpassen, dass den Kindern nichts geschah.

Als nützlicher Helfer hatte sich auch der Papagei erwiesen. Nico hegte eine große Abneigung gegen Männer und insbesondere gegen die Aufseher. Erspähte er einen von ihnen auch nur von Weitem, quittierte er dies mit hektischem Flügelschlag. Aus dem Mangobaum, auf dem er zu sitzen pflegte, während Julie mit den Kindern arbeitete, ertönte dann ein höllisches Geraschel, worauf die Kinder gleich aufsprangen und in ein dichtes Gebüsch am Rand des Gartens huschten. Kam dann tatsächlich einer der Aufseher am Garten vorbei, sah er im Schatten unter dem Mangobaum nur noch Julie.

Mura war ebenfalls nicht ganz wohl bei diesem Versteckspiel. Wenn schon nicht den Kindern, ihr würde sicherlich eine Strafe blühen. Aber die Besuche bei der Misi taten den Kindern gut, sie hatten so schnell einen Narren an Julie gefressen – und den Wunsch der Misi konnte sie schließlich auch nicht ausschlagen.

»Amru, warum wollen die Weißen eigentlich nicht, dass die Sklaven lesen und schreiben?« Kiri hatte sich schon oft darüber Gedanken gemacht, so schlimm konnte das doch eigentlich nicht sein.

Amru zuckte nur mit den Schultern und polierte weiter einen großen, kupfernen Topf auf ihrem Schoß. »Wahrscheinlich haben sie Angst, dass wir gar nicht so dumm sind, wie sie im Allgemeinen denken.«

»Aber es gibt doch auch Sklaven, die es dürfen, oder?«

In der Stadt waren Kiri einige Farbige aufgefallen, die mit Schreibmäppchen unter dem Arm über die Straßen gehastet waren.

Amru seufzte. »Das sind dann aber keine reinen Schwarzen, Kiri. Sobald ein Farbiger das Blut des Weißen in sich trägt, hält der Weiße ihn auch für wohlgefälliger. Und je heller die Haut, desto eher zeigt sich tatsächlich die Neigung, den Weißen wohlgesinnt zu sein. Schau dir doch nur mal die Basyas an.«

Ja, Kiri wusste, dass die Mulatten dazu neigten, sich als etwas Besseres zu fühlen als die tiefschwarzen Sklaven. Obwohl ihre Herkunft selbst mehr als zweifelhaft war. Was sie auf ein anderes Thema brachte. Jetzt, wo sie mit Amru allein war, wollte sie die Frage stellen, die sie schon so lange beschäftigte.

»Amru?« Amru ließ den Putzlappen sinken. Manchmal war ihr die Fragerei von Kiri schon fast zu viel. Kiri zögerte kurz, sie musste es aber wissen. »Neulich ... nachts ... du weißt schon ...«

Amru zog die Augenbrauen hoch.

Kiri senkte verlegen den Blick, sie wusste, dass sie über solche Ereignisse auf keinen Fall sprechen durfte. Zu groß die Gefahr, dass jemand davon hörte, für dessen Ohren es nicht bestimmt war. Aber sie musste unbedingt wissen, wer der junge Mann gewesen war, der Tänzer.

Sie hatte tagelang im Sklavendorf Ausschau gehalten, welcher der Jungen es wohl gewesen sein konnte. Allmählich kannte sie alle Bewohner des Dorfes und dieser geheimnisvolle junge Mann war definitiv nicht dabei, so weit war sie sich sicher. Zumal die auffälligen Tätowierungen ein untrügliches Zeichen waren.

»Der eine Tänzer, der mit den Tätowierungen ... weißt du?«, flüsterte sie schließlich.

Jetzt grinste Amru über das ganze Gesicht.

»Ah, die kleine Kiri interessiert sich für Männer, wird auch Zeit, aus dem Kinderröckchen bist du ja inzwischen schon raus.«

Kiri war die Situation jetzt sehr peinlich.

Amru lächelte fast zärtlich. »Aber den schlag dir mal aus dem Kopf, Kiri«, sagte sie sanft und widmete sich wieder ihrem Topf.

Kiris Neugier aber war noch nicht befriedigt. »Warum?« Vielleicht würde Amru ja doch was verraten.

Amru ließ den Topf sinken und lehnte sich verschwörerisch zu Kiri herüber. »Den Burschen darfst du nicht mal gesehen haben, hörst du!«

»Was ist denn mit ihm?«, wagte Kiri noch zu fragen, bevor ihr selbst ein Gedanke kam, »er kommt nicht von dieser Plantage, oder?«

»Ja, eben.« Amru sprach noch leiser als zuvor. »Dany ist ein freier Sklave, ein Buschneger, ein Maroon! Die Weißen oder die Aufseher würden ihn erschießen, wenn sie herausbekämen, dass er sich ohne Erlaubnis nachts auf dem Plantagengrund aufgehalten hat.«

Ein Maroon? Kiri schossen Bilder von brennenden Hütten in den Kopf, und einen kurzen Moment meinte sie sogar, die Schreie der Dorfbewohner zu hören. Seit damals auf Heegenhut ... machten Maroons ihr Angst. Dann besann sie sich. Sie war nun weit, weit von dem Gebiet entfernt, wo die Maroons damals die Plantage überfallen hatten. Dieser Dany kam sicherlich aus einem friedliebenden Stamm.