Kapitel 10

Auf dem Oberdeck erging es Julie ganz ähnlich. Wims Worte hatten sie tief erschüttert, und auch wenn sie es sich nicht eingestehen wollte, dachte sie mehr darüber nach, als ihr lieb war. Wieder und wieder kam sie zu dem Schluss, dass er unrecht haben musste. Sie hatte Karl Leevken gewählt, die Verbindung hatte nichts mit ihrem Erbe zu tun. Vor ihr lag ein Leben, für das sie sich entschieden hatte, und sie mühte sich nach Kräften, sich Surinam in den hellsten Farben auszumalen. Natürlich hatte sie sich das Beisammensein mit Karl anders vorgestellt, aber auch er würde mit der Zeit lernen, behutsamer mit ihr umzugehen.

Karls und Julies Kabine war klein, aber komfortabel. Bereits wenige Stunden nach dem Ablegen im Hafen hatte Julie das Gefühl, darin keine Luft mehr zu bekommen. Karl hatte seine Jacke auf das Bett geschmissen und war dann irgendwo im Innern des Schiffes verschwunden. Julie wartete, aber als er nicht wiederkam und ihr die Enge des kleinen Raumes zunehmend die Luft nahm, schnappte sie sich ihren Umhang und suchte den Weg auf Deck.

Wenig später stand sie an der Reling und betrachtete die Landschaft um sie herum. Über etliche Meilen schob sich die Zeelust schon durch den Noordhollands Kanaal von Amsterdam über Alkmaar auf Den Helder zu. Mitten durch das Land, anstatt über die offene See. Karl hatte ihr auf der Fahrt zum Hafen erklärt, dass die große Zuiderzee, eine Bucht, die bis nach Amsterdam reichte, zu flach für die Durchfahrt wirklich großer, schwer beladener Schiffe war. Deshalb hatte man diesen Kanal gebaut, der Julie zuvor gänzlich unbekannt gewesen war. Es gäbe zwar noch einen Weg über Kanäle bis nach Rotterdam, hatte Karl gesagt, aber da die Schiffe auf diesem Weg von Pferden gezogen werden mussten, dauerte es deutlich länger und stand damit der Zeitersparnis durch den verkürzten Seeweg entgegen.

Rotterdam! Ja, sie konnte sich daran erinnern, wie sie als Kind den Pferden zugesehen hatte, als diese die großen Treidelboote über die Kanäle geschleppt hatten. Wie sie mit ihrer Mutter und ihrem Vater am Ufer gestanden hatte und ...

Jäh schüttelte Julie den Gedanken ab. Sie musste jetzt nach vorne schauen.

Zaghaft erkundete sie in den nächsten Tagen das Schiff von ihrer Kabine im oberen Deck aus. Die hohen Masten, die vielen Deckaufbauten und die Takelage schüchterten sie ein. Ständig schwirrten Matrosen auf dem Deck herum, schleppten Taue, werkelten an Aufbauten oder kletterten in die Segel. Und seltsamerweise konnte man sich auf dem Schiff, ebenso wie in der engen Kabine, auch kaum bewegen, jeder Meter schien einen besonderen Zweck zu erfüllen. Ein Matrose geleitete sie irgendwann, als sie den Arbeitern wieder in eine Ecke gezwängt Platz gemacht hatte, mitleidig ganz nach hinten einige Stufen hinauf auf den Aufbau des Decks. Hier war es ruhiger. »Dieser Bereich ist nur für die Passagiere, Mevrouw.« Kurz gönnte er sich einen sehnsüchtigen Blick auf die vorbeiziehende Landschaft. »Im Frühsommer ist das ein herrlicher Blick hier über die Tulpenfelder«, bemerkte er leise. Julie meinte, in seinen jugendlichen Augen nicht Reiselust, sondern Heimweh zu erkennen.

An Deck war es noch empfindlich kalt, weshalb vermutlich kaum andere Passagiere zu sehen waren. Was Julie nicht unrecht war, sie brauchte Zeit zum Nachdenken. Wims Worte gingen ihr nicht aus dem Kopf. Hatte Karl sie wirklich nur wegen ihres Geldes geheiratet? Sie mochte es nicht recht glauben. Er war doch so charmant zu ihr ... so ... Zumindest war er das in Amsterdam gewesen, zumindest wenn andere Menschen dabei waren. Jetzt, auf dem Schiff, begleitete Karl sie nur selten, geschweige denn, dass er lange Gespräche mit ihr führte, nach denen sie sich so sehnte. Eigentlich sah sie ihn nur zu den Mahlzeiten. Danach verschwand er fröhlich im Bauch des Schiffes, um des Nachts ziemlich betrunken wieder aufzutauchen.

»Mit Kartenspiel kann man sich die Zeit am besten vertreiben«, hatte er lachend gesagt, als Julie ihn einmal darauf ansprach. Hatte er in Amsterdam auch so viel getrunken? Seit ihrer Hochzeit sicher nicht. Aber vorher – was wusste sie schon über ihn?

Schließlich fuhr das Schiff zwischen der Nordspitze des Festlandes und der Insel Texel durch das Marsdiep, ein Seegatt mit stärkerer Gezeitenströmung. Die großen Segel wurden gehisst, was der Zeelust sofort zu flotterer Fahrt verhalf.

Julies Körper reagierte auf den zunehmenden Seegang auf offener See mit starker Übelkeit. Die nachfolgenden Tage litt sie sehr unter der Seekrankheit. So bekam sie auch nichts mit von der englischen Küstenlinie mit ihren berühmten Kreidefelsen, als die Zeelust den Ärmelkanal passierte. Karl sagte ihr zwar, die Übelkeit würde vorbeigehen, und die See würde sich auch beruhigen, sobald sie die Nordsee hinter sich gelassen hatten. Julie befürchtete allerdings, das nicht mehr zu erleben. Viel mehr sagte Karl im Übrigen nicht. Frustriert und allein lag Julie tagelang in der kleinen, muffigen Kabine, die Karl nur zum Schlafen betrat. Statt sich um Julie zu kümmern, verbrachte er alle Zeit mit anderen männlichen Passagieren bei Kartenspiel und Schnaps. Seine nächtlichen Alkoholfahnen trugen nicht gerade zu Julies Wohlbefinden bei. Seine Küsse, die ihr zum Jahreswechsel noch den Atem geraubt hatten, lösten jetzt eher Würgereiz in ihr aus. Trotzdem verzichtete Karl nicht auf den ehelichen Beischlaf. Julie wagte nicht, sich zu widersetzen.

Aber dann entfernte sich die Zeelust vom europäischen Festland auf den Atlantik, das Meer wurde ruhiger, und Julie fühlte sich endlich besser. Ihr Magen hatte sich beruhigt, und sie sehnte sich nach frischer Luft. Zum ersten Mal seit fast einer Woche machte sie sich auf, um ihren Lieblingsplatz an Deck wieder einzunehmen. Karl war wie gewohnt nicht zu sehen und hatte auch an diesem Morgen nicht nach ihrem Befinden gefragt.

Julie stand an die Reling geklammert und sog gierig die salzige Seeluft ein, als sie eine Stimme hinter sich fragen hörte: »Na, Mädchen, Ihre erste Schiffsreise?« Eine kleine, rundliche Frau schaute sie teils belustigt, teils mitleidig an.

Julie gab in der Tat ein erbärmliches Bild ab. Sie hatte in den letzten Tagen, wenn sie überhaupt etwas bei sich behalten konnte, nur von Wasser und Schiffszwieback gelebt. Sie war blass und hatte dunkle Ringe unter den Augen. Ihr Haar hatte sie nur notdürftig hochgesteckt.

»Das Schlimmste ist jetzt geschafft«, sagte die Frau fröhlich, während sie näher trat. »Wenn man erst mal den englischen Kanal hinter sich hat, wird es besser.« Aufmunternd lächelte sie Julie zu. Julie rang sich ebenfalls ein Lächeln ab. »Wilma Kooger heiße ich. Nennen Sie mich Wilma.« Die Dame hielt Julie die Hand hin. »Es freut mich, an Deck einen weiblichen Passagier gefunden zu haben. Nicht dass wir die einzigen Damen an Bord wären, aber soweit ich gehört habe, ergeht es den anderen schlimmer als Ihnen, sie sind immer noch unpässlich.«

»Juliette Vand ... Leevken, Verzeihung. Sagen Sie Juliette zu mir.«

Wilma nickte verständnisvoll. »Leevken, hm? Frisch verheiratet, Mädchen? Ja, ich habe damals auch lange gebraucht, um mich an meinen neuen Namen zu gewöhnen.« Sie trat zu Julie an die Reling. »Ihr Mann ist auch auf dem Schiff?« Die Frage war vermutlich freundlich gemeint. Welche junge Frau würde eine solche Reise allein antreten?

Julie nickte. »Ja.«

»Treibt sich bei den anderen Männern rum, was?« Julie zuckte die Achseln. Viele Alternativen gab es nicht. »Männer!« Wilma stieß ein verächtliches Prusten aus. »Mein Heinrich hat es damals nicht anders gehalten, auch wenn wir nur selten reisten. Aber wenn, dann habe ich ihn immer wochenlang nicht zu Gesicht bekommen.« Julie traute sich nicht zu fragen, aber Wilma schien ihren Blick zu verstehen. »Mein Heinrich starb vor acht Jahren. Ich komme gerade aus Groningen, habe dort meine Schwester besucht. Sie heiratete damals in die Niederlande, und jetzt geht’s ihr nicht gut.«

»Das tut mir leid.« Julie wusste nicht recht, was sie sagen sollte.

»Ach, Mädchen, alles halb so wild. Ich bin heilfroh, bald wieder daheim zu sein. In Europa herrscht ja immer so schreckliches Wetter. Kommen Sie, wir gehen ein Stück – es wird Ihnen guttun, sich an der Luft zu bewegen, und ich freue mich über Gesellschaft.« Mit diesen Worten wandte sich Wilma zum Gehen. Julie folgte ihr, auch sie war froh über die Abwechslung. Gemächlichen Schrittes umrundeten sie einmal das Oberdeck des Schiffes.

Wilma war Julie gleich sympathisch. Sie hatte etwas Resolutes, Mütterliches an sich, vor allem aber war sie mitteilungsfreudig! Endlich erfuhr Julie Details über die Schiffsreise und die Zerstreuungen, denen die Damen sich währenddessen widmeten. Bei gutem Wetter pflegten sie sich zum Beispiel zur Konversation und Handarbeit hier auf dem Oberdeck zu treffen. Julie würde also nicht während der gesamten Reise allein sein.

Wilma wusste zu berichten, dass im vorderen Bereich des Oberdecks sogar Tische und Stühle aufgestellt wurden. »Aber da die anderen Damen noch unpässlich sind, scheint der Kapitän das noch nicht veranlasst zu haben. Natürlich ist es hier nicht so luxuriös wie auf den großen Passagierschiffen, Surinam ist nun einmal kein begehrtes Ziel.« Wilma lachte kurz auf, während sie ihren Schritt verlangsamte und die schäumende Gischt hinter dem Schiff betrachtete. »Aber die Reisen sind bei Weitem schon angenehmer als früher. Da war man als Passagier ja nur unnützes Beiwerk zu den vielen Waren, die verschifft wurden.« Wilma orderte Tee bei dem Schiffsjunen, der nach ihren Wünschen fragte. »Und hol uns einen Tisch und zwei Stühle, das Wetter ist doch schön genug.« Die Luft war seit der Abfahrt bereits merklich wärmer geworden, und die Sonne ließ sich ab und an durch eine Wolkenlücke blicken.

»Nettes Bürschchen«, bemerkte Wilma, als der Junge sich eifrig daranmachte, den Damen ihren Wunsch zu erfüllen und eine Sitzgelegenheit herbeischaffte. »So, Juliette, Sie sind also frisch verheiratet? Wo haben Sie Ihren Mann denn kennengelernt?« Aus Wilmas Worten drang freundliche Neugier, während sie sich setzte.

Julie erzählte bereitwillig ihre Geschichte. Die Zweifel und den vermeintlichen Handel zwischen Karl und ihrem Onkel sie jedoch aus, auch wenn sie den Drang verspürte, sich darüber mit jemandem, zudem mit einer Frau, auszutauschen.

Wilma hob sichtlich erstaunt die Augenbrauen. »Na, da haben Sie aber nicht lange gefackelt!«

»Kennen Sie meinen Mann?«, fragte Julie etwas schüchtern. Wilma sollte nicht glauben, sie wolle sie aushorchen. Aber die Kolonie Surinam schien nicht allzu groß zu sein, möglicherweise kannte da jeder jeden.

»Leevken?« Wilma nickte. »Also kennen ist zu viel gesagt, aber gehört habe ich schon von ihm.«

»Und?«, fragte Julie. Sie wusste, dass es unerhört war, eine flüchtige und obendrein so neue Bekannte nach dem eigenen Gatten auszuhorchen. Aber die Neugier war stärker als die Vernunft. »Was sagt man über ihn?«

Wilma schien einen Moment zu überlegen. »Nun, er hat eine große Zuckerrohrplantage. Plantagenbesitzer sind Volk für sich, müssen Sie wissen. Aber machen Sie sich keine Sorgen, er ist durchaus ein ... ein angesehener Mann.«

Viel mehr war nicht aus Wilma herauszuholen, weder über Karl noch über Besonderheiten dieses Landes. Julie fühlte sich unangenehm an ihr Gespräch mit der Schneiderin erinnert. Auch die hatte sich vorsichtig ausgedrückt. Zu vorsichtig für Julies Geschmack.

Beschwingt durch ihre neue Bekanntschaft verging die Zeit nun etwas schneller für Julie. Sie waren jetzt seit vierzehn Tagen unterwegs. Insgesamt waren gut zwanzig Passagiere in den Kabinen auf dem Oberdeck untergebracht. Regelmäßig traf sie an Deck auf Wilma und auch bald auf die anderen mitreisenden Frauen. Dafür zeigten sich die Männer auffallend wenig an der frischen Luft. Die Frauen missbilligten dies, unternahmen aber nichts dagegen. Eher schienen sie froh, ihre Gatten beschäftigt zu wissen.

Julie versuchte, aus den Gesprächen möglichst viel über ihre neue Heimat herauszuhören, wobei manches in ihren Ohren sehr merkwürdig klang. So beschwerten sich die Frauen überwiegend über den Mangel an Dienstboten und über deren quemlichkeit in den Niederlanden.

»Ich bin froh, wenn ich wieder daheim bin.« Laura Freiken, Tochter eines hohen Offiziers in Surinam, legte ihre Stickerei beiseite. »Ich wollte ja meine Leibsklavin mitnehmen, aber mein Vater hat sich dagegen ausgesprochen. Das Klima wäre für sie zu widrig, und auch die Umstände mit der Kleidung und den Schuhen waren ihm zu groß.«

Julie dachte kurz an Aiku, der tapfer barfuß durch den Schnee gestapft war. Sie hatte ihn seit der Abfahrt nicht gesehen und hatte keine Ahnung, wo er untergebracht war.

»Ja«, pflichtete ihr eine andere Frau bei. »Ich habe meine Hena einmal mitgenommen, nach ein paar Tagen in Schuhen konnte sie nicht mehr laufen und kränkelte die ganze Zeit. Es ist in der Tat besser, darauf zu verzichten.«

»Aber tragen sie denn in Surinam gar keine Schuhe?« Julie sah die anderen Frauen verwundert an.

»Die Sklaven dürfen keine Schuhe tragen, Kindchen.« Wilma klärte sie mit leiser Stimme auf.

»Warum nicht?«

Wilma zuckte die Achseln. »Irgendwie muss man sie ja ... nun, sie müssen sich jederzeit ihrer Stellung bewusst bleiben.«

In der nächsten Stunde erfuhr Julie noch einiges mehr über ihre künftigen Dienstboten. Sklaven durften nicht nur keine Schuhe tragen, sie durften auch kein Niederländisch sprechen oder ihrem Herrn direkt ins Gesicht schauen.

»Er mag das einfach nicht«, war also eine eher untertriebene Umschreibung Karls gewesen, als Julie ihn auf Aikus schuhlose Füße angesprochen hatte.

Julie fiel es schwer, sich den Alltag mit derart geknechteten Dienstboten vorzustellen. Und endlich wurde ihr nun auch bewusst, was Aiku von Onkel Wilhelms Personal in Amsterdam unterschied: Der Schwarze war nicht nur dienlich, er war seinem Herrn absolut ergeben. Womöglich fürchtete er sich gar vor ihm. Alles in allem verwirrten manche Informationen über ihre neue Heimat Julie mehr, als sie ihr Klarheit verschafften.

Als das Wetter sich nochmals deutlich besserte, tauchten im vorderen Bereich des Decks Julie bisher unbekannte Passagiere auf. Sie hatte angenommen, dieser Bereich wäre den Matrosen vorbehalten. Nach Schiffspersonal sahen diese Menschen aber nicht aus.

»Was sind das für Leute, Wilma, und warum kommen sie erst jetzt an Deck?« Julie scheute sich inzwischen nicht mehr, Fragen zu stellen.

»Ach, Glücksritter und Glaubensbrüder ... die Kapitäne versuchen, sie unter Deck zu halten, solange es geht, damit es keine Unruhen gibt. Zudem ist der Anblick für die anderen Passagiere ...«, Wilma deutete mit dem Kopf in den Bereich, wo sich die Passagiere des Oberdecks gewöhnlich aufhielten, »... oft nicht sonderlich erbaulich.« Julie runzelte die Stirn. Wilma erklärte bereitwillig weiter. »Seit an einigen Flüssen Gold gefunden wurde, treibt es immer mehr seltsame Menschen in das Land. Und angeblich werden neuen Siedlern nun auch einige Bereiche im Landesinneren zur Verfügung gestellt. Unter ihnen sind viele Deutsche, so sagt man, da es dort gute Holzgründe gibt und sich diese Leute auf Rodungen und Tischlerei verstehen.«

Wilma wirkte nachdenklich. »Ich halte das für keine gute Idee, die meisten Einwanderer kommen mit dem Klima nicht so gut klar.«

»Aber Karl sagte, das Wetter in Surinam sei ganz angenehm.« Julie hoffte, dass jetzt nicht weitere ihrer Illusionen zerstört wurden.

Wilma lachte kurz auf. »Nun, das kann man so oder so sehen. Es ist natürlich das ganze Jahr angenehm warm, selbst in der Regenzeit muss man nicht frieren. Aber es ist schwül, nicht zu vergleichen mit europäischer Sommerhitze.« Wilma richtete ihren Blick gen Horizont. »Und leider bringt dieses Klima Krankheiten mit sich, die ebenfalls mit keinem europäischen Übel vergleichbar sind. Am schlimmsten ist das Fieber.«

»Fieber?«

»Es gibt unterschiedliche Arten von Fieber, manche quälen den Kranken nur, andere können ihn umbringen.« Wilma deutete auf einige schlicht gekleidete Menschen auf dem Vorderdeck, die sich gerade zu einer Art Andacht versammelten. »Es gibt gottlob eine kleine Brüdergemeine der Herrnhuter in Surinam, die Mitglieder dort kümmern sich um die Sklaven und auch um die Kranken.«

Julie schaute zu der kleinen Gruppe hinunter. Unter ihnen waren auch einige Frauen, die nun mit gesenkten Häuptern andächtig der Stimme eines Mannes lauschten, der aus einem Buch, vermutlich der Bibel, vorlas. In einer anderen Ecke hingegen, zwischen Tauen und allerlei Schiffszubehör, saßen einige Männer in zerschlissenen Kleidern, die rauchten und Karten spielten. Julie brachte die Beobachtung dieser Passagiere auf eine andere Frage, die sie schon seit Tagen beschäftigte. »Wo ist denn wohl unser Sklave untergebracht, Wilma?«

Wilma schürzte die Lippen. »Sklave? Dem wird’s schon gut gehen. Vielleicht fragen Sie besser Ihren Mann, Juliette.« Mehr war aus Wilma nicht herauszuholen, sie wechselte jetzt auch das Thema. Julie war wieder einmal verwundert. Kaum stellte sie eine etwas unbequemere Frage, wurde sie vertröstet, sie solle sich keine Sorgen machen oder ihren Ehemann fragen. Insgeheim dünkte ihr, dass dieses Land nicht so wunderherrlich wild-romantisch war, wie sie es sich ausgemalt hatte. Auch schien die Sklavenhaltung mit vielen zumindest kritischen Fragen belegt.

Julie ließ der Gedanke an Aiku nicht los. Er hatte in den Niederlanden schließlich auch ihr gedient. Sie hatte die Angst vor diesem Mann schnell verloren und war von seiner Gutmütigkeit überzeugt. Dass sie ihn jetzt nicht auf dem Deck sah, bereitete ihr Sorge.

Am Abend stellte sie Karl zur Rede, gerade als er zu seinem Kartenspiel aufbrechen wollte. »Wo ist eigentlich Aiku? Ich habe ihn seit unserer Abfahrt nicht gesehen.«

Karl machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ach, der bleibt unter Deck. Das ist Vorschrift, Sklaven müssen während der Überfahrt sicher verwahrt werden.«

»Sicher verwahrt? Was heißt das? Sperren sie ihn ein?«

Karl schüttelte den Kopf. »Das brauchst du nicht zu wissen«, beschied er sie kurz. »Und jetzt lass mich in Ruhe, ich bin verabredet.«

Karl verließ die Kabine und ließ Julie unzufrieden und zornig zurück. Sie war nicht bereit, sich mit dieser Antwort abzufinden.