Kapitel 11

Kiris Füße schmerzten. In den letzten Tagen war sie so viel hin und her gelaufen, wie noch nie in ihrem Leben. Jedesmal, wenn die Misi sie gerade freigestellt hatte, tauchte Amru auf und scheuchte sie mit einem neuen Auftrag davon. Erschöpft wanderte sie jetzt zum Sklavendorf. Die Trauung war beendet. Die Bedienung der Gäste oblag den Hausmädchen und Ivons Personal. Mit den schick livrierten Dienstboten konnten die Hausmädchen auf Rozenburg sowieso nicht mithalten und beschränkten sich daher darauf, die Tabletts mit Getränken und Speisen aus der Küche bis zum Garten zu tragen, wo die geschulten Diener diese entgegennahmen und gekonnt servierten. Kiri kam das alles etwas hochgestochen und pompös vor, aber sie hatte die Misi Martina noch nie so glücklich gesehen wie an diesem Tag, und auch Misi Juliette machte einen sehr zufriedenen Eindruck. Als nun der gesellige Teil des Abends begann, hatte sie Kiri fortgeschickt. »Ruh dich aus, die nächsten Tage werden nicht ruhiger«, hatte sie gesagt.

Nach Ausruhen war Kiri trotz ihrer schmerzenden Füße aber nicht zumute. Zu Ehren des Brautpaares hatte der Masra den Sklaven eine großzügige Extraration ausgegeben, und seit den Mittagsstunden bereiteten die Frauen über großen Feuern ein Festmahl zu. Kiri schätzte, dass dieses ohne das Zutun der Misi Juliette nicht so opulent ausgefallen wäre. Die Misi hatte den Masra nachdrücklich gebeten, die Sklaven bei den Feierlichkeiten entsprechend zu bedenken.

Und bei dem heutigen Fest würden die Sklaven unter sich sein, denn die Aufseher hatten ebenfalls ein kleines Fass Dram bekommen und sich mit Speisen aus der Küche versorgen dürfen. Die meisten von ihnen lagen vermutlich schon im Delirium, verbot es ihre Tätigkeit doch sonst, dem Alkohol zu sehr zuzusprechen. Darauf achtete der Masra sehr.

Je näher sie dem Dorf kam, desto intensiver stieg ihr der Duft von gebratenem Fleisch in die Nase. Ihr Magen meldete sich mit einem lauten Knurren. Seit dem Morgen hatte sie nichts mehr gegessen.

Am hintersten Ende des Dorfes hatten sich schon viele Sklaven versammelt. Es wurde gelacht, und einige Männer bauten gerade die Trommeln auf. Kiri hoffte, dass sie weit genug von der Plantage und der Gartenanlage entfernt waren, um die weißen Gäste nicht durch die Trommelmusik und die Feier der Sklaven zu stören. Aber der Tanz war ja genehmigt. Kiri war voller Vorfreude – bisher hatte sie nur Veranstaltungen miterlebt, die tief in der Nacht und in aller Heimlichkeit irgendwo im Wald oder zwischen den Zuckerrohrfeldern stattgefunden hatten.

Dankbar nahm sie das Essen an, welches die Frauen verteilten, und setzte sich bequem etwas abseits an die Wand einer Hütte. Inzwischen war es dunkel geworden, nur der Schein des Feuers erhellte die Umgebung. Die Tänzer, die sich nach und nach am Feuer einfanden, warfen lange, gespenstische Schatten, und die Musik lullte Kiri ein. Dies war ein Fest, keine Beschwörung, daher war die Stimmung ausgelassen. Man saß zusammen, scherzte und lachte.

Kiri lehnte sich satt und zufrieden an die kühle Wand der Hütte und schloss die Augen. Kurz fühlte sie sich an ihre alte Plantage erinnert und an Tante Grena. Dort hatte es auch solche Feste gegeben und Kiri hatte als kleines Kind fasziniert auf dem Boden gehockt und die züngelnden Flammen des Lagerfeuers beobachtet, während die Sklaven es im Tanz umkreist hatten.

»He! Schläfst du etwa?«

Kiri schreckte hoch. Vor ihr stand Dany – groß und glänzend vor Schweiß. Er packte sie entschlossen bei der Hand und zog sie auf die Füße. »Komm, tanzen!«

Ehe Kiri etwas erwidern konnte, zog er sie bereits zum Feuer. Ohne dass sie Einfluss darauf nehmen konnte, begannen ihre Füße, sich im Takt der Trommeln zu bewegen. Ein Vibrieren wanderte durch ihre Beine und erfasste ihren ganzen Körper. Mit einem Schlag war sie hellwach und konnte dem Drang nicht widerstehen, sich der Musik hinzugeben. Schneller und immer schneller tanzte sie mit den anderen um das Feuer. Sie schloss sich den Frauen im inneren Kreis an, außen herum wirbelten die Männer. Und bei jeder Runde blieb ihr Blick einen kurzen Moment an Danys dunklen Augen hängen. Die Musik wurde immer intensiver und der Gesang der Umstehenden lauter.

Kiri ließ sich wie in Trance von den anderen Tänzern mitziehen. Irgendwann, sie wusste nicht, wie lange sie getanzt hatte, wurde sie von einer starken Hand am Arm gepackt und aus dem Strudel der Musik und der anderen Tänzer gezogen. Schwindelig suchte sie Halt und fand sich dicht an Danys Seite wieder. Er führte sie ein Stück vom Feuer weg, zwischen ein paar Hütten. Ohne ein Wort zu sagen, nahm er ihr Gesicht in seine großen Hände und umschloss ihren Mund zu einem Kuss. Kurz meinte Kiri, ihre Beine würden nachgeben, dann erfasste eine zittrige Erregung ihren Körper. So nah war sie einem Mann noch nie gewesen. Dany strich ihr über die Schultern und den Rücken, und während er sie mit der einen Hand noch dichter an sich zog, suchte die andere den Weg zu ihren Brüsten. Sein Kuss wurde zu einem zärtlichen Drängen, und Kiri kam nicht umhin, dass ihr Körper anfing, sich an den seinen zu schmiegen.

»Nicht hier ... lass uns ... die anderen«, stammelte sie dennoch.

Er schob sie sanft weiter in die Dunkelheit zwischen den Hütten, dorthin, wo hohe Büsche angrenzten. Als er sie sanft auf den Boden legte, fand sie sich auf einem weichen Lager aus duftendem Grün. Über ihr breitete sich der schwarze Nachthimmel mit einzelnen funkelnden Sternen aus, und der entfernte Feuerschein tauchte sie in ein warmes rotes Licht. Kiri schloss die Augen und gab sich ganz Danys zärtlichen Berührungen hin. Sie hatte versucht, es zu verdrängen, aber seit dem ersten Tag, an dem sie ihn am Feuer gesehen hatte, sehnte sich ihr Körper nach dem seinen.

Später lagen sie entspannt nebeneinander. Das Feuer war inzwischen heruntergebrannt, und bis zu ihrem grünen Lager drang nur noch leises Gemurmel. Dany spielte mit ihren Haaren.

»Hast du mal überlegt fortzugehen?«

Fast hätte Kiri gelacht. »Fort? Wohin? Damit sie mich gleich wieder einfangen? Ich bin eine Sklavin.«

»Ja, aber es gibt doch Orte, wo man auch als ... na ja, wo man nicht gefunden wird.«

»Ach«, Kiri machte eine abwehrende Handbewegung, »das erzählt man sich doch nur. Bisher sind alle Sklaven, die versucht haben fortzulaufen, ich meine die, die ich kenne, von den Aufsehern wieder eingefangen worden. Die hetzen ihre Hunde hinterher und sind auf Pferden viel schneller. Und ...«

»Und?«

Kiri senkte etwas den Blick. »Ich habe es doch gut bei der Misi, ich kann nicht klagen. Ohne mich ...«

»Du meinst, sie käme nicht ohne dich aus.« Er lachte verächtlich. »Kiri, so eine Misi kann sich an jeder Ecke eine neue Sklavin kaufen, nach einigen Wochen würde sie sich nicht mal an deinen Namen erinnern.«

»Nein, Misi Juliette ist nicht so. Als sie mich ... als der Masra mich gekauft hat, war sie neu in diesem Land. Ich glaube, sie war froh, mich dann zu haben.«

»Pah!« Dany richtete sich auf die Ellenbogen auf. »Mal ehrlich, du könntest mit mir gehen, ich würde dafür sorgen, dass du hier wegkommst und ... heute würde das auch gar nicht auffallen. Wir nehmen mein Boot, und bis jemand merkt, dass du weg bist ...«

»Nein!«, sagte Kiri forsch, setzte sich auf und zog ihr Tuch wieder über ihren Körper. Sie fröstelte plötzlich. Das, was sie eben noch in Danys Armen erlebt hatte, war absolut einmalig. Aber sich jetzt gleich entscheiden zu müssen, gar mit ihm zu gehen, das kam für sie nicht in Frage.

Er machte eine ehrlich überraschtes Gesicht. »Du willst wirklich nicht? Ich dachte ... jeder Sklave träumt davon ...«

Jetzt hatte sie fast Mitleid mit ihm. Er schien sie ja wirklich zu mögen, wenn er ihr gleich anbot, ihr bei der Flucht zu helfen. Entschuldigend reichte sie ihm die Hand und strich sanft über seinen Handrücken. »Dany, ich kann das nicht so einfach, ich werde hier gebraucht.«

»Aber du denkst drüber nach, ja? Als ... als meine Frau würde es dir bei den Freien an nichts mangeln, das verspreche ich dir.«

Als seine Frau? Kiri war das jetzt wirklich zu viel, sie hatte gerade das erste Mal einem Mann beigelegen, und jetzt wollte der sie gleich ...

»Ich werde es mir überlegen.« Mit diesen Worten zog sie Dany auf die Füße und wieder in Richtung Feuer.