Kapitel 12

Amru sprach kein Wort mehr. Kiri machte sich ernsthaft Sorgen um die Haussklavin. Seit ihr Mann gestorben war, gefoltert am Baum, auf Anweisung von Masra Pieter, verrichtete sie ihre Arbeit nur noch gleichmütig, sprach mit niemandem ein Wort und ignorierte die weißen Herrschaften. Kiri hoffte, dass sich Amru nicht noch den Unmut von Masra Pieter zuzog. Auch die Kinder litten darunter. Masra Henry und Masra Martin sahen in Amru wohl so etwas wie eine Großmutter, die immer ein nettes Wort für sie hatte oder ihnen die Münder oder Finger abwischte. Seit Jenk nicht mehr lebte, ging Amru an den Kindern vorbei, als wären sie unsichtbar. Masra Henry begann des Öfteren zu weinen, wenn er seine Ärmchen nach Amru ausstreckte, sie aber an ihm vorbeiging, ohne ihn eines Blickes zu würdigen.

Auch das Verhältnis zwischen Masra Pieter und Misi Martina hatte gelitten. Sie stritten kurz nach dem Vorfall noch einmal lautstark, seitdem schwiegen sie sich an. Misi Martina verkroch sich mit dem kleinen Masra Martin meistens in ihren Zimmern und kam nur hervor, wenn Masra Pieter auf den Feldern oder in seinen Räumen im Gästehaus war. Die Stimmung auf der Plantage war sehr bedrückend.

Dann wurde Misi Martina krank. Fieber! Kiri und Liv gaben sich alle Mühe, es ihrer Misi so bequem wie möglich zu machen. Alle paar Stunden erneuerten sie die kalten Wickel und versuchten, die Luft im Zimmer der Misi so kühl wie möglich zu halten. Als Masra Pieter davon erfuhr, war er sehr ungehalten. Er kam in das Zimmer seiner Frau und schimpfte: »Bist du jetzt schon genauso verweichlicht wie das Negerpack?« Die Misi brach in Tränen aus. Dann schnauzte er Kiri und Liv an, die neben dem Bett gewacht hatten: »Sitzt da nicht so dumm rum, bewegt euch, habt ihr nichts anderes zu schaffen?«

Betroffen verließen sie sofort den Raum. Erst als Masra Pieter aus dem Haus war, trauten sie sich wieder in das Zimmer der Misi. Diese lag verweint in ihrem Bett.

»Liv, Kiri, kommt her.« Verwundert hockten die beiden sich neben das Bett. »Hört mir jetzt gut zu«, sagte Misi Martina leise. »Wir müssen fort von hier, in die Stadt, am besten noch heute Nacht. Pieter ... ich weiß nicht, was in ihn gefahren ist«, schluchzte sie, »aber ich habe große Angst vor ihm. Auch Henry ist hier nicht mehr sicher. Wir müssen mit den Kindern hier weg! Zu Juliette.«

»Aber Misi, wie sollen wir denn hier wegkommen?« Liv sah ihre Herrin verwundert an.

Kiri hingegen dachte bereits fieberhaft nach. Nichts war ihr lieber, als die Plantage zu verlassen, sie hatte viele Male über die verschiedenen Möglichkeiten nachgedacht. Von der Plantage konnte kein Sklave entkommen. Das würden Masra Pieter oder die Basyas vermutlich schneller bemerken als das Verschwinden der eigenen Frau oder Kinder. Wenn allerdings ...

Kiri hatte eine Idee. Am Nachmittag wurden die Buschneger erwartet. Wenn Dany dabei war, und Kiri war sich fast sicher, dass er kommen würde, dann könnte er vielleicht helfen.

Kiri erhob sich und drücke Liv die frischen Lappen in die Hand, die sie für Misi Martina geholt hatte.

Sie blickte die Hausherrin ernst an. »Misi Martina, ich werde sehen, was ich machen kann. Keine Sorge, wir werden heute Nacht die Plantage verlassen. Liv, pack ein paar Sachen zusammen und beschäftige Masra Henry und Masra Martin nachher so, dass sie heute Abend müde sind. Ich habe etwas zu erledigen.« Mit diesen Worten huschte sie aus dem Raum.

Als Erstes lief sie zu Amru. Sie zog die Haussklavin beiseite und schilderte ihr, was die Misi gesagt hatte und was sie vorhatte. Amru nickte, schwieg aber. »Kannst du heute Abend dafür sorgen, dass der Masra gut schläft?«, bat Kiri.

Amru legte ihr die Hand auf die Schulter und nickte noch einmal zur Bestätigung. Kiri atmete auf, Amrus Hilfe war ihr gewiss, sie würde ihre Aufgabe gut machen. Die Haussklavin kannte so einige Mittelchen gegen kleine Leiden, unter anderem ein hervorragendes Schlafmittel. Kiri hoffte nur, dass Amru es dem Masra irgendwie unterschieben konnte.

Dann rannte Kiri zum Fluss. Sie musste nicht lange warten, bis das Boot der Buschneger in der Ferne auftauchte. Als die Männer angelandet waren und sich die Frauen aus dem Dorf um das Boot sammelten, zog Kiri Dany vom Fluss weg in ein ruhiges Gebüsch. Flüsternd erklärte sie ihm, was auf der Plantage vorging.

»Würdest du das tun? Ich meine, könntest du uns bis in die Stadt bringen? Hilfst du uns?«

Dany lächelte nur und nahm Kiris Gesicht in seine großen starken Hände. »Natürlich, Kiri. Allerdings habe ich keinen Passierschein. Aber wenn deine Misi dabei ist, dürfte das kein Problem sein. Seid um kurz nach Mitternacht am Fluss, ich werde dort sein!«

Kiri fiel ein Stein vom Herzen.

Das Warten zehrte an den Nerven der Frauen. Liv legte Misi Martina fast halbstündlich neue Wickel an, um das Fieber so gut es ging zu senken. Die Fahrt war schon gefährlich genug, sich auch noch mit einer Kranken an Bord zu begeben, war ein hohes Risiko. Aber Misi Martina war fest entschlossen – sie wollte die Plantage verlassen, koste es, was es wolle.

Kurz nach Mitternacht hoben Liv und Kiri die beiden Kinder aus ihren Bettchen. Masra Martin und Masra Henry schlummerten friedlich weiter. Kurz überlegte Kiri, ob Amru den Kindern gar auch in den Schlaf geholfen hatte?

Amru half Misi Martina auf die Füße. Die Frau war sehr schwach und konnte nur langsam laufen. Alle erstarrten vor Schreck, als Misi Martina versehentlich an einen Stuhl stieß, der mit lautem Poltern umfiel. Amru winkte aber nur zur Eile und deutete in Richtung des Gästehauses. Masra Pieter war also am Abend gar nicht ins Haupthaus zurückgekehrt. Das beruhigte Kiri nicht wirklich. Ihr Herz klopfte bis zum Hals, während die kleine Karawane zum Fluss lief. Eine Schrecksekunde lang dachte sie schon, Dany hätte sie im Stich gelassen. Dann aber schob sich das Boot aus der Deckung einiger überhängender Äste. Dany nahm Liv und Kiri die Kinder ab, legte sie zwischen die Sitzbänke, half dann Misi Martina in das Boot und zu guter Letzt Liv und Kiri.

»Wir müssen nur sehen, dass wir in die Stadt zu Misi Juliette kommen, bevor Masra Pieter uns erwischt. Misi Juliette wird uns helfen können«, flüsterte Kiri. Er nickte und stieß das Boot vom Ufer ab. Ob sie allerdings wirklich in Sicherheit waren, wenn sie die Stadt erreichten, oder ob sie damit den Zorn des Masra nur noch mehr schürten, das wußte Kiri nicht.