Kapitel 14

Julie wusste nicht, wie es nach Karls Tod mit der Plantage weitergehen würde. Die Zeit aber drängte, allmählich musste eine Entscheidung getroffen werden. Pieter hatte natürlich sofort die Leitung übernommen, aber Julie hatte keine Ahnung, wie die Geschäfte liefen. Martina trauerte noch um ihren Vater.

Julie verbrachte die ersten Wochen nach Karls Tod wie in einem schlechten Traum. Ständig stand sie in der Angst, dass herauskommen würde, was passiert war. Doch Jenk und Kiri schwiegen beharrlich, Julie war sich immer noch nicht sicher, ob sie wussten, was wirklich geschehen war.

Jenk erklärte Kiris Verletzung im Allgemeinen mit einem Unfall am Brunnen. Eine der Ketten habe sich gelöst, sei hochgeschnellt und ihr ins Gesicht geschlagen.

Seine eigenen Striemen kümmerten niemanden, fast jeder Sklave trug Striemen auf dem Rücken.

Pieter interessierte sich nicht dafür, was mit Julies Leibsklavin passiert war. Nur Martina fragte Julie einmal danach. Nachdem sie sich von ihrem ersten Schrecken erholt hatte, erzählte sie die Geschichte mit dem Brunnen.

»Wie schrecklich! Wird sie wieder gesund? Ach, was für eine schlimme Zeit!« Martina schien keinen Verdacht zu schöpfen, dass es einen Zusammenhang zum Tode ihres Vaters geben könnte.

Julie kam gerade von einem Besuch bei Kiri aus dem Sklavendorf. Es war ein verhältnismäßig kühler Tag Anfang Mai. Nichts deutete darauf hin, welch Unbill dieser Tag noch bringen sollte.

Auf der Veranda traf sie auf Pieter, der, lässig die Füße auf einen Stuhl gelegt, dasaß und sie mit einem abfälligen Lächeln empfing.

»Na, warst du wieder bei deinen Negerfreunden? Wie du vermutlich gesehen hast, sind die Männer alle wohlauf. Somit war der Versuch erfolgreich.«

Die entlaufenen Sklaven waren allesamt wieder zurückgekehrt. Im Durcheinander nach Karls »Unfall« war ihre Abwesenheit niemandem aufgefallen. Die Männer waren tatsächlich alle wieder genesen, nur ein weiterer Sklave war nach Pieters Behandlung gestorben.

»Erfolgreich?« Julie ballte zornig die Fäuste. »Zwei Männer sind tot!«

»Zwei von sechzehn«, verbesserte Pieter sie. Julie hatte keine Lust, mit Pieter über Sinn und Unsinn seiner Versuche zu diskutieren. Als sie an ihm vorbei ins Haus gehen wollte, stoppte er sie mit einer Handbewegung. »Wir sollten uns unterhalten.«

Julie schwante nichts Gutes, sie blieb auf der Verandatreppe stehen.

»Was willst du?«, fragte sie kalt.

»Ich werde die Leitung der Plantage nun offiziell übernehmen.«

Julie hatte damit gerechnet, dieses Gespräch mit Pieter führen zu müssen, sie hatte ihre Argumente gut durchdacht. Nun versuchte sie, ruhig und besonnen zu bleiben, obwohl sie innerlich sofort aufgewühlt war.

»Ich glaube, darüber hast nicht du zu entscheiden, Pieter. Als männlicher Nachkomme steht Henry die Plantage zu, und ich als seine Mutter ...«

Pieter lachte leise und schrill auf, dann erhob er sich von seinem Stuhl und trat nahe an Julie heran. Seine Augen fixierten sie drohend.

»Du und dein Bastardkind, ihr habt hier gar nichts zu wollen!«

»Henry ...«

»Ach, hör doch auf! Dass Karl so dumm war und sich dieses Kuckuckskind hat unterschieben lassen, das begreife ich bis heute nicht. Juliette, ich bin Arzt. Karl konnte schon lange keine Kinder mehr zeugen ... sonst hätte seine schwarze Hure in der Stadt wohl noch mehr Bälger in die Welt gesetzt. Und du ja vielleicht auch eher ... Nein! Das Balg ist sicher nicht von Karl.«

Julie wurden die Knie weich. Schwankend musste sie sich am Geländer der Veranda festhalten.

»Karl hat Henry aber als seinen Sohn anerkannt, in den Papieren steht ...«

Pieter winkte ab.

»Und? Was willst du schon machen? Die Plantage führen, bis das Balg groß genug ist dafür? Nein, ich werde dafür sorgen, dass mir die Leitung der Plantage übertragen wird.«

»Damit kommst du nicht durch, Pieter!« Julie funkelte ihn wütend an.

»O doch, das werde ich, liebe Schwiegermutter, und du wirst nichts dagegen unternehmen. Wäre doch schade, wenn dein Kind seine Mutter hinter Gittern aufwachsen sehen müsste. Karls ›Unfall‹ ... du verstehst?«

Julie merkte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich. Er wusste alles! Er hatte sie in der Hand. Sie schob sich an ihm vorbei und stürzte ins Haus.

Weniger als einmal eine Woche später saßen Julie, Martina und Pieter vor dem breiten Holzschreibtisch des Richters. Julie war so aufgeregt, dass sie sich nicht einmal den Namen des Mannes gemerkt hatte.

Fieberhaft überlegte sie bis zur letzten Minute, wie sie das, was jetzt passieren würde, noch abwenden konnte. Ihr fiel aber nichts ein. Wenn Pieter redete ...

Der Richter schaute über den Rand seiner Brille, die auf der Spitze seiner Adlernase saß, in die Papiere, blätterte ein paar Seiten durch und wandte sich dann gleich mit zufriedenem Gesicht an Pieter. »So weit wäre alles geregelt.«

Der Richter warf Julie einen verständnisvollen Blick zu, wobei er die Hände wie zum Gebet faltete und die Ellenbogen auf dem Tisch abstützte. »Mevrouw Leevken, ich möchte Ihnen noch einmal mein herzlichstes Beileid aussprechen. Sie haben sicherlich viele Fragen. Ich freue mich, dass Ihr Schwiegersohn sich bereit erklärt hat, sich um alle Belange der Familie zu kümmern. Natürlich steht Ihnen eine Witwenrente zu. Und Ihr Schwiegersohn«, er deutete mit einem gefälligen Kopfnicken zu Pieter, »wird Sie ja weiterhin auf Ihrer Plantage versorgen. Ich weiß, wie schwer es für Sie als Frau ist ... und dazu noch in so jungen Jahren, den Mann verloren zu haben. Aber machen Sie sich keine Sorgen.«

»Juliette, Pieter macht das schon.« Martina tupfte sich zum wiederholten Male mit einem Taschentuch die Tränen von der Wange und tätschelte Julies Arm.

Der Richter fuhr fort: »Um über die Konten verfügen zu können, bedarf es dann noch der Anerkennung Ihrer Vormundschaft für Henry Leevken.« Er schob Pieter ein weiteres Papier zu und reichte ihm einen Stift. »Alles Weitere müssen Sie dann allerdings mit der Bank besprechen.«

Julie schrak hoch. »Vormundschaft?«

Der Richter blickte sie milde an. »Mevrouw Leevken, um das Erbe Ihres Sohnes vollständig zu verwalten, muss Ihr Schwiegersohn die Vormundschaft bekommen. Nur so kann er die Plantage und die Geschäfte im Sinne Ihres Sohnes fortführen. Er hatte das doch mit Ihnen besprochen.«

Pieter streifte Julie mit einem harten Blick.

»Natürlich, ja ...« Julie senkte den Kopf.

Sie hatte keine Chance. Hilflos sah sie zu, wie Pieter seine Unterschrift auf das Papier setzte.

In den folgenden Tagen bewahrheiteten sich Julies schlimmste Befürchtungen. Seit Pieter die Leitung der Plantage übernommen hatte, fühlte sie sich endgültig entmündigt. Karl hatte ihr wenigstens einen gewissen Freiraum gelassen, Pieter aber untersagte ihr jegliche Einmischung, was die Plantage oder die Sklaven betraf. Julie musste hilflos mit ansehen, wie er sofort die Rationen auf ein Minimum kürzte und auch die restliche Unterstützung, die den Sklaven eigentlich zustand, strich.

»Die besorgen sich doch eh alles von den Buschnegern. Was soll ich da noch in Stoff, Kleidung oder Hängematten investieren?«, argumentierte er.

Nur was Kiri anbelangte, ließ er Julie gewähren, Kiri war schließlich ihre Leibsklavin. So konnte Julie wenigstens dafür sorgen, dass Kiri umfangreichere Rationen bekam als die Arbeitssklaven. Gerade jetzt, da Kiri schwanger war.

Auch Amru war unzufrieden. Pieter hatte angewiesen, die Mahlzeiten im Plantagenhaus nicht mehr so opulent zu gestalten. Er überprüfte akribisch die Vorratsräume, wie er eigentlich alles und jeden auf der Plantage kontrollierte.

Julie hätte dies nie zugelassen, aber ihr waren die Hände gebunden. Pieter hatte ihr unmissverständlich klargemacht, dass er nicht zögern würde, sie an den Pranger zu stellen, wenn sie es wagte, ihm in die Quere zu kommen.

Schon nach drei Wochen hatte Julie das Gefühl, Pieter nehme ihr den letzten Rest Luft zum Atmen.

Martina war ihr auch keine große Hilfe. Sie vergötterte Pieter nach wie vor und zeigte nur Unverständnis darüber, dass Julie Pieter anscheinend nicht ausstehen konnte.

»Er versucht doch nur, die Plantage zu erhalten, Juliette.«

»Und wie? Indem er die Sklaven hungern lässt, Martina? Das bringt doch auch nichts.«

»Ach, Juliette, kannst du ihm nicht einfach mal vertrauen?«

Am liebsten hätte Julie Martina ein paar Takte zum Thema Vertrauen in ihren Mann erzählt. Aber sie sagte nichts. Sie musste auch an Henry denken.

Julie konnte dieses Dasein nicht ertragen, sie musste hier raus. Wenn sie in die Stadt reiste, könnte sie vielleicht etwas über Jeans Verbleib herausfinden. Sie hatte sich das Hirn zermartert, aber keinen Ansatzpunkt für seinen Verbleib gefunden. Vielleicht wusste Valerie Fiamond etwas. Sie lebte schließlich in der Stadt und kannte viel mehr Leute als Julie, vielleicht würde Julie mit ihrer Hilfe etwas über Jean herausfinden. Sie musste wissen, wo er war. Jetzt, wo Karl nicht mehr war ... vielleicht könnten sie ... Jean wüsste bestimmt auch für das Problem mit Pieter eine Lösung, vielleicht würde sie es mit seiner Hilfe ja sogar schaffen, Pieter von der Plantage zu verdrängen. Auch wenn das beinhaltete, dass sie ihm erzählte, womit Pieter sie in der Hand hatte. Alles war besser als dies hier. Im Moment war es jedenfalls nur eine Frage der Zeit, bis Rozenburg in den Ruin steuerte. Da war sich Julie sicher.

Wenige Tage später beim Mittagessen fasste Julie all ihren Mut zusammen. »Pieter? Wie wäre es, wenn ich in das Stadthaus zöge? Ich meine ... wenn ihr in der Stadt seid, wohnt ihr ja meistens bei den Fiamonds. Das Stadthaus steht ungenutzt da, ich könnte also ...«

»Du willst fort?« Martina sah sie verblüfft an.

»Ich würde gerne einige Zeit in die Stadt ziehen. Ja.«

Pieter legte die Stirn in Falten und warf ihr einen argwöhnischen Blick zu. Dann zuckte er mit den Achseln. »Wenn du meinst.«

Julie wunderte sich über das schnelle Einlenken, war aber erleichtert. »Gut, dann werden wir in einigen Tagen abreisen.«

»Wir?«, jetzt lachte er höhnisch auf.

»Henry, Kiri und ich ...«

»Juliette, hast du vergessen, dass ich die Vormundschaft für dein Kind habe?«

»Nein. Aber ...«

»Nichts da, Henry bleibt auf Rozenburg.«

»Du willst mir doch jetzt nicht mein Kind wegnehmen?«

»Du kannst auch gern hierbleiben, wenn dir das nicht passt.«

Da war er wieder – dieser Blick.

Julie zuckte zusammen.

In den folgenden Stunden überlegte sie fieberhaft, was sie tun sollte. Hier auf der Plantage würde sich nichts ändern, sie musste Jean finden. Und von der Plantage aus würde sie nie erfahren, wo er sich aufhielt. Aber konnte sie Henry allein lassen? Der Kleine war erst fünf Monate alt.

Pieter würde dem Kind nichts tun, Henry war der rechtmäßige Erbe auf Rozenburg. Und Martina war ja auch noch da. Auch wenn ihr Verhältnis angespannt war, um Henry sorgte sich Martina, nach ihrem anfänglichen Zögern, inzwischen wie um ihr eigenes Kind. Amru konnte sich auch kümmern. Sie würde ja nicht lange fort sein, vielleicht einige Wochen. Und sie konnte jederzeit zurück auf die Plantage kommen. Die Sehnsucht nach Jean überwog. Er würde wissen, was zu tun war, und er würde ihr helfen, die Plantage vor Pieter zu retten.

Julie rief nach Kiri. »Kiri, ich werde einige Zeit in der Stadt verbringen.«

»Soll ich packen, Misi?«

»Ja, bitte.«

»Wann fahren wir?«

Julie trat auf ihre Leibsklavin zu und fasste sie mit den Händen an den Oberarmen. »Kiri, hör zu, das ist jetzt nicht so einfach für mich, aber ...« Sie ließ Kiri los und wandte sich ab. »Ich fahre allein. Du wirst mit Henry hierbleiben.«

»Aber«, stammelte Kiri. Die Enttäuschung war ihrer Stimme anzuhören.

»Kein Aber, Kiri, das ist schon schwer genug für mich. Ich darf Henry nicht mitnehmen, und du bist mit ihm vertraut wie kein anderer. Du musst auf ihn aufpassen!«

»Misi, natürlich.« Kiri senkte den Blick, und Julie bemerkte, dass ihre Sklavin weinte.

»Kiri, ich werde nicht lange fort sein, das verspreche ich.«

»Ja, Misi.«

Noch ahnte sie nicht, dass sie dieses Versprechen nicht halten würde.