Kapitel 14

Kiri machte sich Sorgen um ihre Misi. Misi Juliette aß nur noch wie ein Vögelchen, zeigte eine ungesunde Blässe, und ihr Blick schien stets nach innen gekehrt und betrübt.

Kiri gab sich redlich Mühe, die Stimmung ihrer Misi aufzuhellen. Sie erzählte ihr immer wieder kleine Begebenheiten von den Kindern aus dem Sklavendorf. Die hatten ihrer Misi doch immer so große Freude bereitet. Aber die Misi war vorsichtig geworden. Kiri hatte mitbekommen, dass Masra Pieter ihrer Misi gedroht hatte, Masra Karl von ihren Bemühungen um die Sklaven zu erzählen. Und nicht nur Kiri wusste, was das bedeuten würde. Misi Juliette vermied also den Kontakt zu den Sklaven, vielleicht war sie deshalb so traurig. Irgendetwas beschäftigte sie noch, wenn Kiri nur wüsste, was.

In ihrer Not zog Kiri Amru ins Vertrauen. Die Haussklavin runzelte die Stirn und faltete nachdenklich das Trockentuch, welches sie eben benutzt hatte, zusammen, um es dann wieder aufzuschlagen und nochmals zu falten.

»Amru, was kann ich denn machen, ich habe Angst, dass die Misi krank wird so.« Kiri war ehrlich in Sorge.

Amru setzte sich behäbig auf einen der alten Stühle auf der hinteren Veranda und bedeutete Kiri, auch Platz zu nehmen. Kiri hockte sich neben Amru auf die Holzplanken. Einen Stuhl zu benutzen traute sie sich nur, wenn die Misi es ihr erlaubte. Die Stühle hier waren zwar nicht für die Herrschaft, aber die einzigen Sklaven, die sich darauf setzten, waren Amru und Aiku.

Amru strich zum wiederholten Male das Tuch glatt. »Kiri, ich glaube, die Misi ist unglücklich, weil sie dem Masra noch kein Kind geschenkt hat«, sagte sie ernst.

Kiri stutzte. Bisher hatte ihre Misi nicht den Anschein gemacht, dass sie dem Masra ein Kind schenken wollte. Zudem wusste Kiri, dass der Masra Misi Juliette nur noch selten nachts besuchte. Die Misi wies Kiri dann nämlich immer am Morgen sofort an, die Laken auszuwechseln und das Bett frisch herzurichten, während sich die Misi wusch und wusch, als hätte sie es tagelang nicht getan. Selbst Kiri bemerkte dann den Hauch von Tabak und Alkohol, den der Masra in das Bett getragen hatte, und sie vermutete, dass die Misi dem Masra nicht gänzlich aus freien Stücken des Nachts beilag. Aber nie hätte sie etwas dazu gesagt.

Sie hatte das auch von anderen Sklaven schon gehört. Dass die Weißen manchmal Ehen hatten, die nicht auf Liebe gründeten und dass die weißen Frauen sich den Mann oft nicht aussuchen konnten.

Zwar schwebte über den Sklavenfrauen immer die Gefahr, dass der Masra einer Plantage Männer auserkor, die als Väter für Sklavennachwuchs sorgen sollten. Aber die Frauen wussten sich durchaus zu helfen, um diesen Begattern zu entgehen. Am besten täuschte man eine Schwangerschaft oder eine ansteckende Krankheit vor, dann machten sie schon einen Bogen um einen. Anders lag der Fall hingegen, wenn es einen weißen Mann nach einer hübschen Sklavin gelüstete. Das mussten die schwarzen Frauen dann als unumgängliches Übel hinnehmen. Ja, inzwischen wusste Kiri, wo die vielen Mischlinge herkamen.

Echte Beziehungen unter den Sklaven selbst hingegen oblagen selten der Aufsicht des Masra oder der Basyas, solange es Sklaven der gleichen Plantage waren. Und einer Sklavenfrau stand es auch frei, einen Verehrer abzulehnen. Das schien bei den Weißen irgendwie anders zu sein.

Das war das eine. Warum und wieso nun die Misi ausgerechnet den Masra zum Mann hatte – Kiri wusste es nicht und würde das wohl auch nie erfahren. Aber warum die Misi bisher noch kein Kind unter ihrem Herzen trug, wenn der Masra das doch wollte und sie auch, das war Kiri ein Rätsel. Es war doch nun wirklich nicht schwer, schwanger zu werden, die meisten Sklavinnen klagten eher darüber, dass genau das ein Problem war.

Und die Misi erschien Kiri da ganz normal. Zumindest ließ nichts darauf schließen, dass sie keine Kinder bekommen konnte. Aber so wirklich kannte Kiri sich da ja auch nicht aus, wie sie sich jetzt eingestand.

»Amru, meinst du, die Misi kann keine Kinder bekommen?«

Amru lachte leise auf.

»Die Misi ist jung und stark.« Dann beugte sie sich zu Kiri hinunter und dämpfte die Stimme. »Aber der Masra, wer weiß ...«

Kiri betrachtete die Haussklavin erstaunt. Daran hatte sie noch gar nicht gedacht. »Ja, aber er hat doch schon ... Wie kann es denn da sein, dass ...«

»Kiri, manche Bäume hören einfach auf, Früchte zu tragen«, sagte Amru zwinkernd.

Kiri dachte eine Weile nach. Natürlich könnte das Problem auch beim Masra liegen. Der aber, darauf schwor sie Stein und Bein, würde die Schuld nie bei sich suchen.

»Amru, meinst du, wir können der Misi irgendwie helfen? Ich meine ...?«

Amru schien zu grübeln. Eigentlich sollten sich Sklaven in die Angelegenheiten der Weißen nicht einmischen. Aber die Misi war auch ihr ans Herz gewachsen. »Ich werde mit Jenk sprechen, vielleicht können wir die Götter um Hilfe bitten. Ich glaube zwar nicht, dass das bei einem Weißen viel hilft, aber wenn die Misi so weitermacht, wird sie noch krank, da hast du recht, und das wäre für uns alle schlimm.«

Einige Tage später, tief in der Nacht, wurde Kiri durch das Geraschel ihres Türvorhangs geweckt. Kurz zuckte sie zusammen. Seit damals auf der anderen Plantage ... sie fürchtete sich des Nachts immer noch vor Überfällen.

»Schsch ... ich bin es.« Es war Amrus Silhouette, die sich aus der Dunkelheit abzeichnete. »Komm mit, schnell! Und sei leise.«

Kiri sprang sogleich aus ihrer Hängematte, schlang sich ein Tuch um die Hüften und folgte Amru.

Als sie die Dorfgrenze hinter sich gelassen hatten, sprach Amru zu ihr.

»Ich habe mit Jenk gesprochen, heute findet ein Treffen statt, da kannst du für deine Misi um die Gunst der Götter bitten.«

Kiri durchfuhr ein nervöses Kribbeln, sie hatte noch nie ein Ritual selbst vollzogen. Ob sie es überhaupt konnte, sodass es auch wirken würde?

Diesmal gingen sie nicht in die Zuckerrohrfelder, sondern folgten einem schmalen Pfad bis zur Baumgrenze und ein Stück in den Wald hinein. Sie befanden sich hier eindeutig auf verbotenem Land. Keinem Sklaven war es gestattet, die Grenzen der Plantage zu verlassen. Kiri schluckte nervös. Wenn sie bemerkt würden, schickten die Aufseher ihre blutrünstigen Hunde los, und diese würden ohne Zögern zubeißen, sobald sie den Geflohenen gestellt hatten. Amru aber schritt zügig voran.

Nach einer guten Stunde kamen sie auf eine kleine Lichtung, auf der ein schwaches Feuer brannte, um das mehrere Personen saßen. Amru schob sie in den kleinen Kreis und bedeutete ihr, sich zu setzen. Kiri versuchte, im schwachen Feuerschein die Identität der anderen Anwesenden zu erkennen. Sie sah einen Mann und eine Frau aus dem Sklavendorf, Jenk, einen ihr unbekannten Mann und – Dany! Ihr stockte der Atem.

Zunächst schien sich alles um den Mann und die Frau aus dem Sklavendorf zu drehen. Jenk vollzog einige Beschwörungen, wobei er in leisen Singsang verfiel und immer wieder mit einem langen, geschmückten Stock die Schultern der beiden berührte.

Kiri sah fragend zu Amru hinüber. Diese beugte sich vor und flüsterte. »Die beiden möchten fortan als Mann und Frau zusammenleben und bitten um den Schutz der Götter.«

Nachdem Jenk die beiden mit einer scharf riechenden Flüssigkeit aus einer Kalebasse besprenkelt hatte, lachte er ihnen zu und nickte. Die Frau machte ein erleichtertes Gesicht, und der Mann bedankte sich bei Jenk.

Dann schritt der Medizinmann auf Kiri zu und deutete ihr an, sich zu erheben.

»Hast du das schon mal gemacht?« Kiri schüttelte den Kopf. »Gut, ich werde die Formeln für dich sprechen – das Opfer musst aber du darbringen und dabei den Göttern deinen Wunsch dann ganz fest in Gedanken mitteilen.«

Ein Opfer? Kiri zögerte einen Moment.

Dann aber sah sie, dass Danys Blick auf ihr ruhte. Tapfer nickte sie. Sie würde jetzt keinen Rückzieher machen. Während sie in der Mitte des kleinen Kreises stand, lief Jenk, leise Beschwörungen aussprechend, um sie und das Feuer herum. Nach und nach wurde seine Stimme lauter, und die anderen antworteten mit einem leisen Gesang. Als alle Stimmen sich in einer Tonlage trafen, erhob Jenk die Arme, Dany stand auf, griff in einen Sack, den er bei sich trug, und reichte Kiri zunächst ein Schlagmesser und dann ein Huhn. Kiri konnte nicht erkennen, ob das Tier noch lebte.

Leise flüsterte er ihr zu, wobei sein Mund ganz nahe an ihr Ohr kam: »Du musst dem Huhn den Kopf abschlagen und das Blut ins Feuer tropfen lassen.«

Kiri schwankte kurz. Sie hatte andere schon beim Schlachten von Tieren beobachtet, selbst aber noch nie eins getötet.

Dany reichte ihr das Huhn. Sollte sie wirklich? Sie zögerte kurz, aber es war unmöglich, jetzt einen Rückzieher zu machen. Tapfer legte sie ihre Hand um den Hals des Tieres. Sie versuchte, nicht darauf zu achten, ob es noch zuckte oder nicht. Der Gesang der anderen erhob sich wieder leicht. Kiri trat an das Feuer, hob das Messer und schlug zu, als würde sie einen Flaschenkürbis köpfen.

Dann packte sie den Körper des Vogels, drehte ihn mit den Füßen nach oben und ließ das Blut in das Feuer tropfen. Dabei kniff sie die Augen zu und stellte sich ganz fest ihre Misi vor, zu deren Füßen ein kleines, weißgekleidetes Kind tollte.

Ob es so richtig war? Zur Sicherheit sprach sie den Wunsch noch still in Worten: Bitte macht, dass meine Misi ein gesundes Kind zur Welt bringt!

Erst als der Gesang verstummte, öffnete Kiri die Augen, Jenk nahm ihr den toten Vogelkörper ab und legte seine Hand auf ihre Schulter. »Das hast du gut gemacht!«

Kiri setzte sich wieder in die Runde, ihre Knie zitterten leicht.

Amru legte ihr lachend den Arm um die Schultern. »Kind, das nächste Mal solltest du aber die Augen auflassen, sonst schlägst du dir womöglich noch die eigenen Finger ab.« Alle lachten.

Jenk ließ eine Kalebasse mit einem scharfen, nach Alkohol schmeckenden Getränk herumgehen, dann erhoben sich alle. Und plötzlich tauchte Dany dicht neben ihr auf. Kiri hatte das Gefühl, als würde ihr die Luft wegbleiben.

»Bist ein ganz schön tapferes Mädchen, hm?« Er lächelte sie an, dabei trafen sich ihre Blicke. »Wir sehen uns wieder!«, flüsterte er fröhlich und verschwand mit dem anderen Mann im Unterholz, während sich Amru, Jenk und das Paar wieder in Richtung Plantage wandten.

»Kiri, nun komm, wir müssen zurück.«

Kiri erwachte wie aus einem Traum und lief eilig hinter Amru her.

Nachdem sie einige Zeit schweigend durch den Wald gelaufen waren, fand Kiri ihre Sprache wieder. »Amru?« Sie versuchte, so dicht es ging, hinter ihr aufzuschließen, die anderen sollten nicht unbedingt mithören. »Amru? Warum war denn Dany heute Nacht da?«

Amru lachte. »Irgendwo mussten wir ja das Huhn herbekommen, von der Plantage stehlen konnten wir es ja schlecht. Und das Huhn ...«, Kiri erkannte ein verschwörerisches Lächeln in Amrus Gesicht, »... du schuldest Dany jetzt was, er wird also wiederkommen und dich noch mal treffen wollen.«

Kiris Herz klopfte bis zum Hals.

Sie wiedersehen wollen! Kurz war der eigentliche Anlass des Rituals vergessen.