Kapitel 2

Wilhelm Vandenberg stand am Fenster seines Arbeitszimmers und schaute gedankenverloren auf das Amsterdamer Handelsviertel, das sich direkt vor seinem Hause erstreckte.

Margret, seine Frau, hatte sich damals geziert, sich hier niederzulassen, aber Wilhelm war die Nähe zu seinem Kontor wichtig gewesen. Das große Grundstück und die Baupläne des durchaus standesgemäßen Hauses hatten Margret schließlich beschwichtigt. Später hatten sich mehrere Kaufleute in der Nachbarschaft angesiedelt, und nun war dies eine der besten Adressen der Stadt. Was Margret inzwischen stets mit einem »Ich war ja immer dafür, hierher zu ziehen« kommentierte.

Wilhelm seufzte. Margret. Einst war sie zumindest noch recht ansehnlich gewesen, aber heute ... Sie war klein und drahtig, trug die grauen Haare streng aufgesteckt und wirkte in ihren biederen Kleidern mit den steifen Kragen älter, als sie mit ihren sechsundfünfzig Jahren tatsächlich war. Ihr selbst schien die Rolle der alternden Familienmatrone zu gefallen. Mit harter Hand führte sie ihren Haushalt und das Personal und ließ kaum eine Gelegenheit aus, ihren Mann oder ihre Kinder herumzukommandieren. Wobei sie mit den beiden fast erwachsenen Töchtern, Martha und Dorothea, etwas milder umsprang als mit ihrem Sohn Wim. Wilhelm Vandenberg fürchtete sich ehrlich gesagt ein wenig vor seiner Frau. Oder besser gesagt, vor ihrem aufbrausenden Wesen und den impulsiven Ausfällen bei Widerspruch oder ihren Ohnmachtsanfällen bei Streitigkeiten. Sie ließ ihn zudem immer wieder ungeniert und auch im Beisein der Kinder wissen, dass ihr sein Lebenswandel missfiel. Manchmal wünschte er sich den Mut, ihr ins Gesicht zu sagen, dass es ihre herrische Art war, die ihn so häufig aus dem Haus trieb. Bei gutem Essen und reichlich Wein konnte er sein ungemütliches Weib vergessen.

Wilhelm fuhr sich durch das ergraute und deutlich lichte Haar und schleppte seinen massigen Körper wieder an seinen Platz hinter dem Schreibtisch. Nachdenklich strich er über die dunkle Edelholzplatte des Möbelstücks. Die Geschäfte liefen nicht mehr so gut, die Konkurrenz war vor allem in den letzten beiden Jahren enorm gestiegen. Wilhelm Vandenberg hatte lange das Monopol auf einigen Importwaren, insbesondere Zucker aus den Kolonien, halten können, doch seit einigen Jahren drängten immer wieder findige und günstigere Anbieter auf den Markt und machten ihm das Leben schwer. Vor allem der Rübenzucker ließ die Preise drastisch fallen. Die Gewinne waren verschwindend gering, und die wirtschaftliche Lage stand den hohen Ansprüchen seiner Familie entgegen. Margret dachte nicht im Traum daran, den Lebensstandard zu verändern. Und in den kommenden Jahren hatte er auch noch seine Töchter zu verheiraten, was ebenfalls ein großes Loch in die Kasse reißen würde. Wenn sich für die beiden überhaupt passende Männer fanden. Er schätzte, dass er in dieser Angelegenheit mit seinem Vermögen nachhelfen musste. Noch gab er die Hoffnung jedoch nicht auf, dass die beiden standesgemäße Männer fanden, die sie nach der Heirat versorgten. Bis dahin zumindest musste er die Geschäfte am Laufen halten. Nicht zuletzt auch für seinen einzigen Sohn, der das Unternehmen schließlich übernehmen sollte, auch wenn der Junge zurzeit andere Pläne hegte, was Wilhelm zusätzlich verärgerte. Aber Wim würde schon zur Vernunft kommen.

Und einen kleinen Trumpf hatte er ja noch in der Hinterhand. Juliette. Zähneknirschend hatte er damals die Vormundschaft für seine Nichte übernommen, obwohl sein verstorbener Bruder ihn in keiner Weise testamentarisch bedacht hatte. Verwalten und versorgen? Ja, das durfte er. Aber verfügen? Nein!

»Der feine Herr Bruder!« Wilhelm spürte die Wut in sich aufwallen, eine Wut, die ihn immer wieder überkam, auch wenn sein Bruder nun schon acht Jahre tot war.

Anfangs hatten sie das Geschäft gemeinsam geführt. Sie hätten ein kleines Imperium aufbauen können, wenn Jan Vandenberg nicht so ein Feigling gewesen wäre und immer brav alles ganz rechtens hätte machen wollen. Das Geschäftsleben war nun einmal hart, und manchmal musste man einfach ein bisschen tricksen, das hatte Wilhelm früh verstanden. Im Gegensatz zu Jan. Darüber hatten sich die Brüder dann schließlich zerstritten. Der jüngere Jan war seine eigenen Wege gegangen und dabei, zu Wilhelms großem Ärger, nicht minder erfolgreich gewesen. Zum Zeitpunkt seines Todes hatte das Vandenberg’sche Unternehmen in Rotterdam floriert, während Wilhelms Geschäfte in Amsterdam bereits stagnierten.

Juliette war auf jeden Fall ein kleines Pfand. Ihr Vater hatte ihr sein gesamtes Vermögen vermacht. Auch wenn Juliette es erst mit einundzwanzig Jahren erhalten würde, hegte Wilhelm immer noch die Hoffnung, sich in dieser Angelegenheit irgendwie ins Spiel bringen zu können. Vielleicht gelang es ihm, eine passende Ehe zu arrangieren, am besten mit einem Mann, der Juliettes Vermögen ohne zu zögern in das »sichere Geschäft« ihres Onkels investierte. Bei einer Eheschließung vor der Volljährigkeit des Mädchens würde ihr Vermögen ihrem Gatten zufallen. Wilhelm hatte wieder und wieder über diesem Plan gebrütet und sah keinen Grund, ihn nicht in die Tat umzusetzen. Einziges Problem war Juliette selbst, sie würde sich mit Sicherheit dagegen sträuben. Sorge bereitete ihm in diesem Zusammenhang auch Juliettes Beurteilung durch die neue Internatsleitung. Diese hob nicht nur Juliettes schulische Fähigkeiten hervor – das Mädchen war gut in Niederländisch, Deutsch, Französisch, Englisch, Rechnen und Geschichte –, sondern auch ihre Eigenschaften: Ihre Sanftmut und ihr tugendhaftes Verhalten empfehlen sich für eine spätere Ausbildung als Lehrkraft, so stand es im Bericht geschrieben. Wilhelm schlug bei dem Gedanken erbost mit der Faust auf den Tisch. Hoffentlich hatte man dem Mädchen noch keine Flausen in den Kopf gesetzt. Diese modernen Ansichten – Frauen, die gar arbeiteten! Wilhelm wollte Juliette als tugendhafte Ehefrau sehen und nicht als Frau, die aufgrund ihrer Berufung auf die Ehe verzichtete. Als solche würde sie ihm nicht viel nützen. Die alte Direktorin war ihm in dieser Hinsicht durchaus lieber gewesen, auch wenn sie ansonsten doch erschreckend streng gewirkt hatte, das musste Wilhelm sich eingestehen. Fast wie Margret, dachte er unwillkürlich.

Margret und Juliette – die beiden hatten aus irgendeinem Grund nie zusammengefunden. Vor acht Jahren hatte sich Margret vehement dagegen ausgesprochen, das Kind in ihrem Haus aufzunehmen. Mitleid hin oder her, sie hatte selbst drei Kinder, und die waren ihr mehr als genug. Wilhelm hatte es fast nicht anders erwartet. Eilig hatten sie sich bei Bekannten nach einer geeigneten Unterbringung erkundigt. Viele Söhne und Töchter besuchten Internate, und man hatte ihnen das Mädcheninternat in Elburg nahegelegt. Es sei eine gute Institution unter fachkundiger Führung, so war zu hören. Und es war, wie sie damals positiv bemerkt hatten, mit einem eher geringen Schulgeld zu finanzieren – im Gegensatz zu den gehobenen Internaten in Rotterdam oder Amsterdam. So war die Entscheidung schnell auf diese Schule in der kleinen Stadt am Veluwemeer gefallen. Welch idealer Ort für dieses Kind! Und offensichtlich eine gute Wahl. Nie waren Klagen gekommen, stattdessen hatte es alljährlich einen positiven Bericht über Juliettes gutes Betragen gegeben.

Mehr wollten sie sich Juliettes auch nicht annehmen. Wilhelm war seine Nichte relativ egal, sie störte ihn nicht besonders und war ihm mit ihrer ruhigen Art eher angenehm. Margret jedoch mochte Juliette aus irgendeinem Grund nicht. Kurz musste Wilhelm schmunzeln. Vielleicht war Margret ja eifersüchtig, weil Juliette sich mit den Jahren zu einem hübschen Ding gemausert hatte. Insgeheim fand er das Mädchen viel attraktiver als seine eigenen Töchter.

Margret hatte ihm immer wieder zu verstehen gegeben, wie erpicht sie darauf war, die Verantwortung für dieses Mädchen sobald als möglich abzugeben, auch wenn sie im Grunde ja nicht viel Last mit ihrer Nichte hatte.

Gerade neulich hatte Margret wieder darauf hingewiesen, dass Juliettes Zeit im Internat bald vorbei sein würde. Dann müsse man sie verheiraten – oder in einer Diakonissenanstalt einkaufen ...

»Du willst sie ins Kloster schicken?«, hatte Wilhelm seine Frau ungläubig gefragt.

»Wir können sie ja schlecht zu uns ins Haus holen«, hatte Margret ihn empört angefahren, wieder einer Ohnmacht nahe.

Wilhelm seufzte. Eine Diakonissenanstalt war teuer ... das halbe Erbe würde dabei draufgehen. Ganz abgesehen davon, dass man Juliette nicht zwingen konnte, der Welt zu entsagen. Nein, das weitaus Beste wäre, einen passenden Ehekandidaten für sie zu finden. Möglichst rasch.

Wilhelm goss sich einen Whisky aus der gläsernen Karaffe ein, die auf seinem Schreibtisch stand. Eigentlich für Gäste, aber jetzt brauchte er selbst eine kleine Stärkung. Ihm stand ein recht unangenehmes Geschäftsgespräch bevor. Einer seiner Zulieferer hatte sich angekündigt, Karl Leevken aus Übersee. Angeblich hatte der Mann den weiten Weg nach Amsterdam auf sich genommen, um mit Wilhelm persönlich zu sprechen. Wilhelm dünkte nichts Gutes. In den letzten Jahren war er dazu übergegangen, die Zahlungen an seine Lieferanten zu seinen Gunsten zu kürzen. Er wähnte sich dabei in Sicherheit, schließlich befanden sich diese Leute in weiter Ferne, und selbst Briefe brauchten oft Wochen, rechtliche Forderungen sogar Monate. Außerdem lag auch die Plantagenwirtschaft zurzeit weitgehend am Boden, viele seiner Zulieferer waren sicher froh, überhaupt Geld zu erhalten. Wenn Leevken die ausstehenden Zahlungen jetzt einforderte ... wer weiß, wie viele andere seinem Beispiel folgen würden.

Aber noch war nichts verloren, und es galt, Schlimmeres zu verhindern. Wilhelm rekapitulierte noch einmal, was er von Leevken wusste: Der Mann war Besitzer einer Zuckerrohrplantage in Surinam – einer seiner größten Produzenten, und zweifellos derjenige, den Wilhelm unterm Strich um die höchste Summe betrogen hatte.

Surinam, wo lag das noch gleich? Irgendwo im Regenwald von Südamerika. Wilhelm hoffte, dass Leevken ein eher bäuerlich anmutender Charakter war, irgendein Nachfahre eines abenteuerlustigen Kolonisten, der vor vielen Jahrzehnten sein Glück in der Ferne gesucht hatte. Inzwischen unterhielten zwar viele Kaufleute aus den Niederlanden selbst Plantagen in Übersee, die sie vor Ort allerdings von einheimischen Direktoren verwalten ließen. Denn leben, leben mochte man dort nicht. Zu heiß, zu feucht, zu weit entfernt von der Zivilisation ...

Immerhin verstand Leevken, sich auszudrücken: Bezüglich der ausstehenden Zahlungen werde ich Sie im Dezember dieses Jahres persönlich aufsuchen, hatte er per Brief verlauten lassen. Es schien auf der Plantage zumindest einen halbwegs gebildeten Sekretär zu geben, immerhin. Selbst Wilhelms Anwalt hatte zur Ruhe gemahnt, man würde diesen Plantagenmenschen sicherlich mit kleineren Ausgleichszahlungen erst einmal ruhigstellen können.

Als Karl Leevken wenig später das Arbeitszimmer von Wilhelm Vandenberg betrat, verschlug es dem Unternehmer zunächst die Sprache. Vor ihm stand kein bäuerlicher Plantagenbesitzer, sondern ein akkurat und in feinsten Stoff gekleideter Mann. Wie ein dunkler Schatten folgte ihm ein hünenhafter schwarzer Bursche, der seinem Herrn Hut und Mantel abnahm, um sich dann gleich gehorsam und unauffällig neben der Tür zu platzieren, während Leevken auf Wilhelm zuschritt. Wilhelm musterte einen Moment verwirrt den schwarzen Diener, der zwar europäische Kleidung, aber keine Schuhe trug. Dann besann er sich auf seinen Gast. Er durfte jetzt keine Irritation zeigen, schließlich wollte er vor Leevken einen gestandenen Eindruck machen.

Aber schon bei der Begrüßung schlug ihm von Leevken eine Welle von Selbstbewusstsein entgegen, die Wilhelm endgültig die Ruhe raubte. Leevkens Tonfall ließ keine Zweifel aufkommen, dass dieser Mann es gewohnt war zu befehlen.

»Mijnheer Vandenberg, wie nett, Sie kennenzulernen. Setzen wir uns doch.«

Wilhelm fühlte sich kurz seiner Gastgeberrolle enthoben. Was dachte sich dieser Kerl bloß? Noch während er um seinen Schreibtisch herumging und sich wieder schwerfällig auf seinen Stuhl setzte, hatte Leevken bereits Platz genommen, sich lässig zurückgelehnt und die Beine übereinandergeschlagen. Wilhelm entging nicht, dass er sich kurz abschätzend im Raum umsah. Gut, dass er Leevken in seinem Arbeitszimmer im Wohnhaus empfangen hatte, welches wesentlich repräsentativer war als sein Kontor. Trotzdem fühlte er sich ungewohnt verunsichert, war aber nach Kräften bemüht, sich dies nicht anmerken zu lassen. Entschlossen hob er den Blick und musterte sein Gegenüber aufmerksam.

Leevken musste ungefähr vierzig Jahre alt sein, hatte leicht gebräunte Haut, dunkle Haare und auffallend grüne Augen. Ein stattlicher, gut aussehender Mann. Allerdings glattrasiert, nicht wie es in Europa gerade Mode war, mit Schnauzer und Kinnbart.

»Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?«, fragte Wilhelm mit fester Stimme und deutete auf die Karaffe. Ehe er sich jedoch versah, stand der schwarze Diener seines Besuchers am Tisch und schenkte das Getränk in die bereitstehenden Gläser. Leevken nickte ihm zu, und der Bursche verschwand wieder auf seinen Platz. »Bitte«, Wilhelm nickte in Richtung des Glases, bemüht, das Verhalten des Dieners nicht zu kommentieren. Aber er fühlte sich nicht besonders wohl in seiner Haut. Wer war hier der Hausherr?

»Mijnheer Vandenberg, kommen wir gleich zur Sache. Uns sind bei den Abrechnungen, die Sie uns haben zukommen lassen, einige Unregelmäßigkeiten zu unserem Nachteil aufgefallen. Inzwischen handelt es sich bei der Fehlsumme um einen ansehnlichen Betrag.« Leevken sah Wilhelm unverwandt in die Augen, und das Grün darin schien sich für einen kurzen Moment zu verdunkeln.

Wilhelm wurde schlagartig klar, dass die fadenscheinigen Entschuldigungen, die er sich für den vermeintlich hinterwäldlerischen Plantagenmenschen zurechtgelegt hatte, keinen Pfifferling wert waren. Leevken wusste, was er wollte, und war auch nicht gekommen, um sich mit Kleinigkeiten abspeisen zu lassen oder gar zu betteln. Und irgendwie, so schoss es Wilhelm in den Sinn, schien auch der Lebensstandard in den Kolonien nicht so schlecht zu sein, wie es allgemein hieß.

Wilhelm schalt sich innerlich seiner abschweifenden Gedanken. Vielleicht hätte er nichts trinken sollen. Seine Konzentration ließ etwas nach. Kurz starrte er in Richtung Fenster, um sich zu sammeln. Draußen hatte es zu schneien begonnen.

Er straffte sich und setzte sich aufrecht hin. Leevken sollte nicht denken, er hätte hier keinen ebenbürtigen Gesprächspartner vor sich.

»Mijnheer Leevken, ich bedauere außerordentlich, dass Sie jetzt die weite Reise auf sich genommen haben, um ... wir hätten das auch schriftlich regeln können.«

Leevken unterbrach Wilhelm mit dem Anflug eines Schmunzelns. »Mijnheer Vandenberg, ich bin keineswegs nur Ihretwegen nach Europa gereist. Ich habe bei Weitem wichtigere Dinge zu erledigen. Aber da ich schon mal da bin, bietet sich eine Klärung an.«

Wilhelm begann zu schwitzen. »Natürlich ... Ich freue mich in jedem Fall über Ihren Besuch.« Wilhelm räusperte sich, während die Gedanken in seinem Kopf darum kreisten, wie er das Gespräch nun weiterführen könnte. »Ich habe bereits Anweisung an meine Rechnungsabteilung gegeben, die Vorgänge nochmals zu prüfen. Sie verstehen ... in so einem großen Betrieb«, er machte eine ausschweifende Geste, »kann ich mich nicht um alles selbst kümmern. Leider bedarf es noch einiger Tage, bis alle Unterlagen bereitstehen. Ich hoffe, Sie haben die Möglichkeit und Zeit, mich nochmals aufzusuchen.«

Leevken nickte. »Ich werde noch eine Weile in Amsterdam bleiben. Ich denke, wir können die Unregelmäßigkeiten dann begleichen. Es ist immer sehr unangenehm, wenn die eigene Buchhaltung durch Unzulänglichkeiten anderer durcheinandergerät.«

Wilhelm fühlte sich, als wäre er geohrfeigt worden. Deutlicher hätte Leevken nicht ausdrücken müssen, was er von Wilhelm dachte. Er ärgerte sich darüber, auf diese Weise gedemütigt zu werden, und versuchte mühsam, durch die Wut einen klaren Gedanken zu fassen. Was, wenn er Leevken einfach die Zusammenarbeit kündigte? Der Gedanke schien verlockend, aber Leevken war auch ein zuverlässiger Lieferant mit vorzüglicher Ware. Im Grunde konnte er nicht auf ihn verzichten. Es würde Monate dauern, einen Ersatz aufzutun, und er wollte sich nicht die Blöße geben, als alteingesessener Importeur ebenfalls auf den billigen Rübenzucker umzusteigen. Erschrocken erkannte Wilhelm, dass es keine andere Möglichkeit gab, als das Geld für Leevken zu leihen oder einzusparen. Bloß wo? Wilhelm wand sich innerlich, aber er musste jetzt versuchen, diesen Leevken zu besänftigen. Zumal er sich noch nicht sicher war, ob seine Rechtsabteilung die Unregelmäßigkeiten überhaupt so schnell ausgleichen konnte. »Mijnheer Leevken, wir geben am 23. Dezember ein Dinner und würden uns freuen, Sie als unseren Gast begrüßen zu dürfen«, sagte er so freundlich wie möglich, obwohl sich alles in ihm gegen diese Einladung wehrte.

Leevken erhob sich. »Gerne, dann sehen wir uns in einigen Tagen wieder. Ich melde mich.«

Gleich stand der schwarze Diener neuerlich bereit, reichte seinem Herrn Hut und Mantel und öffnete ihm die Tür. Wilhelm musste sich eilen, hinterherzukommen. Aus den Augenwinkeln sah er gerade noch Margret im Flur durch eine Tür verschwinden. Dieses neugierige Weib! Sobald Wilhelm im Haus Besucher empfing, schlich sie über die Flure, in der Hoffnung auf ein wenig Stoff zum Tratsch mit ihren Töchtern. Dieser Leevken und sein schwarzer barfüßiger Begleiter kamen ihr da sicherlich gerade recht.

Dass Leevken ihnen in absehbarer Zeit wesentlich mehr Gesprächsstoff liefern würde, ahnte Wilhelm zu diesem Zeitpunkt nicht.