Kapitel 14

Kiri war erleichtert, als sie am Morgen Paramaribo erreichten. Es war nicht einfach gewesen, die beiden Kinder nach ihrem Erwachen im Boot ruhig zu halten, und Misi Martina hatte während der Fahrt wieder hohes Fieber bekommen. Sie versuchte aber, sich gegenüber ihrem Sohn nichts anmerken zu lassen.

Liv und Kiri hatten zudem Dany beim Rudern helfen müssen und waren ob der ungewohnten Anstrengung sehr erschöpft. Kiri machte sich ernsthaft Sorgen um das Baby, aber im Moment hatte sie zumindest in dieser Hinsicht keine Beschwerden.

Dany half den Frauen noch bis zum Stadthaus. Dann eilte er wieder zurück zum Boot und aus der Stadt, zu groß war die Gefahr, dass er wegen eines fehlenden Passierscheins von der Polizei festgesetzt wurde.

Foni starrte einen Moment verwundert auf die Menschen, die nun vor der Tür des Hauses standen. Sie brauchte einen Moment, um sie zu erkennen. Dann aber rief sie sofort nach Hedam, und der alte krumme Haussklave konnte Misi Martina gerade noch auffangen, als sie Liv und Kiri, die die Misi gestützt hatten, aus den Armen glitt. »Bring die Misi auf ihr Zimmer«, wies Foni ihn an. »Und ihr beiden bringt die Kinder nach oben, wascht sie und legt sie noch einmal schlafen, die sehen ja vollkommen erschöpft aus. Und dann kommt ihr in die Küche, ich mach euch was zu essen.«

Liv und Kiri taten, wie ihnen aufgetragen, obwohl ihnen selbst jeder Knochen schmerzte. Kiri lauschte auf dem Weg zu den Zimmern nach einem Laut von Misi Juliette. Bemerkte sie gar nicht, dass sie gekommen waren? Schlagartig kam ihr der Gedanke, sie könnte gar nicht da sein. Nein, das konnte nicht sein, das durfte nicht sein!

Nachdem sie Masra Henry gewaschen und umgezogen hatte und das Kleinkind in der Tat gleich einschlief, ging sie müde nach unten in die Küche. Der Duft von gekochten Bananen und Brot brachte ihren Magen zum Knurren. Vor Aufregung hatte sie seit gestern nichts mehr gegessen.

»Ist die Misi Juliette gar nicht da?«, wagte sie schließlich die Frage zu stellen, die ihr unter den Nägeln brannte. Ihre Befürchtungen wurden bestätigt, als sich die Haussklavin nun umdrehte und den Kopf schüttelte. »Nein, Misi Juliette ist ... ist auf Reisen.«

»Auf Reisen? Wann kommt sie denn wieder?«

Foni zuckte nur mit den Achseln und begab sich wieder an ihre Töpfe.

Liv, die inzwischen auch in die Küche gekommen war, warf Kiri einen fragenden Blick zu. Doch Kiri wusste auch nicht, was das bedeutete. Viel mehr stieg in ihr die Angst auf, dass Masra Pieter sie hier finden würde. Und wenn Misi Juliette nicht da war ... sie schluckte schwer.

Misi Martinas Zustand verschlechterte sich im Laufe des Tages. Sie fragte mehrmals nach Misi Juliette, Kiri antwortete ihr aber nur vage, dass die Misi nicht da sei und erst später zurückerwartet werde. Sie wollte Misi Martina nicht noch zusätzlich mit der Nachricht aufregen, dass Juliette auf Reisen war.

Als Kiri zum wiederholten Male in der Küche frisches, kaltes Wasser holte, saß dort eine hochgewachsene, schlanke Mulattin bei Foni am Tisch. »Ich bin Suzanna, du musst Kiri sein. Deine Misi hat mir schon viel von dir erzählt«, sagte sie freundlich.

Kiri sah die Frau verwundert an: Das war doch die surinamische Ehefrau von Masra Karl! Kiri konnte sich auf die Schnelle keinen Reim darauf machen, wie diese Frau nun hierherkam und was sie wohl wollte. Um sich ihre Unsicherheit nicht anmerken zu lassen, besann sie sich dann aber auf ihr Anliegen. »Ich brauche noch einmal frisches Wasser für Misi Martina.«

Die Mulattin runzelte die Stirn. »Geht es ihr noch nicht besser?«

Kiri schüttelte besorgt den Kopf. »Nein, ich fürchte, das Fieber steigt wieder.«

Mit einem Ruck erhob sich die Frau. »Ich werde Hilfe holen, die Misi muss behandelt werden«, sagte sie, während sie aus der Küche lief. Im Türrahmen blieb sie aber noch einmal kurz stehen. »Hat überhaupt jemand Misi Martinas Tante Bescheid gesagt?«

Foni und Kiri schüttelten beide den Kopf. Daran hatte wirklich noch keiner gedacht.

Es dauerte keine Stunde, da kam Suzanna mit zwei weißen Frauen zurück in das Stadthaus. Die eine, rothaarig und groß wie ein Baum und in Schwesterntracht. Die andere klein, zart und im schlichten Arbeitskleid.

»Kiri, das sind Schwester Klara und Misi Erika.« Kiri begrüßte die Frauen höflich und rückte vom Bett der Misi Martina ab. Schwester Klara beugte sich gleich über die Kranke, während Erika sich an Kiri wandte. »Wir ... ich bin eine gute Bekannte von Juliette, wir werden Mevrouw Brick helfen. Habt ihr die Kinder mit? Geht es ihnen gut?«

Kiri nickte. »Ja, Misi, den Jungen geht es gut.« Sie betrachtete nachdenklich ihre Füße. Kiri wusste nicht, ob sie Misi Erika vertrauen konnte. Andererseits schien sie über die Kinder Bescheid zu wissen, ja, sie interessierte sich sogar für ihr Wohlergehen. Außerdem war sie gekommen, um Misi Martina zu helfen. Und wenn sie wirklich eine Freundin von Misi Juliette war, dann wusste sie vielleicht, wo sie war. Aber dann musste sie selbst sich trauen zu fragen ... obwohl das strengstens verboten war. Egal, sie brauchte Gewissheit. Kiri nahm all ihren Mut zusammen. »Misi ... die Misi Juliette«, mit einem Blick auf Martina senkte Kiri ihre Stimme und flüsterte: »Wann kommt sie denn wieder?«

Erika seufzte. »Ach, Mädchen, wenn ich das wüsste.«

Das war nicht die Antwort, auf die Kiri gehofft hatte. Ihr kam das alles sehr merkwürdig vor, aber sie traute sich nicht, weiter nachzufragen. Jetzt stand die Sorge um Misi Martina im Vordergrund.

»Gut, dass Suzanna uns geholt hat.« Misi Erika blickte besorgt auf Misi Martina. »Klara, wie geht es ihr?«

»Sie hat hohes Fieber, wie erwartet. Wir müssen sie kühlen, sie hätte die Anstrengung der Bootsfahrt nicht auf sich nehmen sollen. Warum ...«, weiter kam Schwester Klara nicht.

»Wo ist meine Nichte?«

Misi Valerie kam in das Zimmer gestürzt. »Martina?« Verwundert blickte sie auf die Frauen, die um Misi Martinas Bett standen. »O nein! Martina ...«

Misi Erika klärte Misi Valerie kurz über die Ereignisse auf. Gerade als sie fertig war, drangen von unten laute Stimmen nach oben.

»Hier geht es ja zu wie im Taubenschlag! Alle raus jetzt aus dem Zimmer, die Patientin braucht Ruhe«, befahl Schwester Klara.

Die Stimmen im Flur wurden lauter. Kiri zuckte verschreckt zusammen und schob sich hinter Misi Erika.

»Wer ist das? Ist das Martinas Mann?« Misi Erika war auf dem Weg in Richtung Zimmertür, als sie Kiris erschrockenes Gesicht wahrnahm. »Kiri, was ist denn?«

»Misi ... die Misi Martina wollte nicht, dass wir ... Masra Pieter ... wir sind heute Nacht heimlich von der Plantage abgefahren«, stammelte Kiri panisch.

»Heimlich?« Misi Erika blickte von Kiri zu Misi Valerie und zurück, während auch den anderen die Tragweite dieser Aussage bewusst zu werden schien. »Oh!«

»Ich regle das«, sagte Misi Valerie. Ihre Stimme drückte Entschlossenheit aus.

In diesem Moment wurde polternd die Tür aufgestoßen, und Masra Pieter stürmte herein. Einen kurzen Moment blieb er stehen, dann knurrte er: »Wer sind Sie? Was machen Sie in meinem Haus?« Dann fiel sein Blick auf Misi Valerie. »Was machst du hier?«

Bevor Misi Valerie aber etwas entgegnen konnte, richtete sich Schwester Klara auf, die eben noch gebeugt über dem Krankenlager von Misi Martina gestanden hatte, und baute sich vor Masra Pieter auf.

»Ist das Ihre Frau?«, fragte sie bestimmt. Als er kurz nickte, fuhr sie im selben Tonfall fort: »Gut. Sie ist sehr krank, deswegen sollten Sie hier nicht so einen Krach machen. Und jetzt gehen wir alle nach unten und besprechen das dort. Die Frau braucht absolute Ruhe.« Schwester Klara verschränkte die Arme vor der Brust und starrte Masra Pieter herausfordernd an.

»Das lassen Sie mal meine Sorge sein, ich bin Arzt!«, donnerte Masra Pieter.

»Ach ja? Und warum lassen Sie zu, dass Ihre Frau sich in diesem Zustand bis in die Stadt schleppen muss? Offensichtlich konnten Sie ihr ja nicht helfen, oder?«

Kiri presste nervös die Lippen aufeinander, so hatte sie noch nie jemanden mit Masra Pieter sprechen hören.

Er schien das auch ungeheuerlich zu finden. »Was erlauben Sie sich eigentlich?«, fauchte er und versuchte, an Schwester Klara vorbei zum Bett der Misi zu gelangen.

Schwester Klara aber packte ihn kurzerhand an den Oberarmen und schob ihn aus dem Raum. »Die Frau braucht Ruhe, hab ich gesagt!«

Masra Pieter war so perplex, dass er nicht einmal daran dachte, sich zu wehren. Schwester Klara geleitete den Masra nach unten, Kiri, Misi Erika und Misi Valerie eilten hinterher, während die verschreckte Liv am Bett ihrer Misi blieb. Unten im Flur trafen sie auf Foni und Suzanna, die Masra Henry und Masra Martin auf den Armen trugen. Schwester Klara hatte es derweil geschafft, Masra Pieter, den sie um fast zwei Kopflängen überragte, bis zur Tür zu lotsen. Jetzt jedoch erwachte er aus seiner Starre, machte sich von ihrem Griff frei und fuhr nochmals herum.

»Ich will sofort zu meiner Frau! Und die Kinder geben Sie mir auch! Wir werden noch heute auf die Plantage zurückkehren!«

Jetzt fand Misi Valerie ihre Stimme wieder, beschützend stellte sie sich vor Foni, Suzanna und die Kinder. »Die Kinder bleiben hier, Pieter«, sagte sie mit ruhiger Stimme.

»Nein, wir fahren. Noch heute!« Er machte Anstalten, Misi Valerie aus dem Weg zu schieben, um nach den Kindern zu greifen.

Wieder war Schwester Klara schneller, sie packte Masra Pieter erneut am Arm und schob ihn aus der Tür.

»Ja, ja. Sie können ja auch fahren, Ihre Frau und die Kinder bleiben aber hier, bis sie wieder gesund ist.« Schwester Klaras Stimme ließ keinen Widerspruch zu.

Hinter ihr hatten sich inzwischen Kiri, Misi Erika, Misi Valerie, Suzanna und Foni wie eine schützende Mauer um die Kinder aufgebaut. Masra Pieters Gesicht wurde rot vor Zorn, als er schließlich aus dem Haus stürmte. »Das wird ein Nachspiel haben!«, zeterte er.

Schwester Klaras eben noch ernstes Gesicht verzog sich zu einem breiten Grinsen. »Na, dem haben wir es aber gezeigt! Was ist das eigentlich für ein Kerl? Das ist doch nicht Juliettes Schwiegersohn, oder?«

»Doch«, erwiderten Misi Erika und Misi Valerie wie aus einem Mund, und Misi Erika fügte hinzu: »Und du hast ihn gerade aus seinem eigenen Haus gewiesen, Klara!«

Schwester Klara zuckte nur mit den Achseln.