Kapitel 2

Kiri gab sich alle Mühe, den kleinen Henry nicht spüren zu lassen, dass seine Mutter nicht da war. Da der Junge sie aber ohne Weiteres als Ersatz akzeptierte und noch zu klein war, entsprechende Fragen zu stellen oder das Ausmaß zu begreifen, war Kiris Sorge fast unbegründet. Sie fühlte sich im Plantagenhaus sehr unwohl. Die Nähe zu Masra Pieter, so er denn da war und nicht auf den Feldern oder in seinem Labor verschwand, war ihr unangenehm. Er ließ sie zwar in Ruhe, seit ihm Misi Juliette von Kiris Schwangerschaft berichtet hatte, aber Kiri hatte trotzdem furchtbare Angst, dass er es sich doch wieder anders überlegte.

Sie schlief seit der Abreise ihrer Misi bei Henry im Kinderzimmer auf einer Matte, kümmerte sich dann am Morgen im Plantagenhaus um ihn und nahm ihn sobald es ging mit in das Sklavendorf.

Misi Martina äußerte hierzu zwar einige Male ihre Bedenken, aber Amru beschied der Misi, dass Henry bei Kiri bestens aufgehoben war. Und Masra Pieter schien sowieso nicht begeistert, wenn Kiri und Henry viel Kontakt zu Misi Martina und dem kleinen Masra Martin hatten.

Masra Pieter brauchte das Kind nur als Pfand für die Plantage. So viel hatte Kiri in den vielen Streitgesprächen, die ihre Misi vor ihrer Abreise mit dem Masra geführt hatte, mitbekommen.

Die Misi hatte sie und Henry nur ungern zurückgelassen. »Kiri, wenn ich wiederkomme, dann wird alles gut!«, hatte sie bei der Abfahrt gesagt. Kiri setzte all ihre Hoffnungen darauf, denn seit Masra Pieter die Plantage verwaltete, wurde alles nur noch schlimmer. Die Sklaven waren aufmüpfig und akzeptierten den neuen Masra nicht. Er ließ den Basyas viele Freiheiten, was die Aufseher schamlos ausnutzten, indem sie die Sklaven grober als nötig behandelten. Andererseits ließ er sich nicht in die Feldwirtschaft reinreden. Auf einer Plantage musste man trotz allem Hand in Hand arbeiten, um den Fortbestand der Pflanzung zu gewährleisten. Einige der erfahrenen Feldsklaven murrten, dass Masra Pieter die Pflanzungen völlig falsch organisierte, es würde schlechte Ernten geben. Aber kaum drangen dem Masra solche Einwände in die Ohren, wies er die Basyas an, die Sklaven besser im Zaum zu halten.

Im Sklavendorf ging zudem die Angst um, der Masra würde seine merkwürdigen Medikamentenversuche wieder aufnehmen.

Nach der ersten Woche hoffte Kiri noch täglich, die Misi würde heimkehren. Aber sie kam nicht. Kiri tröstete sich mit dem Gedanken, die Misi würde schon einen Grund haben, so lange fortzubleiben. Aber mit zunehmender Dauer ihrer Abwesenheit wurde Kiri unruhiger.

»Was ist, wenn die Misi nicht mehr wiederkommt?«, fragte sie Amru eines Tages.

»Kiri, die Misi hat ein Kind hier«, Amru tätschelte dem kleinen Henry die Wange, »sie wird schon wiederkommen, mach dir keine Sorgen.«

Aber Kiri wurde von Albträumen geplagt: Die Misi kam nicht wieder, Henry wurde von Pieter zu einem gemeinen Menschen erzogen, Kiri selbst gebar ein weißes Kind ... An diesem Punkt schreckte Kiri jedes Mal schweißgebadet hoch. Was, wenn das Kind wirklich das Kind von Masra Pieter war? Würde er Anspruch darauf erheben? Nicht als Kind im Sinne eines weißen Kindes, nein – als zukünftige Arbeitskraft in irgendeiner Form?

Kiri hatte auch Dany nichts von Masra Pieters Übergriffen erzählt. Man würde erst bei der Geburt sehen, wer der Vater des Kindes war. Kiri fürchtete sich vor dem Moment, in dem Dany und allen anderen klar wurde, dass er nicht der Vater sein konnte. Sie hatte überlegt und gegrübelt und kam immer mehr zu dem Schluss, dass es unwahrscheinlich war, dass Dany der Vater war.

Obwohl Masra Pieter die Besuche der Buschneger deutlich eingeschränkt hatte und nur noch selten erlaubte, dass sie auf der Plantage anlegten, fand Dany immer einen Weg, Kiri zu besuchen. Sie fühlte sich geschmeichelt. In der ersten Zeit nach dem »Unfall« hatte sie sich wegen ihrer Narbe geschämt. Aber Dany hatte sie in den Arm genommen, war sanft mit den Fingerspitzen über ihr Gesicht gefahren und hatte gemurmelt: »Kleine Kiri, für mich bist du das schönste Mädchen im ganzen Land.«

Kiri hatte weinen müssen. So eine Zuneigung war ihr noch nie widerfahren. Sie hoffte nur, dass sie ihn nicht bitter enttäuschen würde. Mit zunehmendem Fortschritt ihrer Schwangerschaft zog sie sich mehr und mehr von ihm zurück. Dany tat das als Stimmungsschwankungen ab – er freute sich väterlich auf das Kind. »Wenn deine Misi zurückkommt und auf der Plantage alles wieder ordentlich läuft, werde ich deine Misi fragen, ob wir heiraten dürfen. Meinetwegen auch so, wie die Weißen heiraten.«

Kiri hoffte von ganzem Herzen, dass er recht behielt.