Kapitel 25

 

Die unteren Ebenen des Fangzabula waren viel düsterer als der Hauptraum. Hier gab es nur noch Schwarz und Weiß, in einem Schachbrettmuster sowohl auf dem Boden als auch an den Wänden, wovon mir beinahe schwindlig wurde. Die Treppe endete auf einem Flur, von dem wiederum mehrere Flure abgingen. Die in regelmäßigen Abständen eingelassenen Türen trugen keinerlei Markierung, alle hatten die gleiche Farbe und Größe. Aus irgendeinem Grund war mir das entsetzlich unheimlich. Wer konnte wissen, was dahinter lauerte? Und woher wussten die Bewohner dieser unmarkierten Zimmer, welche Tür die richtige war?

Ich drängte mich dichter an Menolly. »Was zum Teufellist das hier?«

Sie warf Fraale einen Blick zu. »Die Katakomben. Vampire kommen hierher, um sich auszuruhen und zu trinken. Es muss irgendeine Methode geben, wie die Zimmer zugewiesen werden, aber ich kenne sie nicht. Ich rate allerdings dringend davon ab, willkürlich irgendwelche Türen aufzumachen.«

Roz und Zach übernahmen die Nachhut, und Roz blickte ständig über die Schulter zurück. Er hatte kaum ein Wort mit Fraale gewechselt, und nun schien er überallhin zu schauen, außer in ihre Richtung.

»Wir können nicht mehr lange hier herumstehen«, warnte er. »Das ist viel zu auffällig. Was tun wir jetzt?«

Ich wandte mich dem Succubus zu. Unerklärlicherweise taten mir die beiden richtig leid. »Kannst du uns zu Karvanaks Versteck führen?

Wir müssen meinen Freund retten.«

Sie starrte mich einen Moment lang an und nickte dann. »Ich helfe euch. Das Versteck ist im Süden von Seattle, nicht weit von hier.«

Ihre Stimme klang müde, und ich hatte das Gefühl, dass sie im Lauf der Jahre schon zu viel gesehen hatte. Sie schien nicht für das Leben geschaffen zu sein, das Hera ihr aufgezwungen hatte.

»Du gehst ein großes Risiko ein«, sagte ich.

Fraale zuckte mit den Schultern. »Das ist mir gleich. Wenn Karvanak mich tötet, tötet er mich eben. Es ist ja nicht so, als wartete zu Hause eine Familie auf mich.

Ich kann so nicht weitermachen - indem ich ihm diene, helfe ich ihm dabei, seine Opfer brutal zu misshandeln. Damit kann ich nicht leben.« Obwohl sie mit mir sprach, war ihr Blick fest auf Rozurial geheftet, und mir wurde klar, dass sie ihn immer noch liebte.

»Dann sehen wir lieber zu, dass wir weiterkommen«, sagte Menolly. »Gibt es einen unterirdischen Ausgang, oder... « Sie verstummte und hob die Hand. »Ich rieche jemand Vertrautes.«

»Karvanak?«, fragte ich.

»Nein«, entgegnete sie. »Er riecht wie... «

»Heilige Scheiße!« Ich schrie auf, als sich eine Tür rechts von mir öffnete und ein Vampir mich plötzlich am Arm packte. Er trug ein schlichtes schwarzes T-Shirt und eine Blue-jeans. Er riss mich an sich, und sein Griff war viel zu stark, als dass ich mich hätte losreißen können. Ich wehrte mich, doch er hielt fest. Menolly fauchte und fuhr die Reißzähne aus, als der Vampir die Zähne in meine Schulter grub.

Instinktiv wich ich zurück, und meine Haut zerriss unter seinem kraftvollen Biss, doch der Vampir hatte offenbar nicht damit gerechnet, dass ich mich jetzt noch wehrte, denn er ließ los. Ich taumelte mit blutendem Hals von ihm weg.

Ehe ich mich rühren konnte, stürzte Menolly sich auf ihn, und ein Kampf entbrannte. Sie schleuderte ihn zu Boden, als ein zweiter Vampir den Flur betrat. Dieser sah älter aus, und er verströmte ungeheure Macht. Er fixierte Menolly, und sie erstarrte und erwiderte seinen Blick.

»Du gehörst zum Elwing-Blutclan«, flüsterte sie und umkreiste ihn wachsam.

Mein Verehrer, der kräftig hatte einstecken müssen und meiner Schwester offensichtlich nicht gewachsen war, warf einen einzigen Blick auf die beiden und verdrückte sich zur Treppe. Kluger Junge. Doch als er die unterste Stufe erreichte, kam mir der Gedanke, dass ein Wort von ihm den ganzen Club auf uns hetzen würde. Ich packte Roz am Arm und deutete mit dem Finger zur Treppe.

»Wir müssen ihn aufhalten.« Ich wollte losrennen, aber Roz hielt mich am Handgelenk fest.

»Wenn du blutend da hinaufgehst, bist du schon so gut wie tot. Nein, ich bin dafür, dass wir schleunigst verschwinden. Er wird Alarm schlagen und die Vampire auf uns hetzen und dadurch auch Karvanak auf uns aufmerksam machen.«

Währenddessen stieß der Vampir, der Menolly ebenfalls lauernd umkreiste, ein Fauchen aus. »Erbärmliche Verräterin. Du hast unseren Meister getötet. Du hast dich gegen deine eigene Blutlinie gewandt und den Eid gebrochen. Eher begleite ich dich in die Hölle, als dich lebend entkommen zu lassen.«

Mit einem Satz war er bei ihr. Menolly schaffte es, auszuweichen, und sie trat mit dem Fuß zu, bohrte ihm den Stiletto-Absatz in die Brust und schleuderte ihn rücklings gegen die Wand. Bedauerlicherweise hatte der Absatz nicht sein Herz getroffen.

Er brüllte laut auf und stürzte sich auf sie, und diesmal warf er sie zu Boden. Ich wollte dazwischen gehen und ihr helfen, war aber klug genug, das gar nicht erst zu versuchen.

Sie waren beide in vol er Erregung, die Reißzähne ausgefahren, die Augen blutrot, der Dämon in ihrem Inneren entfesselt. Wenn ich jetzt versuchte, sie auseinanderzuzerren, würden beide mich in Fetzen reißen. Als sie auf dem Boden aufschlugen, erbebte der ganze Flur, und von oben hörte ich aufbrandenden Lärm.

Verzweifelt winkte ich Roz herbei. »Wir müssen weg!«

Roz warf noch einen Blick auf die Treppe und riss dann seinen Staubmantellauf wie ein irrer Exhibitionist. Das Metall an einem halben Dutzend verschiedener Waffen, die an Schlaufen in seinem Mantel hingen, schimmerte in dem trüb erleuchteten Flur. Er holte einen runden Gegenstand hervor und schleuderte ihn neben die kämpfenden Vampire auf den Boden. Sogleich erfüllte der Gestank von Knoblauch den Flur.

Menolly und ihr Angreifer ließen voneinander ab und begannen zu japsen. Roz nutzte die Gelegenheit, Menollys Gegner eine weitere Knoblauchbombe in den offenen Mund zu stopfen, und der Vampir begann zu kreischen, als die Dämpfe in einer weißen Rauchwolke aus ihm hervorschossen. Zach und Roz packten Menolly bei den Unterarmen, und Fraale zeigte auf einen der Flure.

»Hier geht es zu einem Ausgang. Ich kenne den Weg«, sagte sie.

Während wir durch das Labyrinth aus Fluren rannten, sickerte weiterhin Blut aus der Wunde an meinem Hals, und links und rechts von uns öffneten sich Türen. Vampire mit leuchtenden Augen und hungrigen Gesichtern sahen zu, wie wir an ihnen vorbeiflohen.

Ich erhaschte den einen oder anderen Blick ins Innere von Zimmern, auf halb bekleidete Männer und Frauen, hingegossen auf Betten und Diwane. Blut war über eine behaarte Brust, über runde Brüste verspritzt, Stöhnen drang auf den Flur heraus. Qual, Ekstase, hier im Fangzabula verschwamm alles miteinander. Aber niemand setzte uns nach -

jedenfalls nicht sofort. Wir hatten uns einen Vorsprung von ein paar Augenblicken erlaufen, ehe wir hinter uns Rufe hörten.

Wir hatten die schmale Treppe, die zu einer Metalltür mit einem großen roten Ausgangsschild darüber führte, schon fast erreicht, als die erste Welle über uns hereinbrach. Inzwischen hatte Menolly sich halbwegs von dem Knoblauch erholt, sie drehte sich um und versperrte zusammen mit Roz den Verfolgern den Weg. Zach und ich standen hinter ihr und Fraale hinter uns.

Eine Gruppe von etwa zehn Vampiren kam auf uns zu, angeführt von dem, der mich angegriffen hatte. Menollys Gegner war auch dabei, gestützt von einem seiner Brüder.

Unter den Vampiren war auch die Oberkellnerin, die ich zuvor in der Nähe der Bar gesehen hatte. Sie trat vor, und ich stöhnte.

Die Frau war im Leben offensichtlich Bodybuilderin gewesen, denn sie sah aus wie eine gedopte Götterstatue: riesige Brüste und mächtige Oberarme, schmale Taille, beunruhigend mächtige Muskeln an den Oberschenkeln. Obendrein war sie auch noch ein paar Fingerbreit größer als ich. Sie trug eine weiße Fransenhose mit Schnürung an den Seiten und ein kurzes Hooters-Tanktop, das sie mehr als ausfüllte. Ihre Cowboystiefel mit endlos hohen, spitzen Absätzen waren mit orangeroten Strasssteinchen besetzt. Langes, blondes Haar fiel ihr über den Rücken, und sie sah aus, als sollte sie echte kalifornische Strandbräune vorweisen können, doch sie war so kalkweiß wie alle anderen. Sie lächelte und bleckte die Reißzähne. Beiläufig bemerkte ich, dass hellrosa Lippenstift ihr wirklich nicht mehr so gut stand.

»Ihr seid hier nicht willkommen«, sagte sie und starrte meine Schwester an.

»Wir sind schon am Ausgang«, sagte Menolly. »Lasst uns gehen, und wir werden keinen Arger machen.«

Die Vampir-Amazone begaffte meinen Hals und leckte sich die Lippen. »Zu spät.« Sie schoss auf mich zu und versuchte, sich zwischen Menolly und Roz durchzuwinden.

Menolly knurrte heiser, rammte dem Weib den Kopf in die Magengegend und stieß sie ein paar Schritte zurück. Währenddessen zückte Roz etwas, das aussah wie eine Batterie Knallkörper. Er zündete ein Ende an und warf das Ding in die Menge. Als das Schießpulver losknatterte, erfüllte der scharfe Geruch den Flur, und gleich darauf stieg wieder starker Knoblauchgestank auf.

Ich begann zu husten und erstickte beinahe selbst an der ekligen Mischung, aber ich sah, dass die Wirkung auf die Vampire wesentlich schlimmer war. Mehrere von ihnen wichen zurück und flohen die Treppe hinauf. Die Steroid-Tussi jedoch wirkte kaum beeinträchtigt, ebenso wie ein paar andere.

»O Scheiße, die muss irgendwie immun sein«, brummte Roz.

Die Frau lachte ihn aus. »Was glaubst du eigentlich, wie wir hier arbeiten? Meinst du, wir lassen unsere Angestellten ungeschützt?« Sie versetzte Menolly, die gerade zu einem neuen Angriff ansetzte, mit der Rückhand eine schallende Ohrfeige und schleuderte sie auf mich zurück, so dass wir beide zu Boden gingen.

Plötzlich ertönte ein Kreischen, so laut, dass ich mir die Ohren zuhielt, in denen es unerträglich klingelte. Ich blickte mich um, und Fraale sprang über uns hinweg und landete leichtfüßig auf den Zehenballen zwischen uns und den Vampiren. Sie holte tief Luft.

»Ohren zuhalten«, warnte Roz. Wir gehorchten sofort.

Fraale öffnete den Mund und stieß ein schrilles Heulen aus - etwas derart Lautes hatte ich noch nie gehört. Sie war schlimmer als eine Banshee. Sie stand breitbeinig da, die Hände in die Hüften gestemmt, und strahlte etwas so Un-menschliches aus, dass mir vor Angst der Atem stockte. Anscheinend ging es den Vampiren genauso, denn die wichen dicht gedrängt zurück und beäugten sie mit einer Mischung aus Hunger und - Angst?

Roz packte mich am Arm und schob mich zur Treppe. »Rauf da!« Menolly stieß Zach vor sich her, und dann wirbelte Fraale herum und rannte uns nach. Wir schafften es gerade so zur Tür, da waren sie uns schon wieder dicht auf den Fersen. Während wir zum Auto liefen, zerrte Roz etwas aus seinem Mantel und warf es über die Schulter mitten auf die Motorhaube eines schwarzen Wagens.

Wir hatten kaum Camilles Lexus erreicht, als eine Explosion den Parkplatz erschütterte und Zach und mich vornüber auf die Motorhaube schleuderte.

»Heilige Scheiße! Was...«

»Na los!« Roz schleifte mich um den Wagen herum zur Beifahrerseite, und Menolly öffnete die Türen mit der Fernbedienung am Schlüssel. Wir sprangen ins Auto. Zach, Roz und Fraale hechteten auf den Rücksitz, während ich auf den Beifahrersitz glitt.

Ich blickte zu dem Feuer zurück, das nun in dem brandneuen BMW tobte. Die Vampire waren zurückgewichen, bis auf zwei, die es geschafft hatten, die tödlichen Flammen zu umgehen. Der Feuerball ließ einen Funkenregen in die Nacht aufsteigen, loderte im Aufwind und bildete einen tosenden Pilz aus Flammen und Rauch.

Menolly ließ den Wagen an, und wir rasten mit quietschenden Reifen und über neunzig Sachen vom Parkplatz. Die Polizei hier in der Gegend war entweder mit einem anderen Fall beschäftigt oder machte schon die ganze Nacht lang Kaffeepause. Sirenengeheul war aus der Ferne zu hören, aber ich sah keinen einzigen Streifenwagen. Den Budgetkürzungen der Regierung sei Dank, dachte ich.

Chase jammerte ständig über den Personalmangel, und ich wusste, dass er das bitterernst meinte.

Menolly fuhr über hundert, als wir die nächste Hauptstraße erreichten. Erst jetzt ging sie vom Gas und warf einen Blick in den Spiegel. Die anderen fanden es vermutlich beunruhigend, die Fahrerin nicht im Rückspiegel sehen zu können, aber ich war daran gewöhnt.

»Alle noch heil und ganz?«, fragte sie.

»Ich glaube schon«, sagte Zach. »Aber eines ist sicher.«

»Was denn?«, fragte ich, lehnte mich im Sitz zurück und versuchte, meine durchgeschmorten Nerven zu beruhigen.

»Ihr Mädels werdet eure Banne verstärken müssen.

Irgendwie glaube ich nicht, dass die Mitglieder des Fangzabula-Clubs sich das einfach so gefallen lassen werden.«

»Zach hat recht«, sagte Roz. »Die sind stinksauer. Täuscht euch nicht. Wir sind gerade mit Mühe und Not entwischt. Noch zehn Sekunden, und sie hätten uns geschnappt. Und das wäre wirklich nicht nett geworden.«

»Vor allem, falls Karvanak uns in die Finger bekommen hätte«, fügte Menolly hinzu.

»Fraale, du kannst nicht zu ihm zurückgehen. Wir müssen sein Versteck überfallen und abhauen. Sag mir, wohin ich fahren soll.«

Fraale schnaubte. »Ja, ich stehe jetzt auf seiner Liste, kein Zweifel. Er wird mich bei lebendigem Leib auffressen, wenn er mich zu fassen bekommt. Und das nicht im übertragenen Sinne. Ich habe schon gesehen, wie er genau das getan hat. Einmal war er so wütend auf eine seiner Dienerinnen, dass er sich in einen Tiger verwandelt und ihr den Arm abgebissen hat. Und ihr wollt gar nicht wissen, was er vorher mit ihr gemacht hat.

Sie ist schreiend verblutet.« Ihre Stimme klang erstickt; ich war mir sicher, dass sie die Wahrheit sagte.

Schaudernd holte ich mein Handy aus dem Handschuhfach, wo ich es verstaut hatte, ehe wir den Club betreten hatten. Ich wählte Camilles Handynummer, und sie ging fast sofort dran.

»Wir hatten Arger, aber jetzt sind wir mit Fraale auf dem Weg zu Karvanaks Versteck.

Sammle Morio und Smoky ein, wir treffen uns dort - und beeilt euch, verdammt. Wir brauchen euch. Es könnte sein, dass ein paar Vampire hinter uns her sind, also lasst Maggie nicht allein zu Hause. Ich weiß nicht, wie wir das machen sollen, aber ab sofort müssen wir unser Land sehr gut bewachen. Menolly ist jemandem vom Elwing-Blutclan begegnet, der nicht gerade begeistert war, sie zu sehen.«

»Mutter aller Götter, was für ein furchtbares Chaos«, flüsterte sie. »Okay, ich denke mir was aus. Wir sind schon unterwegs. Smoky muss ich mit einem stummen Ruf holen, aber er müsste ihn eigentlich hören und bei mir erscheinen. Wo müssen wir hin?«

Ich reichte Fraale das Handy. »Gib ihr bitte die Adresse.«

»Zwei-drei-fünf-acht-fünf Forsythia Street. Kleines grünlich graues Haus, ein bisschen zurückversetzt. Seid vorsichtig, der Vorgarten ist mit Fallen gespickt - haltet euch an den gepflasterten Weg.« Sie gab mir das Handy zurück.

»Alles klar?«, fragte ich und blickte aus dem Fenster in den Seitenspiegel. Bisher gab es keine Anzeichen dafür, dass wir verfolgt wurden. Aber das bedeutete einen feuchten Dreck. Vampire und Dämonen hatten zu viele andere Möglichkeiten, sich von einem Ort zum anderen zu bewegen.

»Ja, verstanden«, sagte Camille. »Vanzir ist hier, ich nehme ihn mit. Wir brauchen heute Nacht wirklich jeden Mann, und er wird es eben riskieren müssen, dass Karvanak ihn wieder erwischt. Nicht die beste Idee, aber ich werde... « Sie senkte die Stimme, und ich wusste, dass sie nicht von Vanzir belauscht werden wollte. »Ich werde ihm befehlen ..

wenn er glaubt, dass er gefangen genommen wird und es nicht mehr verhindern kann...

dann soll er sich töten.«

Ich starrte in die Nacht, die an mir vorbeiflog. Der Mond ging der dunklen Phase entgegen, und die Nacht kam mir vor wie die Stil e des Grabes. »Ja, das wird wohl das Beste sein«, sagte ich dann. »Glaubst du, wir werden je wieder ein normales Leben führen, Camille?«

Sie lachte erstickt. »Ach, mein Kätzchen, eher könnten wir die Treppe zu den Sternen finden als den Weg zurück in ein normales Leben. Nein, ich fürchte, wir stecken in diesem Alptraum fest. Und weißt du was? Das ist in Ordnung, denn so hat unser Leben Bedeutung. Und in dieser Welt mit so viel sinnloser Wut und Gewalt finde ich, wir sollten stolz darauf sein, diese Last zu tragen. Wir bewirken etwas. Zumindest müssen wir uns das immer wieder sagen. Also, seid vorsichtig, wir kommen, so schnell wir können.«

Als die Verbindung abbrach, blickte ich wieder in die Nacht hinaus. Menolly lenkte den Wagen flott durch die Straßen und fuhr uns der nächsten Katastrophe entgegen, wie auch immer die aussehen mochte. Die Wolken teilten sich einen kurzen Moment, gerade lang genug, um mir einen Blick auf die Sterne zu gewähren. Zumindest etwas würde für immer bestehen, dachte ich. In dieser Welt voller Wut und Hass und Wahnsinn waren zumindest die Sterne - soweit man das denn beurteilen konnte - unvergänglich.