Kapitel 4

 

Heilige Scheiße, wo führt das denn hin?«, fragte Morio.

Smoky räusperte sich. »Erst dachte ich, das seien die Nordlande, aber die Energie ist unrein, nicht klar. Ich glaube, es führt in die Schattenwelt.«

»O Scheiße«, sagte Vanzir. »Dann stehen hier einem Haufen Spukgestalten der übelsten Sorte Tür und Tor offen. Vielleicht wären sie sogar in der Lage, die Toxidämonen zu beschwören, aber ich bin nicht sicher, ob das hier der Fall war.«

»Wunderbar.« Ich starrte die schimmernde Energie des Portals an und fragte mich, wie stark der Schlag wohl wäre, den sie mir verpassen würde, falls ich sie anfasste. »Jetzt hat also auch noch die Geisterwelt beschlossen, sich Erdseits niederzulassen.«

Camille verschränkte die Arme vor der Brust und starrte nervös die Öffnung an. »Wen sollen wir denn als Bewachung dafür holen? Ich kenne nicht gerade viele ÜW, die gegen Bewohner der Schattenwelt etwas ausrichten könnten. Das ist nun mal nicht dasselbe wie bei einem Troll oder einem Goblin, dem man einfach eins über den Schädel zieht. Geister können auf so viele Arten gefährlich sein.«

Ich kniff die Augen zusammen und überlegte, wer uns da helfen konnte. »Ich kann Venus Mondkind fragen. Vielleicht weiß er jemanden.« Der Schamane des Rainier-Rudels war ein unglaublich mächtiges Werwesen, und wenn irgendjemand 28

wusste, wie man mit Geistern umging, dann er. Er hatte in seiner Jugend eine sehr umfangreiche Ausbildung durchlaufen, und ich hatte das Gefühl, dass er schon mehr als einmal in die Hölle und wieder zurück gereist war. »Gute Idee«, sagte Morio.

»Dann bleibt uns jetzt also nur, die Toxidämonen und das Monster zu finden, das sie beschützt. Wenn man bedenkt, wohin dieses Portal vermutlich führt, tja... dann könnte das so ziemlich alles sein.« Ich schaute den Flur entlang. »Was wetten wir, dass die Toxidämonen sich unter die Erde verkrochen haben? Wenn ich eine gigantische, dämonische Schmeißfliege wäre, würde ich mich in einem Keller verstecken.«

»Darauf wette ich auch, zehn zu eins, Süße«, sagte Roz und zwinkerte mir zu. »Also suchen wir die Treppe.«

Ich ignorierte ihn, denn mir war jetzt nicht nach Geplänkel. Ein weiteres Portal bedeutete noch mehr mögliches Chaos, das verhindert werden musste. Und die Schattenwelt war beileibe kein netter kleiner Geister-Freizeitpark. Nein, dort gab es Wesen, die eine Seele verschlingen und schwarz und leer wieder ausspucken konnten.

Ich schob mich an Roz vorbei und gab Camille einen Wink. »Nimm du die rechte Seite des Flurs, ich nehme die linke. Mach jede Tür einen Spaltbreit auf und knall sie sofort wieder zu, falls irgendetwas herauszukommen versucht. Ihr anderen passt auch gut auf.

Nach allem, was wir bis jetzt wissen, könnten wir es mit einem Geisterdämon zu tun bekommen.«

Vanzir schauderte. »Es könnte ein Geisterdämon sein. Die machen mir entsetzliche Angst, dabei bin ich ein Traumjäger. Manche von denen fressen sämtliche übersinnliche Energie, auf die sie stoßen, was bedeutet, dass ihr, Morio und Camille, besonders vorsichtig sein müsst - seid bereit, jederzeit abzuhauen. Wenn es tatsächlich ein Geisterdämon ist, dürft ihr auf keinen Fall zulassen, dass er euch berührt.« Camille erschauerte. »Warum?«

»Wenn dich einer von ihnen berührt, heftet er sich an deine Psyche an, und du wirst es verteufelt schwer haben, ihn wieder loszuwerden. So ernähren sie sich. Man könnte sie als seelische Blutegel bezeichnen. Nur sind sie verdammt viel schlauer als jeder Blutegel, den man in einem gewöhnlichen Sumpf finden würde, und wesentlich tödlicher.«

Ich hob die Hand. »Dann würde ich sagen, Roz, du tauschst mit Camille die Plätze.

Camille, ich will dich und Morio nicht vorn haben; haltet euch ein bisschen zurück. Ich möchte nicht riskieren, einen von euch an einen Geisterdämon zu verlieren.« Camille protestierte, doch ich winkte ab. »Hör zu, lebendig bist du für uns wesentlich wertvoller als tot. Kapiert?«

Sie lächelte. »Kapiert, Frau General. Okay, wenn wir noch ein bisschen warten, können Morio und ich doch versuchen, eine Ahnung davon zu bekommen, was hier los ist. Wenn es ein Geisterdämon ist, spürt er vielleicht unsere Energie und zeigt sich. Ach, übrigens, wie tötet man die eigentlich?«

Vanzir verdrehte die Augen. »Wisst ihr Mädchen denn gar nichts über Dämonen?« Als wir ihn verdutzt ansahen, schüttelte er den Kopf. »Man kann Geisterdämonen töten, aber sie magisch anzugreifen ist die allerschlechteste Methode. Sie schlucken Zauber wie Bonbons. Die sind wie Treibstoff für sie. Silber ist immer gut. Man kann sie auf der physischen Ebene treffen und mit einer Silberwaffe auch Schaden anrichten. Eine sehr erfahrene Hexe kann sie auch festsetzen... «

»Aber natürlich!« Morio schnippte mit den Fingern. »Ein Schlingenzauber. Wenn sie da hineingeraten, erschafft die Energie des Zaubers eine Barriere, die sie nicht absorbieren, aber auch nicht überwinden können. Das funktioniert so ähnlich, wie wenn ein Zwirbelkäfer eine Spinne in seinem besonderen Netz fängt - er befestigt es an dem Faden, an dem sich die Spinne abseilt, und spinnt sein Netz parallel dazu.«

Ich starrte ihn an. »Spinnen, hm? An Spinnen mag ich nicht mal denken.«

Morio grinste mich an. »Das Thema macht dich wohl ein bisschen nervös, was?«

Ich schüttelte mich. Wir hatten vor einigen Monaten gegen ein Nest von Werspinnen gekämpft. Wer-Winkelspinnen obendrein. Ich bekam immer noch eine Gänsehaut, wenn ich irgendwo eine braune Spinne krabbeln sah. Zum Glück hatte der Anti-Spinnen-Zauber, den Königin Asterias Technomagus auf unser Haus gelegt hatte, seine Wirkung noch nicht verloren. Die Elfenkönigin hatte wirklich ein gutes Händchen bei der Auswahl von Mitarbeitern.

»Ja«, sagte ich. »Was ist denn ein Zwirbelkäfer? Von denen habe ich noch nie gehört. In der Anderwelt gibt es jedenfalls keine.«

Smoky meldete sich zu Wort. »Zwirbelkäfer sind ursprünglich auch nicht in der Erdwelt heimisch. Niemand weiß genau, woher sie gekommen sind, aber ich habe gehört, dass man sie in einigen älteren Feenhügeln findet.«

»So ist es«, sagte Morio. »Der Zwirbelkäfer ist ein Spinnenfresser. Er sieht aus wie eine Kreuzung zwischen einer Gottesanbeterin und einem Tausendfüßler und spinnt ein Netz aus einer Drüse am Hinterteil, genau wie eine Spinne.

Normalerweise hängt er sein Netz einfach an das der Spinne an und lauert ihr darin auf.

Die Spinne hält die beiden Netze für eines und krabbelt hinüber, um den Zwirbelkäfer zu beißen. Die Fäden sehen ganz normal aus, aber sobald die Spinne das Netz des Zwirbelkäfers berührt, bleibt sie daran kleben.«

Camille lehnte sich an die Wand. »Der Schlingenzauber funktioniert also wie dieses Netz.

Er sieht aus wie magische Energie, die der Geisterdämon sich einverleiben könnte, aber wenn er erst hineingeraten ist, kann er sie nicht berühren und also auch nicht mehr entkommen. Damit ist er praktisch hilflos.«

»Genau«, sagte Morio. »Und wir können ihn erledigen.«

»Beherrschst du so einen Zauber?« Sie runzelte nachdenklich die Stirn. »Ich habe eine ungefähre Vorstellung, wie er funktionieren könnte, aber auf gar keinen Fall werde ich meine Magie einsetzen, wenn ich nicht ganz genau weiß, was ich tun muss. Selbst dann wäre ich bei so etwas sehr vorsichtig.«

Morio seufzte tief. »Theoretisch weiß ich, wie es geht. Ich werde deine Hilfe brauchen, wir können es nicht hier im Flur machen, und auch nicht in Bewegung. Wir müssen den Zauber an irgendeinem ruhigen Ort aufbauen, damit ich mich konzentrieren kann.«

»Im Wohnzimmer?« Camille blickte den Flur entlang zurück zu dem bogenförmigen Durchgang. »Wir könnten den Vorhang wieder aufhängen, damit der Raum auf unsere geisterhaften Gäste etwas einladender wirkt.«

Der Yokai nickte. »Gehen wir... «

»Moment mal!« Ich schüttelte energisch den Kopf. »Niemand geht irgendwohin, ehe wir uns alle einig sind. Wir wissen doch nicht einmal, ob wir es tatsächlich mit einem Geisterdämon zu tun haben.

Was, wenn ihr euch geirrt habt? Was, wenn es etwas anderes ist, das sich zurückschleicht und euch beide anfällt, während ihr auf euren Zauber konzentriert seid?«

»Was, wenn wir recht haben und es keine andere Möglichkeit gibt, so ein Wesen zu bekämpfen?«, erwiderte Camille.

Ein plötzlicher dumpfer Schlag beendete unsere kleine Auseinandersetzung. »O Scheiße, was ist das?« Ich wirbelte herum, als ein zweiter Schlag die Tür ganz am Ende des Flurs erzittern ließ. Was auch immer da drin war, es war groß. In diesem Moment bemerkte ich das Vorhängeschloss, das die Tür geschlossen hielt. Die Tür würde sich zum Flur hin öffnen - und die Angeln konnten leicht ausgerissen werden.

»Das Schloss sieht nicht gerade solide aus. Vielleicht ist das Ding da drin doch kein so furchterregender Gegner.«

»Darauf würde ich lieber nicht setzen«, sagte Camille. »Das Schloss ist magisch.«

O verflucht. Wenn das Schloss magisch verstärkt war, ließ sich überhaupt nicht mehr einschätzen, was sich hinter dieser Tür verbarg. Aber was auch immer es war, es wollte heraus, und da das Holz um die Türangeln bereits splitterte, würde es seinen Willen bald bekommen. Ich eilte den Flur entlang.

»Kommt mit! Das Ding bricht gleich durch. Macht euch bereit.« Roz und ich bauten uns ganz vorne auf, ließen Morio und Camille aber genug Platz, ihre Zauber zwischen uns durchzuschießen. »Wie sieht ein Geisterdämon überhaupt aus?«

Vanzir zückte einen richtig fies aussehenden Kris mit beinernem Griff. Ich verzog das Gesicht. Das Ding würde eine hässliche Narbe hinterlassen, sofern es einem das getroffene Glied nicht gleich abhackte.

Er sah meine Grimasse und schnaubte. »Was denn? Erwartest du vielleicht von mir, eine Silberklinge zu benutzen? Oder irgendeinen schicken Dolch? Ich bin ein Dämon, Mädchen, auch wenn ich nicht so aussehe. Gewöhn dich dran.« Ich begegnete seinem Blick, und seine Augen wirbelten wie ein buntes Kaleidoskop. Dieser Blick wirkte wild und gefährlich und verursachte mir jedes Mal eine Gänsehaut.

»Antworte mir einfach«, übertönte ich weitere schwere Schläge gegen die Tür. Entweder war der Hüter unseres Freundes gerade außer Haus, oder das, was uns gleich angreifen würde, wurde noch ein bisschen angestachelt, ehe man es uns auf den Hals hetzte.

»Geisterdämon. Okay. Der Geisterdämon unterscheidet sich von einem Totenmann durch seine glühenden Augen, feuerfarben. Er hat ein Loch - einen Trichter, genauer gesagt -, wo das Herz sein sollte. Das Loch sieht aus wie ein Wirbellaus Nebel und ist etwa so groß wie eine kleine Melone. Damit saugt er Energie ein. Aus dem Loch schieben sich feine Tentakel hervor, die sich an die Aura seines Opfers hängen. Heilige Scheiße, das war ja ein Schlag!« Er zuckte zusammen, als die Tür wackelte.

Was auch immer das sein mochte, es war schon beinahe durchgebrochen. Ich dachte kurz daran, das Schloss zu sprengen, damit wir es endlich hinter uns bringen konnten, aber womöglich war das Schloss selbst mit einer Falle versehen. Und um nah genug heranzukommen, hätte ich direkt in die Gefahrenzone vordringen müssen. Nein, es war wohl besser, wir ließen den Berg zu uns kommen, statt selbst zum Berg zu gehen.

Camille war offenbar anderer Meinung. Sie ging auf die Tür zu. »Bringen wir es hinter uns.«

»Bleib sofort stehen.« Als sie sich erstaunt zu mir umdrehte, sagte ich: »Hör zu... Ich bin eine Werkatze, richtig?« Sie nickte. »Wir wissen, wann wir uns mit einem Sprung auf unsere Beute stürzen sollten und wann wir besser sitzen bleiben und abwarten. Hab noch ein bisschen Geduld. Ich weiß, das fällt dir schwer, aber mein Instinkt rät mir, nicht als Erste anzugreifen. Es gibt einen Grund dafür, dass noch niemand das Schloss geöffnet und dieses Ding auf uns losgelassen hat.«

Und als ich das sagte, erkannte ich, dass es stimmte. Was auch immer hinter dieser Tür stecken mochte, war so schrecklich, dass nicht einmal sein Hüter die Absicht hatte, ihm zu nahe zu kommen. Ich warf Vanzir einen Blick zu. »Hast du auch wirklich nichts gesehen, als du gestern hier herumgeschnüffelt hast?«

Er schüttelte den Kopf. »Ich habe gemerkt, dass dieser Ort von einem üblen Miasma durchdrungen ist, aber ich hatte keine Ahnung, dass sich so etwas hier aufhält. Ich dachte, wir hätten es nur mit einem Haufen Toxidämonen und ihrem Wächter zu tun, weiter nichts«, murmelte er. Ich sah ihm an, wie es ihm zu schaffen machte, dass er hierauf nicht vorbereitet gewesen war, also sagte er vermutlich die Wahrheit. Außerdem war er durch seinen Eid gebunden, der ihm verbot, uns in eine Falle zu locken. Er wäre inzwischen längst tot, wenn er uns belogen hätte. Sein symbiontischer Halsreif hätte ihn erwürgt.

In diesem Augenblick gab die Tür mit einem besonders hässlichen Krachen nach, und wir alle zuckten zusammen, als ein Geschöpf hervortaumelte. Das Ding hatte eine Schulterhöhe von gut über zwei Metern. Mit seinen drei Köpfen ähnelte es auf erschreckende Weise einem äußerst bösartigen Mutanten-Rottweiler, der wütend die Zähne fletschte. Er sah uns, hob einen Kopf und stieß ein langes, durchdringendes Geheul aus.

»Ihr könnt nicht vorbei«, sprach der zweite Kopf, während der dritte knurrte.

»Ein Höllenhund!« Ich versuchte, meinen Schrecken zu überwinden. Das Kätzchen in mir wollte davonlaufen, der Panther das Geschöpf zerfetzen. Ich rang darum, nicht die Kontrolle zu verlieren und mich zu verwandeln.

»Mist!« Morio ließ sofort seine Tasche fallen und trat zurück. »Ich nehme meine wahre Gestalt an. Keiner meiner Sprüche wirkt gegen einen Höllenhund.«

Während er sich in einen Dämon zu verwandeln begann, schrie Camille: »Höllenhunde mögen auch keine Kälte!«

Smoky schob sich blitzschnell an ihr vorbei und stürzte sich auf das Vieh, und mir gelang es endlich, mich in den Griff zu bekommen. Die Hände des Drachen - die nun in langen Klauen anstelle von Fingernägeln endeten - fuhren durch die Luft und hinterließen eine Reihe tiefer Kratzer seitlich am Rücken des Höllenhundes. Als Smoky wegsprang, um nicht gebissen zu werden, stürmte ich mit erhobenem Dolch vor.

Der linke Kopf - der uns belehrt hatte, wir sollten zurückweichen - schnappte nach mir.

Ich schaffte es, den langen Zähnen auszuweichen, doch er lachte und sagte: »Feines Fleisch für die Kleinen.«

»Nicht so hastig, du Köter!« Als ich wieder angriff, sah ich Morio an mir vorbeifliegen. Er war in seiner vollen Dämonengestalt gut zwei Meter vierzig groß. Seine Augen glitzerten wie goldene Topase, und sein Körper war dünn mit flaumigem Fell von der Farbe brünierten Kupfers bedeckt.

Morios dämonisches Gesicht war dem menschlichen noch so ähnlich, dass man ihn erkennen konnte, nur seine Nase war lang und schwarz geworden, und die Nasenspitze schimmerte feucht. Dampf quoll aus seinen Nasenlöchern, und als er den Mund öffnete, entblößte er nadelspitze Zähne. Der Fuchsdämon ging auf zwei Beinen, nicht auf vier Pfoten, und seine Hände waren von der Form her noch recht menschlich, aber mit Fellbedeckt und mit gebogenen Krallen bestückt. Ein Penis von der Größe meines Lieblingsvibrators hing schwer zwischen seinen Beinen.

»Heilige Scheiße!«, brüllte Vanzir. »Das würde ich gern können!« Er schwang den schweren Kris und hieb nach der Hüfte des Höllenhunds. Die letzte Handbreit der Klinge traf.

Morio rang nun mit dem Höllenhund, der sich ebenfalls auf die Hinterbeine erhoben hatte. Camille stieß einen schrillen Schrei aus, und ich sah nur verschwommen ihren Rock, als sie mit gezücktem Dolch an mir vorbeiflitzte.

Ich nutzte die Gelegenheit, mich mit einer Hechtrolle direkt vor die Pfoten des Höllenhunds zu bringen. Mit einem gut gezielten Schlag durchtrennte ich die Sehnen seines rechten Hinterbeins. Der rechte Kopf stieß ein lautes Jaulen aus, doch ich rollte schon wieder fort. Ich kam gerade rechtzeitig auf die Beine, um den Yokai und den Höllenhund miteinander ringen zu sehen, ein Zweikampf auf Leben und Tod. Der Höllenhund war fast so groß wie der Morio-Dämon, und sie waren wohl ungefähr gleich stark.

»Aus dem Weg, Mädchen!« Smoky stieß mich beiseite und fuhr mit den Klauen an der linken Brustseite des Höllenhundes herab. Aus fünf tiefen Rissen tropfte rauchendes Blut auf den Boden, das sich in das Holz fraß und Brandflecken hinterließ.

»Sein Blut ist eine Säure!«, schrie ich, wirbelte herum und suchte nach einer Angriffsfläche.

Camille sprang mit einem Aufschrei zurück, und ihre Finger qualmten - sie hatte mit ihrem Dolch zustechen wollen, das heftig kämpfende Biest aber verfehlt und war mit der Hand an dessen blutende Seite geraten. Sie ließ den Dolch fallen und krümmte sich stöhnend. »Verdammt, das ist ja schlimmer als Eisen.«

Als der Höllenhund auf sie aufmerksam wurde, stieß Smoky ein tiefes Grollen aus, das den ganzen Flur erzittern ließ, und griff an. Uns allen war klar, dass es jetzt mit seiner Beherrschung vorbei war, und wir wichen hastig zurück. Alle bis auf Morio, der nach vorn schoss, um Camille aus der Gefahrenzone zu schleifen.

Smoky warf den Kopf zurück, und sein langer Zopf wand sich wie eine Schlange um seine Schultern. Seine Augen sahen plötzlich aus wie Gletscher und frostige Tundren, die die Sonne längst vergessen hat. Er hob die Arme und ließ einen Spruch los, der ebenso unmöglich zu verstehen wie zu ignorieren war.

Binnen Sekunden fiel die Lufttemperatur um gut zwanzig Grad. Seine Hände vibrierten, seine Krallen glitzerten wie Eiszapfen. Der Höllenhund ließ von Morio und Camille ab, als Smokys Hände vorschnellten und den mittleren Kopf packten. Smoky verzerrte knurrend das Gesicht, und der Kopf gefror - verwandelte sich in pures Eis - und zersprang im tödlichen Griff des Drachen.

Die beiden anderen Köpfe heulten schrill- ob vor Überraschung oder Schmerz, hätte ich nicht sagen können. Der Höllenhund wich zurück, und der Halsstumpf, an dem der mittlere Kopf gesessen hatte, war jetzt mit Klumpen gefrorenen Säurebluts bedeckt. Aber wenn Smoky einmal richtig wütend wurde, dann blieb er wütend, bis das Objekt seines Zorns vollständig vernichtet war oder Smoky befand, dass er nun genug Schaden angerichtet hatte. Immerhin so viel hatten wir über den Drachen schon gelernt. Und wenn jemand Camille verletzte, gab es kein Entrinnen.

Smoky flog förmlich auf das Wesen zu - ein verschwommener Streifen Weiß und Silber -

und landete hart neben ihm. Er lachte, und seine Augenwinkel legten sich vor Freude in Fältchen, als er die Haut des Höllenhunds zerfetzte und ihm die Eingeweide aus dem Leib riss.

Der Höllenhund stieß ein letztes Heulen aus, und Rauch quoll aus seinem Bauch. Binnen Sekunden war das Vieh mitsamt seinen heraushängenden Gedärmen in einem Wölkchen Asche und Blut verschwunden.

Ich starrte die Stelle auf dem Boden an, wo es eben noch gestanden hatte, und blickte dann zu Smoky auf. Die Freude in seinen Augen, das Vergnügen am Kampf erstarb so rasch, wie es aufgeflammt war. Er eilte an Camilles Seite, und auch ich lief zu ihr. Morio untersuchte bereits ihre Hand.

Sie lag am Boden und biss die Zähne zusammen, während Morio ihre Hand abtastete.

Die Säure hatte sich an einer kleinen Stelle bis auf den Knochen durchgebrannt. Smoky strich ihr übers Haar, während ich beruhigend auf sie einredete. Sie weinte.

»Verflucht. Es tut mir leid«, sagte sie und wischte sich zornige Tränen aus den Augen. »Ich habe das Vieh nicht richtig getroffen und bin mit der Hand an eine seiner Wunden geraten.«

»Große Mutter, das ist eine schlimme Verletzung. Du kannst nicht hierbleiben. Wir müssen ein andermal wiederkommen... «, begann ich, aber sie schüttelte den Kopf.

»Nein! Wir dürfen ihnen keine Zeit lassen, sich hier neu aufzustellen. Sucht mir nur etwas, womit ich die Hand verbinden kann, ich halte mich ab jetzt eben im Hintergrund.«

Sie warf Roz einen Blick zu, der schon in seinem Mantel herumkramte. »Hast du noch etwas von der Salbe, die du immer mit dir herumträgst?«

Er hielt einen kleinen Tiegel in die Höhe. »Hier«, sagte er, öffnete ihn und schmierte eine haselnussgroße Menge auf die offene Wunde. »Das hilft fürs Erste gegen den schlimmsten Schmerz und verhindert hoffentlich, dass sich die Wunde entzündet. Lass nur keinen Dreck drankommen.« Aus einer anderen Innentasche zog er eine kleine Rolle Mullbinde und begann, ihre Hand zu verbinden.

»Du bist also nicht nur ein wandelnder Waffenschrank, sondern hast auch noch ein halbes Lazarett da drin?« Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. »Eines Tages will ich alles sehen, was unter diesem Mantel steckt.«

Er warf mir einen langen Blick zu. »Alles?«, fragte er leise und mit anzüglichem Lächeln.

»Lass gut sein. Du weißt genau, was ich damit gemeint habe.« Ich seufzte. Er war ein Incubus, und das würde er auch bleiben. Er würde sich nie ändern. Ich war nur froh, dass er auf unserer Seite stand. »Okay, kleine Änderung des Plans. Camille, du bleibst hinten bei Smoky. Er kann dich am besten schützen, falls wir auf noch irgendein großes Mistvieh stoßen sollten. Morio, mit mir nach vorn. Roz und Vanzir bleiben in der Mitte.«

Vanzir deutete auf die offene Tür, die der Höllenhund aus den Angeln gesprengt hatte.

»Gut, aber ich glaube, wir haben unser Nest gefunden. Wie es aussieht, ist das hier die Tür zum Keller, und die Energie, die hier die Treppe hochkommt, ist definitiv dämonisch.«

Ich spähte die Treppe hinunter. Die Beleuchtung war spärlich, vermutlich nur eine einzelne Fünfundzwanzig-Watt-Birne. Die Stufen verschwanden unten in der Dunkelheit.

Ein Gestank nach Kot, fauligem Fleisch und saurer Milch stieg aus der Tiefe auf.

»Himmel, riecht das widerlich. Mir ist sowieso schon schlecht«, sagte ich und trat an den Kopf der Treppe. »Dann gehen wir jetzt runter?«

Vanzir nickte und reichte mir einen Besen, den er in einer Ecke gefunden hatte. »Prüfe die Treppe lieber vor jedem Schritt - es könnte Fallen oder kaputte Stufen geben. Das Letzte, was wir brauchen, ist, dass du die Treppe hinunterfliegst und dir den Hals brichst.«

Mit diesem ermunternden Gedanken im Kopf schnappte ich mir den Besen, und wir stiegen Schritt für Schritt in den Keller hinab.