Kapitel 19

 

Am Morgen schlug ich die Augen auf und spürte Zach an meinen Rücken gekuschelt, einen Arm über meine Taille gelegt. Er schnarchte leise, und seine Bartstoppeln rieben an meiner Schulter, als er im Schlaf etwas vor sich hin murmelte. Die Sonne war durch die Wolken gebrochen, und einer ihrer Strahlen fiel faul aufs Bett und tauchte uns in unerwartetes Licht und angenehme Wärme.

Ich blinzelte und spähte nach dem Wecker. Halb neun. Zeit zum Aufstehen. Obwohl wir spät ins Bett gekommen waren, schlief ich lieber kurz, dafür aber öfter. Ein paar Stündchen hier, ein paar Stündchen da reichten mir vollkommen. Vor allem nach dem Sex im Wald und dem heißen Bad danach.

Ich mochte kein Wasser, aber Zach hatte mich in die Wanne voll duftenden Schaums gehoben, mich an seine Brust gelehnt und mir den Bauch gewaschen und dabei sanft meine Brüste gestreift. Während seine Hände über meine Haut glitten, wuchs die Leidenschaft zwischen uns wieder an, und er nahm mich noch in der Badewanne. Ich schob mich auf seinen Schoß, die Knie über seine Hüften gereckt. Er glitt von unten in mich hinein, ich beugte mich vor und stützte mich mit den Händen am Boden der Wanne ab, und so wiegten wir uns leise der seifigen Ekstase entgegen, bis das Wasser auskühlte. Ich war eingeschlafen, sobald mein Kopf das Kissen berührt hatte.

Jetzt war ich wach, aber immer noch etwas schlaftrunken.

Ich gähnte und schob mich vorsichtig aus dem Bett. Zach stöhnte leise und setzte sich dann auf. Er schenkte mir ein albernes Grinsen, das mich von innen heraus wärmte, und breitete die Arme aus. Ich ließ Höschen und BH fallen und schlüpfte wieder unter die Decke, um ihm einen ausgiebigen Gutenmorgenkuss zu geben.

Schließlich lehnte er sich ans Kopfende des Bettes und sah mich ernst an. »Okay, gestern Nacht haben wir nicht darüber gesprochen, aber jetzt muss es sein. Was ist mit. .«

»Chase?«, beendete ich den Satz für ihn. Ich war immer noch nicht bereit, die Situation zu besprechen, aber Zach wollte irgendeine Erklärung, und ich hatte das Gefühl, sie ihm schuldig zu sein.

»Ja - Chase.« Er seufzte tief. »Die vergangene Nacht war unglaublich. Ich hoffe bei Gott, dass du dasselbe empfunden hast wie ich. Wir sind füreinander bestimmt, Delilah. Fühlst du das nicht? Wir haben nicht nur gefickt. Wir haben uns gepaart. «

Ich hätte beinahe meine Zunge verschluckt. Ich wusste ganz genau, wovon er sprach, hatte aber gezögert, es selbst auszusprechen, weil ich nicht sicher gewesen war, ob er genauso empfunden hatte. Der Sex war phantastisch gewesen, aber vor allem hatte ich das Gefühl gehabt, dass wir miteinander verschmolzen waren, so, als hätte er mich vollständig angenommen. Alles an mir. Fee, Mensch, Werkätzchen, Werpanther... jeder Aspekt meiner selbst war in unsere Vereinigung einbezogen gewesen. So gut Chase und ich normalerweise miteinander harmonierten, es gab Teile meines Wesens, zu denen er keinen Zugang hatte - oder wollte.

»Ich weiß«, sagte ich leise. »Ich weiß. Aber, Zach, im Augenblick geht es drunter und drüber. Chase und ich... Chase... « Ich streckte mein Höschen aus und starrte es an. Es war aus grünem Satin, von Victoria's Secret, und Chase hatte es mir geschenkt. Auf einmal konnte ich es nicht mehr anziehen. Ich stopfte es in die Schublade zurück und suchte ein anderes heraus: hellrosa Baumwolle, sehr schlicht.

Das war meine Unterwäsche. Meine eigene, mein Stil, meine Kuscheligkeit. Ich zog sie mir über die Hüfte hoch, suchte den passenden BH heraus, drehte mich um und starrte den Werpuma an, der auf meinem Bett ausgestreckt lag.

Ein köstlicher, heißer Grog an einem kalten Winterabend - das war Zach. Milch und Kekse am Nachmittag und Haferflocken zum Frühstück. Wanderstiefel und Bluejeans und eine Lederjacke, die einfach himmlisch roch. Er war alles, was ich auch war - außer Fee.

»Ich bin furchtbar wütend, weil Chase mich belogen hat. Ich wäre damit klargekommen, dass er mit einer alten Flamme schläft, denn um ehrlich zu sein, hätte ich euch gern beide in meinem Leben. Aber er hat mir nicht die Wahrheit gesagt, und deswegen komme ich mir dumm vor. Jetzt weiß ich nicht, was er will oder was er denkt.« Ich setzte mich auf die Bettkante, starrte zu Boden und barg den Kopf in den Händen. »Und ich glaube, ich weiß auch nicht, was ich will . Ich weiß nicht mal, was ich wollen darf.«

Ich drehte mich um und deutete auf das Mal auf meiner Stirn. »Ich habe noch niemandem davon erzählt, aber gestern während des Kampfs hat der Herbstkönig gesagt... er hat gesagt, es gehöre zu seinen Plänen für mich, dass ich eines Tages diejenige sein würde, die ihm ein Kind gebiert. Wenn er das ernst meint, bleibt mir keine andere Wahl.

Ich bin an ihn gebunden. Was bedeutet das also für mich? Chase spielt zwar gern den Coolen, was unsere Art angeht - und die Lebensweise von Vaters Volk. Aber seine Akzeptanz hat Grenzen. Und so etwas könnte er niemals akzeptieren. Könntest du es?«

Zach starrte mich an. Dann streckte er die Hand aus und rieb meinen Arm. »Ich bin nicht sicher, ob ich das im Augenblick beantworten kann, um ehrlich zu sein. Ich glaube, wenn der Herbstkönig nichts dagegen hätte, dass du einen sterblichen Liebhaber hast, dann könnte ich mich wohl daran gewöhnen, dass du ein unsterbliches Kind hast. Das Rainier-Rudel allerdings nicht. Nur höre ich nicht unbedingt auf alles, was die sagen. Nicht mehr.

Meine jüngsten Eskapaden, wie die Ältesten das nennen, sind gar nicht gut aufgenommen worden. Es tut mir leid. Eine bessere Antwort kann ich dir jetzt nicht geben.«

Ich zuckte mit den Schultern. »Es ist mir lieber, du sagst mir das ehrlich, statt mich anzulügen. Vorerst ist das ja auch genug für mich. Also, was hast du angestellt, worüber der Rat sich so aufgeregt hat?«

Er lächelte mich verlegen an. »Ich kandidiere für den Stadtrat. In Puyal up.«

Ich starrte ihn an. »Du tust was?«

»Ich kandidiere für den Stadtrat. Ich will Gemeinderat werden. Als parteiloser Kandidat und als ÜW. Als Angehöriger des Rainier-Puma-Rudels. Venus unterstützt mich, und das ist der einzige Grund dafür, dass sie mich noch nicht aus dem Stammesrat geworfen haben. Aber ich habe jede Menge Ärger im Revier.«

Ich nickte. Das Rainier-Rudel- vor allem der Ältestenrat - war in seinen Gepflogenheiten sehr festgefahren. Diese Leute hielten auch nichts von meinen Schwestern und mir, obwohl wir sie vor einem erbarmungslosen Serienmörder gerettet hatten, der sich als uralter Feind des Stammes entpuppt hatte. Doch wir hatten dort mindestens zwei Verbündete. Sowohl Zachary als auch Venus Mondkind, der Schamane, machten sich für uns stark. Wir hatten es den beiden zu verdanken, dass das Rainier-Rudel uns mehr als einmal zu Hilfe gekommen war - aber ohne ihren Einfluss wären wir dort nicht willkommen.

»Gemeinderat, ja?« Ich kicherte spöttisch. »He, kannst du mit meinen Strafzetteln was drehen, wenn du da reinkommst?«

Er lachte, ein kehliger Laut, der in mir den Wunsch weckte, in seine herrlichen Lippen zu beißen, doch er drehte sich herum und sprang aus dem Bett, um sich ausgiebig zu strecken. Seine Muskeln spielten im warmen Morgenlicht. Als er nach seiner schlammverkrusteten Jeans griff und das Gesicht verzog, warf ich ihm einen Bademantel zu.

»Gib mir das dreckige Zeug.«

Er zog die Augenbrauen hoch und tauschte die Jeans gegen den Bademantel. »Aber der ist rosa. Nicht mal neonpink. Sondern bonbonrosa.«

»He, zufällig mag ich Bonbons. Also finde dich damit ab«, gab ich grinsend zurück. »Wir waschen schnell deine Sachen, ehe du nach Hause... «

Ein Klopfen unterbrach mich. Zach schloss hastig den Bademantel, und ich öffnete die Tür und sah Iris mit bekümmerter Miene vor mir stehen.

»Sharah ist wieder am Telefon, und sie muss dich dringend sprechen. Leitung eins. Geh du ans Telefon, ich stecke inzwischen diese Sachen in die Waschmaschine. Ich glaube, wir haben noch irgendwo eine Jeans und ein T-Shirt, die dir passen müssten.« Sie raffte Zachs Klamotten aus meinen Armen, während er hektisch nach dem Gürtel tastete, weil der Bademantel sich wieder geöffnet hatte. »Keine Panik, Zachary. Du hast nichts, was ich nicht schon mal gesehen hätte«, bemerkte sie mit einem Lächeln, sammelte dann einen Wäschekorb voll schmutziger Kleidung von meinem Fußboden auf und ging damit hinunter.

Ich griff nach dem Telefon neben meinem Bett. Wir hatten zusätzliche Leitungen in meinem Stock und im ersten Stock bei Camille einbauen lassen. Jetzt mussten wir nicht mehr nach unten rennen. Außerdem hatten wir uns eine zweite Leitung geben lassen.

»Hallo, Sharah«, sagte ich. Wenn Chase sie dazu gebracht hatte, für ihn hier anzurufen, würde ich ihm was erzählen. Es war nicht in Ordnung, irgendjemanden in unsere Streitigkeiten mit hineinzuziehen. Aber Sharah klang wirklich verzweifelt.

»Delilah, den Göttern sei Dank. Ich versuche schon seit gestern Abend, dich zu erreichen, aber du hast nicht zurückgerufen.«

Ich warf Zach einen Blick zu. »Ich... musste mich um andere Dinge kümmern. Tut mir leid. Was ist denn los?« »Es geht um Chase.«

»Was ist mit ihm?« Ich wollte nicht hören, dass er sich bei ihr ausweinte oder sonstwie Trübsal blies. Immerhin hatte er sich das selber eingebrockt.

»Chase hat sich seit gestern Mittag nicht mehr gemeldet. Er verschwindet nie einfach so.

Ich mache mir große Sorgen, dass ihm irgendetwas zugestoßen sein könnte.«

Ihre Worte trafen mich mitten ins Herz. »Was meinst du damit? Glaubst du, er steckt in Schwierigkeiten?« Eine nagende Angst begann sich von meiner Magengrube aufwärts zu winden.

»Ich meine genau das, was ich gesagt habe. Er ist noch nicht zur Arbeit gekommen.

Gestern ist er früh gegangen, und ich habe ihn später wegen eines Problems angerufen, da war er nicht zu Hause. Ich war ein bisschen besorgt, aber dann dachte ich mir, dass er vielleicht eine Art familiären Notfall hatte oder so, deshalb habe ich dich angerufen. Jetzt mache ich mir ernsthaft Sorgen. Er ist noch nicht im Büro. Ich versuche ständig, ihn zu erreichen, aber in seiner Wohnung hebt auch niemand ab.«

Ich biss mir auf die Lippe und schmeckte Blut, weil einer meiner Reißzähne an der aufgesprungenen Haut hängen geblieben war - ich hatte wieder einmal vergessen, den Lippenbalsam zu benutzen, den Camille mir gekauft hatte. Sharah hatte recht. Es sah Chase gar nicht ähnlich, einfach zu verschwinden, ohne mindestens eine Nummer zu hinterlassen, unter der er im Notfall erreichbar war. Dafür nahm er seinen Job viel zu wichtig. Andererseits hatte er ja schon seit einer Weile eine Art Doppelleben geführt.

Vielleicht war Erika seinem Verantwortungsbewusstsein nicht gut bekommen.

»Hast du schon mit Erika gesprochen?«, fragte ich, obwohl die Worte weh taten, als sie aus meinem Mund sprudelten. »Vielleicht weiß sie, wo er ist.«

Sharah zögerte kurz. Sie wusste es. Ein wenig zu spät räusperte sie sich. »Ich habe sie angerufen, aber sie ist nicht drangegangen. Es tut mir leid, Delilah. Ich weiß nicht, was ich sagen... «

Ich spürte Zachs Blick, als meine Wangen heiß wurden. Ich hasste es, rot zu werden, hasste dieses Gefühl, bloßgestellt zu werden und mich zu schämen. Tränen wallten in mir auf, doch ich schluckte sie hinunter und versuchte, mich auf das aktuelle Problem zu konzentrieren. Tatsache war - Erika hin oder her -, dass Chase sich nie vor seinen Pflichten drückte. Wenn er hätte anrufen können, hätte er sich zumindest gemeldet. Was bedeutete, dass irgendetwas nicht stimmte. Vielleicht hatte er eine Autopanne gehabt.

Vielleicht war sonst etwas passiert.

»Hast du jemanden zu seiner Wohnung geschickt?«

»Nein«, antwortete sie. »Noch nicht. Ich wollte erst noch ein paar Leute anrufen, ehe ich so weit gehe. Du wärst wohl nicht bereit, hinzufahren? Ich könnte es verstehen, wenn du nein sagst, aber hier geht irgendein Virus um, und wir sind völlig unterbesetzt.«

Ich seufzte tief. Das Letzte, was ich jetzt tun wollte, war, Chase hinterherzulaufen, aber irgendetwas an der ganzen Situation klang nicht gut.

»Also gut. Ich fahre rüber und sehe mich um. Wenn er doch noch ins Büro kommt, ehe ich mich bei dir melde, sag mir Bescheid, damit ich mich wieder an die Arbeit machen kann.« Auf meinem Schreibtisch lagen drei Fälle, um die ich mich kümmern musste.

Nichts Dringendes, aber damit würde ich nächsten Monat ein paar Rechnungen bezahlen können.

»Mache ich, und danke dir. Und ich entschuldige mich noch mal dafür, dass ich dich anrufen musste.«

Ich legte langsam den Hörer auf, und Zach schlang den Arm um meine Taille. »Ich glaube, ich habe ungefähr mitbekommen, was los ist. Sol ich dich begleiten?«

Ich schüttelte den Kopf. »Das wäre vermutlich keine so gute Idee. Wenn ich ihn tatsächlich finde, haben wir eine Menge zu besprechen. Und wenn nicht, na ja... « Diesen Gedanken ließ ich lieber unangetastet und wies stattdessen zur Tür. »Lass uns runtergehen und frühstücken. Was hast du heute vor?«

Er band gemächlich den Gürtel meines Bademantels zu und hielt mir die Tür auf. »Ach, nichts Besonderes. Nur eine Besprechung mit meinem Wahlkampf-Manager, einen Fototermin, und heute Nachmittag ist draußen am Gelände ein Zaun dran, der repariert werden muss. Ich soll die Arbeit beaufsichtigen.« Er zögerte kurz. »Rufst du mich später an und sagst mir, wie es ausgegangen ist?«

Ich nickte. »Verlass dich drauf. Jetzt will ich erst mal wissen, wie es gestern Nacht mit dem Geistsiegel ausgegangen ist.«

Wir eilten in die Küche, doch da waren nur Smoky, Iris und Maggie. Maggie saß auf Smokys Schoß und spielte mit einer Strähne seines langen Haars, die die kleine Gargoyle neckte und am Bauch kitzelte.

Iris reichte Zach Jeans und ein T-Shirt, und er ging ins Bad, um sich umzuziehen. Dann deutete sie auf den Herd: In einer Pfanne war Rührei, in der anderen dicke Scheiben Speck. Auf dem Tisch standen Melonenbällchen und ein Stapel Toast. Ich schnappte mir eine Scheibe und biss hungrig hinein.

»Bitte bedient euch selbst. Ich habe heute die Wäsche und einen Hausputz anstehen.

Camille ist schon in die Buchhandlung gefahren, und Morio erledigt die Einkäufe.

Menolly ist natürlich schon in ihrem Unterschlupf, und von unserem dämonischen Duo habe ich heute noch nichts gesehen.«

Ich erstickte beinahe an einem dicken Krümel. Iris nannte Roz und Vanzir neuerdings das dämonische Duo, sehr zu deren Missfallen. Der Rest von uns fand es sehr lustig, aber die beiden - vor allem Vanzir - wussten Iris5 Art von Humor eben nicht zu schätzen.

»Nur zu. Ich habe Sharah versprochen, etwas für sie nachzuprüfen. Chase ist verschwunden, und offenbar kann ihn niemand finden.«

»Große Mutter, hoffentlich ist ihm nichts zugestoßen.«

»Das will ich auch hoffen«, brummte ich und setzte mich an den Tisch. Zach kam angezogen wieder herein. Ich bot ihm einen Teller Rührei mit Speck an, doch er schüttelte den Kopf.

Er schnappte sich ein paar Scheiben Toast und küsste mich auf die Stirn. »Ich mache mich besser gleich auf den Weg. Wiedersehen allerseits.« Ehe ich mich richtig verabschieden konnte, war er zur Tür hinaus, und ich sah ihm durchs Fenster nach, als er in seinen Pick-up stieg und davonfuhr. Ich wandte mich wieder Smoky zu, der am Tisch saß und mich aufmerksam beobachtete.

»Also, wie ist es gestern Nacht mit dem Geistsiegel gelaufen?« Ich setzte mich auf meinen Platz und fiel gierig über das Essen her. Unser Stoffwechsel lief auf Hochtouren, und Camille und ich aßen wie Schwerstarbeiter. Menolly hätte auch so viel gegessen, wäre sie kein Vampir gewesen.

Smoky zuckte mit den Schultern. »Deine Schwester sollte noch an ihrem Taktgefühl arbeiten, aber alles in allem waren wir erfolgreich.«

O-oh. »Was hat Menolly jetzt wieder angestellt?«

Der Drache zog die Augenbrauen hoch, und ich hatte den Eindruck, dass er sich ein Grinsen verkniff. »Zunächst einmal wäre ihr beinahe herausgerutscht, dass wir über Trillian Bescheid wissen. Das wäre unklug, wenn man bedenkt, welche Mühe sich die Elfen gegeben haben, seine Mission geheim zu halten. Es ist mir gelungen, ihren Ausrutscher zu überspielen, aber ich weiß nicht recht, ob sie mir den Hustenanfall wirklich geglaubt haben.«

Wunderbar. Wir hätten es besser wissen müssen, als Menolly diesen kleinen Ausflug zu überlassen. Sie war eine großartige Kämpferin und absolut treu und zuverlässig, aber sie hatte nicht so ganz unter Kontrolle, was sie sagte und zu wem sie es sagte. Sie würde zwar niemals absichtlich ein Geheimnis verraten, aber wenn man sie genug reizte, explodierte sie nur allzu leicht, dann konnte es schon mal vorkommen, dass sie sich verplapperte. Ich schob das auf diese Vampir-Sache, obwohl ich wusste, dass sie im Grunde schon immer so gewesen war.

»Und, was hat Königin Asteria gesagt?«

»Die Elfenkönigin war überglücklich, das vierte Siegel in Händen zu halten. Sie macht sich immer noch große Sorgen wegen des dritten Geistsiegels, und was Schattenschwinge damit anstellen könnte. Die Dahns-Einhörner haben mehrere besorgniserregende Angriffe in den Randgebieten ihres Landes gemeldet. Zunächst dachten sie, die Überfälle wären von Goblins verübt worden, aber bei näherer Untersuchung stellte sich heraus, dass die Wunden nicht dem üblichen Muster entsprechen.«

Ich aß den letzten Bissen Rührei mit Speck. »Na ja, immerhin ist das vierte Siegel jetzt sicher verwahrt, und es war für uns nicht allzu schwer zu finden. Ich mache mich jetzt auf den Weg. Bin in ein, zwei Stunden wieder da, und falls ihr mich braucht, erreicht ihr mich auf dem Handy.«

»Ich mache mich ebenfalls auf den Weg, hinaus zu meinem Land. Hier«, sagte er und drückte mir Maggie in die Arme. »Kümmere du dich um euren Schützling. Falls Camille nach mir fragt, ich bin heute Abend in meinem Hügel. Ich muss mich um diverse Dinge kümmern, und diese verfluchten Feenköniginnen häufen an den Grenzen meiner Ländereien alles Mögliche an. Ich werde dafür sorgen, dass sie das Land nicht völlig ruinieren.«

Er verzog das Gesicht. Während der vergangenen zwei Monate war uns allen unmissverständlich deutlich geworden, was Smoky davon hielt, dass Morgana, Aeval und Titania die Feenhöfe wieder aufbauten.

Bei der großen Spaltung, als die Anderwelt sich von der Erdwelt getrennt hatte, waren der Lichte und der Dunkle Hof zersprengt und Aeval und Titania verbannt worden. Vor ein paar Monaten waren sie dank Morganas Einmischung zu dem Schluss gelangt, dass sie von diesem Mist die Nase voll hatten, und nun bauten sie mit Camilles Unterstützung ihr Königreich wieder auf. Wir wussten nicht so recht, ob das eine gute Idee war, aber eines stand fest: Auf diese Weise kamen sie uns nicht ständig in die Quere, und die VBM waren hingerissen. Die große Frage war jetzt, wo sie ihren eigentlichen Hof errichten wollten. Titania wollte einen Teil von Smokys Land beanspruchen. Er gab aber keinen Zentimeter nach. Uns war klar, dass das Ärger bedeutete.

»Sei nur vorsichtig. Diese drei sind gefährlich, ich traue ihnen nicht über den Weg.« Ich setzte Maggie in ihren Laufstall und vergewisserte mich, dass sie ihr Lieblingsspielzeug - ein Stoffäffchen namens River, das Chase ihr geschenkt hatte -und ihre Bauklötze hatte.

»Dein Misstrauen ist berechtigt. Die führen nichts Gutes im Schilde. Es wäre mir lieber, Camille hätte sich nicht mit ihnen eingelassen, aber wenn eine der Ewigen Alten einem einen Befehl gibt, gehorcht man wohl besser.« Der Drache schlüpfte in seinen langen weißen Trenchcoat und ging zur Tür hinaus.

Er hatte recht, was die Ewigen Alten anging, dachte ich. Keiner von uns gefiel es, worauf Camille sich da eingelassen hatte. Morgana gehörte zwar theoretisch zu unserem Stammbaum, aber wir alle wussten, dass Blutsbande allein noch keine Loyalität bedeuteten. Nur war Camille gar nichts anderes übriggeblieben. Dafür hatte Großmutter Kojote gesorgt.

Allerdings taten die neuen Feenköniginnen uns einen großen Gefallen: Sie befreiten uns teilweise vom Druck des öffentlichen Interesses. Seit wir Feen diese Welt offiziell wieder betreten hatten, betrachtete man uns durch mystisch verzerrte Brillen, und wir wurden ebenso verachtet wie verehrt.

Doch nun waren die Feen der Erdwelt aus der Versenkung aufgetaucht, und das glich einiges aus. Aber ich wollte mich nicht zu früh freuen. Wenn die VBM erst merkten, dass die Feenköniginnen nicht vorhatten, sich mit ihnen zu verbrüdern und lustige Partys zu feiern, konnte die Stimmung blitzartig umschlagen. Und die drei Königinnen waren nun einmal alles andere als jovial.

Ich kritzelte eine Nachricht für Iris, die mit der Wäsche beschäftigt war, küsste Maggie auf die Wange und schnappte mir meinen Schlüsselbund. Als ich in den Jeep stieg, kehrten meine Gedanken zu Chase zurück. Ich glaubte nicht daran, dass er verschwunden war. Vermutlich war er mit Erika durchgebrannt oder hatte etwas ähnlich Bescheuertes angestellt. Die Frage, warum mir das trotzdem so zusetzte, geisterte durch meinen Hinterkopf. Immerhin hatte ich gerade eine unglaubliche Nacht mit Zach verbracht. Und ich würde Chase davon erzählen. Nicht weil ich es ihm unter die Nase reiben wollte, sondern um der Offenheit willen. Vielleicht sollte ich Chase doch nicht so hart verurteilen.

Andererseits, widersprach eine weitere leise Stimme, störte ich mich ja nicht nur an seinen Lügen oder vielmehr daran, dass er es mir verschwiegen hatte. Chase hatte sich auch angestellt, weil ich rein freundschaftlichen Kontakt zu Zach gehalten hatte. Also hatte ich mich auf Chase konzentriert und ihm meine ganze Aufmerksamkeit geschenkt.

Und dann hatte er es mit einer anderen getrieben.

Ich war gründlich verwirrt, und mir wurde abwechselnd heiß und kalt, während ich den Freeway bis zu der Ausfahrt entlang raste, die zu seinem Apartmenthaus im Süden von Seattle führte. Er wohnte genau genommen schon fast in Renton, obwohl die Postleitzahl noch zur Stadt selbst gehörte.

Als ich auf den Parkplatz fuhr, sah ich mich nach seinem neuen SUV um, und tatsächlich, da stand er auf seinem festen Platz. Chase war also entweder zu Hause und ging nicht ans Telefon, oder er war mit jemand anderem unterwegs - natürlich Erika. Oder, fügte eine leise Stimme hinzu, vielleicht war er ja zu Hause, aber nicht in der Lage, ans Telefon zu gehen. Ich sprang aus dem Jeep und nahm zwei Treppenstufen auf einmal, bis ich vor seiner Wohnung stand. Nach zweimal Anklopfen zückte ich meinen Schlüssel. Ich starrte darauf hinab und fragte mich, ob ich gerade zum letzten Mal mit meinem eigenen Schlüssel seine Wohnung betrat. Wenn wir uns trennten, würde ich ihn zurückgeben müssen, und der Gedanke machte mich unerklärlich traurig.

Aber als ich aufschließen wollte, stellte ich fest, dass die Tür nicht verriegelt war. Ich schob sie auf und trat vorsichtig über die Schwelle. Alle Lichter brannten, obwohl schon heller Tag war. Chases Wohnung war sehr sonnig, und er achtete penibel darauf, das Licht auszuschalten, wenn er einen Raum verließ. Schlechtes Zeichen Nummer eins.

Das schlechte Zeichen Nummer zwei war schon auf den ersten Blick unübersehbar. Das Wohnzimmer sah aus, als wäre ein Tornado hindurchgefegt. Bücher lagen überall verstreut, alles, was auf dem Schreibtisch gelegen hatte, breitete sich nun auf dem Boden aus: Stifte, Papier und so weiter. Sein Laptop war aufgeklappt und blinkte. Irgendwie hatte er den Sturz überlebt. Das Herz schlug mir bis zum Hals, während ich mir einen Weg durch das Chaos bahnte. Was zum Teufel war hier passiert?

In wachsender Panik lief ich zum Schlafzimmer. Keine Anzeichen eines Kampfes oder hastig gepackter Koffer - der Kleiderschrank war voll, das Bett ordentlich gemacht. Entweder hatte er also heute Morgen Zeit gehabt, es zu machen, oder er hatte gar nicht erst darin geschlafen.

Das Lämpchen an seinem Anrufbeantworter blinkte, und ehe ich an Fingerabdrücke denken konnte, drückte ich auf die Taste und setzte mich, um die Nachrichten abzuhören. Die erste war von der Reinigung, die ihm Bescheid sagen wollte, dass er einen Anzug abholen könne. Die zweite war von Sharah, die ihn bat, so bald wie möglich zurückzurufen. Die dritte war von Erika. Ich erstarrte.

»Chase, wo zum Teufel treibst du dich rum? Ich dachte, wir wären uns einig, dass es diesmal auf meine Art läuft, verdammt. Ich spiele nicht die zweite Geige, hinter nichts und niemandem - ob es deine Arbeit ist oder diese durchgeknallte Schlampe, die du außerdem fickst. Ruf mich an, sobald du das hörst, oder du brauchst mich überhaupt nicht mehr anzurufen.«

Hol a. War das das wahre Gesicht der Frau, mit der er mich betrogen hatte? Ich starrte den Anrufbeantworter an und fragte mich, was er nur an ihr fand. Ja, sie war hübsch, aber ihr Mundwerk überschattete alles, was man an ihr attraktiv finden konnte. Ich hatte ihn nie - nicht ein einziges Mal - derart fies angeredet. Wir hatten uns gestritten, aber ich hatte ihn nie beschimpft. Die vierte Nachricht rüttelte mich aus meinen Gedanken.

Wieder Sharah, und die fünfte war auch von ihr, von heute Morgen. Und das waren dann alle.

Während ich dasaß, fiel mir ein Foto auf dem Nachttisch auf, und ich griff danach. Chase hatte es vor ein paar Monaten gemacht. Es zeigte mich als Katze, wie ich am Fußende seines Bettes zusammengerollt auf seinem liebsten Armani-Jackett schlief. Ich hatte ihm auch noch ein Haarknäuel darauf hinterlassen. Natürlich unabsichtlich, aber er hatte gelacht, bis ihm die Tränen gekommen waren, und mir nicht erlaubt, die Reinigung zu bezahlen. Ehe ich mich daran hindern konnte, begann ich zu weinen.

Ich steckte das Foto in meine Tasche und ging wieder rüber ins Wohnzimmer, um das Telefon zu suchen. Als ich es aufhob und Sharahs Nummer wählte, entschied ich, als Erstes Erika aufzusuchen. Ich würde mit ihr reden, denn ich wollte ihr gegenübertreten.

Ich wollte mich dem Dämon stellen, der sich zwischen Chase und mich geschoben hatte - einem Dämon aus seiner Vergangenheit, genährt durch meine Unsicherheit.

Und ich betete - ausnahmsweise einmal ernsthaft: Gute Herrin Bast, lass Chase dort sein.

Lass ihn sicher und wohlbehalten bei ihr sein. Denn wenn er nicht bei ihr war, mussten wir uns wirklich Sorgen machen.