Kapitel 2

 

Auf dem Rückweg drehten Roz und ich noch eine schnelle Runde über die Auffahrt und durch den Garten, um uns zu vergewissern, dass sich niemand in der Nähe des Hauses versteckt hielt. Aber wir fanden keine lauernden Wesen, nur ein paar Mäuse, Waschbären und andere Angehörige der hiesigen Fauna.

Zurück im Wohnzimmer, ließ ich mich neben Chase nieder, der auf dem Sofa saß. Roz fläzte sich in den Sessel neben Menolly. Iris hatte Maggie ins Bett gebracht und kochte gerade in der Küche Tee.

»Unser Besucher war ein Dämon. Roz sagt, es handelt sich um einen Blähmörgel. Ich habe keine Ahnung, was er hier wollte, aber er war gerade dabei, sich Speedo zum Abendessen zu angeln. Das Vieh hat Haut so zäh und hart wie altes Leder. Leider ist es uns entwischt.« Ich ließ mich an die Sofalehne sinken. »Er ist durchs Unterholz entkommen. Ach, übrigens, er kann Feuer spucken. Nettes kleines Accessoire, was?«

»Blähmörgel?« Chase verzog das Gesicht. »Ist das Ding so hässlich, wie es sich anhört?«

»Schlimmer.« Ich warf Menolly einen Blick zu. »Hast du schon mal von denen gehört?«

Sie schüttelte den Kopf, doch Iris kam gerade aus der Küche. Der Hausgeist sagte: »Blähmörgel? Himmel, es ist schon ewig her, dass mir zuletzt einer begegnet ist. In den Nordlanden waren sie einfach überall.«

»Nordlande?«, riefen Menolly und ich wie aus einem Munde. »Du hast in den Nordlanden gelebt, wie Smoky?« Es gab wirklich eine Menge, was wir über Iris nicht wussten. Wir hatten ein gutes halbes Jahr gebraucht, um endlich aus ihr herauszuquetschen, dass sie eine Priesterin der Undutar war, einer finnischen Eis- und Nebelgöttin. Sie wollte - oder konnte, behauptete sie zumindest - immer noch nicht mehr dazu sagen.

Iris nickte, und ihr verschlossener Blick sagte mir, dass sie weiter nichts preisgeben würde. »Ja, ich habe einen Großteil meiner frühen Jahre dort verbracht, nachdem ich der Jungfernschaft entwachsen war, aber bevor ich meine Arbeit bei den Kuusis angetreten habe. Da gab es eine Menge Blähmörgel, Kobolde und andere finstere Geschöpfe. Sie sind an einigen Orten außerhalb der Unterirdischen Reiche heimisch, es besteht also durchaus die Möglichkeit, dass dieses Wesen keine Verbindung zu Schattenschwinge hat.«

»Nicht sehr wahrscheinlich«, brummte ich. »Bei allem, was wir schon erlebt haben? Bei allem, womit wir es zu tun kriegen? Nein, ich glaube, wir sollten nicht ausschließen, dass sie eine neue Späher-Mission gestartet haben.«

»Vielleicht, aber Karvanak hat unseren Grund und Boden doch schon ausgespäht, und der untersteht dem Bösen Boss persönlich«, wandte Menolly ein. »Wir müssen einsehen, dass wir als Gegner ganz schön aufgestiegen sind. Schattenschwinge wird uns keine gewöhnlichen Schläger mehr auf den Hals hetzen, da er jetzt eines der Geistsiegel hat.«

Das verpasste der Unterhaltung einen kalten Dämpfer. Einer von Schattenschwinges Generälen, Karvanak - ein Räksasa, der es geschafft hatte, uns bei unserer letzten Mission

zuvorzukommen -, hatte das dritte Geistsiegel gestohlen. Das war nicht gut. Gar nicht gut. Wir wussten nicht, was genau Schattenschwinge mit einem einzelnen Siegel anstellen konnte, aber unser Kampf war wesentlich gefährlicher geworden, weil wir nicht hatten verhindern können, dass es ihm in die Klauen fiel.

Neun Geistsiegel. Neun Edelsteine, die ursprünglich ein einziger Gegenstand gewesen waren. Das Geistsiegel war ein uraltes Artefakt, geschaffen, um zerbrochen zu werden.

Als es in neun Teile zersprang, trennte die Spaltung der Welten die einzelnen Reiche voneinander ab; damit wurde es für die Dämonen wesentlich schwerer, in die Erdwelt oder die Anderwelt durchzubrechen.

Sol ten alle neun Teile wieder zusammengefügt werden, würden die Grenzen zwischen den Reichen zerstört und die Welten wären offen und angreifbar, denn alle würden sich wieder frei zwischen ihnen bewegen können. Wir haben es geschafft, zwei Geistsiegel zu finden, die jetzt sicher verwahrt sind, aber wir laufen ein Wettrennen gegen die Zeit.

Schattenschwinge, der Dämonenfürst, der die Unterirdischen Reiche regiert, ist ebenfalls hinter ihnen her, denn er will mit ihrer Hilfe die Schleier zerreißen. Dann wird er seine Armeen ausschicken, die sowohl die Erdwelt als auch die Anderwelt überrennen und in eine Hölle nach seinem persönlichen Geschmack verwandeln werden.

Meine Schwestern und ich und ein bunt zusammengewürfelter Haufen Freunde sind die Einzigen, die sich ihm in den Weg stellen. Wir stehen an vorderster Front dem Teufel selbst gegenüber.

Als wir aus der Anderwelt Erdseits versetzt wurden, betrachteten wir das als Verbannung ins Exil. Der AND, der Anderwelt-Nachrichtendienst, hatte deutlich gemacht, dass wir nicht eben als gute Agentinnen galten. Unser gemischtes Menschen- und Feenblut verdrehte oft unsere besonderen Fähigkeiten, und unsere Vorgesetzten meinten, mit der Versetzung hierher hätten sie eine Möglichkeit gefunden, uns aus dem Weg zu schaffen, ohne uns feuern zu müssen.

Aber ein paar Monate nach unserer Ankunft begann Schattenschwinge, seinen Plan in die Tat umzusetzen. Zur selben Zeit brach bei uns zu Hause ein Bürgerkrieg aus, und unser Vater setzte sich von der Garde Des'Estar ab.

Jetzt regiert in unserem Leben das Chaos. Wir stecken hier fest und müssen gegen eine Macht kämpfen, die Millionen Leben in beiden Welten auslöschen könnte. Unsere Königin in Y'Elestrial, unserer Heimatstadt, ist ständig im Opiumrausch und hat ein Kopfgeld auf uns ausgesetzt, so dass wir auch nicht nach Hause zurückkehren können.

Jedenfalls nicht in unsere Stadt. Unsere Verbündeten sind nicht eben zahlreich, die Allianzen zerbrechlich - eine absurde Mischung aus VBM (Vollblutmenschen), Feen, Dämonen, Kryptos, Werwesen und einem Drachen, und keine dieser Gruppierungen versteht sich so ohne weiteres mit den anderen.

Und dann sind da noch meine Schwestern und ich.

Wir sind halb menschlich, halb Feen und ebenfalls eine merkwürdige Zusammenstellung.

Zurzeit leben wir am äußersten Rand von Belles-Faire, einem schäbigen Vorort von Seattle.

Camille ist eine Hexe, die der Mondmutter ihren Eid geleistet hat. Sie ist erotisch und leidenschaftlich und hat erst vor kurzem geheiratet - Smoky, den Drachen, und Morio, einen Erdwelt-Fuchsdämon.

Außerdem ist sie durch ein magischsexuelles Phänomen an Trillian gebunden. Er ist ein Svartaner, gehört also zu einer der finsteren, betörenden Feenarten, und er ist vor ein paar Monaten auf der Suche nach unserem Vater verschwunden. Camilles magische Fähigkeiten sind manchmal etwas lückenhaft, und ihre Zauber gehen gern nach hinten los, aber als die Älteste kümmert sie sich um uns alle. Sie hält die Zügel in der Hand, was die Organisation unserer merkwürdigen kleinen Guerilla-Truppe betrifft.

Menolly, meine jüngere Schwester, wurde von einem der übelsten Vampire in der Geschichte sämtlicher Welten gefoltert und selbst zur Vampirin gemacht. Wir haben es geschafft, ihn zu Staub zu zerblasen, doch die Narben, die Menollys ganzen Körper bedecken, werden in alle Ewigkeit weiterexistieren. Sie engagiert sich seit kurzem in der Politik der UW-Gemeinde - die Übernatürlichen Wesen sind in diesem Fall hauptsächlich Vampire und ÜW der Erdwelt. Sie hat die Aufgabe übernommen, eine Art Untergrund-Polizei aufzubauen, um die Blutsauger-Aktivitäten in unserer Gegend zu kontrollieren.

Und dann bin da noch ich, Delilah. Ich bin eine Werkatze, und das goldene Tigerkätzchen als Alter Ego begleitet mich schon von Geburt an. Aber auf der Jagd nach dem zweiten Geistsiegel kreuzte einer der Unsterblichen meinen Pfad, der Elementarherr, der als der Herbstkönig bekannt ist. Er ist einer der Schnitter, eine Inkarnation des Todes. Als Gegenleistung für seine Hilfe machte er mich zu einer seiner Todesmaiden.

Kurz nachdem er mich gezeichnet hatte, begann sich eine weitere Tiergestalt zu manifestieren: ein schwarzer Panther, über den ich anscheinend keine Kontrolle habe.

Zunächst dachte ich, die neue Gestalt hätte ich dem Herbstkönig zu verdanken, doch dann äußerte jemand den Verdacht, ich hätte vielleicht eine Zwillingsschwester gehabt, die bei der Geburt verstorben sei. Wenn dem so war, könnte ich ihre Kräfte geerbt haben. Camille hat keine Ahnung, ob das stimmt, und Vater ist verschwunden, so dass ich ihn nicht fragen kann, also habe ich das Problem vorerst auf Eis gelegt. Aber manchmal kann ich nicht anders, als mich zu fragen: Hatte ich nun einen Zwilling oder nicht? Und wenn ja, was ist meiner Schwester zugestoßen? Warum ist sie gestorben?

»Wie gehen wir weiter vor?«, fragte Menolly.

Chase gähnte. »Ich weiß nicht, was ihr vorhabt, aber ich brauche noch ein, zwei Stunden Schlaf. Immerhin habe ich im Department gleich zwei Posten auszufüllen. Seit der Troll Devins getötet hat, komme ich kaum mehr dazu, mal durchzuatmen, von ein paar freien Tagen hier und da ganz zu schweigen. Außerdem wird das AETT gerade generalüberholt, da muss ich unbedingt ein Auge drauf haben.« Das Anderwelt-Erdwelt-Tatort-Team war Chases Idee und sein Baby, und er leitete die hiesige Abteilung. Landesweit waren alle Einheiten, die sich um Verbrechen mit Anderwelt-Beteiligung kümmerten, nach dem Prototyp aufgebaut worden, den er hier in Seattle gegründet hatte.

»Geh schon mal hoch«, sagte ich und küsste ihn leicht auf den Mund. Während ich mich locker in seine Umarmung schmiegte, sah er mir forschend in die Augen, und ich meinte, einen Funken Zweifel in seinem Blick aufflackern zu sehen. Auf einmal nervös, zog ich seinen Kopf zu mir herab und küsste ihn innig. Nach kurzem Zögern erwiderte er den Kuss auch, doch er hielt sich zurück. Ich fühlte es. Aber ich war zu müde und nervös, um ihn zu fragen, was los sei, also sagte ich nur: »Ich komme auch bald.«

Er stand vom Sofa auf. Er war so groß wie ich - eins zweiundachtzig - und sein Teint so dunkel wie meiner hell. Chase trug das schwarze, lockige Haar streng zurückgegelt. Er konnte es nicht wachsen lassen, und langes Haar wäre sowieso nicht sein Stil gewesen, doch die dunklen Augen verliehen ihm diese leicht gefährliche Ausstrahlung, und er war schlank und hielt sich fit. Der Ansatz eines Schnurrbarts und Ziegenbärtchens zeigte sich bereits deutlich, und dieser neue Look gefiel mir. Er war makellos gepflegt und liebte Designer-Anzüge und polierte Schuhe. Wir waren in vielerlei Hinsicht geradezu gegensätzlich, aber unsere Unterschiede machten auch den besonderen Reiz aus. Bildete ich mir jedenfalls gern ein.

Er ging zur Treppe, und ich wandte mich wieder den anderen zu. »Wir sollten mit Camille reden. Es muss irgendeine Möglichkeit geben, auch uns warnen zu lassen, wenn etwas ihre magischen Banne durchbricht. Vielleicht können Morio und ich uns etwas ausdenken. Ich kenne mich inzwischen ganz gut mit der Erdwelt-Technik aus, und Morio ist sehr geschickt darin, sie mit Magie zu verbinden.«

»Vanzir müsste früh am Morgen zurückkommen«, sagte Menolly. »Er hat sich in den vergangenen paar Tagen gründlich umgeschaut, und er hat hier angerufen, während ihr weg wart. Er hat etwas gefunden, worum wir uns kümmern sollten, sagt er. Dazu werden wir Camille und ihre Jungs brauchen, denn ich werde euch nicht begleiten können. Vanzir hat gesagt, die beste Zeit, sie anzugreifen, sei am helllichten Tag. Wer auch immer sie sein mögen. Ich habe Camille gerade auf ihrem neuen Handy angerufen und eine Nachricht auf der Mailbox hinterlassen.«

Vanzir war ein Traumjäger, ein Dämon, der zuvor Karvanak, dem Räksasa, gedient hatte.

Im letzten Augenblick hatte Vanzir die Fronten gewechselt und war zu uns übergelaufen.

Er war keineswegs als Chorknabe zu bezeichnen, bei weitem nicht, aber er wollte ebenso wenig wie wir, dass Schattenschwinge die Erdwelt infiltrierte. Ich wusste nach wie vor nicht genau, warum eigentlich, aber anscheinend hatte der Traumjäger seine Gründe, und er war durch einen Eid an Iris, meine Schwestern und mich gebunden. Falls er sich gegen uns wenden sollte, würde er sterben.

»Ich sollte wohl auch noch ein bisschen schlafen. Wie können wir dafür sorgen, dass der Blähmörgel nicht zurückkommt und ins Haus einbricht?« Ich streckte mich und verzog das Gesicht. Mein Körper fühlte sich müde und zerschlagen an, als hätte ich viel zu wenig Schlaf bekommen und zu viel Kaffee getrunken - und eigentlich neigte ich zu keinem von beiden.

Menolly wies zur Treppe. »Geh schlafen, Kätzchen. Du auch, Iris. Roz und ich halten bis Sonnenaufgang Wache. Ruht euch aus. Ich habe das Gefühl, dass ihr morgen all eure Kraft brauchen werdet.«

Während Iris zu ihrer Kammer ging und ich mich die Treppe hinaufschleppte, fragte ich mich, in was Vanzir uns da hineinziehen wollte. Es kam mir so vor, als wären wir innerhalb weniger Monate von ein paar bösen Jungs, die hier und da auftauchten und erledigt werden mussten, zur ständigen Überwachung der ganzen Stadt übergegangen, die es von Dämonen, Vampiren und Monstern zu säubern galt.

Als wäre das noch nicht genug, hatten sich in letzter Zeit ein Haufen neue Portale von allein geöffnet, durch die alle möglichen Bewohner der Anderwelt unkontrolliert die Erdwelt erreichen konnten, und diese Neuankömmlinge waren nicht immer angenehme Gäste.

Obendrein waren Titania, Morgana und Aeval dabei, die Erdwelt-Feenhöfe wiederauferstehen zu lassen und sich selbst an ihre Spitze zu setzen, und zwischen den Feen der Anderwelt und den Erdseitigen lag reichlich Spannung in der Luft. Keine Seite traute der anderen so recht, und ich betete darum, dass wir nicht noch unseren eigenen Bürgerkrieg hier in Seattle bekommen würden.

Unser Leben, das einst so einfach und lustig gewesen war, hatte sich in eine Abfolge grausiger Alpträume verwandelt. Ich seufzte, als ich den Treppenabsatz vor meinen Zimmern im zweiten Stock erreichte. Es gab kein Zurück. Das stand jedenfalls fest. Wir konnten nicht einfach wieder nach Hause gehen, weder im übertragenen noch im wörtlichen Sinne. Dieser Gedanke brachte mich beinahe zum Weinen.

Als ich um Viertel vor sechs aufstand, war Chase schon weg. Er hatte mir eine kurze, knappe Botschaft hinterlassen, mich aber nicht geweckt, um sich zu verabschieden. Ich runzelte die Stirn. Das ging wirklich zu weit. Ob es ihm passte oder nicht, wir mussten endlich miteinander reden.

Als ich die Treppe hinunterpolterte, waren alle eifrig mit Vorbereitungen beschäftigt.

Camille saß mit Morio und Smoky in der Küche. Ihre Ehemänner waren wahrhaftig ein seltsames Paar. Morio war eher klein, Japaner, und er trug einen langen, glatten Pferdeschwanz. Er kleidete sich in Grau und Schwarz, hatte immer ein schalkhaftes Blitzen in den Augen, und er engagierte sich vol in unserem Kampf gegen die Dämonen.

Smoky hingegen war eins neunzig groß und beinahe ein Albino, mit wadenlangem, silbrigem Haar, das sich von selbst bewegte. Sein Blick konnte kochendes Wasser gefrieren, und seine Aufmerksamkeit galt ausschließlich Camille. Ja, er half uns, aber ich glaube, wenn Camille nicht gewesen wäre, hätte er keinen Gedanken an uns verschwendet.

Die drei saßen am Frühstückstisch und diskutierten in gedämpftem Flüsterton über Taktiken und Strategien.

Menolly schlief natürlich in ihrem Unterschlupf, und Maggie döste in ihrem Laufstall .

Roz half Iris, den Tisch zu decken. Und in der Ecke brütete über einem Stapel Unterlagen, die wie Karten aussahen - Vanzir.

Der Traumjäger wirkte absolut menschlich. Sein platinblondes, etwas längeres Haar war zurückgekämmt, und mit seinem schmalen, hageren Gesicht sah er aus wie ein Rocker, der immer noch dem Heroin-Chic anhing. Doch das Feuer in seinen Augen verriet seine dämonische Abstammung. Er trug eine Jeans und ein T-Shirt, und der feine Reif, der sich unter der Haut um seinen Hals schmiegte, war der Beweis dafür, dass er sich dem Knechtschaftsritual unterzogen hatte. Sol te er seinen Eid brechen, würde der Halsreif ihn augenblicklich töten.

Ich goss mir ein Glas Milch ein und sprang hastig beiseite, als Roz eine Platte voll Pfannkuchen und knusprigem Speck zum Tisch trug. Iris folgte mit einer Schüssel Rührei. Ich ließ mich auf meinem Stuhl nieder, beugte mich hinüber und tippte Vanzir aufs Knie. Ich mochte ihn nicht besonders, doch bisher hatte er stets Wort gehalten. Ob das daran lag, dass ihm ansonsten die Vernichtung drohte, wusste ich nicht, aber da er seinen Teil der Abmachung einhielt, gab ich mir Mühe, höflich zu ihm zu sein. »Was gibt's?«

Er blickte gemächlich zu mir auf. »Ich habe darauf gewartet, dass du endlich aufwachst.«

»Tja, jetzt bin ich wach. Also lass hören«, sagte ich und spießte einen kleinen Stapel Pfannkuchen mit der Gabellauf. Iris hatte einen ganzen Turm davon gemacht und wohl ein volles Kilo Speck gebraten, und dennoch würde nichts mehr übrig sein, wenn wir mit dem Frühstück fertig waren.

Camille, die zwischen ihren beiden Männern saß, ertränkte ihre Pfannkuchen in Butter und Sirup und ließ es sich schmecken. Dabei beugte sie sich weit über den Tisch, damit der Sirup nicht auf ihre Brüste tropfte, die praktischerweise wie ein Tablett hervorragten.

»Hast du einen neuen BH? Du siehst heute Morgen besonders üppig aus.« Ich deutete mit dem Finger auf ihr Dekollete und schnaubte. »Ehrlich, bei so viel Holz vor der Hütte ist es ein Glück, dass du zwei Männer dafür hast!«

»Drei«, sagte sie automatisch, und ihre Miene verfinsterte sich.

»Drei«, wiederholte ich leise. »Es tut mir leid. Aber ich denke trotzdem immer an Trillian, glaub mir.« »Ich auch«, flüsterte sie.

Mein kleiner Versuch, die Stimmung aufzulockern, war kläglich gescheitert. Ich räusperte mich und wandte mich wieder Vanzir zu, der sich geziert die Lippen abwischte. Er aß sehr wenig, und ich überlegte, was wohl seine natürliche Nahrung sein mochte. Ich fragte ihn allerdings lieber nicht danach. Die Antwort würde mir möglicherweise nicht gefallen.

»Nur zu. Wir hören.«

Als alle am Tisch nickten, sagte er: »Okay, ich habe ein Nest Toxidämonen entdeckt. Ich weiß nicht, wie sie hierherkamen, aber normalerweise findet man sie nur in den U-Reichen. Fiese kleine Mistviecher.«

Scheiße. Toxidämonen - giftige, dämonische Schmeißfliegen aus den Unterirdischen Reichen. Sie waren fast so groß wie mein Kopf und verdammt schnell für ihre Größe.

Durch ihre nadelspitzen Stacheln beförderten sie eine Menge giftiger Brühe in die Blutbahn ihrer Opfer. Neben dem Gift, das binnen Sekunden lähmte, befand sich darin ein Haufen Eier, aus denen binnen vierundzwanzig Stunden Maden schlüpften, die sich dann von innen nach außen durch das Opfer knabberten.

»Widerliche Parasiten.« Camille verzog das Gesicht. »Ich hasse Parasiten.«

Smoky strich ihr zärtlich eine dunkle Locke aus dem Gesicht. »Ich lasse nicht zu, dass sie dir etwas tun«, sagte er und widmete sich wieder seinem Frühstück.

Sie zog die Augenbrauen hoch und lächelte mich kurz an. Wenn es nach Smoky ginge, würde sie den ganzen Tag in seinem Hügel eingesperrt verbringen, sicher vor sämtlichen unerwünschten Besuchern - und anderen Liebhabern. Manchmal behielten die Rolling Stones jedoch recht und man bekam eben nicht immer, was man wollte. Deshalb gab Smoky sich damit zufrieden, uns bei unseren Unternehmungen zu begleiten, obwohl er sich eigentlich kaum für irgendetwas interessierte außer dem, woran er zufällig gerade Geschmack gefunden hatte. Drachen gaben großartige Söldner ab, wenn man sie entsprechend entlohnte. Offenbar war die Hochzeit mit Camille genug, um uns seine Hilfe zu sichern.

»Mist«, sagte ich. »Die werden wir wohl vernichten müssen. Werden sie bewacht, oder sind sie sich selbst überlassen?«

Er nickte. »Leider nein. Sie haben einen Wächter. Ich bin nicht ganz sicher, was es ist -

könnte irgendeine Art Geist oder Gespenst sein. Jedenfalls ist dieser Wächter sehr mächtig, und er stammt nicht aus den Unterirdischen Reichen.«

»Na toll.« Ich spießte den nächsten Happen Pfannkuchen auf. »Das klingt ja groß.. « Das Telefon klingelte und unterbrach mich. Ich sprang auf und ging dran. »Hallo?«

»Ich möchte gern Chase Johnson sprechen.« Ich erkannte die Stimme nicht, aber sie war eindeutig weiblich und beunruhigend samtig und sexy.

Ich starrte einen Moment lang den Hörer an und fragte dann: »Sharah?«, obwohl ich wusste, dass sie das nicht war.

»Mein Name ist Erika. Ich suche nach Chase Johnson, und man hat mir gesagt, dass ich ihn vielleicht unter dieser Nummer erreichen könnte.« Diese rauchige Stimme ließ an Sex, Designerklamotten und Cognac denken.

Augenblick mal - Erika? War das nicht der Name, den Chase im Schlaf gemurmelt hatte, ehe mein Fangzahn ihm zu nahe gekommen war? Was zum ...?

Ich zögerte einen Moment und überlegte, was ich sagen sollte. »Es tut mir leid, Chase ist nicht da. Vermutlich ist er im Büro. Kann ich ihm etwas ausrichten?«

Sie lachte, und ihr Lachen beschwor Bilder von schwülen Sommernächten herauf. »Nein, ich habe seine Büronummer. Trotzdem danke.« Ihre Stimme klang plötzlich ein wenig gepresst, als sie hinzufügte: »Ich nehme an, ich spreche mit Delilah? Dieser Bekannten von Chase?«

Ich hielt den Atem an und zählte bis drei. »Freundin. Ich bin Chases Freundin. Und Sie sind?«

Erikas Stimme nahm einen leicht scharfen Tonfall an, und sie sagte: »Ich bin Chases Ex.

Wir waren miteinander verlobt. Na ja, trotzdem danke. Ich erwische ihn schon irgendwo.«

Und damit brach die Verbindung ab.

Ich starrte fassungslos das Telefon an, ehe ich es in die Wandhalterung zurücklegte.

Chase hatte nie erwähnt, dass er einmal verlobt gewesen war. Er hatte mir von überhaupt keiner ernsthaften Beziehung in seiner Vergangenheit erzählt. Ich hätte nicht eifersüchtig sein dürfen. Als Halbfee schützte das Blut meines Vaters mich eigentlich vor Eifersucht.

Aber da war sie, sie köchelte in meiner Magengrube vor sich hin. Sie nagte an mir wie ein kleiner Wurm, der diese Erika finden wollte, wer immer sie sein mochte, um ihr die Augen auszukratzen. Und warum zum Teufel hatte Chase von ihr geträumt? Hatte er sie schon getroffen und es mir verschwiegen? Oder war das nur ein seltsamer Zufall, der das Schicksal aussehen ließ wie ein fieses Miststück?

Wie auch immer, ich konnte mir jetzt keine großen Gedanken darum machen. Wir mussten erst ein Nest Toxidämonen ausräuchern, ehe ich mich dem Ungeheuer mit den grünen Augen hingeben konnte, das mir wirklich zu schaffen machte.