Kapitel 3

 

Iris, übernimmt Henry heute den Laden?«, fragte Camille, während wir uns für die Schlacht rüsteten, was bedeutete, dass wir uns mit allem bewaffneten, was möglicherweise nützlich sein könnte.

Henry war ein VBM, den Camille als Aushilfe für den Indigo Crescent - ihre Buchhandlung - angeheuert hatte. Es kam eben vor, dass weder sie noch Iris sich um den Laden kümmern konnten.

Der AND hatte uns als Teil unserer Tarnung auch normale Jobs zugewiesen, als wir Erdseits versetzt worden waren. Camille war vorgeblich Inhaberin des Indigo Crescent.

Ich leitete eine Ein-Frau-Detektei, D'Artigo Investigations. Und Menolly war im Wayfarer als Barkeeperin in der Nachtschicht eingeteilt worden.

Jetzt gehörte der Indigo Crescent tatsächlich Camille, meine Privatdetektei erhielt eher sporadisch einen Auftrag, und Menolly hatte die Bar als Inhaberin übernommen. Falls die Personalabteilung des AND jemals an ihren früheren bürokratischen Glanz anknüpfen und ihre Aufmerksamkeit wieder der Erdwelt widmen sollte, stand denen eine hässliche Überraschung bevor.

Die Talonhaltija nickte. »Ja. Ich habe ihn gebeten, den ganzen Tag lang zu bleiben. Da der Blähmörgel deine Banne gebrochen hat, würde ich gern selbst ein bisschen recherchieren und so viel wie möglich in Erfahrung bringen. Ich weiß, dass es natürliche Abwehrmittel gegen Blähmörgel und Ihresgleichen gibt, aber es ist so viel Zeit vergangen, seit ich das Land der Kuusis schützen musste, dass ich mich nicht genau daran erinnern kann. Bruce und ich sind zum Mittagessen verabredet. Also wollte ich vorher in der Alysinte-Varden-Bibliothek vorbeischauen und versuchen, mehr herauszufinden. Maggie nehme ich mit.«

Die Alysinte-Varden-Leihbibliothek war eine der neuesten feenorientierten Einrichtungen in Seattle. Sie war nach einer Elfe benannt, die unten in Portland, Oregon, ermordet worden war. Ein Haufen Freiheitsengel hatten sie mehrfach vergewaltigt, bewusstlos geschlagen und einfach liegengelassen. Sie war gestorben. Unser Cousin Shamas hatte dabei geholfen, die Schuldigen zu fassen. Per genetischem Fingerabdruck konnte ihnen die Tat nachgewiesen werden, doch dann waren die Männer auf geheimnisvolle Weise im Knast verstorben, ehe sie vor Gericht gestellt werden konnten.

Die Bibliothek war ein Gemeinschaftsprojekt von drei Anderwelt-Feen aus dem Südlichen Ödland, die zugleich den wiederauferstandenen Feenhöfen angehörten: eine dem Lichten Hof, eine dem Dunklen und eine dem neuesten - dem Hof der Dämmerung.

Außerdem hatten sich zwei Mitglieder des Rainier-Puma-Rudels und zwei Angehörige der Elliot-Bay-Orcas dafür gemeldet.

Die Elliot-Bay-Orcas waren die neueste Wergruppe, die sich aus der Deckung gewagt hatte. Sie waren Werwale, Killerwale, und seit ich das Projekt einer organisierten Übernatürlichen Gemeinschaft mit aufbaute, hatten sie sich nicht nur zu erkennen gegeben, sondern auch ein eigenes Naturschutzprojekt gestartet, um den Puget Sound zu sanieren.

Die Verwaltung von King County konnte die Verschmutzung der Buchten und Zuflüsse nicht mehr ignorieren, da jetzt allgemein bekannt war, dass intelligente Werwesen in den Meeresarmen lebten. Natürlich hatten auch die Aufrechte-Bürger-Patrouille und die Freiheitsengel Zulauf von rechten Anti-Umweltschützern bekommen, aber das war eben nicht anders zu erwarten. Jeder Ausschlag des Pendels in eine Richtung rief eine ebenso starke Gegenreaktion hervor.

Gemeinsam hatten die Feen und ÜW eine Bibliothek voller Bücher zusammengestellt, die sich mit ihren verschiedenen Arten befassten. Die meisten davon waren Hunderte, manchmal Tausende von Jahren lang in irgendwelchen Ecken verstaubt. Wichtige Werke waren neu aufgelegt und auch der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden.

Während die Freiheitsengel Bücherverbrennungen abhielten, fand diese Art der Leihbücherei Nachahmer in anderen Großstädten im ganzen Land.

»Das ist eine gute Idee«, sagte Morio. »Wenn du schon mal da bist, sieh nach, ob du irgendetwas über Geister und Schemen herausfinden kannst. Wenn dieses Ding, das die Toxidämonen bewacht, sich als höherer Geist entpuppt, mit dem wir es nicht aufnehmen können, wäre diese Information sehr wertvoll.« Er schlüpfte in eine leichte Steppjacke und band seinen Pferdeschwanz fester.

Camille trug ein Outfit, das für ihre Verhältnisse geradezu züchtig war. Ich vermutete, dass sie möglichst wenig attraktiv auf die Toxidämonen wirken wollte. Sie trug eine schwarze Strumpfhose, einen knielangen schwarzen Rock, einen Rollkragenpulli und einen umwerfenden Gürtellaus rotem Lackleder. Hohe Schnürstiefel schützten ihre Unterschenkel.

Smoky neben ihr trug seine übliche weiße Jeans, ein hellblaues Hemd und den knöchellangen weißen Trenchcoat. Irgendwie schaffte er es, niemals schmutzig zu werden, ganz gleich, wie dreckig die Arbeit oder wie blutig der Kampf auch wurde.

Ich hatte eine schwere Jeans, Motorradstiefel, ein langärmeliges Stricktop und meine Lederjacke an. Roz steckte in seinem gewohnten schwarzen Staubmantel und einer Jeans, und Vanzir zog sich eine dicke Jacke über Jeans und T-Shirt. Wir waren für den Kampf gerüstet und bereit zum Aufbruch.

»Wo ist das Nest, und mit wie vielen kriegen wir es zu tun?«, fragte ich, während ich mir Rucksack und Schlüssel schnappte.

Vanzir schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, wie viele es sind. Ich konnte sie nicht genau zählen. Aber es sind mindestens fünfzehn. Das Nest ist in einem leerstehenden Gebäude in der Nähe von Boeing. Es steht zurückversetzt auf einem großen Grundstück und sieht so aus, als wäre es schon sehr lange unbewohnt.«

Ich seufzte. »Das gefällt mir gar nicht. Wir gehen in eine gefährliche Situation hinein, ohne überhaupt zu wissen, wie viele Gegner da sind, über welche Fähigkeiten sie verfügen und wer sie anführt.«

Camille lächelte schief. »Das Übliche, meinst du wohl.«

»Sehr witzig... sehr witzig! Also los, bringen wir es hinter uns.« Ich steckte meinen langen Silberdolch in das Futteral an meinem Bein. »Iris, fährst du mit dem Taxi zur Bibliothek?«

Iris war zu klein, um Auto zu fahren, und wir waren noch nicht dazu gekommen, ein neues Auto zu kaufen und für ihre speziellen Bedürfnisse umbauen zu lassen. Aber das stand auf unserer Liste.

Sie schüttelte den Kopf. »Siobhan holt mich ab. Sie bringt uns einen Eimer Muscheln, und ich gebe ihr dafür frischen Kopfsalat und junge Karotten.«

Siobhan Morgan war eine Freundin von uns. Sie war ein Selkie - eine Werrobbe - und gab sich in der Gesellschaft als menschlich aus. Da sie ihre ÜW-Natur geheim hielt, war sie eine nützliche Verbündete, wenn wir etwas in Erfahrung bringen mussten, was die Betreffenden ÜW oder Feen nicht anvertrauen würden. Sie war außerdem eine sehr glückliche Schwangere.

Da sie es endlich geschafft hatte, schwanger zu werden, hatten die Ältesten der Kolonie ihrem Freund Mitch - ebenfalls eine Werrobbe - erlaubt, um ihre Hand anzuhalten. Sie würden im Juli heiraten, und das Baby sollte im November zur Welt kommen.

»Okay. Halte nur die Augen offen, wenn du das Haus verlässt. Und pass auch auf Siobhan auf. Die Banne sind noch nicht wieder aufgebaut. Alles Mögliche könnte auf unserem Grundstück herumspazieren.«

Camille seufzte. »Ich lade sie neu, wenn wir nach Hause kommen«, sagte sie. »Aber bis wir eine Möglichkeit finden, es irgendjemanden außer Morio und mich merken zu lassen, wenn sie gebrochen oder gesprengt wurden, nützt das eigentlich nicht viel. Wenn dieser Blähmörgel es geschafft hat, sie zu durchbrechen, dann ist er entweder sehr mächtig, oder jemand hat ihm geholfen. Ansonsten wäre er nie durchgekommen.«

»Ich vermute Letzteres«, sagte Morio. »Diese Banne waren stark.«

»Also, wir können es wohl nicht mehr hinausschieben. Nimmst du das Einhorn-Horn mit?«, fragte ich. Camille hatte ein seltenes magisches Artefakt geschenkt bekommen und lernte fleißig, wie sie es einsetzen konnte.

»Ja.« Camille nickte. »Aber ich möchte es nicht benutzen, wenn es nicht unbedingt sein muss. Ich kann es nur unter dem Neumond aufladen, deshalb will ich seine Kräfte nicht verschwenden. Außer natürlich, es stellt sich heraus, dass uns diese Biester haushoch überlegen sind.«

»Dann also los. Vanzir, du und Roz, ihr fahrt bei mir mit. Du kannst mich lotsen. Smoky und Morio fahren mit Camille. Hast du eine Karte für sie?«

Vanzir reichte Camille eine ausgedruckte Google-Karte, und sie gab sie gleich an Morio weiter, der sich um Einzelheiten wie Wegbeschreibungen kümmerte. Wir gingen hinaus zu den Autos. Ich winkte Camille und den Jungs zu, als sie in ihren Lexus stiegen, und schwang mich dann hinters Steuer meines Jeeps. Roz setzte sich neben mich, Vanzir auf den Rücksitz.

Belles-Faire lag am nördlichen Stadtrand von Seattle. Wenn wenig Verkehr herrschte, waren wir recht schnell in der Stadtmitte. Bei Stau konnte es Stunden dauern. Zum Glück war um diese Uhrzeit der morgendliche Berufsverkehr schon fast vorbei.

Wir bogen auf die Interstate 5 ein. Das war der schnellste Weg in den Süden von Seattle, vorbei an Georgetown - einem Friedhof aus alten Eisenbahnschienen und Güterwaggons - zum Industrial District. Der Untergrund bestand aus entwässertem Wattland, das früher unterhalb der Elliott Bay gelegen hatte, überdeckten Mülldeponien und anderen Aufschüttungen. Deshalb war das Gebiet anfällig für Bodenverflüssigung, und bei Erdbeben wurden Gebäude sehr oft beschädigt.

Während wir die Schnellstraße entlangfuhren, blickte ich nach Westen hinüber.

Gewitterwolken rückten an. Wir steckten mitten in der besten Frühlingsregenzeit, und Mandy Tor, die durchgeknallte Meteorologin des Lokalsenders K-Talk, sagte für den frühen Nachmittag schwere Regenfälle voraus. Ich vertraute Camilles und Iris' Gefühl fürs Wetter eher als Mandys Vorhersagen, doch diesmal waren sich alle einig: Wir würden noch vor dem Nachmittagstee klatschnass werden.

»Vanzir, erklär mir das noch mal«, sagte ich und lenkte den Jeep zwischen zwei riesigen Tankwagen hindurch - laut Aufschrift hatte der eine Diesel, der andere Benzin geladen. O ja, das wäre eine scheußliche Kombination bei einem Unfall. Großes Wumm. Ganz großes Feuer. »Was hast du vorhin über die Toxidämonen gesagt? Wo liegen ihre Schwächen?«

Vanzir hatte uns einiges erzählt, ehe wir aufgebrochen waren, aber ich war in Gedanken immer noch bei dem Anruf dieser Erika gewesen und hatte ihm nur mit halbem Ohr zugehört. Er beugte sich vor und stützte die El bogen an Roz' Lehne. »Toxidämonen sind äußerst gefährlich, aber sie haben eine größere Schwäche. Eis und Schnee bekommen ihnen nicht. Wenn es zu kalt wird - reichlich unter null Grad -, können sie nicht mehr fliegen. Sie werden träge und langsam. Bei etwa minus zwanzig Grad sterben sie.«

»Ich nehme an, das ist in... wie heißt das gleich... Celsius?« Rasch wechselte ich die Spur, um ein dahinkriechendes Wohnmobil zu überholen. Im Rückspiegel sah ich Camilles stahlgrauen Jaguar, der uns folgte wie ein Schatten. »Richtig.«

»Wunderbar! Smoky stammt aus den Nordlanden. Sein Vater war ein Weißer, seine Mutter ein Silberdrache, deshalb verfügt er über eine gefährliche Mischung aus Eis-, Schnee- und Blitzattacken. Zumindest ihn haben wir schon mal an unserer Seite«, sagte ich.

»Wir hätten Iris mitnehmen sollen«, bemerkte Roz. »Sie ist sehr gut in Eis- und Schneemagie.«

Verdammt, warum hatte ich nicht daran gedacht? Oder Camille? Wir waren so daran gewöhnt, Iris das Haus bewachen zu lassen, dass wir manchmal vergaßen, wie gut sie kämpfen konnte. »Warum hast du das nicht gesagt, als wir noch zu Hause waren, du Idiot?«

Der Incubus zwinkerte mir im Rückspiegel zu. »Weil niemand danach gefragt hat.« Er lachte, als ich empört schnaubte. »Krieg dich wieder ein. Ich habe nichts gesagt, weil das, was sie jetzt tut, auch wichtig ist - und wir haben ja immerhin den Drachen dabei. In letzter Zeit sind wir ziemlich unterbesetzt, vor allem ohne Trillian, und wir müssen das Beste daraus machen, wer gerade zur Verfügung steht und worauf wir zugreifen können.«

Ich verzog das Gesicht. Er hatte recht. Wir hatten jetzt mehr Unterstützung als zu Beginn unseres Kampfes gegen die Dämonen, aber es tauchten immer mehr Probleme auf, die unsere Kräfte zerstreuten. Shamas, unser Cousin, konnte nicht mit uns in den Kampf ziehen, weil Chase ihn dringend beim AETT brauchte. Einige der Wergruppen, die Interesse daran gezeigt hatten, sich uns anzuschließen, setzten ihr Vertrauen stattdessen in den neuen ÜW-Gemeinderat, der seine eigenen Sorgen hatte.

Die Vampire wiederum konzentrierten sich auf die Arbeit mit Wade und seinen Anonymen Bluttrinkern - sie versuchten, die Kontrolle über Seattle und Umgebung zu erlangen und mögliche Serienmorde im Blutrausch zu verhindern. Ein paar der bekannten Blutsauger-Clubs wehrten sich heftig, Dominick's und das Fangzabula vor allem, und Menolly hatte uns gewarnt, dass alles auf einen großen Showdown hinauslaufen würde.

Ich konnte den anderen ihre mangelnde Unterstützung nicht verübeln. Immerhin hatten wir den meisten ÜW und Vampiren noch gar nichts von den Dämonen gesagt. So etwas erzählte man nun mal nicht wahllos herum. Wenn die menschliche Bevölkerung von der Bedrohung durch die Dämonen Wind bekam, würde auf den Straßen blanke Panik ausbrechen, und dann müssten wir uns auch noch mit einem völligen Chaos herumschlagen. Die Panik würde dazu führen, dass das Militär sich einmischte, obwohl die im Grunde nicht viel ausrichten konnten. Jedenfalls nicht mit ihren derzeitigen Waffen.

Gegen manche Dämonenhorden würden nicht einmal Atomwaffen etwas nützen. Ich war nicht scharf darauf, der Regierung zu erklären, dass ihre Soldaten die automatischen Waffen ablegen und stattdessen zu silbernen Schwertern greifen sollten.

Ich schaffte es rechtzeitig über drei Fahrspuren mit nicht allzu dichtem Verkehr auf die Ausfahrt, die uns ins industrielle Herz von Seattle führte.

Hier war die Stadt alles andere als sauber. Die Gebäude waren so grau wie der Himmel, aus Beton und Metall und mit Parkplätzen für tausend Autos. Eisenbahnschienen zogen sich kreuz und quer hindurch wie auf einem verrückten Puzzle. Wenn wir dieser Straße lange genug folgten, würde sie letztlich wieder nach Norden abbiegen, zu den tiefer gelegenen Häfen von Seattle. Aber wir mussten vorher auf die Lucile Street nach Süden abbiegen. Von da aus würden wir uns durch die schmalen Straßen schlängeln, bis wir die Finley Avenue erreichten.

Der Industrial District sah bei Tag ganz anders aus als nachts. Tagsüber waren der viele Beton und das Metall einfach nur deprimierend. Nachts wurde die Gegend geradezu unheimlich. Dazu trugen noch die ÜW-Clubs bei, die sich hier angesiedelt hatten, darunter auch das berüchtigte Fangzabula, einer der beliebtesten Vampir-Treffpunkte im Pazifischen Nordwesten.

Roz zeigte mit dem Finger auf das Gebäude, das in breiten schwarz-weißen Streifen gestrichen und so solide gebaut war wie ein Bunker. »Menolly hat wirklich etwas gegen diesen Club.«

»Völlig zu Recht. Der Inhaber riecht nach Ärger.« Ich schüttelte den Kopf. »Terrance ist kein Vampir der alten Schule - er steht nicht auf diese Gothic-Nummer mit dem schwarzen Cape und so weiter -, aber er gilt auch nicht gerade als Kandidat für die Mitgliedschaft bei den Anonymen Bluttrinkern.«

»Warum?« Mit verwundertem Blinzeln betrachtete der Incubus den Nachtclub, als wir daran vorbeifuhren. Es war keinerlei Anzeichen von Leben zu erkennen, und daran würde sich auch bis nach Sonnenuntergang nichts ändern.

»Terrance lebt gern gefährlich. Menolly hat mir erzählt, dass sie ein mieses Gefühl bei ihm hat - sie kann sich gut vorstellen, dass er irgendwann zu einem neuen Dredge wird, tausend Jahre früher oder später. Es gibt Gerüchte, der Club diene als Umschlagplatz für Bluthuren, aber wir haben keine Beweise dafür. Wir können nichts unternehmen, etwa den Club schließen. Falls Terrance illegale Sachen laufen hat, versteckt er sie verdammt gut.«

»Warum vermutet ihr dann, dass er dubiose Geschäfte macht?«, fragte Roz.

Ich biss mir auf die Unterlippe. Wir beobachteten das Fangzabula nun schon seit über einem Monat. »Es sind Geschichten durchgesickert über zweifelhafte Partys, bei denen minderjährige VBM-Mädchen dabei gewesen sein sollen. Hinter vorgehaltener Hand wird von Vergewaltigung und Blutorgien geflüstert, aber anscheinend kann sich niemand an irgendwelche Einzelheiten erinnern, und solange keine offizielle Anzeige vorliegt, kann Chase ihnen auch nicht auf die Pelle rücken. Die Vampire würden einen verdeckten Ermittler auf einen Kilometer Entfernung riechen und dafür sorgen, dass er nichts Auffälliges zu sehen bekommt. Also halten Menolly und die AB die Ohren offen, in der Hoffnung auf ein neues Gerücht, das uns einen konkreten Anhaltspunkt liefert.«

Ich bog in die Finley Avenue ab. Camille folgte dicht hinter mir. Vanzir beugte sich wieder vor. »Drei Querstraßen weiter, dann kommt es auf der linken Seite. Rosa Haus mit braunen Fensterrahmen und Türen, verwitterter Anstrich, zweistöckig. Die Toxidämonen sind im Keller, genau wie ihr gespenstischer Wächter.«

Das Haus hätte ein x-beliebiges vergammeltes Haus in einem heruntergekommenen Viertel sein können, doch als ich gegenüber am Straßenrand hielt, sträubten sich mir die Härchen im Nacken. Selbst wenn ich nichts von den Toxidämonen gewusst hätte - mein Körper sagte mir deutlich, dass hier etwas abgrundtief Böses lauerte. Während ich dasaß und die Holzfassade mit der abblätternden rosa Farbe betrachtete, hatte ich ganz deutlich das Gefühl, dass irgendetwas uns durch die schweren grauen Vorhänge hinter den Fensterscheiben beobachtete.

Camille hielt hinter meinem Jeep, als ich gerade die Tür öffnete und hinaussprang.

Gefolgt von Roz und Vanzir ging ich um den Wagen herum. Camille und die Jungs stiegen aus dem Lexus und kamen uns entgegen.

Sie deutete auf das Haus. »Übel. Das ist wirklich übel. Ich bin noch nie einem Toxidämon begegnet, aber ich hätte nicht gedacht, dass sie eine solche Bösartigkeit allein schon ausstrahlen können.«

Vanzir schüttelte den Kopf. »Das sind sie nicht. Ich meine, sie sind übel, und sie können tödlich sein, aber das... das ist viel stärker. Vielleicht kommt es von dem Geist, aber verlasst euch nicht darauf. Ich glaube, wir sollten uns auf das Schlimmste gefasst machen.«

»Das Schlimmste wäre wohl Schattenschwinge, und das hier reicht nicht mal annähernd an das heran, wie seine Macht sich anfühlen würde«, erwiderte Camille.

»Tja, ein Glück.« Roz lehnte sich an den Wagen. »Aber ich rieche gewaltigen Arger.«

Camille nickte. »Ich auch.«

Smoky und Morio sahen sie an. »Schlachtordnung?«

Camille wies auf mich. »Du bist die bessere Kämpferin, aber ich brauche Platz für meine Zauber. Das gilt auch für Morio, deshalb sollten wir beide an derselben Flanke bleiben.«

Ich nickte. »Ich nehme die linke, zusammen mit Roz. Morio und du nehmt die rechte Seite. Vanzir, du und Smoky kommt nach uns. Ihr seid beide schnell genug, an uns vorbeizustürmen, falls es sein muss.«

»Klingt gut«, sagte Roz und öffnete seinen Staubmantel, um das Arsenal zu mustern, das er darin mit sich herumtrug wie ein psychotischer Schwarzmarkthändler seine gefälschten Rolex. Es war mir ein Rätsel, wie er jemals an irgendeinem Metalldetektor vorbeikam. Er kramte in den Innentaschen seiner wandelnden Waffenkammer herum und holte zwei weiße Kügelchen hervor, die Golfbällen verdächtig ähnlich sahen. »Das sind Eisbomben.

Die schicken uns eine saukalte Frostwelle voraus. Sobald wir die Toxidämonen erreichen, werfe ich eine davon. Das dürfte uns einen kleinen Vorteil verschaffen. Der Zauber hält mindestens sechzig Sekunden lang an, und danach werden sie eine Weile brauchen, um sich wieder zu sammeln.«

»Es ist kalt, und es nieselt. Ich kann es mit einem Zauber für Eisregen versuchen.

Morio?« Camille schloss die Augen und bereitete sich darauf vor, die Mondmagie herabzurufen.

Morio schüttelte den Kopf. »Ich werfe ihnen lieber eine Woge der Verwirrung entgegen.

Das dürfte für ein bisschen zusätzliches Chaos sorgen.«

»Dann sind wir wohl so weit.« Ich sah Smoky und Vanzir an. »Ich habe meinen silbernen Dolch, wie üblich. Roz hat seine ganze Auswahl dabei. Smoky, ich habe dich schon kämpfen gesehen, also brauche ich gar nicht erst zu fragen, was du aufbieten willst. Aber falls du etwas aus der Eiszapfen-Kollektion parat hättest, wäre das gut. Vanzir, ich nehme an, du packst einfach zu?«

Er nickte. »Ich beherrsche ein paar kleine Feuerzauber, aber die würden sie schlucken wie Bonbons.«

Mehr gab es nicht zu sagen. »Dann also los. Gehen wir?« Sie zögerten, also ging ich zusammen mit Camille voran, quer über die Straße. »Wir können wohl ebenso gut durch die Haustür reingehen.«

Camille schnaubte. »Solange wir nicht klingeln und uns als Avon-Beraterinnen ausgeben müssen... Ich verrate doch meine Make-up-Geheimnisse nicht einem Haufen höllischer Schmeißfliegen.«

»Wie wäre es dann mit Tupperware?« Ich lachte nervös. Wir hatten nun den Vorgarten erreicht und näherten uns vorsichtig dem Haus. »Ich habe das Gefühl, dass wir beobachtet werden«, raunte ich.

»Ich bin mir ganz sicher«, entgegnete sie. »Du kannst darauf wetten, dass sie uns erwarten, also schlage ich vor, wir stürmen einfach die Bude und machen gründlich sauber.«

Als wir die Vordertreppe erreichten, warf ich den Männern einen Blick zu. »Alles bereit, Jungs?« Alle nickten. »Dann wollen wir mal Kammerjäger spielen.«

Camille hatte recht: Sie wussten, dass wir kamen, und wir wussten, dass sie es wussten, also hatte es absolut keinen Zweck, sich hineinschleichen zu wollen.

Ich rannte die Vordertreppe hoch und wirbelte vor der Tür herum. Meine Motorradstiefel waren schön schwer, mit kräftigen, dicken Sohlen und stahlverstärkten Fersen. Ich stieß einen Schlachtruf aus, rammte die Tür mit dem Fuß und grinste, als das Holz um das Schloss herum zersplitterte. Eine Staubwolke kam uns entgegen, als die Tür aufflog. Wow! Meine Kickbox-Stunden im Fitness-Studio zahlten sich wirklich aus.

Ich sprang mit einem Satz ins Haus und schwenkte die Taschenlampe herum. Irgendetwas stank entsetzlich. Camille flitzte auf die andere Seite, so dass die Männer zwischen uns Platz hatten. Ein weiteres Krachen zerriss die Luft, und der Raum war plötzlich hell erleuchtet. Camille hatte einen der Vorhänge gepackt und ihn mitsamt der Vorhangstange heruntergerissen, so dass das Licht des trüben Tages zu uns hereinfiel.

Tja, das würde immerhin jeden Vampir ausschalten, der sich vielleicht ins Wohnzimmer wagen mochte. Und womöglich auch lichtempfindliche Gespenster. Das Wohnzimmer war groß, das Parkett zerschrammt. Geschmacklose Bilder hingen schief an den Wänden, von denen an mehreren Stellen die Farbe abblätterte. Links und rechts an der hinteren Wand führten offene, bogenförmige Durchgänge weiter ins Haus.

In einer Ecke standen ein kaputtes Sofa und ein Tisch mit so vielen vergammelten Schachteln von diversen Chinarestaurants und Pizzerien, dass ich beinahe mein Frühstück wieder von mir gegeben hätte. Sie rochen widerlich, und in einigen davon wanden sich Maden, aber im tiefsten Herzen wusste ich, dass der grauenhafte Gestank nicht daher kam. Ein abscheulicher Gedanke kroch in mir hoch, dem ich lieber nicht weiter nachgehen wollte, aber er ließ sich nicht mehr vertreiben.

Camille und die Jungs sahen sich rasch um. »Hier ist nichts«, erklärte sie. »Teilen wir uns auf.« Sie gab Smoky und Morio einen Wink. »Wir nehmen den rechten Durchgang, Delilah, geht ihr nach links.«

Roz und Vanzir reihten sich hinter mir ein, und wir gingen auf den linken Durchgang zu.

Wie Camille drückte ich mich flach an die Wand neben dem Bogen. Als ich vorsichtig um die Ecke spähte, sah ich einen langen Flur. Leer. Mit mehreren Türen zu beiden Seiten.

Camille zog sich ebenfalls zurück und schüttelte den Kopf. »Küche«, formte sie mit den Lippen. Da wir alle ein außerordentlich gutes Gehör hatten, kam das Wort bei uns fast in normaler Lautstärke an. Bedauerlicherweise hatten unsere Gegner vermutlich ebenso scharfe Sinne. »Sieht leer aus«, raunte sie. »Da ist nur eine Tür, wahrscheinlich der Hinterausgang.«

»Wir sollten uns nicht aufteilen«, sagte ich und winkte sie herüber. »Kommt, wir bleiben besser zusammen.« Ich fürchtete Fallen.

»Wie gut hören Toxidämonen eigentlich?«, fragte Camille.

Vanzir runzelte die Stirn. »Ich weiß es nicht. Verdammt, ich weiß noch nicht mal, ob sie Ohren haben oder überhaupt etwas hören können. Aber der Schemen, das Gespenst oder was immer sie bewacht, hat uns wahrscheinlich schon bemerkt.«

»Wir gehen zusammen.« Ich starrte Camille an. Normalerweise übernahm sie die Führung, aber ich hatte bei dieser Sache eine Art böser Vorahnung, und ich wollte ungern recht behalten. Als sie die Stirn runzelte, fügte ich hinzu: »Bitte, hör diesmal einfach auf mich.«

Langsam nickte sie. »Wie du meinst, Kätzchen. Meine Instinkte sagen mir nicht viel, bis auf das unheimliche Gefühl, das ich schon auf der Treppe hatte. Was ist mit dir, Morio ?

Smoky ?«

Morio schloss die Augen. »Ekelhaft. Die Energie fühlt sich an, als würde sie sich krümmen und winden. Sie ist überall, und ich kann sie nicht genau bestimmen.«

Smoky starrte die Wand an. »Hier ist Energie aus der Welt der Schatten, und ich rieche Dämonen.«

Schattenwelt-Energie. Das bestätigte unseren Verdacht.

Geister, Schemen und Gespenster kamen alle aus der Welt der Schatten. Die war zwar mit der Unterwelt verbunden, doch zwischen den beiden gab es einen großen Unterschied.

Die Unterwelt war für gewöhnlich ein friedvoller - wenn auch stil er und ernster - Ort, wohin viele Geister weiterreisten, nachdem sie ihre sterblichen Hüllen abgelegt hatten.

Die Schattenwelt hingegen wimmelte von rastlosen Seelen, zornigen Toten und angefressenen Geistern im Allgemeinen. Zu den Untoten gehörten natürlich auch Vampire und Ghule, aber die schienen eher bei den Dämonen herumzuhängen.

Irgendjemand musste wirklich mal ein Handbuch schreiben, wer genau wohin gehörte.

Wenn ich so an meine AND-Ausbildung zurückdachte, hatte es da sogar einen Kurs zu dem Thema gegeben, aber ich konnte mich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern.

»Damit ist die Sache klar. Wir bleiben zusammen.« Ich gab Camille ein Zeichen, und wir traten um die Ecke in den Flur. Roz und Morio waren direkt hinter uns, Vanzir und Smoky bildeten die Nachhut. Wir rückten langsam zur ersten Tür vor, und ich schluckte meine Angst hinunter und legte die Hand an den Türknauf. Dann warf ich den anderen einen Blick zu.

Camille nickte. »Los.«

»Na dann«, sagte ich und riss die Tür auf. Ein kalter Windstoß fuhr heraus, und ich bekam eine Gänsehaut. Ich starrte in den Raum und dachte mir, dass ich auf einiges gefasst gewesen war - aber das hier schoss wirklich den Vogel ab. Nein, auf keinen Fall hatte ich damit gerechnet, als Allererstes über ein Portal zu stolpern. Es stand weit offen und führte direkt ins Innere eines Gletschers, nach der herausströmenden Energie zu schließen. O ja, das konnte wirklich lustig werden.