Kapitel 9

 

Zachary klang überrascht, mich zu hören. Doch als ich ihn fragte, ob er am Sonntagabend mit mir essen gehen wollte, war er sofort dabei.

»Was ist mit Chase? Hat er nichts dagegen?«, fragte er.

Ich starrte den Hörer an und überlegte, was ich dazu sagen sollte. »Chase und ich verstehen uns gerade nicht so gut.« Ich hatte Zach eigentlich gar nicht erzählen wollen, was vorgefallen war, aber ehe ich mich versah, hatte ich ihm die ganze grässliche Szene geschildert.

Zach stieß einen leisen Pfiff aus. »Da hat er ja gewaltigen Mist gebaut. "Was an alledem macht dir denn am meisten zu schaffen?«

Nicht einmal Camille hatte mich das gefragt. Ich überlegte einen Moment. »Die Lügen, glaube ich. Die Täuschungsmanöver. Die Heimlichtuerei. Ich kann hinterhältige Leute nicht leiden. Sie kotzen mich an, schon immer. Als ich noch klein war, hat K'sander - ein Junge an der Schule, in die ich ging, ehe meine Mutter mich da herausnahm und zu Hause unterrichtete - sich mit mir angefreundet und mich dann übel hereingelegt. Er hat herausgefunden, dass ich Angst vor Wasser hatte. Das hat er den anderen Kindern verraten, und die haben mich dann in den Teich hinter dem Palast von Y'Elestrial geworfen.«

»Warum zum Teufel haben sie das gemacht? Kinder können solche kleinen Biester sein«, sagte Zach mit leisem Knurren.

»Wir wurden immer gemobbt, weil wir zur Hälfte menschlich sind. Glaub mir - unsere Eltern haben uns sehr geliebt, aber außerhalb des Hauses hatten wir nicht viele Freunde.

Deshalb stehen wir drei uns für Schwestern ungewöhnlich nahe. Jedenfalls konnte ich damals nicht schwimmen und wäre beinahe ertrunken.«

Ich schloss die Augen und dachte an jenen Nachmittag zurück. Wasser hatte ich vorher schon nicht gemocht, doch seit damals hasste ich es, auch nur nass zu werden. Die tägliche Dusche - oder ganz selten einmal ein Bad - war die Grenze jeglichen nassen Vergnügens für mich. Regen ging noch, aber auch den mochte ich nicht besonders.

»Was ist dann passiert?«, fragte Zach. »Wie bist du da herausgekommen?«

»Camille hat mich gerettet. Verstehst du, schon vor Mutters Tod hat Camille sich immer um uns gekümmert. Sie ist mir oft von der Schule nach Hause gefolgt, um sicherzugehen, dass mir nichts passiert. K'sander hat hoch und heilig geschworen, dass er nichts damit zu tun gehabt hätte, aber die Wahrheit kam schließlich doch ans Licht. Seine Eltern haben ihn nicht einmal dafür bestraft. Die Lügerei war noch schlimmer, als von den anderen Kindern in den Teich geworfen zu werden.«

»Süße, du verdienst wirklich etwas Besseres. Ich hole dich am Sonntagabend um sieben ab. Wir gehen ins Keg Steakhouse. Wie wäre es danach mit einem Spaziergang durch den Wald hinter eurem Haus?«

»Abgemacht«, sagte ich und legte auf. Innerlich war ich wie verknotet. Ich hatte mich soeben mit Zachary verabredet. Wenn Chase dahinterkam... andererseits hatte Chase kein Recht, etwas dagegen zu sagen. Mit einem geistigen Tritt beförderte ich ihn aus meinen Gedanken. Ich würde meinen Abend mit Zachary genießen, und wenn Chase Gesellschaft haben wollte, konnte er ja seine Erika ficken, solange er wollte. Anscheinend leistete sie ihm spontan und kurzfristig viel bessere Dienste als ich.

Als Iris nach Hause kam, war Menolly schon wach und bereitete in der Küche Maggies Abendessen zu. Beide hörten schweigend zu, während Camille und ich unsere Begegnung mit den Toxidämonen, dem Höllenhund und dem Schatten schilderten, und die Verwundung, die Camille davongetragen hatte.

»Scheiße, da hat's dich ja wirklich übel erwischt«, sagte Menolly und musterte Camilles Hand. »Schade, dass ich nicht dabei sein konnte. Diesen Höllenhund hätte ich in Einzelteilen zurück nach Hause geschickt. Bist du sicher, dass du wieder ganz gesund wirst?«

Sie goss die angewärmte Sahne mit Zucker, Salbei und Zimt in eine Schüssel und stellte sie vor Maggie auf den Boden. Dann bereitete sie das Hackfleisch zu, mit dem wir ihre Milchnahrung inzwischen ergänzten. In Aufzucht, Pflege und Ernährung der Waldgargoyle stand klar und deutlich, dass es höchste Zeit war, Maggie an feste Nahrung zu gewöhnen.

»Zum hundertsten Mal, mir fehlt weiter nichts«, sagte Camille. Sie deutete auf die Scheibe rohes Fleisch, die Menolly durch den Wolf drehte. »Wie schmeckt ihr Lamm denn so?«

Maggie hatte - wie jedes Kleinkind - ein paar unerklärliche Vorlieben und Abneigungen entwickelt. Sie liebte Huhn und Truthahn und verabscheute Fisch. Rind und Büffel verschlang sie nur so, während sie Schwein nur zögerlich aß, und durch nichts auf der Welt konnten wir sie dazu bewegen, Leber oder andere Innereien anzurühren.

Menolly schüttelte den Kopf. »Bisher frisst sie es, aber ich glaube nicht, dass Lamm ihr Lieblingsessen wird. Steht in dem Buch etwas darüber, ob sie irgendwelches Gemüse oder Obst bekommen sollte?«

Ich griff nach dem Buch, das sie auf dem Tisch liegengelassen hatte. Es war schon so zerfleddert, dass wir bald ein neues Exemplar brauchen würden. Es war ein seltsames Gefühl, wieder etwas in unserer Heimatsprache zu lesen, nachdem wir seit über einem Jahr fast nur noch Englisch gelesen hatten. Aber Mutter hatte uns von klein auf sowohl Englisch als auch Spanisch beigebracht, zusätzlich zu den diversen Feendialekten. Wir alle drei beherrschten mehrere Sprachen sehr gut.

»Schauen wir mal.« Ich blätterte mich durch die Kapitel. »Schlaf... Spiel.. He, hast du schon mal versucht, ihr beizubringen, wie sie ihre Krallen gebrauchen kann? Hier steht, dass sie die Grundlagen der Jagd schon früh spielerisch erlernen sollte, obwohl sie noch viele Jahre lang nicht in der Lage sein wird, richtig zu jagen.«

Menolly zuckte mit den Schultern. »Ich habe es versucht, aber es widerstrebt ihr anscheinend, nach irgendetwas zu schlagen. Ich habe es mit einer toten Maus versucht, aber sie hat wenig Interesse daran gezeigt, weder als Spielzeug noch als Fressen.«

Das war seltsam. Gargoyles waren notorische Fleischfresser und ernährten sich in der Natur vorwiegend von Wild. Ich überflog das Kapitel über Ernährung. »Nein, da steht nichts von... oh, hier - sie braucht Beeren wegen der Ballaststoffe, und sie empfehlen, ihr einmal pro Woche wilde Kresse und Grasmut zu geben. In freier Wildbahn kauen die Mütter diese Kräuter vor und würgen sie dann für ihre Jungen wieder aus.« Ich verzog das Gesicht. »Ich glaube nicht, dass ich eines von beiden zerkauen, geschweige denn hinterher an Maggie verfüttern möchte. Ich würge vielleicht Haarballen aus, aber das bedeutet noch lange nicht, dass mir Würgen an sich Spaß macht.«

Camille lachte. »Dafür gibt es ja Mixer. Was kommt wilder Kresse und Grasmut Erdseits am nächsten?«

Iris meldete sich aus dem Schaukelstuhl zu Wort, wo sie es sich mit einer leichten Wolldecke und einer Tasse Orangen-Zimt-Tee gemütlich gemacht hatte. »Wasserkresse und Weizengras, denke ich. Die kann ich besorgen, wenn ich nächstes Mal zum Markt gehe. Hier würde ich sie lieber nicht wild sammeln, wegen der vielen Pestizide und anderen Chemikalien, die an den Straßen und Obstgärten versprüht werden.«

»Klingt vernünftig«, sagte ich. Da klingelte das Telefon.

Menolly wischte sich die Hände ab und ging dran, während Camille und ich Maggie abwechselnd mit dem Hackfleisch fütterten, ein Löffelchen nach dem anderen. Menolly flüsterte etwas und verschwand dann mit dem Telefon im Flur. Musste Wade sein, der Vorsitzende der Anonymen Bluttrinker. Sie waren zwar ein paarmal miteinander ausgegangen, am Ende aber doch nur gute Freunde geblieben. Menolly war in der lokalen Vampir-Politik sehr aktiv geworden, vor allem, seit sie ihren Meister ausgelöscht hatte.

Allerdings hatte sie uns gesagt, dass viele Vampire mit alldem nicht unbedingt einverstanden waren.

»Sagtest du vorhin, dass Smoky und Morio etwas zu essen holen?«, fragte Iris und starrte stirnrunzelnd auf die Uhr. »Wisst ihr, wohin sie wollten? Ich bin nicht sicher, ob ich den Tisch mit Suppenschüsseln, Essstäbchen oder Tellern decken soll.«

»Da Smoky dabei ist, würde ich mit Pizza rechnen«, entgegnete Camille kopfschüttelnd.

Der Drache hatte während der vergangenen Wochen eine wahre Pizza-Sucht entwickelt, und jedes Mal, wenn er dafür zuständig gewesen war, Essen zu besorgen, hatten wir Pizza gegessen. Er hatte jeden sanften Hinweis, doch vielleicht auch mal zum Chinesen zu fahren oder Hamburger oder Fish and Chips mitzubringen, einfach ignoriert.

In diesem Moment flog die Tür auf, und Vanzir und Rozurial eilten herein. Vanzir sah aus, als würde er gleich platzen. »Ihr glaubt nicht, was ich für Neuigkeiten habe... «, fing er an, doch ich winkte ab.

»Warte noch ein bisschen, Menolly telefoniert gerade. Legt doch erst mal ab. Das Essen ist bald fertig.« Wir aßen inzwischen selten allein, sondern meistens in einer großen, familienähnlichen Runde. Iris genoss das, aber manchmal vermisste ich die Ruhe, die hier monatelang geherrscht hatte. Dank Chase, Morio, Smoky - und bis vor kurzem auch Trillian - und dann den beiden Dämonen und hin und wieder Bruce, Iris' Leprechaun-Freund, waren unsere Abende unter Schwestern lebhaften Diskussionsrunden gewichen.

Das war meistens lustig, aber im Augenblick war mir nicht so nach Geselligkeit zumute.

Ich wollte mich gerade entschuldigen, als Smoky und Morio hereinspazierten. Statt der erwarteten Pizzaschachteln trug Morio eine große Tüte von Chang's Golden Palace, einem Chinarestaurant etwa zehn Minuten entfernt. Es hatte erst kürzlich eröffnet, und ich hatte nur darauf gewartet, das Angebot endlich zu probieren. »Da ist das Essen«, sagte Morio.

»Den Göttern sei Dank, dass du ihn überreden konntest, etwas anderes als Pizza zu holen«, bemerkte Camille, während Iris Teller und Essstäbchen hervorholte. Roz und Vanzir halfen ihr, den Tisch zu decken. Menolly kam wieder in die Küche und stellte langsam das schnurlose Telefon in seine Wandhalterung.

Dann wandte sie sich mir zu. »Und, wann hattest du vor, es mir zu sagen?«

»Dir was zu sagen?« Ich starrte sie an und fragte mich, auf was für verrückte Gedanken sie nun wieder gekommen sein mochte.

»Dass dein Arsch von einem Freund beschlossen hat, seinen Penis Neuland erkunden zu lassen. Das war Chase. Er hat mir erzählt, was passiert ist. Eines muss ich ihm lassen - er war immerhin zu klug, um mich anlügen zu wollen. Dein Detective hat also doch Geschmack an seiner eigenen Art gefunden? Sei froh, dass du ihn los bist.« Sie schwebte mit gefährlich glitzernden Augen dicht unter der Zimmerdecke. »Möchtest du, dass ich ihm mal ordentlich den Hintern versohle?«

Smoky blinzelte. »Chase war dir untreu? Ohne vorher um Erlaubnis zu fragen?«

Camilles Kopf fuhr herum, und sie starrte ihn an. »Sie sind nicht verheiratet, Freundchen.

Lass es gut sein, das geht uns nichts an.«

»Verheiratet sind sie nicht, aber Chases Tonfall nach zuschließen, weiß er sehr wohl, dass er Mist gebaut hat«, sagte Menolly von der Decke herab.

Iris räusperte sich. »Das Abendessen steht auf dem Tisch. Ich schlage vor, wir überlassen Delilahs Angelegenheiten vorerst einmal Delilah. Wollte Vanzir uns nicht dringend etwas erzählen?«

O Mann, der Abend wurde wirklich immer besser. Ich warf Iris einen dankbaren Blick zu, rückte einen Stuhl vom Tisch ab und ließ mich schwer darauf nieder. »Danke, Iris. Ich sage das jetzt nur einmal, nur ein einziges Mal. Das Letzte, was ich will, ist ein Haufen ungefragter Ratschläge. Ich regle das auf meine Weise, und die beinhaltet weder Versohlen noch Grillen, Tritte in die Weichteile oder magische Übergriffe. Lasst mich meine Probleme selber klären. Ich rufe Chase an, wenn - falls - ich bereit bin, mit ihm zu reden. Bis dahin könnt ihr ihm sagen, ich sei nicht zu sprechen, wenn er anruft. Im Notfall werden wir natürlich zusammenarbeiten, aber für den Augenblick möchte ich, dass ihr euch aus meinem Privatleben heraushaltet. Das gilt für euch alle.«

Im Raum herrschte Schweigen, bis Camille belustigt schnaubte. »So ist es recht«, sagte sie und häufte sich gefüllte Teigtaschen, Reis, Mandelhühnchen und eine Frühlingsrolle auf den Teller.

Menolly funkelte mich düster an. »Kätzchen, du erzählst mir doch immer alles. Ich kann gar nicht glauben, dass du vorhattest, mir das zu verheimlichen. Chase hat wirklich kein Recht, dich so zu behandeln... «

Ich sprang auf. »Siehst du? Genau deshalb wollte ich es dir nicht sagen. Camille habe ich davon erzählt. Okay? Sie überlässt meine Entscheidungen in letzter Zeit auch mir, und das weiß ich zu schätzen. Du hingegen führst dich auf, als sei ich gerade mal fünf Jahre alt. Ich bin älter als du, falls du dich daran erinnern möchtest... ach, was soll's.«

Als ich ihren Gesichtsausdruck sah, wurde mir klar, dass es keinen Zweck hatte. Ich sank wieder auf meinen Stuhl nieder und schnappte mir die nächste Schachtel voll Essen. »Du hörst ja nie auf mich. Lass es für den Moment einfach gut sein, ja? Vanzir, was gibt es Neues? Aber es sollte besser nichts mit Freunden, Liebe oder Sex zu tun haben.«

Er lächelte mitfühlend, aber sein Blick wirkte kalt. Manchmal vergaß ich beinahe, dass er eben doch ein Dämon war. Kein Mensch, keine Fee, sondern ein Traumjäger, ein Dämon, der noch bis vor kurzem in die Träume von Menschen eingedrungen war, um sich von ihrer Lebenskraft zu nähren und sie dann geschwächt zurückzulassen; seine Opfer litten außerdem an schrecklichen Ängsten wegen der unablässigen Alpträume, die er mit sich in ihren schlafenden Geist hineintrug.

»Ich habe ein bisschen im Bloody Gin herumgehangen und dort jemanden über Karvanak sprechen hören«, sagte er.

Ich schnitt eine Grimasse. Das Bloody Gin war eine weitere Vampir-Bar, die zwielichtige Kundschaft anzog. Wie Dominick's und das Fangzabula widerstand auch dieser Club Wades und Menollys Versuchen, sie für die Mission der Anonymen Bluttrinker zu gewinnen.

Und Karvanak war ein Räksasa - ein persischer Dämon. Er hatte uns den letzten großen Kampf geliefert und uns dabei das dritte Geistsiegel gestohlen. Da war Vanzir zu uns übergelaufen, doch das Siegel hatten wir trotzdem nicht retten können. Camille machte sich deswegen Vorwürfe, obwohl sie das wirklich kaum hätte verhindern können. Räksasas waren Höhere Dämonen, die wesentlich mehr Macht besaßen als wir.

Selbst mit dem Horn des Schwarzen Einhorns - ein Geschenk der Dahns-Einhörner an Camille - als magischer Unterstützung war es ihr nicht gelungen, den Dämon aufzuhalten, und so hatte sie das Siegel an ihn verloren. Ein Punkt für Schattenschwinge. Wir waren fest entschlossen, das nie wieder geschehen zu lassen.

»Was genau hast du denn gehört?«, fragte Menolly und beugte sich über ihn.

Vanzir warf ihr einen langen, ostentativ ruhigen Blick zu, und sie wich ein wenig zurück, was mir sagte, dass sie ihm immer noch nicht ganz traute. Wie wir alle.

»Ich habe gehört, wie ein Goblin einem Vampir erzählt hat, dass Karvanak viel Geld für jeden Hinweis bezahlt, der zu einem großen Schatz führen könnte, einem unschätzbaren Juwel. Der Goblin glaubt anscheinend, es ginge um eine Art Ring oder so etwas, aber ich wette, Karvanak streckt die Fühler nach dem vierten Siegellaus.« Er ging zur Besteckschublade. »Braucht noch jemand eine Gabel? Ich kann mit Essstäbchen nicht umgehen.«

»Ja, bitte«, sagte ich und hob die Hand, und Smoky tat es mir gleich. Menolly starrte das Essen an, als sei sie am Verhungern und zugleich kurz davor, sich zu übergeben. Ich konnte sie nur bewundern. Daneben zu sitzen und uns allen beim Abendessen zuzuschauen, während sie selbst nie wieder etwas davon anrühren konnte, musste hart sein, aber sie tat es um der gemeinsamen Sache willen.

»Und warum hilft uns das?«, fragte Iris.

Vanzir reichte mir und Smoky je eine Gabel, setzte sich wieder hin, und ein Lächeln breitete sich langsam über sein Gesicht. »Das hilft uns, weil ich mich heute außerdem mit ein paar modernen Goldsuchern unterhalten habe, die Karvanak offenbar engagieren wollte. Sie hatten kein Interesse daran, die Berge für ihn abzusuchen, und statt ihnen zu sagen, warum er ihre Hilfe brauchte, hat er ihre Zurückweisung einfach geschluckt und sie gehen lassen.«

»Goldsucher?«, fragte ich. »Die verbringen wohl viel Zeit oben in den Cascade Mountains?«

Er nickte, und sein Lächeln wurde breiter. »O ja, und heute waren sie ganz versessen darauf, sich schnell ein paar Dollar nebenher zu verdienen, vor allem, als Rozurial seinen Charme aufgedreht hat. Wir haben gleich mehrere interessante Dinge erfahren, zum Beispiel, dass einer von ihnen vor ein paar Wochen auf eine Höhle gestoßen ist. Eine Höhle, in der es spukt. Ehe der Mann aus der Höhle fliehen konnte, allerdings ohne seinen Kumpel, hat er eine Halskette gesehen, die von etwas bewacht wurde, das sich verdächtig nach einer Schar Gespenster anhörte. Ein Rubin in einer goldenen Fassung.

Und er hat geleuchtet wie ein Glühwürmchen im Juni.«

Ein Rubin? Ich warf Camille einen Blick zu. »Ist eines der Geistsiegel.. «

Sie nickte. »Ein Rubin? Ja. Konnte der Mann sich daran erinnern, wo genau die Höhle ist? Und vor allem, hat er Karvanak davon erzählt?«

Vanzir schüttelte den Kopf. »Ja und nein. Und er wird seine Geschichte auch nie wieder ausplaudern können.«

»Du hast ihn doch nicht... «, japste Iris und fiel beinahe von dem hohen Barhocker, der ihr erlaubte, am Tisch zu sitzen. »Du hast den armen Mann doch nicht umgebracht, oder?«, fragte sie und fing sich wieder.

Roz räusperte sich. »Immer mit der Ruhe, hübsches Frauenzimmer. Nein, Vanzir hat ihn nicht umgebracht. Ich auch nicht, obwohl ich zugeben muss, dass wir daran gedacht haben. Immerhin kann ein toter Karvanak nicht mehr viel erzählen, nicht wahr? Aber ich habe ihn bezaubert und in den Schlaf hypnotisiert, und Vanzir ist in seine Träume geschlüpft und hat die Erinnerung aufgegessen. Jetzt ist nichts mehr da, wovon er erzählen könnte, also dürfte er auch keine Gefahr mehr darstellen. Wir sind sicher.«

Ich starrte auf meinen Teller hinab, und allmählich kehrte mein Appetit zurück. »Das bedeutet, wir wissen, wo das vierte Geistsiegellist, und Karvanak hat keine Ahnung. Wir können es uns holen und zu Königin Asteria zurückschicken.«

»Was du nicht sagst, Sherlock«, entgegnete Vanzir, doch seine Augenwinkel legten sich in Fältchen, und einen Moment lang wich das kalte Feuer aus seinem Blick. »Diesmal sind wir Schattenschwinge und seinen Kumpanen einen Schritt voraus. Sorgen wir dafür, dass das auch so bleibt.«

Plötzlich hatte ich gewaltigen Hunger. Ich häufte mir den Teller voll und kaute begeistert, während wir versuchten, die nächsten Schritte zu planen. Heute Abend waren wir zu müde, um noch etwas zu unternehmen, und morgen stand der Ausflug in die Anderwelt an. Aber morgen Nacht konnten wir hinauf in die Berge fahren und nach der Höhle suchen. Mit etwas Glück würden wir das Siegel finden, ohne dass es überhaupt irgendwer bemerkte.