Kapitel 20

 

Ich wusste nicht, wo Erika wohnte, aber ich brauchte nicht lange, um Chases Adressbuch zu finden.

' Danach musste ich nur noch die Einträge durchschauen, bis ich auf ihre Adresse und Telefonnummer stieß. Sie wohnte in einem schicken, voll ausgestatteten Hotelapartment, was mir sagte, dass sie noch nicht endgültig entschieden hatte, ob sie wieder nach Seattle ziehen wollte oder nicht.

Ich kritzelte Adresse und Telefonnummer in mein Notizbuch, stopfte es wieder in die Tasche und ging hinaus. Meine Fingerabdrücke waren natürlich überall , aber Sharah wusste ja, dass ich hier gewesen war. Als ich vom Parkplatz fuhr, kam sie gerade an. Ich winkte ihr zu, und sie erwiderte den Gruß mit einem Nicken.

Die Fahrt zu Erika dauerte zehn Minuten. Sie hatte sich so nah bei Chase niedergelassen wie möglich. Wie lange war sie eigentlich schon in der Stadt? Seit einer Woche? Zwei Wochen? Vier?

Als ich das luxuriöse Hotel betrat, ging mir auf, dass Erika Geld haben musste. Sie hier unterzubringen konnte Chase sich von seinem Gehalt auf keinen Fall leisten. Ich schlenderte zur Rezeption, lehnte mich über den marmornen Empfangstresen und ließ die Maske fallen, hinter der ich sonst meinen Glamour verbarg. Normalerweise vermied ich es, den betörenden Charme meines Feenbluts zu benutzen, aber im Augenblick brauchte ich jedes bisschen Rückhalt, das ich kriegen konnte.

Der Angestellte hinter dem Tresen musterte mich ausgiebig, und ich schenkte ihm ein langsam aufleuchtendes Lächeln. »Ich brauche eine Information«, sagte ich.

»Was möchten Sie denn wissen, schöne Frau?« Er war auf eine unangenehme Art atemlos, aber er brauchte mir ja nicht zu gefallen. Ich hatte ihn am Haken.

»Wie lange wohnt Erika Sands schon hier?« Ich schürzte die Lippen, als wollte ich ihm einen Kuss versprechen.

Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und starrte mich weiter an. Vermutlich merkte er nicht einmal, dass er mich begaffte. »Sie ist vor etwa vier Wochen eingezogen.«

Vier Wochen. Das bedeutete vermutlich, dass Chase es schon so lange mit ihr trieb. »Ist sie schon früher mal hier abgestiegen?«

Der Angestellte schüttelte den Kopf. »Nicht, dass ich wüsste. Sie ist in ihrer Suite.

Möchten Sie, dass ich sie anrufe?«

»Nein, geben Sie mir nur ihre Zimmernummer«, sagte ich. Das tat er brav. Und dann, weil ich Männer eben nicht gern reizte und dann auflaufen ließ, schob ich mich über den Empfangstresen und küsste ihn flüchtig. Er erschauerte, als ich zurückwich. »Vielen Dank, Cliff«, sagte ich nach einem raschen Blick auf sein Namensschild. »Sie haben mir wirklich sehr geholfen.«

»Keine Ursache«, flüsterte er und starrte mir nach.

Der Aufzug war lahm, aber dieses eine Mal war mir nicht nach Treppensteigen zumute.

Ein paar Minuten später stand ich vor Suite 403. Sol te ich anklopfen? Einfach reinplatzen? Anklopfen wäre zu höflich gewesen, also verwarf ich die Idee gleich wieder.

Ich packte den Türknauf und drehte daran. Es war abgeschlossen. Ohne zu zögern holte ich meine Picks hervor und machte mich an die Arbeit. Wenige Sekunden später hatte ich das Schloss geknackt, stieß die Tür auf und spazierte hinein.

Erika war nicht im Wohnzimmer der Suite, doch hier schien alles in Ordnung zu sein.

Ein Plätschern erregte meine Aufmerksamkeit, und ich trat an eine der zwei geschlossenen Türen, die zu weiteren Zimmern führten.

Lavendelduft trieb unter einer davon hervor. Synthetisch. Ich rümpfte die Nase. Sie schien reich genug zu sein, um sich etwas Gutes wie echten Lavendellleisten zu können, also war sie entweder geizig oder geschmacklos. Ich runzelte die Stirn, gab mich einer perversen Freude daran hin, dass ich sie gleich zu Tode erschrecken würde, und stieß die Badezimmertür auf.

Erika kreischte mir aus der Badewanne vol künstlich duftendem Schaum entgegen.

»Sie! Was zum Teufel haben Sie hier zu suchen? Ich rufe die Polizei... « Sie wollte aufstehen, besann sich aber eines Besseren und ließ sich wieder in den Schaum sinken.

»Verschwinden Sie sofort.«

»Klappe halten«, sagte ich und ignorierte ihren kleinen Wutanfall. »Haben Sie Chase seit gestern Abend gesehen? Ich weiß, dass Sie ihm eine Nachricht hinterlassen haben.«

»Was geht es Sie an, ob... «

»Wie gesagt, halten Sie die Klappe, außer Sie wollen meine Fragen beantworten. Ich frage Sie noch einmal ganz höflich, aber ich könnte Sie ebenso gut aus dieser Badewanne zerren und Sie zwingen, mir zu antworten, und glauben Sie mir, Sie möchten lieber nicht, dass ich grob werde.« Schiere Eifersucht hatte mich überkommen. Am liebsten hätte ich sie gründlich durchgeschüttelt und ihr eine gescheuert. Verdammt, ich wollte mich auf die altmodische Art mit ihr prügeln, aber im Kratzen, Kreischen und Spucken wäre ich ihr haushoch überlegen gewesen. Den Göttern sei Dank, dass meine Vernunft die Oberhand behielt und ich mich zügeln konnte.

»Hören Sie mir gut zu. Chase ist verschwunden. Wir wissen nicht, wo er ist. Wenn Sie ihn also seit gestern Nachmittag gesehen haben, rate ich Ihnen, mir das jetzt zu erzählen, denn wie gesagt - ich kann Sie auch dazu zwingen. Treiben Sie mich nicht zum Ausrasten, Erika.«

»Verschwunden?« Das Blut wich aus ihrem Gesicht, und sie lehnte sich in der Wanne zurück. »Was soll das heißen, verschwunden?«

»Das heißt, dass er heute Morgen nicht zur Arbeit erschienen ist. Sharah hat gestern Abend versucht, ihn telefonisch zu erreichen, aber er ist nicht drangegangen. Seine Wohnung ist verwüstet worden - jedenfalls das Wohnzimmer -, und er ist nirgends zu finden. Also, werden Sie jetzt aus der Wanne steigen, oder muss ich Sie rauszerren?«

Ich trat einen weiteren Schritt auf sie zu, und sie stand so hastig auf, dass sie beinahe ausrutschte, als sie aus der übergroßen Whirlpool-Wanne stieg und nach einem Handtuch tastete. Ich starrte ihren nackten Körper an, befand, dass ich doch schöner war als sie, und wandte mich ab. »Ich warte im Wohnzimmer auf Sie. Beeilen Sie sich gefälligst.«

Keine fünf Minuten später kam sie aus dem Bad, in einem seidenen Morgenmantel und mit einem zum Turban geschlungenen Handtuch auf dem Kopf. Sie trug flauschige Slipper wie aus einem glamourösen 50er-Jahre-Film, und mir fiel auf, dass sie vermutlich erst Anfang dreißig war, aber trotzdem altmodisch aussah. Oder einfach alt.

Sie ging zur Bar und goss sich einen Scotch ein. »Möchten Sie etwas trinken?«, fragte sie.

Ich schüttelte den Kopf.

»Wie Sie wollen. Wenn ich Ihre Fragen beantwortet habe, werden Sie sich zum Teufel scheren und nie wieder hier auftauchen. Ich habe Chase gesagt, dass er mit Ihnen Schluss machen soll, als ich von Ihnen erfahren habe, aber er wollte ja nicht auf mich hören. Also machen Sie mich nicht allein für alles verantwortlich, was passiert ist«, setzte sie hinzu und warf mir mit schmalen Augen einen Blick zu, der sowohl verschlagen als auch argwöhnisch hätte sein können.

»Sie haben sich dafür entschieden, sich mit ihm zu treffen, obwohl Sie wussten, dass er mit mir zusammen ist. Sie sind also nicht ganz unschuldig. Aber darum geht es jetzt nicht.

Wann haben Sie ihn zuletzt gesehen?« Ich seufzte tief. Ihre ruhige, gesammelte Art setzte mir zu. Ich war nicht gern hysterisch. Jedenfalls wollte ich nicht diejenige sein, die hysterisch wurde, während sie sich völlig im Griff hatte.

»Setzen Sie sich doch«, sagte sie und nippte an ihrem Drink.

Ich ließ mich vorsichtig auf der Sofakante nieder, während sie sich in den Sessel setzte, ein Bein überschlug und rastlos den linken Slipper von der großen Zehe baumeln ließ.

»Chase wird also vermisst? Tja, ich habe keine Ahnung, wo er ist. Wir haben uns gestern gestritten, beim Mittagessen. Er ist zur Tür gegangen, und ich habe ihm gesagt, wenn er mich am Abend nicht wie geplant zum Tanzen ausführen würde, brauchte er sich bei mir nicht mehr blicken zu lassen. Ich habe eine Entschuldigung von ihm erwartet, und ich wollte gar nichts von ihm hören, ehe er bereit war, in aufrichtiger Reue zu sagen ›Es tut mir leid‹.« Sie trank noch einen Schluck. »Ich habe nichts mehr von ihm gehört, also bin ich davon ausgegangen, dass er immer noch sauer ist. Da würde ich den Teufel tun und ihn als Erste anrufen.«

Ich schluckte einen Teil meines Zorns hinunter. Sie klang genauso wütend wie ich.

»Worüber haben Sie sich gestritten?«, zwang ich mich zu fragen.

Sie lächelte mich schwach an. Erst hielt ich das Lächeln für höhnisch, doch dann erkannte ich an ihrem Tonfall , dass es ein verschwörerisches Lächeln unter Frauen war -

nach dem Motto: Wir wissen doch alle, was Männer für Schweine sein können. »Möchten Sie das wirklich wissen?«

Wollte ich nicht, aber da Chase verschwunden war... Ich seufzte. »Vielleicht hilft uns das, ihn zu finden.«

Erika schnaubte laut. »Tja, das bezweifle ich, aber was soll's. Sie sind vermutlich sowieso schon außer sich vor Freude darüber, dass wir uns gestritten haben. Auch egal. Chase wollte eine offene Beziehung, mit Ihnen. Ich habe gesagt, vergiss es. Da ist er wütend geworden.« Sie stand auf, ging langsam zum Fenster und schaute auf den Parkplatz hinaus. »Er gibt mir die Schuld an diesem ganzen Schlamassel.«

Ich blinzelte. Chase wünschte sich eine offene Beziehung. Das war ja etwas völlig Neues.

Chase war strikt dagegen gewesen, als ich es gewagt hatte, diese Idee wegen Zachary anzusprechen. Hatte er es sich anders überlegt? »Ich möchte noch etwas wissen. Hat Chase Ihnen gesagt, dass er mit mir zusammen ist, als Sie nach Seattle gekommen sind?«

Sie rührte sich nicht und drehte sich auch nicht um, aber sie änderte ganz leicht ihre Haltung, und die Schultern sanken ein wenig herab. Ich kannte die Antwort. »Er hat Ihnen nichts von mir gesagt, oder? Sie wussten zuerst gar nichts davon.«

»Schön«, sagte sie und leerte ihr Glas. »Ich wusste anfangs nichts von Ihnen. Chase hat mir nichts gesagt.« Sie drehte sich um und sah nun viel weniger selbstbewusst aus. »Ich habe erst vor zwei Wochen von Ihnen erfahren, als ich ihn im Büro besuchen wollte. Er war gerade zum Mittagessen gegangen. Um mir die Zeit zu vertreiben, habe ich mich mit dieser Elfe unterhalten - Sharah? Jedenfalls hat sie mir erzählt, dass Sie seine Freundin wären. Sie wusste nicht, dass zwischen Chase und mir was lief. Als er zurückkam, habe ich ihm die Hölle heiß gemacht. Er hat behauptet, es liefe nicht so gut mit Ihnen und die Beziehung hätte gerade Pause. Dann sollte er eben ganz Schluss machen, habe ich gesagt.

Mir ist erst diese Woche klargeworden, dass er da stark übertrieben hat. Ich hätte damit rechnen müssen, dass er so etwas tut, verdammt.«

Tränen stiegen ihr in die Augen, und obwohl ich das nicht wollte, tat sie mir leid. »Wie meinen Sie das?«

»Weil wir uns genau deswegen damals getrennt haben. Und jetzt will ich Sie mal was fragen. Hat er Ihnen je von mir erzählt?« Sie stellte ihr Glas auf einen Untersetzer und ließ sich wieder in den Sessel sinken.

Ich schüttelte den Kopf. »Nein, hat er nicht. Er hat behauptet... er hat gesagt, er hätte noch nie eine ernsthafte Beziehung gehabt.«

»Ich verstehe«, sagte sie. Sie bemühte sich zwar, sich nichts anmerken zu lassen, aber ich sah, wie sich die verheerende Wirkung dieser Worte in ihr Gesicht schlich.

»Wir waren drei Jahre lang verlobt. Nach seinen Maß-Stäben gilt das wohl nicht als ernsthaft. Vielleicht habe ich mir das nur eingebildet. Na ja«, sagte sie und schüttelte den Kopf, ehe sie fortfuhr. »Zwei Monate vor der Hochzeit bin ich dahintergekommen, dass er es mit meiner besten Freundin getrieben hatte. Er hat steif und fest behauptet, das sei ein einmaliger Ausrutscher gewesen. Ich habe ihn geliebt, also habe ich ihm verziehen. In der Nacht vor unserer Hochzeit habe ich ihn mit einer Stripperin erwischt. In unserem Bett. Da habe ich ihn verlassen. Bin weggezogen.«

Ich war wie vor den Kopf geschlagen. Chase hatte das getan? Mein Chase? Ja, er konnte manchmal ziemlich grob sein, aber er predigte wenigstens immer, dass man das Richtige tun solle. Und jetzt stellte sich heraus, dass er offenbar schon lange ein widerlicher Schleimbeutel war?

Sie hob den Kopf und ließ den Blick über mein Gesicht huschen. »Wo bleibt die Schadenfreude?«

Ich schüttelte den Kopf. »Nicht mein Stil.« Was nicht ganz stimmte, aber ich meinte es aufrichtig.

»Dann sollte ich wohl danke sagen. Also, ich dachte... als ich vor einem Monat wieder hergekommen bin, wirkte er ganz verändert. Er hat sich entschuldigt. Er hat mir Blumen mitgebracht und mir gesagt, wie sehr er sich freue, mich wiederzusehen. Ich war nie so ganz über ihn hinweggekommen, also bin ich... haben wir... habe ich mich wieder neu in ihn verliebt. Als ich dann von Ihnen erfahren habe, wusste ich, dass er sich doch nicht geändert hatte. Also habe ich beschlossen, ihn einfach auszunutzen und meinen Spaß zu haben, solange es geht. Ich habe nicht vor, ihn zu behalten, Delilah. Ich wollte ihm nur Hoffnungen machen und ihn dann fallenlassen, wie er mich hat fallenlassen. Ich wollte ihm weh tun.«

Scheiße! Ich starrte sie an. Rachegelüste waren in den VBM ebenso tief verankert wie in Feen. Chase würde zweifellos seine eigene Version dieser Geschichte haben, und die Wahrheit lag vermutlich irgendwo dazwischen - wie dem auch sei, ich hatte reichlich Stoff zum Nachdenken.

»Sie haben sich also meinetwegen mit ihm gestritten?«, fragte ich nach.

»Ihretwegen - und über Verantwortung. Darüber, was man tut und was nicht. Es ist mir scheißegal, ob Sie sich darüber aufregen. Aber ich bin wütend, weil Chase immer noch nicht den Mumm hat, sich hinzustellen und zu sagen: ›Ja, ich habe das getan‹, und die Konsequenzen zu tragen. Als er mir gestern die Schuld an sämtlichen Problemen zuschieben wollte, hat es mir endgültig gereicht. Ich bin zu alt, um mit einem verzogenen Bengel Spielchen zu spielen. Und ich habe keinerlei Interesse daran, mich in eine Dreiecksgeschichte verwickeln zu lassen.«

Sie stand auf und verschränkte die Arme, und ihre exquisit lackierten Fingernägel trommelten auf dem glatten Seidenstoff ihres Morgenmantels herum. »Ab sofort folge ich dem Motto: Wenn es keinen Spaß mehr macht, bin ich weg. Und es macht keinen Spaß mehr. Sie wollen wissen, wann ich ihn zuletzt gesehen habe? Gestern in Ruth Chris' Steak House. Wir haben etwas getrunken und sind bis zur Vorspeise gekommen. Dann ist er abgehauen und hat mich auf der Rechnung sitzenlassen.«

Damit wandte sie sich mir zu. »Ich gehe jetzt und ziehe mich an. Wenn ich wieder herauskomme, möchte ich Sie hier nicht mehr sehen. Ich verlasse noch heute die Stadt.

Er gehört ganz Ihnen, Schätzchen. Aber ich kann Ihnen nicht empfehlen, irgendwelche langfristigen Pläne zu schmieden, denn Chase schleppt da einen ganzen Keller vol Leichen mit sich herum.«

Ich sah ihr nach, als sie im Bad verschwand. Dann stand ich langsam auf, ging hinaus und schloss die Tür von außen wieder ab.

Chase hatte mich also belogen, und das gleich mehrfach. Wenn Erika die Wahrheit sagte, hatte Chase ihr das Gleiche angetan wie mir, nur war es bei ihr viel schlimmer gewesen.

In der Nacht vor ihrer Hochzeit... selbst in der Anderwelt wäre dieses Verhalten inakzeptabel, außer in höchsten Adelskreisen. Und auch nur bei der Sorte Adeliger, die sich um Lethesanar scharten.

Langsam kehrte ich zu meinem Jeep zurück und ging die Unterhaltung immer wieder durch. Chase war verschwunden. Chase vögelte gern in der Gegend herum. Chase hatte mich belogen, hatte sie belogen, hatte in der Vergangenheit schon oft gelogen, was Frauen anging.

In gewisser Weise fühlte ich mich sogar besser, weil ich nicht das einzige Opfer war.

Wenn er nur von Anfang an eine offene Beziehung hätte akzeptieren können, wäre das vielleicht gar nicht passiert. Aber das konnte er nicht - jedenfalls konnte er einer Frau diese Offenheit nicht zugestehen. Al mählich begriff ich. Chase wollte seine Freiheit, ertrug es aber nicht, wenn jemand anders es genauso machte. Was bedeutete das nun für uns? Mich? Ihn?

Erika hatte behauptet, sie werde abreisen, und ich glaubte ihr. Jetzt wurde mir klar, dass sie nicht der Feind war. Nein, im Grunde gab es gar keinen Feind... nur eine große Leere, ein Loch, wo einmal meine Fähigkeit gewesen war, einem Mann zu vertrauen, der behauptete, mich zu lieben. Einem Mann, mit dem ich die Leidenschaft, die Liebe und meine menschlichen emotionalen Wurzeln entdeckt hatte.

Was sollte ich denn jetzt tun? Ihm den Rücken zukehren? Ihn nie wiedersehen? Aber das ging nicht. Wir brauchten ihn wegen seines Jobs, wegen unseres Dämonenproblems.

Konnten wir uns so weit zurücknehmen, dass wir es schafften, nur Freunde zu sein und kein Paar mehr? Je länger ich darüber nachdachte, desto besser erschien mir diese Idee.

Zumindest, bis wir uns über alles im Klaren waren.

Ich fragte mich, wo zum Teufel er stecken mochte. Als ich den Heimweg einschlug, beschloss ich, wichtige Entscheidungen über unsere Beziehung aufzuschieben, bis wir miteinander gesprochen hatten.

Als ich in die Auffahrt einbog, überkam mich das Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Ich parkte den Jeep außer Sichtweite des Hauses, nur für alle Fälle, und schlich mich seitlich durch den Wald an das Haus heran. Ich eilte die Hintertreppe hoch, blieb stehen und starrte die Tür zur hinteren Veranda an. Sie war aus den Angeln gerissen worden.

Scheiße!

Ich rannte nach drinnen und trat den umgekippten Wäschekorb aus dem Weg. In der Küche herrschte das reinste Chaos, überall zerbrochenes Geschirr und verschüttete Lebensmittel. Ein rascher Blick zeigte mir, dass der Eingang zu Menollys Unterschlupf noch verschlossen war; mit etwas Glück hatte der Eindringling ihn nicht gefunden.

Aber Iris - und Maggie? Ich wirbelte herum und entdeckte Maggies Laufstall. Er war in Fetzen gerissen worden.

Ich unterdrückte einen Aufschrei und lief weiter ins Wohnzimmer, das ebenfalls auf den Kopf gestellt worden war. Ein seltsamer Duft stieg mir in die Nase, und ich zuckte zusammen. Es roch beinahe überwältigend nach überreifen Früchten, Orangen, süßlicher Vanille und Jasmin... oh, verflucht. Zur Hölle.

Das war der Duft des Räksasa. Karvanak war hier gewesen.

Ich sank zu Boden und krümmte mich, während eine Energiewelle nach der anderen mich überrollte. Ich wollte mich verwandeln, davonlaufen und mich irgendwo verstecken, wo es sicher und dunkel war. Während ich gegen den Drang ankämpfte, der an mir fraß wie an einem Junkie, der einen Schuss brauchte, fragte ich mich hilflos, ob Karvanak noch im Haus war - und ob Iris und Maggie noch lebten.