Alaca heißt bunt

„Kizim, Hadi, Uyan, los, wacht auf, wir sind in Ankara.“

Ali Amca nahm uns an der Hand, und nachdem wir die Koffer abgeholt hatten, fuhren wir mit einem Taxi zum Busbahnhof.

In Ankara war es laut, und alle Menschen hatten es ganz eilig. Die Autos hupten und Ali Amca fluchte die ganze Zeit.

„Dieses Land wird nie zu etwas kommen. Die Menschen sind so unzivilisiert. Sie sollten sich ein Beispiel an den Ungläubigen nehmen!“, schimpfte er.

Wir fuhren die ganze Nacht, und ein Mann verteilte immer wieder Erfrischungstücher, damit sich die Fahrgäste frisch machen konnten.

„A-la-ca. Geldik! Ali Amca wir sind da!“, schrie Mine, nachdem sie das Schild am Ortseingang gelesen hatte.

„Alaca? Warum heißt das hier,bunt‘?“, wollte ich wissen.

Ali Amca schüttelte nur den Kopf und zuckte mit den Schultern.

Als wir aus dem Bus ausstiegen, war es draußen fast hell, und unsere Babaanne stand bereits an der Haltestelle und wartete auf uns.

|74|Babaanne bewegte sich gar nicht. Sie stand da wie ein Soldat.

„Herzlich willkommen“, sagte sie und streckte uns ihre Hand zum Küssen hin. Danach beugte sie sich herunter und gab uns jedem einen Kuss auf die Stirn. Ali Amca drückte ihr den Brief von Baba in die Hand und stellte unsere Koffer neben Babaanne auf den Boden.

Er fuhr mit dem gleichen Bus weiter. Ali Amca verabschiedete sich nicht mal von uns. Er sah uns nur an, machte ein trauriges Gesicht und ging einfach weg.

Zwei Männer trugen unsere Koffer in das Haus von Babaanne. Ich war sehr müde und konnte kaum laufen. Als Babaanne das sah, nahm sie mich auf ihren Rücken.

 

Ich schlief ganz lange und als ich meine Augen wieder öffnete, saßen Ablam und Babaanne auf den Kissen im Wohnzimmer und unterhielten sich. Ich lag auf einer Matratze unter einem großen Fenster.

„Oh du Tochter des Sultans, bist du auch schon wach? Geh und wasch dein Gesicht“, sagte Babaanne.

Ablam ging mit mir raus in den Innenhof, denn wir mussten einen Eimer Wasser aus dem Brunnen holen.

„Aaah, uuh, aaah! Hörst du, Nilgün, wie das hallt? Der Brunnen ist so tief und so dunkel. Wer weiß, wie viel Leichen da unten liegen“, sagte Mine.

„Blöde Kuh, warum sollen im Brunnen von Babaanne Leichen liegen?“

Mine war manchmal richtig dumm. Aber es war wirklich so dunkel und so tief, dass man gar nicht sah, wie weit dieser Schacht nach unten ging.

„Ich will mein Gesicht hier nicht waschen. Gibt es denn kein Waschbecken in der Küche?“

|75|„Das ist doch Günah! Man wäscht sein Gesicht nicht in der Küche. Babaanne will das nicht!“

Mine schnürte ein dickes Seil um ihren Bauch, ließ dann den Eimer in den Brunnen herunter und zog das Wasser hoch.

„Du bist noch zu klein, das darfst du auf keinen Fall alleine machen“, sagte sie und brüllte immer wieder in den Brunnenschacht.

Das hätte ich sowieso nicht gemacht. Ich hatte zwar keine Angst, aber schön fand ich den Brunnen auch nicht.

Weit weg von diesem Brunnen wusch ich mein Gesicht und Ablam zeigte mir noch die Toilette, die genauso tief war, wie der Brunnen. Nur war das Loch nicht so groß, da hätte nie eine Leiche hineingepasst. Das Klo gefiel mir noch weniger als der Brunnen. Da konnte man sich nicht mal hinsetzen, und Klopapier gab es auch nicht.

„Du bist hier nicht in Alamanya!“, sagte Ablam und ging wieder zu Babaanne.

Wir saßen mit Babaanne auf dem Boden, und es gab Maisbrot, Oliven, Käse, Wassermelonen und Tee.

„Allahım, du siehst ja schrecklich aus. Komm lass dich mal kämmen“, sagte Babaanne und zog aus ihrem Şalvar einen weißen Kamm hervor.

„Au, Babaanne, acıdı, das tut weh!“, schrie ich vor Schmerz auf.

„Wie willst du mal Kinder kriegen? Stell dich nicht so an. Diese Locken lassen sich nicht kämmen“, sagte Babaanne und klebte meine Locken mit ihrer Spucke glatt auf meinen Kopf. Sie zog mit der Spitze des Kammes einen Strich auf einer Seite. „Oh güzel Kızım, so siehst du viel schöner aus!“

Ich schaute mich im Fenster an und war mit dem Ergebnis zufrieden. Jetzt hatte ich auch so schöne Haare wie Ablam, nur waren meine nicht so lang.

|76|Mine bekam zwei Zöpfe, aber das gefiel meiner Babaanne auch nicht.

„Die müssen viel kürzer sein, die Kraft habe ich nicht, jeden Tag deine Haare zu kämmen“, sagte sie.

„Anne hat gesagt, die müssen lang bleiben und wenn sie so lange sind, dass sie meine Hüften berühren, dann kommt sie uns holen“, sagte Mine.

Babaanne seufzte laut, schüttelte wieder ihren Kopf und klopfte sich auf die Schenkel.

„Inşallah, Inşallah.“

„So, jetzt erzählt mal von Alamanya, wie geht es meinem Sohn, ist er auch gesund? Muss er in der Fremde viel arbeiten? Wahrscheinlich arbeitet er Tag und Nacht, um eure Mäuler zu stopfen, denn ihr werdet ihm und eurer Anne bestimmt die Haare vom Kopf fressen.“

„Wir fressen ihnen überhaupt nicht die Haare vom Kopf!“, schrie Mine. Aber dann entschuldigte sie sich gleich. Babaanne gab keine Antwort. Sie sah aus dem Fenster, nickte immer mit dem Kopf und flüsterte ein Gebet.

Babaanne hatte auch wenig Farben auf dem Kopf. Ihre Haut war dunkel wie ihre Augen, die man kaum sah. Ihre Augenbrauen waren so buschig und schwer, dass sie ihre Augen kaum öffnen konnte.

In ihrem Gesicht waren ganz viele tiefe Falten. Sie hatte einen massigen Körper, aber ihr Gesicht war eingefallen. Immer wenn Babaanne ihr Kopftuch zurechtrückte, sah man ihre weißen Haare. Babaanne hatte schmale, lange Finger, und auf ihren Händen waren dicke, blaue Adern. Das sah richtig gruselig aus.

„Ich glaube, Babaanne ist böse“, flüsterte ich.

„Ist doch mir egal“, sagte Mine auf deutsch und verschränkte die Arme.

|77|„Schscht, sprich nicht die Sprache der Ungläubigen!“, zischte Babaanne.

 

Babaanne hatte ein altes, großes Haus mit ganz vielen Zimmern, die einfach nur leer standen. Wir saßen ganz lange auf dem Boden, und Babanne erzählte uns, was wir alles tun müssten.

Ich wurde ganz traurig und musste an meine Anne denken. Ich fing wieder an zu weinen. „Oy, ağlama yavrum, ağlama, üc gün kaldi bayrama.“

„In drei Tagen ist doch nicht Bayram“, sagte Mine.

Babaanne holte singend eine Handvoll braunen Kandiszucker aus dem Stoffsäckchen an ihrem Şalvar und drückte es mir in die Hand.

„Tatli yigelim tatli konusalim, lasst uns Süßes essen und Süßes sprechen“, sagte sie.

„Babaanne, Bayram war doch erst.“

Aber Babaanne schien meinen Einwand gar nicht zu hören, sie sang das immer wieder, um uns zu trösten. „Weine nicht, mein Kind, es sind nur noch drei Tage bis Bayram!“

Gleich am nächsten Tag ging Babaanne mit uns auf den Markt, und wir bekamen neue Kleider. Die meisten Kleider, die wir aus Deutschland mitgebracht hatten, sollten wir erst wieder anziehen, wenn Anne uns abholen würde. Babaanne hatte unseren Koffer auf den großen Schrank im Flur gestellt. Außerdem gefielen ihr unsere Sachen überhaupt nicht, die meisten Röcke fand sie zu kurz.

„Günah, Kızım, so könnt ihr hier nicht rumlaufen! Ihr werdet sonst in die Berge entführt“, sagte Babaannem.

 

Alaca war ein großes Dorf, und Babaanne erzählte uns, woher Alaca seinen Namen hatte: Atatürk war vor vielen Jahren |78|in unserem Dorf gewesen und als er die bunten Häuser sah, sagte er verwundert: „Hier ist es aber kunterbunt.“ Und damit hatte Atatürk recht, in Alaca war alles sehr bunt.

Einige behaupteten, dass man Alaca so genannt hätte, weil es viele Nomaden, Schiiten und Aleviten gab und die Bevölkerung so bunt gemischt war.

Es gab viele Geschichten über Alaca, aber Babaanne wusste alles am besten, weil sie ja schon so lange dort lebte.

„Manchmal glaube ich, dass Allah unser Alaca vergessen hat. Es gibt mehr Caféhäuser als Moscheen“, sagte Babaanne.

Die meisten Männer saßen im Café und spielten den ganzen Tag Karten. Aber nicht nur an den Wochenenden wie mein Baba, sondern jeden Tag, von morgens bis abends. Einige spielten auch Tavla, und die Männer fluchten viel beim Spielen. Frauen machten einen großen Bogen um das Dorfcafé, und Babanne sagte immer: „Die Männer sollten auch nachts im Café sein, damit sie ihre Weiber in Ruhe lassen. Entweder werden sie geschlagen oder sie werden von diesen Hurensöhnen geschwängert!“

Die Frauen von Alaca arbeiteten eigentlich auch nicht wirklich. Sie waren auf den Feldern und pflückten Obst und ernteten Gemüse. Sie hatten ihre Kinder immer dabei. Keine ging putzen oder arbeitete in der Fabrik. In Alaca hatten alle Menschen wenig Farben auf dem Kopf, und die meisten waren sogar dunkler als ich. Und es gab keinen einzigen Deutschen. Nur Türken!

Aber es gab ganz viele Hunde und Katzen auf den Straßen, die wir alle nicht anfassen durften, wegen der Tollwut. Und manchmal sah man kein einziges Tier auf der Straße, weil ein Lastwagen vom Bürgermeister alle Tiere eingesammelt hatte. Die kamen nie wieder zurück.

Babaanne sagte immer, dass der Bürgermeister keine |79|Angst vor Allah habe, und dass nur derjenige, der wie Allah imstande sei, ein Lebewesen zu erschaffen, auch Leben beenden dürfe. Wenn der Bürgermeister in Alaca eine Rede hielt, ging Babaanne nie hin, weil sie ihn nicht mochte.

Babaanne hatte Hühner, die jeden Tag Eier legten, und ein Pferd, das aussah wie ein Esel.

„Eşoleşek!“, sagte Babaanne immer, weil das Pferd einen Esel als Baba hatte. Das gefiel uns so, dass wir darüber lachen mussten.

Außer den Tieren lief noch ein großer Mann durch Alaca. Yalcin war so groß und so dünn, dass man ihn sogar im Maisfeld sehen konnte.

Er hatte schwarze Haare, die immer nass waren, schwarze Augen und eine ganz lange, spitze Nase. Sogar seine Zähne waren schwarz.

„Yalcin ist unser Dorftrottel. Sein Kopf ist leer, aber sein Herz lacht immer“, sagte Babaanne.

Yalcin war meistens von einer Horde Jungs umringt, die in die Hände klatschten und um ihn herumtanzten. Alle machten sich über ihn lustig. Yalcin aber schien sich zu freuen und tanzte einfach mit.

Obwohl er ein lustiges Herz und ein lachendes Gesicht hatte, sah Yalcin zum Fürchten aus. „Vor Dummen braucht man keine Angst zu haben. Fürchtet euch vor Gelehrten“, sagte Babaannem.

Wenn wir mit Babaanne an einem der Dorfcafés vorbeigingen, erhoben sich die Männer und begrüßten Babaanne mit einem Kopfnicken. „Alles Hurensöhne!“, murmelte Babaanne und zog ihre Mundwinkel nach unten.

Meine Babaanne kannten alle im Dorf, und sie wurde „kara Cavus“, schwarzer Oberfeldwebel, genannt. Ich glaube, die meisten hatten Angst vor ihr. Sie wusste zwar nicht, wie |80|alt sie war, aber ich glaube, Babaanne war sehr, sehr alt. Ihr Gesicht war so faltig und so verschrumpelt, dass Wassertropfen manchmal gar nicht herunterlaufen konnten. Sie blieben in den Falten hängen.

Alaca war wirklich ein schönes Dorf mit seinen vielen bunten Häusern. Alle Menschen hatten ihre eigenen Häuser, obwohl keiner jemals in Deutschland war. Die meisten Häuser hatte Itilmis Amca gebaut. Er wurde „Ausgestoßener“ genannt, weil seine Frau ihn immer wieder aus dem Haus warf. Wenn Itilmis Amca betrunken nach Hause kam, wurde seine dicke Frau so wütend, dass sie ihn vor die Tür setzte. Itilmis Amca hatte von seinem Vater gelernt, wie man Häuser baute. Er verlangte kein Geld. Für ein paar Säcke Korn und ein paar Säcke Maismehl bekam man von ihm ein Haus gebaut.

Mine und ich wollten Itilmis Amca unbedingt nach Istanbul mitnehmen, damit er uns dort auch ein Haus bauen konnte.

Alaca hatte viele Straßen, aber wir mussten nicht so aufpassen wie in Deutschland, weil es kaum Autos gab. Die meisten Leute in Alaca nannten meine Abla und mich „alamanci Kizlar“, die deutschen Mädchen, weil alle wussten, dass wir aus Deutschland kamen.

Der netteste Mann in ganz Alaca aber war Ismail Amca. Alle nannten ihn „Kilibik Ismail“, was soviel hieß wie „Pantoffelheld Ismail“, weil er nie ins Café ging, keinen Raki mochte und auch nicht Karten spielte. Im Hamam erzählte er den Männern anscheinend immer, dass sie ihre Frauen respektieren und dass sie ihnen im Haus und bei der Feldarbeit helfen sollten. Hinter seinem Rücken lachten die anderen ihn aus, aber wenn sie mal Probleme mit ihren Frauen hatten, gingen alle zu „Kilibik Ismail“ und seiner Frau Melike und baten um Rat. Leider hatten Onkel Ismail und seine Frau keine Kinder, |81|jetzt waren beide schon ziemlich alt. Ismail Amca hatte viele Jahre bei der Post gearbeitet, aber inzwischen war er im Ruhestand. Melike Teyze war Lehrerin gewesen. Sie trug nicht mal an Ramadan ein Kopftuch, aber das war nicht so schlimm. Sie war nicht die Einzige in Alaca.

 

Wir waren schon sechs Wochen bei Babaanne. Ablam ging immer noch nicht in die Schule, und manchmal war es richtig langweilig. Wir bekamen nie Besuch, und Babaanne wollte auch niemanden besuchen.

„Babaanne, hast du keine Freunde in Alaca? Meine Anne hat ganz viele Freundinnen in Deutschland.“

Mine sah mich dabei an und zog die Schultern hoch. Babaanne gab lange keine Antwort. „Freunde gibt es nicht, Çocuklar, merkt euch das. Sie nehmen einem den Mann weg oder heulen einem die Ohren voll mit ihren Sorgen!“ Babaanne wurde böse und ging auf den Innenhof, um die Hühner wieder in den Stall zu scheuchen.

Danach scheuchte sie uns auch ins Bett, wie ihre Hühner.

Wenn Mine und ich abends im Bett noch tuschelten, sagte Babaanne immer: „Schscht, seit sofort still, sonst hol ich den Yalcin rein!“

Dann war Ruhe, und wir schliefen sofort ein. Wir hatten Yalcin schon mal an unserem Haus vorbeilaufen sehen und waren vor Angst fast gestorben. Yalcin sah nachts noch schlimmer aus als bei Tageslicht.

Vor dem Schlafengehen erzählte Babaanne uns immer Geschichten von Dede, der viele Frauen gehabt hatte. Aber Babaanne war unsere echte Babaanne. Die anderen waren schmutzige Frauen gewesen, die ohne Trauschein mit Dede zusammen waren. Babaanne hatte wegen Dede viel leiden müssen, weil er auch immer im Café gewesen war und Raki |82|getrunken hatte. Mein Dede war mal ein reicher Mann gewesen, aber er hatte viel Geld beim Kartenspielen verloren und für diese schlechten Frauen ausgegeben.

„Allah sei Dank, er ist gestorben, bevor er dieses Haus auch verspielen konnte. Dieser Hurensohn!“, seufzte sie dann und hob die Hände zu Allah.

Einmal standen ein paar Dorfkinder vor der Haustür und fragten, ob wir rauskommen würden zum Spielen. Aber Babaanne jagte sie alle mit ihrem Besen weg. Sie wollte nicht, dass wir mit anderen Kindern spielten. Sie sagte, dass viele Kinder keinen Knochen in der Zunge hätten und oft böse Ausdrücke benutzen würden. Babaanne wollte nicht, dass wir uns mit ihnen anfreundeten.

Seit wir in Alaca waren, hatte meine Abla mich nie mehr geärgert. Aber sie war auch nicht mehr so lustig wie in Deutschland.

„Wir sind jetzt seit zwei Monaten hier und Anne hat noch kein einziges Mal geschrieben, Nilgün. Meinst du, sie holt uns wirklich irgendwann mal ab?“

„Gefällt es dir hier nicht?“, fragte ich.

Mine vergrub ihr Gesicht in den Händen und fing an zu weinen. „Das hier ist nicht unsere Heimat, und das ist auch nicht Türkiye. Ich möchte in Istanbul sein und dort in die Schule gehen. Ich hasse diese alte Hexe!“ Sie wischte sich die Tränen vom Gesicht.

Babaanne war sehr streng, aber sie hatte uns noch nie geschlagen.

„Ich bin doch bei dir, du musst nicht weinen, und außerdem kommt Anne bestimmt bald und holt uns ab. Aber so ein Haus ist teuer. Sie muss bestimmt noch mehr arbeiten und viel sparen!“ Diesmal versuchte ich, meine Schwester zu trösten.

|83|Plötzlich stand Babaanne neben uns und rückte ihr Kopftuch zurecht.

„Hört auf mit dem Gejammer. Kommt rein, wir essen.“

„Babaanne, ich habe keinen Hunger“, sagte Ablam und fing wieder an zu weinen,„Annem hat uns vergessen, sie wird nie kommen.“

„Natürlich wird eure Anne bald kommen und euch holen.“ Babaanne fing an zu singen: „Ağlama yavrum, ağlama, üc gün kaldi bayrama.“

Danach gab sie uns aus ihrem Şalvarbeutel eine Handvoll braunen Kandiszucker.

„Lasst uns Süßes essen und Süßes sprechen“, sagte sie und drückte uns fest an ihre Brust. Manchmal konnte Babaanne richtig lieb sein.

Einmal hatte sie uns Popcorn gemacht, und ich durfte auch schon mal bei ihr im Bett schlafen, weil ich schlecht geträumt hatte.

Aber das Beste war, Babaanne hatte immer braunen Kandiszucker in ihrer Tasche.

Wenn man ein Stück Kandiszucker ein wenig lutscht und es dann in die Hand nimmt, sieht es aus wie ein Edelstein.

„Schau Babaanne, ich bin reich, ich bin reich!“, rief ich dann, und wenn ich damit um meine Babaanne herumtanzte, sagte sie: „Kızım, gehen wieder mal deine Ziegen mit dir durch?“ Sie seufzte laut und versteckte ihr Gesicht, damit wir ihr Lachen nicht sehen konnten.

„Wir sind doch nicht zum Lachen auf die Welt gekommen, sondern zum Arbeiten. Wer zu viel lacht, muss auch sehr viel weinen!“, sagte Babaanne immer.