Man trifft sich immer zweimal im Leben

Weihnachtsfeiern mit Punsch, Geschäftsessen mit Bier, Wein und Schnaps, sommerliche Grillfeste mit der ganzen Belegschaft und ausreichend alkoholischen Getränken. Betriebsfeiern sind gut fürs Betriebsklima – und können sich fatal auf die Karriere auswirken. Und das nicht nur wegen der peinlichen Fotos, die zu später Stunde geschossen werden mögen.

Wer vom Alkohol enthemmt locker losplaudert und sich zu Klatsch und Tratsch hinreißen lässt, zu kleinen Indiskretionen, der muss damit rechnen, eines Tages die Quittung dafür zu erhalten – und die kann ganz anders ausfallen, als man zunächst vermutet.

 

Dr. Robert Stammer hat einen hervorragenden Stand in seiner Firma. Er arbeitet hart und gewissenhaft, er hat es sogar geschafft, berufsbegleitend |188|seine Doktorarbeit zu beenden. Er gilt als leistungsbereit, zuverlässig und hoffnungsvoll. Man schätzt sein Urteil. Deshalb wird auch seiner Empfehlung zur Neubesetzung einer Position Gehör geschenkt.

Eingestellt wird ein weiterer Absolvent von Stammers Alma Mater, den er schon länger kennt: Jürgen Wolgerer ist ehrgeizig und engagiert. Ebenso wie Stammer würde Wolgerer gern promovieren – allerdings fehlt ihm das passende Thema zu seiner Dissertation. Stammer unterstützt den ehemaligen Kommilitonen, wo immer es nur geht – ganz entsprechend seiner Maxime: »Support for the best!« Und tatsächlich: Knapp zwei Jahre später erhält auch Wolgerer seinen Titel. Alle im Unternehmen wissen, ohne Stammer hätte Wolgerer das nicht geschafft. Die beiden gelten spätestens von nun an als unzertrennliche Buddys.

Ein Jahr später bewirbt sich Stammer – er gilt mittlerweile als angehender Kronprinz des Unternehmens – auf eine Stelle innerhalb des Konzerns, die als das ultimative Karrieresprungbrett gilt. Jeder im Unternehmen weiß, dass er die Stelle bekommen soll, jeder weiß, dass er sie verdient. Kurz vor Ablauf der Bewerbungsfrist wirft auch Wolgerer seinen Hut in den Ring. Formal ist das völlig korrekt, allerdings firmenuntypisch. Stammer kocht vor Wut, schließlich verdankt Wolgerer es ausschließlich ihm, dass er die Voraussetzungen für die Stelle mitbringt. Wolgerer aber kommentiert gelassen: »Ich finde, der Bessere soll gewinnen. Das ist doch auch deine Einstellung, oder?«

Zähneknirschend fügt sich Stammer in die Situation.

Doch im Laufe des Auswahlverfahrens kommt ihm zu Ohren, dass Wolgerer kräftig gegen ihn vom Leder zieht: Passagen aus seiner, Stammers, Dissertation sollen abgeschrieben sein (was sich nach einer Kommissionsprüfung später als falsche Behauptung herausstellen wird) und der vielgeschätzte Herr Doktor hätte kräftig über seine Kollegen gelästert – Wolgerer kann dies mit einigen deftigen Insider-Informationen untermauern, die nur Stammer ihm hat anvertrauen können.

Und tatsächlich: In seiner Naivität als Berufsanfänger hatte Stammer an einem weinseligen Abend vor dem vermeintlichen Freund unverblümt |189|über Kollegen und Vorgesetzte hergezogen. Stammer klingt noch der Satz im Ohr, mit dem Wolgerer ihm noch einmal üppig von dem guten Silvaner nachschenkte: »Lass uns heute mal Klartext reden.«

Ganz eindeutig: Wolgerer kämpft mit harten Bandagen. Seine Vorwürfe zögern das Auswahlverfahren hinaus. Mit viel Mühe und deutlichen Blessuren geht schließlich Stammer als Sieger daraus hervor. Gerade noch einmal Glück gehabt – aber zu einem hohen Preis.

Lästern Sie nie über Mitarbeiter, Kollegen und Vorgesetzte im Beisein von anderen Firmenangehörigen. Halten Sie sich ebenso mit Erzählungen von eigenen Fehlern und Dummheiten zurück. Eines Tages kann das alles auf Sie zurückfallen. Böse Buben wissen nämlich ganz genau, wie sie diese Insider-Informationen einsetzen müssen, um sich Karrierevorteile zu verschaffen.

Stammer hat seine Lektion gelernt. Nie wieder hat er sich eine derartige Naivität erlaubt. Gegenüber Dritten hielt er sich künftig wohlweislich zurück. Private Freundschaften hat er in seiner Branche konsequent vermieden. Vertraute sucht er sich lieber außerhalb des Business.

Dennoch wurmte ihn das Erlebnis. Da zeigte sich ein guter Gott der Rache gnädig.

 

Neunzehn Jahre später wird Stammer als erfahrener und besonnener Berater herangezogen, als eine hochdotierte Stelle zu vergeben ist. Die Unterlagen der Kandidaten, die es in die Endauswahl geschafft haben, werden ihm zur Beurteilung vorgelegt. Und siehe da: Einen davon kennt er nur zu gut. Dr. Wolgerer hat eine exzellente Vita vorzuweisen. Aber Stammer weiß, worauf die beruht. Was meinen Sie, wie Stammers Beurteilung ausfiel?

|190|In einem Gespräch gestand mir Stammer: »Wissen Sie, jetzt glaube ich wieder an den lieben Gott und seine unermessliche Gerechtigkeit. Was für ein schönes Geschenk, mir den Kerl nach neunzehn Jahren noch einmal vor die Füße zu legen. Das Schicksal verlangte quasi meine Intervention: Natürlich habe ich gegen Wolgerers Einstellung votiert. Aber ich habe auch in meinem Netzwerk und bei seinen Chefs die Information gestreut, dass Wolgerer auf der Suche nach Neuem sei, dass seine Loyalität fraglich sei und dass er schlussendlich ein falscher Fünfziger ist. Halten Sie das für bedenklich?«

Meine Rückfrage lautete: »Fühlen Sie sich jetzt besser und entspannter?« Seine Antwort war eindeutig: »Ja, sehr.«

In seiner Firma war Wolgerer nun mit seiner Karriere am Ende. Man hatte bis Dato nichts von seinen Wechselwünschen geahnt und verlor nun das Vertrauen in ihn – Interna bekam er nicht mehr zu hören. Wolgerer hätte eben nicht auf die zugesicherte Diskretion seiner Bewerbung setzen dürfen – bei seiner Vorgeschichte.

Sehr zufrieden stellte Stammer mir gegenüber fest: »Kleine Sünden bestraft der liebe Gott sofort, die größeren etwas später.«

Man trifft sich immer zweimal im Leben.

Kleine Lästereien oder große Gemeinheiten – sie können sich als Bumerang erweisen. Gehen Sie also nicht skrupellos vor. Dosieren Sie Ihren Biss mit Bedacht – dann erhält Ihr Arbeitsalltag die richtige Schärfe, ohne Ihnen auf den Magen zu schlagen.