Die zweite Analyse: Ihr bissiges Potenzial

Eher introvertierte Menschen, die in der Vergangenheit übervorteilt wurden, trauen sich Durchsetzungsstärke und Biss nur selten zu: »Ich kann das nicht.« Ihnen sitzt die Angst vor Zurückweisung in den Knochen. Sie befürchten Ablehnung (zu Recht), und sie fürchten, dass sie unter dieser Ablehnung leiden werden (zu Unrecht). Im vorauseilenden Gehorsam passen sie sich deswegen brav an – ein gefundenes Fressen für alle Durchsetzungsstarken, die diese nicht-bissigen Zeitgenossen deshalb so leicht ausnutzen können. Das ist aber nur die eine Seite der Medaille. Gleichzeitig ist es nämlich verblüffend zu erfahren, zu welch bissigen Taten die »Ich-kann-das-nicht«-Fraktion in der Vergangenheit fähig war. Man muss ihr nur ein wenig Zeit zur Reflexion geben. Dann sucht sich die eine oder andere Missetat den Weg zurück an die Oberfläche des Bewusstseins.

Für Milde-Paprika-Menschen ein ambivalentes Erlebnis: zum einen schämen sie sich der Missetat, zum anderen keimt die Hoffnung auf, doch zur Gegenwehr fähig zu sein. Das macht Sinn, denn wer zukünftig bissig handeln will, findet häufig Ermutigung in seiner Vergangenheit. Bei den meisten Menschen finden sich Situationen, die sie mit Durchsetzungskraft bewältigt haben. Diese »bissigen« Erinnerungen dürfen sich auch |110|Gutmenschen erlauben, denn es ist nicht das Ziel der Peperoni-Strategie, »bad guys« zu kreieren, sondern die Power zum Widerstand zu wecken, die in die Zivilcourage mündet.

Durchsetzungsstarke Taten der Vergangenheit können als Mutmacher für die Zukunft genutzt werden.

Voraussetzung für diese Art bissiger Ermutigung ist die Bejahung von Neutralisierungstechniken. Neutralisierungstechniken sind Rechtfertigungen, um Schuld- und Schamgefühl zu vermeiden. Diese werden gern in der Wirtschafts- und Berufswelt genutzt, um hässliche Realitäten »schönzureden«:

  • Da wird nicht entlassen, sondern »der Bestand des Unternehmens gesichert« beziehungsweise »freigesetzt«.

  • Da wird nicht eine Abteilung geschlossen, sondern »eine strategische Konzentration auf das Kerngeschäft« vorangetrieben.

  • Da wird kein Konkurrent ausgebootet, sondern man »positioniert sich gegenüber einem Mitbewerber«.

Diese Euphemismen stärken die Durchsetzungskraft, denn die eigene Tat erhält einen positiven Anstrich – es war notwendig, so zu handeln. Die Konzentration auf die negativen Konsequenzen dagegen schwächt und macht durch das schlechte Gewissen handlungsunfähig. Wer die eigenen Taten nicht vor sich selbst rechtfertigen kann, der wird es schwer haben, sich punktgenau und eindeutig aufzustellen. Dem wird es auch missfallen, an seine früheren bissigen Aktivitäten anzudocken, um Ermutigung für die Kämpfe der Gegenwart zu erfahren. Das ist schade, denn damit bleiben viele gute Ideen auf der Strecke, weil Sie sie nicht durchsetzen.

|111|Ganz nebenbei haben diese Erinnerungen auch noch einen schönen Nebeneffekt, zumindest für Menschen mit einem Faible für schwarzen Humor – sie bringen einen zum Schmunzeln: über sich selbst und über die Erkenntnis, zu welchem »Unfug« man früher schon fähig war.

Durchsetzungsstarke Zeitgenossen erinnern sich etwa an folgende bissig-böse Taten:

 

Ein heute 52-jähriger Chemiemanager zerstörte aus politischer Unzufriedenheit noch mit Anfang dreißig Wahlplakate in seinem Stadtteil – übrigens von der Partei, die er heute voller Überzeugung wählt.

Eine heute 41-jährige Abteilungsleiterin erinnert sich, wie sie im Alter von 29 schmerzhaft entdecken musste, dass ihr damaliger Partner eindeutig nicht der Richtige für sie war und sie ihre besten Jahre an ihn verschenkt hatte. Sie trennte sich von ihm, während er noch auf einer Dienstreise war, und widmete sich einen ganzen Tag seiner Wohnung: Sie zerlegte zunächst seine geliebte Espresso-Maschine. Dann folgten die Fotos und Negative (!) seiner Lieblingsbilder: vom ersten Wagen, dem ersten Urlaub in Paris, der ersten Freundin. Zuletzt schnitt sie Karos in seine Lieblingsanzüge und Krawatten. Sie findet diese Aktion heute »overstyled« – und kommt dabei aus dem Lachen kaum heraus: Ihr Mitleid hält sich also in Grenzen.

Da ist das Mitglied der Geschäftsleitung, das als Student seiner keifenden und besonders vornehm tuenden Nachbarin nicht nur die geliebte Tanne im Garten abholzte, während diese auf Reisen war, sondern sie auch noch kamingerecht zerstückelte und der Dame ordentlich auf die Terrasse stapelte. »Das waren noch Zeiten«, seufzt er heute.

Beeindruckend ist auch die Medizinerin der Pharmabranche, der beim besten Willen keine bissig-böse Tat aus der Vergangenheit einfällt. Sie scheint das Gute in Person zu sein. Doch es tauchen bei ihren Gesprächspartnern Zweifel auf, als sie beim Dessert berichtet, dass sie derzeit täglich schwangere Kleintiere seziere, um einen neuen chemischen Stoff |112|zu erproben. Da fragt man sich doch: Wozu braucht diese Dame noch bissige Taten aus der Vergangenheit. Sie braucht sich doch nur jeden Gegenspieler als trächtiges Nagetier vorzustellen …

 

Erinnern Sie sich an bissige Taten? In welchen Situationen haben Sie nicht ganz korrekt reagiert? Wenn Ihnen zunächst keine berufliche Situation einfällt, durchforsten Sie Ihr Privatleben. Wenn Sie dort eine Kleinigkeit entdeckt haben, fällt es Ihnen leichter, auch im Beruf Ihre Biss-Stärke zu erkennen. Schreiben Sie Ihre gewürzte Geschichte ruhig auf, so haben Sie in zu milden Momenten eine Erinnerung an Ihre Schärfe.

Bissige Taten haben auch immer einen erzieherischen Effekt, denn sie signalisieren potenziellen Gegenspielern: »Mit mir kann man das nicht machen, und wer es doch versucht, muss einen hohen Preis zahlen.« Ihre Widersacher werden es nicht noch einmal probieren. Eine Dame in einem meiner Seminare wählte dafür folgendes Bild: »Bei mir gibt es keine Auseinandersetzung zu Discount-Preisen, eher Edelboutique, eher Jil-Sander-Währung!«

Die pädagogische Absicht kann auch Karrieristen ganz eindeutig zeigen, wo sie im Machtgefüge stehen:

 

Ein süddeutsches, mittelständisches Maschinenunternehmen stellte einen neuen Nachwuchsmanager ein. Der hat es vor lauter Dynamik immer sehr eilig und parkt daher bevorzugt direkt vor dem Hauptportal – auf den Plätzen der Geschäftsleitung. Die schätzen das gar nicht. Zweimaliges Ermahnen, den Wagen ins zweite Glied zu stellen, hilft nichts. Die Nachwuchskraft entschuldigt sich zwar, gelobt Besserung, lässt sich aber ansonsten nicht beirren – und parkt weiterhin dort. Was tun? Die Leitung entscheidet sich fürs Handwerklich-Kreative: Sie lässt – während unser Mann in einer Konferenz sitzt – den gesamten Motorblock seines Dienstwagens ausbauen und per Gabelstapler an der Bushaltestelle vor dem Werkstor abstellen. Zweifelsfrei eine bissige |113|Tat – mit einer symbolträchtigen Botschaft für den Karrieristen: »Mach weiter so, und du fährst bald wieder mit dem öffentlichen Nahverkehr!« Das Parkverhalten des Jungmanagers änderte sich schlagartig.

 

Das Beispiel verdeutlicht: Biss mit Humor hat Würze und kommt an. Die feine Provokation, das Schwenken mit dem (symbolischen) Zaunpfahl beleben nicht nur den beruflichen Alltag, sondern präsentieren Sie auch als komplexe Persönlichkeit, die nicht so einfach zu berechnen ist. Das hat einen weiteren wichtigen Nebeneffekt: Ihre Widersacher werden Sie nicht als Zielscheibe auswählen. Die erwartete Gegenwehr schreckt potenzielle Angreifer ab, denn die suchen sich lieber kalkulierbare Opfer: Menschen, die aus Angst vor der Auseinandersetzung die Fehler lieber gleich bei sich suchen – milde Paprika-Typen eben!