Aggressionen sind beeinflussbar!

Die Gewaltbereitschaft von Menschen kann mit Anti-Aggressivitäts-Trainings® reduziert werden. Eine Vielzahl von Behandlungs- und Therapiemodellen belegen das (mehr dazu unter |35|www.prof-jens-weidner.de). Man kann aber auch im Gegenzug die positive Aggression fördern, und genau das ist für Menschen empfehlenswert, die durchsetzungsstärker werden wollen. Wer lernt, nicht mehr alles hinunterzuschlucken, wer lernt, »Nein!« zu sagen, der wird von anderen stärker respektiert, und er tut auch etwas für seine Gesundheit, denn er baut dabei auch Tendenzen ab, sich durch zu große Nachgiebigkeit selbst zu schädigen.

Der Schlüssel liegt bei beiden Methoden in der Seele des Menschen: Bei Anti-Aggressivitäts-Trainings® wird versucht, im Täter Mitgefühl für sein Opfer zu wecken. »Einmassierung des Opferleids« in die Seele des aggressiven Täters, nennt es der amerikanisch-österreichische Pädagoge Fritz Redl. Einfach formuliert: Täter haben häufig Spaß an der Gewalt, weil sie sich an ihren Opfern abreagieren können und damit ihr Selbstbewusstsein aufpolieren: Aggression gibt ihnen das Gefühl von Stärke und Macht. Ein Täter formulierte mir gegenüber sogar, er fühle sich »Gott gleich«, eben als Herr über Leben und Intensivstation.

Diesen Spaß an der Gewalt gilt es den Tätern zu verderben, zum Beispiel durch die intensive Konfrontation mit dem Opferleid in sechsmonatigen Programmen mit mehrstündigen Konfrontations-Gruppensitzungen (auf dem »Heißen Stuhl«), in denen der aggressive Gewalttäter ins Kreuzfeuer der Kritik genommen wird, bis er bereit ist, über das Leid nachzudenken, das er anderen Menschen zugefügt hat. Täter, die das Leid von Opfern nachempfinden lernen und empathisch werden, verlieren den Spaß an der Gewalt und entwickeln Schuld- und Schamgefühle. Das ist wichtig für den Opferschutz, denn Schuld- und Schamgefühle sind die Bremse, die bei zukünftigen Gewaltimpulsen gezielt betätigt werden kann und weitere Gewaltausbrüche verhindert! »Konfrontation als Hilfe« lautet |36|das professionelle Schlagwort, das Aggressive zum Umdenken bewegen kann.

Nehmen wir noch ein Beispiel aus dem privaten Jugendinternat für Gangschläger in den USA, in dem ich das Konfrontieren lernte:

 

George, ein muskulöser, groß gewachsener Jugendlicher, ist erst seit zwei Stunden in der Einrichtung. George stammt aus Baltimore und war Leader einer dortigen Vorstadtgang. Körperlich imposant, pfeift er seine neuen Zimmernachbarn an: »Glotzt nicht so blöd, ihr Arschlöcher!« Mike, ein ruhiger Jugendlicher, fühlt sich beleidigt. Er fordert George auf, sich zu entschuldigen. George fixiert den körperlich Unterlegenen: »Leck mich am Arsch, Bastard, in Baltimore landet so was wie du im Hafenbecken!« Darauf Mike: »Du drohst mir, Mann, das ist ein Fehler, ein ganz verdammter Fehler!« Mittlerweile stehen vier Jugendliche um den muskulösen Neuling und kritisieren: »Was bildest du dir ein? Du hast mir, uns allen, unsere Würde genommen!« Oder: »Ich fühle mich nicht respektiert von dir!« George irritiert diese Situation: »Spinnt ihr hier alle? Was wollt ihr? Verpisst euch!« Er fühlt sich jetzt auch eingeengt, denn nun stehen schon ein Dutzend Jugendlicher im Halbkreis um ihn herum. Im Rücken hat er die Wand und die Jugendlichen beginnen leise zu schimpfen: »George, was bildest du dir ein, was spielst du dich so auf? Wer bist du schon, du Frischling? Ich sag es dir: ein Niemand, du hast hier keinen Status, keine Freunde, bist elendig allein. Wenn du beißen willst – das ist hier nicht angesagt, damit liegst du völlig daneben!« Und: »Stell dich erst mal vernünftig hin und nimm die Hände aus der Hosentasche, wenn du mit uns redest!«

Mittlerweile sind fast zwanzig Jungen um George versammelt. Sie reden auf ihn ein: laut, leise, freundlich, boshaft, ein 15-minütiges verbales Konfrontationsgewitter. George ist nun sichtlich verspannt und nervös. Er versteht diese Welt nicht: In seiner Gang wäre die Sache ganz |37|anders abgelaufen, da hätte es schon längst Schläge gehagelt. Ein Mitarbeiter beendet die Konfrontation: »George, du hast es in wenigen Minuten geschafft, alle gegen dich aufzubringen. Mit Entschuldigungen ist hier nichts mehr zu machen. Wir wollen dich hier nicht haben. Du hast alle beleidigt. Hol deine Klamotten und geh!«

Mit Koffer und Plastiktüte verlässt George den Gruppenraum, vorsichtig und verwirrt. Er wird in ein anderes Gemeinschaftshaus gebracht. Dort begrüßt ihn der Wohngruppenbetreuer Tony, der telefonisch vorinformiert wurde: »Du hast ziemlichen Ärger gehabt, Mann. Nun bist du hier. Das andere vergessen wir. Schau dir unseren Laden erst einmal in Ruhe an, bevor du auch hier wieder Stress machst. Vor allem: Sei erst einmal herzlich willkommen!« Dabei haut Tony ihm kräftig kumpelhaft auf den Rücken. George ist schon wieder irritiert, wenn auch etwas erleichtert. Eines hat er schnell gelernt: Mit seiner Härte-Show ist hier wenig auszurichten.

 

Programme zur Förderung positiver Aggression laufen andersherum: Hier wird versucht, die moralische Hemmung, sich durchzusetzen, abzubauen und stattdessen den lustvollen, sportlichen Ehrgeiz am Wettbewerb zu fördern, gerade auch im Umgang mit Ellenbogenkarrieristen und substanzlosen Blendern!

Ansatzpunkt für diesen Veränderungsprozess zur positiven Aggression ist auch hier das Bewusstsein, die Einstellung im Kopf der Trainees. Programme zur Förderung der Aggression zielen nicht auf die physische Ebene, sondern versuchen kognitive Barrieren und Hemmungen abzubauen, hinter denen man seine Konfliktscheu gerne versteckt. Sie wollen den Teilnehmern sozusagen den psychologischen »Segen« geben, positivaggressiv agieren zu dürfen, um gute Ziele durchzusetzen. Im Gegensatz zur normalen Aggression geht es nicht um den eigenen Schutz bei Feindseligkeitswahrnehmungen, sondern um |38|die geistige Aktivierung der eigenen Vorstellungskraft, nämlich darum, hemmende Job-Strukturen zu durchbrechen.

Bevor ich den Durchbruch schaffe, muss ich mir den Durchbruch vorstellen und zutrauen können!

Dieses Zutrauen, dieser Glaube an sich selbst, kann durch Trainings-Programme unterstützt werden.