|69|Man muss seine Gegner kennen – Erfolgsmenschen auf der Spur

Wer sind nun Ihre potenziellen Gegenspieler, denen Sie Ihre 20 Prozent Peperoni-Schärfe zukommen lassen sollten? Wie sind Menschen gestrickt, die machtstrategisch ausgerichtet sind? Eines sei an dieser Stelle verraten: Wenn Sie deren Denken kennen, sind sie leicht für Sie zu berechnen. Sie können dann einfühlsam auf Ihre Gegner eingehen, wodurch diese sich wunderbar verstanden fühlen und dementsprechend vertrauensvoll sind. Oder Sie entwerfen clevere Gegenstrategien, die Ihre Widersacher nicht sofort durchschauen. Beides hat seinen Reiz. Deswegen werde ich im Folgenden die Persönlichkeitsstruktur weiblicher und männlicher Erfolgstypen präzisieren. Wer die Struktur der Machtorientierten zu lesen weiß, wird sich seltener im Dickicht der Machtspiele verstricken.

Wie sehen sich wettbewerbsorientierte Erfolgsmenschen? Wie viel Aggressivität brauchen sie zum Erfolg? Antworten erhielt ich in Gesprächen mit mehr als 550 weiblichen und männlichen Führungskräften aus Deutschland, der Schweiz und Österreich sowie einzelnen Managern aus Holland, Belgien und Frankreich. Sie alle sind auf den unterschiedlichsten Managementebenen tätig. Wir unterhielten uns am Gottlieb Duttweiler Institut (GDI) für Wirtschaft und Gesellschaft in Rüschlikon bei Zürich, an der Deutschen Experten-Akademie in München, bei |70|FORUM Institut für Management in Heidelberg und am Führungskräftezentrum der Daimler AG bei Stuttgart. Meine Gesprächspartner gaben bereitwillig Auskunft über ihre Stärken und die »notwendigen Schattenseiten«, die sie für ihren Erfolg brauchten.

Die Triebfeder weiblicher wie männlicher Führungskräfte ist selten der Wunsch nach Weltverbesserung. Sie streben weit eher nach wachsendem Einfluss, Erfolg und Macht. Sie wollen an die Spitze – dieser Wunsch beseelt sie schon früh in ihrer Karriere, gleichzeitig wissen sie um die Konsequenzen: Wer Unternehmen lenkt, muss unangenehme Entscheidungen treffen, er braucht also Distanz zum Leiden anderer, um handlungsfähig zu bleiben. Mitleid, so der Philosoph Friedrich Nietzsche, vermehre nur das Leid auf dieser Welt. So verwundert es kaum, dass die Antizipationsfähigkeit, also das Nachdenken über die Folgen für die Opfer, bei Führungskräften unterentwickelt ist, etwa wenn es um Verschlankung oder Freisetzungen im Unternehmen geht. Und die Chefs, die über Einzelschicksale intensiv reflektieren, wirken angeschlagen, weil sie die Bürde der Entlassenen mittragen: »Ich habe diesen Beruf gewählt, weil ich davon träumte, Menschen eine Perspektive zu geben. Heute wickle ich nur noch ab und leide darunter, weil ich als alter Hase die Familien unserer Belegschaft ganz gut kenne und weiß, was die Entlassungen dort Verheerendes auslösen«, so der Personalchef eines international tätigen Hamburger Unternehmens.

Führen in Reinheit und Schönheit geht eben nicht. Wer führt, macht sich die Hände schmutzig, muss Mitarbeiter entlassen, Konkurrenten ausbooten. Das geht nur mit einem gewissen Maß an Aggression. Philip Rosenthal, der Begründer der Porzellandynastie, formulierte es sehr treffend: »Karriere ist ein bisschen Sein, Schein und Schwein.«

|71|Führungskräfte definieren sich gerne als omnipotent. Sie sind stolz auf ihre Flexibilität, die bis zur Beliebigkeit gehen kann: Egal ob Bauernverband oder Chemiebranche, Suppenkonzern oder Zigarettenindustrie, als Profis sind sie überall einsetzbar. Ersetzbar natürlich nie! Ganz im Gegenteil. Selbst wenn es schief läuft, wäre es ohne sie noch viel schlechter gelaufen – eine Grundhaltung, die selbst im Misserfolg Glück verspricht.

Die Flexibilität hat aber auch ihre Schattenseiten. Sie zwingt zum ständigen Umdenken und Neustrukturieren bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Kontrolle und der Macht. Das ist keine leichte Aufgabe angesichts der schnellen Veränderung von Märkten, Gesetzen, Technologien und Unternehmensstrukturen. Dies nennt man heute »Management der Zufälle« oder Kontingenz. Die Theorie der Kontingenz fordert dazu auf, sich mit dem unsicheren Verlauf der Dinge zu konfrontieren und nicht den »guten alten Zeiten« nachzutrauern. Das bedeutet, erfolgreiche Chefs akzeptieren, dass langfristige Planungen wichtig sind, aber die schnelllebige Zukunft sich nicht daran halten muss. Entsprechend formuliert der Wirtschaftsphilosoph Rainer Otte, man dürfe in der Konfrontation mit der Ungewissheit ein Gütesiegel des modernen Denkens sehen! Diese Ungewissheit zwingt zur Innovation, löst aber gleichzeitig Ohnmachtgefühle aus, denn nichts ist so ungewiss wie das Ergebnis innovativen Handelns.

Um diesem Druck zu entrinnen, bietet die menschliche Psyche der Führungskraft einen teuflisch-verführerischen Mechanismus an: Man kann nämlich der Ohnmacht vordergründig entrinnen, indem man seine Berufswelt auf das Mittelmaß zurechtstutzt, das man gerade noch verkraftet. Der Sozialphilosoph Erich Fromm spricht von der Destruktivität als Schutz vor dem Zermalmt-Werden durch neue, unüberschaubare Anforderungen. Sein Fachbegriff: »Splendid isolation«: Ich zerstöre, |72|also bin ich … großartig! Großartig, weil man immer noch so tun kann, als ob man das Gesetz des Handelns bestimmt. Diese Fähigkeit, auch die falschen Entscheidungen aufgrund der eigenen Macht durchsetzen zu können, gibt das trügerische Gefühl, Herr im eigenen Haus zu sein. Das Peter-Prinzip – benannt nach seinem Erfinder Laurence J. Peter – spricht hier nüchterner vom »Aufstieg bis zur Inkompetenz«, die ein 59-jähriger Vorstand auf folgenden Punkt brachte: »Ich bin mehr, als ich kann.«

Diese Zerrissenheit zwischen Erfolgsträumen und Untergangsängsten nennt man in der Psychologie »Dissonanz«. Je stärker die Zerrissenheit, desto größer die persönliche Reizbarkeit, desto unberechenbarer auch die Personalführung! Dissonanz nagt an der Psyche. Schlafstörungen, Magengeschwüre oder Essstörungen (besonders bei Frauen) können die Folge sein. Verschärfend kommt hinzu, dass Erfolgsmenschen diese Schwächen nicht zugeben dürfen. Denn Ängste und Unberechenbarkeiten sind Gift in einer Branche, die sich Kontinuität und persönliche Stärke auf die Fahnen geschrieben hat. Psychische Konflikte oder Niedergeschlagenheit haben keinen Platz in der Welt des Erfolges. Diese zutiefst menschlichen Stimmungen zählen zum Repertoire der Verlierer.

Misserfolg oder Konkursgefahr machen sich auf vielen Ebenen bemerkbar. Weggefährten grenzen sich langsam ab, Einladungen zu Wirtschafts- und Pressebällen bleiben aus. Nicht, dass man immer gerne zu diesen gesellschaftlichen Ereignissen gegangen wäre, aber sie sind doch ein Zeichen, dass man dazugehört. »The higher you climb the deeper you fall« ist eine Binsenweisheit, die sich den Erfolgreichen psychisch eingebrannt hat. Dabei geht es nicht nur um Ängste vor dem Jobverlust, sondern auch die eigene Identität ist bedroht. Denn was bleibt von einem Erfolgsmenschen übrig, wenn der Erfolg |73|ausbleibt? Daniel Goeudevert sagt darum, Manager haben besonders Angst vor »dem Verlust ihrer Funktion, ihrer Macht, weil da ihre ganze Existenz dranhängt … Wenn er abgesägt wird, dann ist das nicht nur ein Imageverlust, das wäre ja nicht so schlimm, sondern ein Identitätsverlust.«

Diese Angst bildet die Grundlage für ein lebenslanges Spannungsverhältnis, das viele Führungskräfte zu immer neuen Leistungen antreibt. Aber es kostet auch Kräfte, denn die Angst, den komfortablen Lebensstandard zu verlieren, ist stets im Hintergrund. Das macht Druck, gerade in einer Gesellschaft, die Besitzstandwahrung zum Minimalziel erkoren hat. Das macht hart, nicht nur gegen sich selbst, sondern auch gegen andere.

Um zu überleben und sich zu behaupten, greifen viele Führungskräfte zum Mittel der Aggression. Aggression tritt im Wettbewerb in der Regel als Reaktion auf eine wirkliche oder auch nur vermutete Minderung der eigenen Macht in Erscheinung. Im Berufsleben, besonders im Management findet sich am häufigsten die »instrumentelle Aggression«, die kein aggressives Ziel verfolgt, aber zum Beispiel die Schädigung »freigesetzter« Mitarbeiter als Nebenprodukt billigend in Kauf nimmt. Das ist schmerzhaft für die Opfer derartiger Entscheidungen, aber immer noch besser als die »feindselige Aggression«.

Damit einher geht ein heimlicher Persönlichkeitszug der Spitzenkräfte: ihre Liebe zur strukturellen Gewalt. Hierarchie ist für sie eindeutig schön – wenn sie oben stehen. Hier kann man sogar die eigenen unerfreulichen Charakterzüge ausleben. Aber natürlich nicht in primitiver Form. Führungskräfte lehnen Gewalt sogar ab. Und dennoch ist da die Lust an der (nicht nur positiven) Aggression, am subtilen Ausleben von Machtspielen, denn Führungskräfte leben unter Hochdruck, unter Zeitmangel, unter Anpassung. Da ist die klammheimliche Freude über hintersinnige Strategien und raffinierte Schachzüge geradezu |74|wohltuend. Sie ist Entlastung und Entspannung zugleich. »Menschenschach ist Balsam für die Seele«, nannte das ein 53-jähriger Vorstand nach einem Aggressionsseminar.

Das klingt kalt, ist jedoch eine notwendige Überlebensstrategie in einer harten Welt. Erfolgreiche Führungskräfte, die an der Spitze bleiben wollen, brauchen darum Freude an strukturellen Machtspielen und strategisches Geschick. Kluges Taktieren hält die Gegenspieler dabei auf Distanz. Topkräfte schaffen geschickt Abhängigkeiten und bieten sich als pragmatische bis visionäre Wirtschaftsführer an. Sie geben Mitmenschen überzeugend die Illusion von Sicherheit und Halt. Sie stellen sich als Bollwerk des Wirtschaftsstandorts, als Garanten gegen die Krise dar. Sie sind selbstkontrollierte Strategen mit genauen Methoden und Zielvorstellungen. Und sie haben ein geradezu sinnliches Verhältnis zu dieser Gestaltungsfreiheit.

Insgesamt gesehen ist es ideal, wenn Führungskräfte über 80 Prozent Sozialverträglichkeit, Teamgeist sowie Konsensfähigkeit verfügen. Vor allem aber brauchen sie 20 Prozent Durchsetzungsstärke und Biss zum Erfolg, um Stresssituationen durchzustehen und um aus Konfliktscheu und Harmoniesucht keine falschen Entscheidungen zu treffen.

Sowohl Führungsmänner als auch Führungsfrauen bejahen darum Macht und setzen sie auch durch. Weder Männer noch Frauen schrecken grundsätzlich vor »bösen« Strategien zurück.