|150|Mehr Biss: Strategien für Ihre Durchsetzungsstärke

Abwehrrhetorik – Ihr Schlagfertigkeitstraining

Wer im Sommer im Cabrio durch eine Großstadt fährt, der wird an roten Ampeln ein merkwürdiges Schauspiel erleben: In den wartenden Nachbarautos reden die Menschen vor sich hin. Manche telefonieren durch die Freisprechanlage. Andere singen Freddy Quinns »Junge, komm bald wieder …«. Und die dritte Gruppe ist die, die uns interessiert. Sie redet erregt auf das Lenkrad ein. Diesen Menschen fällt nämlich gerade jetzt – hier vor der Ampel – ein, was sie vorhin im Meeting hätten erwidern sollen, als sie angegriffen wurden. Aber jetzt ist es zu spät. Das macht sauer.

So geht es vielen Menschen. Sie müssen sich ärgerliche Kommentare an den Kopf werfen lassen und wissen in dem Moment nichts zu erwidern – sie sind nicht schlagfertig. Das ist auch kein Wunder, denn die Reaktionszeit auf derartige kollegiale Angriffe umfasst nur wenige Sekunden. Die blitzschnelle Schlagfertigkeit eines Thomas Gottschalk ist notwendig, um sie zu bestehen. Aber wer hat die schon? Damit sind die Angegriffenen eklatant im Nachteil gegenüber den Angreifern: Die haben sich die Attacke nämlich schon gestern Abend zurechtgelegt, sie rhetorisch ausgefeilt und sich darauf gefreut, die verbalen Giftpfeile heute abschießen zu können. Wer in dieser |151|Situation nicht über eine solide Abwehrrhetorik verfügt, steht mit staunenden Augen dumm da und lässt sich – vielleicht sogar vor versammelter Mannschaft – abwatschen. Nicht gerade ein Zeichen für Durchsetzungsstärke!

Was können Sie tun? Wie reagieren Sie am besten darauf, wenn jemand verbal die Schwelle von Nähe und Distanz überschreitet?

Wer sich vor Ihrer Schlagfertigkeit, Ihrer Abwehrrhetorik fürchtet, wird Sie nicht angreifen. Angreifer suchen sich Schwächere. Das ist bei verbalen Angriffen nicht anders als in der Gewaltkriminalität!

Der erste Schritt zur Gegenwehr: Setzen Sie sich gründlich mit Abwehrrhetorik auseinander, denn Abwehrrhetorik

  • ermöglicht Ihnen schlagfertige Erwiderungen, die Ihnen Zeit zum Nachdenken verschaffen, bevor Sie inhaltlich auf die Angriffe eingehen;

  • ist die Kunst der vorher (!) zurechtgelegten bissig-humorvollen Antworten;

  • ist nicht spontan;

  • ist wiederholt geprobt worden, zum Beispiel daheim vor dem Badezimmerspiegel.

Alle Abwehrrhetorik beginnt mit einem Nein. Ein Nein kann so schön sein wie der Duft von Chanel No. 5 und entfaltet genauso betörend seine Wirkung. Wichtig ist dabei: Begründen Sie Ihr Nein nicht, das fordernde Gegenüber wird schon genügend Gegenargumente parat haben, um Ihr Nein zu entkräften. Stattdessen sollten Sie Ihr Nein mit nur einem einzigen Satz ergänzen: »Und denken Sie mal genau darüber nach, warum |152|Nein!« Sie werden verblüfft sein, wie viele Menschen tatsächlich beginnen zu grübeln.

Richtig beeindruckend ist es, wenn Sie grundlos Nein sagen und den oben genannten Satz nachschieben, obwohl Ihnen selbst beim besten Willen kein Grund zur Ablehnung einfällt. Ihr Gegenüber wird schon ausreichend Fantasie haben, um einen ihm einleuchtenden Ablehnungsgrund zu finden, ansonsten wird er bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag darüber nachgrübeln. Gut so!

Männer reagieren übrigens besonders sensibel, denn sie sind das berufliche Nein von Frauen kaum gewöhnt. Genauer: Sie hassen es. Frauen, die einfach Nein sagen, die keine weiteren Erklärungen nachliefern, die ihr Gegenüber damit einfach stehen lassen oder ihm womöglich eine unangenehme Aufgabe mitgeben (»… denken Sie darüber mal nach …«) – das ist für Männer die Höchststrafe.

Am besten üben Sie das Nein-Sagen zunächst in völlig unwichtigen und unspektakulären Situationen:

 

Der Mitarbeiter Sebastian H. kommt in das Büro von Karin E. Er stellt eine Forderung in den Raum, die seine Organisationsfaulheit unterstreicht, und hofft auf die Hilfsbereitschaft seiner Kollegin: »Gib mir doch bitte mal dein Papier. Der Kopierer ist leer.« (H. ist wie immer zu faul, sich das Papier aus dem Nebengebäude zu holen.) Karin E. hat die Nase voll von H., der ständig Servicewünsche äußert. Sie antwortet, obwohl sich das Papier in ihrem Schrank stapelt, ohne den Blick zu heben: »Nein!« H. ist verblüfft, hakt pseudocharmant nach und bekommt die volle Breitseite: »Nein – und denk mal darüber nach, warum Nein!« Erst bei diesem Nachsatz hebt sie die Augen und blickt ihn an. Sebastian H. verlässt irritiert das Büro – und kommt wenig später noch einmal vorbei. Er fragt: »Hast du wegen meiner Sprüche in der Betriebsversammlung Nein gesagt?« Karin E., die davon bis dato noch gar nichts gewusst |153|hatte, antwortet nur trocken: »Nein, deswegen nicht.« Schön schlagfertig und mit schönem Nebeneffekt: Sebastian H. geht von nun an zum Schnorren in andere Büros.

 

Wenn Sie sich etwas sicherer fühlen, wenden Sie das Nein auch in schwierigeren Situationen wie beispielsweise einem Gehaltsgespräch an:

 

Die Mitarbeiterin eines großen Automobilkonzerns setzte dieses Nein spontan um. Wenige Tage nach einem Briefing in einem meiner Managementseminare tauchten ihre beiden Chefs in ihrem Büro auf. Dies kommt nur selten vor und roch darum nach Ärger. Die beiden boten ihr eine längst überfällige Gehaltserhöhung an – allerdings in indiskutabel niedriger Höhe.

»Geht das so in Ordnung?«, fragte Chef Nummer eins.

»Nein«, antwortete sie kurz und ergänzte: »Und denken Sie einmal darüber nach, warum Nein!«

Die Chefs waren völlig verblüfft und verließen irritiert das Büro, weil ihr kleiner Überfall fehlgeschlagen war. Eine halbe Stunde später kehrten sie zurück, um unserer Frau ein höheres Gehalt zu offerieren. Die Mitarbeiterin stimmte nun zu und mailte mir wenig später ihren Erfolg. Ich antwortete ihr, dass es mich sehr für sie freue und dass dieses Mehrgehalt eindeutig auf mein Briefing zurückginge. Daher könne sie mir guten Herzens 10 Prozent der Summe zukommen lassen. Ihre Antwort: »Nein – und denken Sie mal darüber nach, warum Nein.« Die Frau hat etwas gelernt!

 

Sollte es Ihnen anfangs sehr schwer fallen, einfach Nein zu sagen, dann bitten Sie Ihr Gegenüber um eine Stunde Bedenkzeit. Nach dieser Frist rufen Sie den Bittenden an und sagen über das Telefon schlicht »Nein« – ohne jede weitere Begründung.

|154|Proben Sie das Nein-Sagen zu Hause. Stellen Sie sich vor den Spiegel und üben Sie es. Denken Sie darüber nach, in welchen konkreten Situationen Ihr eindeutiges Nein gefordert sein könnte. Stellen Sie sich vor, wem Sie eine Bitte abschlagen. Spielen Sie in Gedanken diese Szene mehrfach durch, dann fällt Ihnen Ihr Nein in der Realität wesentlich einfacher.

Bei substanziellen Problematiken ist ein einfaches Nein natürlich zu unnuanciert. Dennoch gilt es, sich rhetorisch Zeit zu verschaffen, um überfallartigen Angriffen entschieden Paroli bieten zu können, anstatt sich sofort und womöglich hilflos zu rechtfertigen. Folgende Formulierungen sind als Erstabwehr zu empfehlen und können jederzeit individuell ergänzt werden:

  • »Entschuldigen Sie, ich habe nicht zugehört …«

  • »Ich denke, das gehört nicht hierher …«

  • »Sorry, kleinen Moment bitte. Ich bin gleich wieder da …« (den Raum mit vorgetäuschtem Magendrücken für ein paar Minuten verlassen, um Zeit für die Gegenrede zu finden)

  • »Das ist wirklich interessant. Ich denke darüber nach …« (Im Timer notieren »Salzmann ist und bleibt ein Mistkerl« – während Herr Salzmann verblüfft und erfreut ist, weil er glaubt, Sie schreiben seine dusselige Kritik gerade auf.)

Etwas bissiger sind folgende Erwiderungen:

  • »Jetzt wird mir klar, wie Sie denken …«

  • »Für akademische Zirkel eine eher unübliche Frage.«

  • Oder mit dem Lieblingssatz einer nicht zu empathischen Eigentümerin: »Schön, dass Sie eine Meinung formulieren, an der ich kein Interesse habe!«

Es ist gleichgültig, welchen Satz Sie sich zurechtlegen, solange Sie sich mit ihm wohlfühlen. Problematisch wird es bei Machtspielen |155|nur, wenn Sie keinen haben. Dann stehen Sie wie ein begossener Pudel da oder – noch schlimmer – verstricken sich in Rechtfertigungsarien und Widersprüche, aus denen Ihnen ein solider Strick gedreht werden kann. Sollten die obigen Angebote nicht Ihrem Stil entsprechen, denken Sie bitte über Adäquates nach.

Erinnern Sie sich dafür an vergangene Angriffe: Wie hätten Sie gern darauf reagiert? Welche Antwort ist Ihnen erst eine Viertelstunde später eingefallen? Notieren Sie diese. Stellen Sie eine Liste zusammen mit Sätzen und kleinen Abwehrbissigkeiten, die Sie in der Vergangenheit gern eingesetzt hätten.

Richten Sie nun Ihr Augenmerk auf die nächste Woche: Was kommt auf Sie zu? Welches Meeting steht auf dem Plan? Gibt es in dieser Runde einen Menschen, der Ihnen oft an den Karren fährt? Wird er das womöglich nächste Woche wieder tun? Können Sie sich vorstellen, dass einer Ihrer Sätze diesen Menschen treffen könnte? Oder müssten Sie dafür noch etwas an der Abwehr feilen? Kein Problem: Noch haben Sie Zeit – und wenn es so weit ist, sind Sie gerüstet. Üben Sie Ihre Abwehrsätze zu Hause. Sprechen Sie sie vor dem Spiegel, bis sie Ihnen ganz flüssig über die Lippen sprudeln. So stellen Sie sicher, dass Sie sich im Eifer des Gefechts nicht verhaspeln – das ist eher peinlich und nicht sehr souverän. Proben Sie Ihre Sätze auch mit unterschiedlichen Betonungen. Vielleicht lässt sich so noch mehr aus ihnen herausholen.

Die Abwehrrhetorik ist übrigens besonders wirkungsvoll, wenn bekannt ist, dass Sie zum Beispiel vom Senior-Chef protegiert werden. Dann entwickelt Ihre Schlagfertigkeit eine besondere Kraft, denn jeder Kritisierte befürchtet, dass die Abwehrattacke durch den Senior-Chef abgesegnet wurde. 1:0 für Sie!

Schlagfertigkeit passt in Machiavellis Sinne sehr gut zum modernen Condottiere, dem lächelnden Siegertypus. Schlagfertigkeit |156|verblüfft und sie kann Spaß machen, in erster Linie natürlich Ihnen. Mit folgenden – nicht ganz ernst gemeinten – Formulierungen dürften Sie ein angriffslustiges Gegenüber zumindest verblüffen:

  • »Sagen Sie, darf ich mein erstes Magengeschwür nach Ihnen benennen?«

  • »Können Sie sich das vorstellen: Ein Tag ohne Sie ist wie ein Monat Urlaub!«

  • »Warum gehen wir beide nicht irgendwohin, wo jeder von uns allein sein kann?«

  • »Reden Sie einfach weiter, irgendwann wird schon was Sinnvolles dabei rauskommen.«

  • »Ich habe gerade zwei Minuten Zeit. Sagen Sie mir bitte alles, was Sie wissen.«

  • »Ihr Aftershave ist sicherer als die Pille.«

  • »Jedes Mal, wenn ich Sie anschaue, frage ich mich: Was wollte die Natur?«

  • »Ich vergesse nie ein Gesicht, aber in Ihrem Fall will ich einmal eine Ausnahme machen.«

  • »Sie schaffen es, dass man die Stille zu schätzen weiß!«

  • »Es gibt viele Möglichkeiten, einen guten Eindruck zu machen. Warum lassen Sie alle ungenutzt?«

  • »Sie gehören auch zu den Menschen, die sich von keinem Kleidungsstück trennen können, oder?«

  • »Sie würden klasse in etwas Langem, Fließendem aussehen. Ich denke da an den Rhein, die Elbe, die Donau …«

Bevor die Lust an der Abwehrrhetorik mit Ihnen durchgeht, gilt es zu beherzigen, dass man sich immer zweimal im Leben trifft! Daher gilt der dosierte Einsatz: Weniger ist oft mehr!

|157|Abwehrrhetorik kann auch sehr charmant eingesetzt werden – und imponieren:

 

Ein Hamburger Professor ist dafür bekannt, dass er alle Studierenden, die zu spät in seine Vorlesungen kommen, öffentlich kritisiert: »Ist das Ihr akademisches Selbstverständnis?«, »Soll das eine Karriere werden?« oder »Wir treffen uns doch noch im Examen, nicht wahr?« sind seine gängigen Sätze. Diese Unfreundlichkeiten führen dazu, dass die Studierenden bei seinen Vorlesungen eine bemerkenswerte Pünktlichkeit an den Tag legen. Zuspätkommen wird da zur Mutprobe:

Einer 22-jährigen Studentin des Sozialmanagements passiert es dennoch. Sie bekommt die entsprechenden Kommentare um die Ohren gehauen. Die Studentin irritiert das wenig. Ganz ruhig geht sie in Richtung des Podiums, während der Professor die Vorlesung über sein Headphone fortsetzt. Aus den Augenwinkeln sieht er die Studentin ihren Weg nach vorne nehmen. Und er wundert sich, da in den vorderen Reihen gut sichtbar alle Plätze besetzt sind. Unbeirrt geht sie weiter, bis sie schließlich direkt vor ihm steht. Er muss für einen Moment die Vorlesung unterbrechen. Laut und deutlich hört er sie sagen – sodass es über das Headphone in den Hörsaal übertragen wird: »Guten Morgen, Herr Professor. Wissen Sie eigentlich, dass die Farbe Ihrer Krawatte heute die Farben Ihrer Augen widerspiegelt?« Der Professor glaubt nicht richtig zu hören und spürt, wie vom Kragen her langsam sein Hals rot anläuft, was wiederum eine andere Studentin aus der ersten Reihe zu dem Satz ermutigt: »Ich glaube, er wird rot.« Der Farbgebungsprozess wird dadurch noch beschleunigt. Mutprobe bestanden. Die schlagfertige Studentin hat es dem professoralen Grantler gezeigt – und wird seitdem von ihm gefördert, denn dieser Mut, gepaart mit Charme, imponiert ihm.