Die dritte Analyse: Ihre Schwächen

Wer redet schon gerne über die eigenen Schwächen? Dabei ist hier Zurückhaltung keineswegs angezeigt: Schwächen sind das Salz in der Suppe einer reifen Persönlichkeit. Schwächen machen Menschen liebenswert, sympathisch und einzigartig. Dies gilt gerade für durchsetzungsstarke und erfolgreiche Personen, die ohne Ecken und Kanten als zu aalglatt oder »glitschig« empfunden werden. Mit den eigenen Schwächen gilt es konstruktiv umzugehen. Man braucht sich nicht über sie ärgern: nobody is perfect. Man muss sie auch nicht peinlich berührt verstecken, denn sie werden im Laufe des Arbeitslebens sowieso bemerkt. Darum darf man offen darauf hinweisen, was einem nicht so liegt – vorausgesetzt man hat anderweitig Stärken zu bieten. Gibt man seine Schwächen kund, gilt es allerdings die Reaktionen |114|des beruflichen Umfeldes genau zu beachten. Sie werden drei Variationen aufweisen:

  • Zum Ersten gibt es die Kollegen, die die Schwächen ausnutzen wollen. Das erkennen Sie schnell. Merken Sie sich diese Damen und Herren für die Zukunft. Sie sind hoffentlich nachtragend und sollten daher nie zu schnell verzeihen, wenn man Sie in puncto Schwächen übervorteilen wollte.

  • Dann gibt es die, die Ihnen ausgerechnet Aufgaben geben, die Salz in Ihre Wunde streuen. Auch die gehören auf die persönliche Merkliste, vor allem, wenn sie erklären, dass sie Ihnen das zumuten, damit Sie dazulernen und in Zukunft besser werden. Trauen Sie diesen »fürsorglichen« Begründungen nicht, denn am Ende werden Sie doch für Ihre Schwäche kritisiert. Der leitende Oberarzt eines norddeutschen Krankenhauses pflegte beispielsweise den Schwächelnden zu sagen: »Ich hatte Ihnen eine erneute Chance geben wollen, sich zu bewähren, aber Sie haben mich nun doch ein wenig enttäuscht!«

  • Die letzte Gruppe umfasst die positiven Professionellen: Gute Vorgesetzte führen Schwächeanalysen bei ihren Mitarbeitern durch, um sie nicht versehentlich dort einzusetzen, wo sie versagen könnten. Sie wissen, dass selbst die Bemühten, die ihre Schwächen auszugleichen versuchen, am Ende doch nur mittelmäßige Ergebnisse erzielen werden. Das ist dann zwar eine lobenswerte Leistungssteigerung des Einzelnen. Für die Firma kann ein solches Mittelmaß aber nur Rückschritt bedeuten!

Erfolgreich führen bedeutet, die Schwächen der Mitarbeiter zu erkennen und ihre Stärken zu fördern, damit die Guten spitze werden!

|115|Die eigenen Schwächen selbst zu thematisieren, ist umsichtig. Anders sieht es aus, wenn Dritte Ihre Schwachstellen ansprechen. Es gibt zwei Varianten: Werden Sie unter vier Augen kritisch angesprochen, so ist das in Ordnung und sollte Sie zur Selbstreflexion anregen – natürlich erst, wenn Sie wieder allein sind. Das Vier-Augen-Feedback-Gespräch verhindert Gesichts- und Statusverlust und gibt Ihnen die faire Chance zur Veränderung.

Wer es gut mit Ihnen meint, wird Sie immer diskret auf Fehler hinweisen! Wer es nicht gut mit Ihnen meint, sucht für seine Kritik den öffentlichen Raum!

Werden Ihre Schwächen im Meeting oder anderswo öffentlich breitgetreten, sollten Ihre Alarmglocken schrillen: Dieser Kritiker will Sie schädigen. Hier wird an Ihrem Stuhl gesägt: Sie sind der öffentlichen Demontage preisgegeben, und der eine oder andere wird – durch diese Maßregelung ermutigt – noch nachlegen. Die Menschen sind leider so. Wichtig ist jetzt, dass Sie sich zum einen unbedingt die öffentlichen Kritiker merken und sie zukünftig eher als Gegenspieler betrachten. Außerdem müssen Sie Ihre eigenen Fürsprecher aktivieren und zur Gegenrede treiben! Kriminologisch gesprochen steht dann Gang gegen Gang. Politisch nennt man dies das »Gleichgewicht des Schreckens«! Eine durchaus erfolgversprechende Strategie, wie wir aus der Weltpolitik wissen!

Werden Ihre wenigen Schwächen plötzlich Gegenstand von Debatten und Ihre Stärken gleichzeitig ignoriert, dann ist es Zeit, die eigenen Truppen für den Gegenschlag zusammenzutrommeln!

|116|Was sind nun aber Ihre Schwächen? Als Defizite benennen durchsetzungsstarke Menschen unter anderem:

  • Geltungssucht

  • übertriebene Nettigkeit

  • Berechenbarkeit

  • eine schwache Positionierung

  • Angst vor Ablehnung

Auch folgende Eigenschaften lehnen erfolgsorientierte Menschen bei sich und anderen ab:

  • zu schnell beleidigt sein

  • übertriebene Dominanz zeigen, die dem Team keine Luft lässt

  • undiplomatisches Vorgehen und zu starke Impulsivität

  • cholerisches und selbstgefälliges Auftreten

  • zu große Offenheit gegenüber Dritten

  • Vertrauensvorschüsse

  • den Glauben an das ausschließlich Gute im Kollegen

  • übertriebene Rücksichtnahme und zauderndes Agieren

  • faule Kompromisse, um Konflikten auszuweichen

  • beruflich nicht nachtragend sein

  • detailversessenes und perfektionistisches Arbeiten, bei dem der Blick für das Wesentliche verloren geht

  • es allen recht machen wollen

  • zu langsam denken und arbeiten

  • panisch und unentschlossen unter Stress reagieren

  • zu schnell begeisterungsfähig sein

  • nicht Nein sagen können

  • offensichtlich manipulativ vorgehen

  • zu empathisch sein

  • nicht delegieren können

|117|Welche Schwächen haben Sie? Wo liegen Ihre Schwachpunkte? Gehen Sie vor wie bei der Suche nach Ihren Stärken: Sammeln Sie Aufgaben und Herausforderungen – diesmal vermerken Sie jedoch, was bei deren Bewältigung nicht funktioniert hat. Wo hakte es? Was konnten Sie nicht durchsetzen – und warum nicht? Was kritisieren Vorgesetzte und Kollegen immer wieder an Ihnen? Gibt es Dinge, über die sich Kunden beschweren?

Wählen Sie aus, welche dieser Schwachstellen Sie offen propagieren wollen. Es bietet sich eine Schwäche an, die in Ihrer Firma oder in Ihrer Branche nur einen geringen Stellenwert hat. Wer im Finanzsektor arbeitet, sollte also keine Rechenschwäche herausstellen. Wählen Sie lieber Harmlosigkeiten.

Fragen Sie sich auch, wer Ihre wunden Punkte kennt. Ihr Chef? Ihre Kollegen? Gibt es jemanden in Ihrem beruflichen Umfeld, der Ihre Schwachstelle bewusst gegen Sie einsetzt? Wenn Sie Ihre Schwäche benennen können, fällt es Ihnen einfacher zu erkennen, ob ein Dritter sie womöglich ausnutzt.

Wer nicht auf seinen Standpunkt pocht und sich nicht durchsetzen kann, ist wahrscheinlich ein sehr liebenswerter Mensch. Machtstrategisch ist bei ihm in Wettbewerbssituationen aber Hopfen und Malz verloren.

 

|118|Wer erkennt, dass er keine Führungspersönlichkeit ist, kann aus dieser Schwäche immer noch eine unschlagbare Stärke machen: »Ich habe festgestellt, dass ich doch kein Mann für die erste Reihe bin«, sagte mir ein Seminarteilnehmer nach einem Management-Workshop. Recht hatte er. Konsequent trat er in der Firma zurück ins dritte Glied, arbeitete fortan engagiert und seriös im Hintergrund – und fühlte sich wesentlich zufriedener als in der Zeit, in der er sich in eine Führungsrolle zwang, die nicht zu ihm passte.

 

Das heißt, persönlicher Erfolg und Zufriedenheit sind nicht immer »oben« zu finden! Das betrifft vor allem die Menschen, die im Beruf und Kollegenkreis nicht nur Anerkennung suchen, sondern auch gemocht oder gar geliebt werden wollen. Diese Menschen unterliegen einem gewaltigen Irrtum, denn »Liebe« gehört nicht in den Job. Geliebt-werden-Wollen macht professionelles Handeln unmöglich! Die tiefe Zuneigung gehört in das Private: Partner, Kinder, Verwandte und der Freundeskreis dürfen sich darüber freuen. Wer nicht willig oder in der Lage ist zu trennen, wird niemals den Biss erwerben, schmerzfrei Entscheidungen durchsetzen zu können!

Die Kenntnis der eigenen Schwächen öffnet übrigens auch den Blick für die Schwachstellen anderer. Wer die wunden Punkte seiner Mitmenschen kennt, kann mit diesen auf zweifache Weise umgehen: Sie können dieses Wissen ausspielen und den anderen damit erniedrigen. Das ist weder kollegial, noch empfehlenswert, denn damit schaffen Sie sich unnötig Gegner! Das ist ein strategischer Kardinalfehler!

Die klügere Alternative ist, den Mitarbeiter unter vier Augen wissen zu lassen, dass Sie seine Schwäche erkannt haben. Der Clou ist nun, ihm mitzuteilen, dass Sie dieses Wissen nicht ausnutzen, sondern im Gegenteil seine Stärken fördern wollen! Das Resultat ist in der Regel Erleichterung und Dankbarkeit |119|des »durchschauten« Gegenübers: »Ich habe einen echt fairen Chef« ist dann häufig zu hören.

 

Das Beispiel eines Justizdirektors zeigt eine sehr feinsinnige Variante dieser Strategie. Von seinem Abteilungsleiter wusste er, dass dessen wunder Punkt das Aktenstudium war. Der Abteilungsleiter hasste diesen Papierkram. Hatte unser Direktor nun einen unangenehmen Auftrag für seinen Abteilungsleiter, lud er ihn zu sich ins Büro. Neben seinem Stuhl stapelten sich bedrohlich hohe Aktenberge. Während er liebevoll auf den Stapel klopfte, pflegte er zu sagen: »Eine von zwei Aufgaben, die ich Ihnen gleich anbiete, sollten Sie übernehmen.« Der Abteilungsleiter entschied sich immer für die Aufgabe, die nichts mit den Akten zu tun hatte. Unser Direktor war darüber sehr zufrieden. Er bat das Sekretariat – nach Beendigung des Gesprächs –, die Akten wieder wegzuschließen. Er hatte sie eh nicht wirklich gebraucht. Sie waren – mit seinen Worten – »nur Gesprächsdekoration, um meinem Mitarbeiter die Übernahme der Aufgabe zu erleichtern«.

 

Wer die Schwächen der Kollegen oder Vorgesetzten nicht kennt, läuft Gefahr, von einem Fettnäpfchen ins nächste zu treten. Das Ergebnis: Man gilt als unsensibel und wird nicht gefördert! Es gilt der alte Leitsatz: Wissen ist Macht, und Nicht-Wissen wird selten als Entschuldigung akzeptiert.

 

Das musste auch ein aufstrebender 32-jähriger Macher aus der Textilbranche erleben, der zu seiner Überraschung seinen Platz im Leitungsstab verlor. Der Mann ist verheiratet und hat zwei Kinder, denen er sich vorbildlich am Wochenende widmet. Montags erzählt er gerne und ausgiebig von diesem privaten Glück – auch im Beisein seiner Chefin. Die hat aber leider nicht nur eine furchtbare Scheidung hinter sich, sondern auch eines ihrer Kinder an ihren Mann »verloren«. Dieser Verlust quält sie, und das offen zelebrierte Familienglück des Aufsteigers ist ihr unerträglich. Es reißt Montag für Montag ihre Wunden auf. Schließlich reicht es ihr: Der Mann |120|wird »outgesourced«. Sie ist über ihre Entscheidung nicht besonders glücklich, findet sie aber besser als den vorherigen Zustand. Schade, dass unser Aufsteiger von diesem Schmerzpunkt seiner Chefin nichts wusste. Er hätte sich im Kollegenkreis ruhig einmal schlau machen sollen. Da war ihr Trennungsdrama über Wochen informelles Thema gewesen!