|100|Die erste Analyse: Ihre Stärken

Die Analyse der persönlichen Stärken gehört zum Einmaleins der Erfolgreichen. Wer sich selbst gut kennt, weiß, auf welche Eigenschaften er sich verlassen kann. Erst dann ist es möglich, Mitarbeitern und Kollegen eindeutig und sicher darzulegen, was sie realistisch von Ihnen erwarten können. Über die eigenen Stärken zu sprechen, ist keine Angeberei, denn dieses Wissen schafft für alle professionelle Klarheit. Unwissen dagegen ist ein Beweis für die eigene Denkfaulheit und diskreditiert! Und dies zu Recht, denn der Mensch in der Berufswelt gilt heute als »produktiver Realitätsverarbeiter«. Sein Handeln ist nicht schicksalsbestimmt, sondern wird von ihm selbstständig und produktiv neu gestaltet und geformt. Das bedeutet, jeder Mensch entscheidet für sich, welchen Weg er im Leben einschlagen möchte: Nutzt man die eigene Power, um Projekte und Innovationen voranzutreiben oder verpulvert man sie, indem man seine Familie tyrannisiert? Setzt ein junger, ehrgeiziger Mensch seinen Biss ein, um eine exzellente Ausbildung durchzustehen oder um zum Chef einer gefürchteten Hooligan-Gang aufzusteigen? Die persönlichen Fähigkeiten lassen beide Wege zu. Die Entscheidung, wie man sein Leben gestaltet, liegt bei jedem Menschen selbst. Durchsetzungsstarke Zeitgenossen kennen natürlich ihre Stärken! Das müssen sie auch, denn ein effektives Selbstmarketing ist wichtig für den Aufstieg und die Überzeugungskraft: Nur so können Sie andere von Ihren Fähigkeiten begeistern. Durchsetzungsstarke Menschen stellen ihre Eigenschaften entsprechend klar und deutlich dar. Ob etwas als Stärke oder Schwäche angesehen wird, hängt allerdings in manchen Fällen von der Situation ab:

 

Betont ein Mitarbeiter, dass er im Job immer authentisch agieren und jedem Menschen, unabhängig von Position und Status, ein ehrliches |101|Feedback geben würde, so ist diese Aussage zwiespältig. Im Privaten ist Authentizität eine lobenswerte Stärke, im Beruflichen aber eine Katastrophe, denn sie wird zur karrierehemmenden Schwäche: »Der Mann denkt nicht strategisch, er redet drauflos, damit ist er unter Umständen nicht loyal«, so sein Chef in einem informellen Gespräch. Der Mitarbeiter, der bei diesem Gespräch natürlich nicht anwesend ist, wundert sich übrigens, warum es bei ihm nicht weitergeht – und auch nie weitergehen wird: Kein Chef fördert Mitarbeiter, die ihn womöglich im Meeting aus lauter Ehrlichkeit bloßstellen könnten!

 

Durchsetzungsstarke und beruflich erfolgreiche Menschen beschreiben folgende Eigenschaften als positiv:

  • Durchhaltevermögen

  • Begeisterungsfähigkeit, andere mitreißen können, humorvoll agieren

  • zielorientiert handeln

  • analytisch und strategisch denken

  • die Fähigkeit, Druck auszuüben

  • andere motivieren können

  • Qualität und Leistungsbereitschaft zeigen

  • souveränes Auftreten

  • nachhaken, am Ball bleiben

  • schnelle Analyse von Situationen und Menschen

  • höflich, zuvorkommend und nett auftreten

Auch folgende Fähigkeiten sind für Erfolgsmenschen positiv besetzt:

  • in Schwächen anderer »herumbohren« können (ohne es tun zu müssen)

  • Gegner ins Leere laufen lassen

  • Distanz, gepaart mit einem Hauch Arroganz

  • Lust an der Dominanz

  • |102|Inanspruchnahme der Gutmütigkeit anderer

  • firmenegoistisch handeln: was für die Firma gut ist, ist gut für alle

  • Mitarbeiter und Teams antreiben

  • rhetorische Stärke demonstrieren: eigene Interessen so formulieren, dass selbst die Gegner nicht widersprechen mögen

  • Angriffe kontern

  • Wissensvorsprünge ausspielen

Diese letzten Fähigkeiten wirken auf den ersten Blick unangenehm, sind aber zwingend notwendig, um in schwierigen Situationen und unter Zeitmangel Projekte zu Ende bringen zu können. Durchsetzungsstarke Menschen agieren nicht ständig druckvoll, sondern nur, wenn Not am Mann ist. »Druck übe ich nur in homöopathischen Dosen aus. Dennoch ist es gut, dass alle wissen, dass ich es kann«, so der Eigentümer einer Lebensmittelkette, der Lyrik liebt und mit Inbrunst Rilke zu zitieren vermag. Diese zum Teil sehr bissigen Stärken spiegeln einen kleinen, aber wichtigen Teil seiner Persönlichkeit wider. Ethisches oder rücksichtsvolles Handeln werden davon nicht verdrängt. »Sowohl als auch« ist sein Motto, nicht »entweder oder«! Das Werteverständnis bleibt für bissige Menschen von zentraler Bedeutung: Sowohl der karriereorientierte Metallfachmann, der Maschinen baut, als auch der Metallfachmann, der Tresore knackt, sind Spezialisten. Ob sie sich für eine Tätigkeit in der Autoindustrie oder im kriminellen Milieu entschließen, entscheidet ihr ethisches Verständnis!

Im beruflichen Alltag ist es wichtig, mit seinen Stärken offensiv umzugehen. Einfach gesagt: Erzählen Sie davon – am besten von Ihren Motivations-, Leistungs- und Analysefähigkeiten. Dieser unverhüllte Umgang ist effektives Selbstmarketing: die eigenen Stärken betonen, damit sie nicht von Freund und Feind |103|übersehen werden können! Sie brauchen sich nicht entdecken oder wie Dornröschen wachküssen zu lassen. Warum auf die anderen warten? Das kann ewig dauern. Vielleicht sind Kollegen und Vorgesetzte begriffsstutzig oder schlicht desinteressiert. Auf die unaufgeforderte Förderung durch Dritte können Sie nicht setzen, das ist zu ungewiss. Berichten Sie stattdessen selbst regelmäßig und dezent von den Fähigkeiten, die Sie der Firma zu bieten haben. Streuen Sie sie in das Flurgespräch ein, beim Mittagessen, in der Meeting-Pause. Die soziologische Theorie des Interaktionismus nennt das Positiv-Labeling: Sie versehen sich mit einem positiven Stempel, einem positiven Label. Die mündliche Wiederholung der eigenen Stärken ist dabei zwingend notwendig, denn nur sie garantiert – wie gute Werbung –, dass die Mitmenschen diese nicht vergessen. Sie werden recht schnell bemerken, wann Ihre Stärken vom Bewusstsein Ihres Umfeldes internalisiert worden sind. Leicht genervt signalisieren Ihnen dann Kollegen, Mitarbeiter und Vorgesetzte, dass sie Bescheid wissen. Das sollte Sie nicht beschämen. Es ist die positive Rückmeldung, dass Ihre Botschaft angekommen ist. Sie können jetzt einen Gang zurückschalten!

Faszinierend bis kurios ist bei dieser Strategie der Echo-Effekt: Im Halbjahres-Feedbackgespräch wird Ihr Vorgesetzter nämlich genau die Eigenschaften loben, die von Ihnen selbst gestreut und durch gelegentliche Leistung unterfüttert worden sind. Denn unterschiedliche Mitarbeiter, die davon hörten, haben diese Positiv-Eigenschaften (»motiviert, zeigt Leistung, ist analytisch«) weitergetragen, auch nach oben. Erfolg hängt also faktisch nicht nur von der korrekten Leistung ab, sondern auch davon, dass und wie diese gestreut wird. Das Selbstmarketing sichert diesen Prozess ab. Ohne Eigenwerbung laufen Sie Gefahr, dass Dritte Gerüchte über Sie in Umlauf bringen, die weniger schmeichelhaft sind, als das, was Sie selbst in die Diskussion |104|werfen wollen! Fakt bleibt: Geredet wird über einen so oder so – also ist es klüger, die Themen selbst vorzugeben.

Stellen Sie nun eine Liste zusammen mit allen Stärken, die Sie bei sich erkennen. Gehen Sie dazu Ihren Berufsalltag durch: Welche Aufgaben erledigen Sie routinemäßig, welche Herausforderungen wurden Ihnen fernab vom Tagesgeschäft anvertraut? Welche Eigenschaften und welche Fähigkeiten mussten Sie einsetzen, um diese Aufgaben zu bewältigen? Machen Sie dies am besten schriftlich, dann behalten Sie den Überblick – und Sie sehen schwarz auf weiß, wie viele Stärken Sie haben.

Notieren Sie auch, welche »unangenehmen« Eigenschaften – also die politisch nicht ganz so korrekten Fähigkeiten – nötig waren, um die Aufgabe zu einem guten Abschluss zu bringen. Mussten Sie jemanden ausstechen, um das Projekt zu erhalten? Mussten Sie in Ihrem Team drängeln, damit die Deadline eingehalten werden konnte?

Vermerken Sie in Ihrer Liste auch, was Dritte über Sie sagen. Welche Eigenschaften werden an Ihnen hervorgehoben? Wofür werden Sie gelobt? Auf was sind andere neidisch?

|105|Wählen Sie danach die Stärken aus, die Sie in Ihrer Firma lancieren möchten: Was schätzt Ihr Vorgesetzter besonders? Womit können Sie ihn beeindrucken? Wie steht es mit dessen Vorgesetzten? Welche Eigenschaften bevorzugt der? Gibt es in Ihrem Unternehmen Fähigkeiten und Stärken, die traditionell großgeschrieben werden? Wie formuliert der Firmeninhaber die Corporate Identity? Wenn Sie die gefragten Eigenschaften bei sich hervorheben können, sichern Sie sich Pluspunkte. Überlegen Sie aber auch, welche Fähigkeiten »unter der Hand« geschätzt werden: Eher Verhandlungsstärke als Vermittlungsfähigkeit? Eher Abschlusssicherheit als Kompromissbereitschaft? Entdecken Sie auch diese Stärken bei sich, heben Sie sie hervor – allerdings in einer wohlbedachten Wortwahl.

Bevor Sie jedoch mit Ihrem Selbstmarketing an die Öffentlichkeit gehen, sollten Sie mit einem Menschen Ihres Vertrauens vorab prüfen, welche Stärken als besonders glaubwürdig bei Ihnen erlebt werden. Beginnen Sie damit, diese zu streuen. Glaubwürdigkeit vereinfacht den Prozess und verdeutlicht, dass Sie keinen Etikettenschwindel betreiben. Das, was Sie anpreisen, muss substanziell vorhanden sein, sonst mutiert man zum narzisstischen Schaumschläger. Peinlich!

Der einzige Mensch, auf dessen Lob und Positiv-Würdigung man sich verlassen kann, ist man selbst. Daher: bitte keine Schüchternheit beim dezenten Sprechen über die eigenen Stärken!

Das Beste an diesem Verfahren ist: Indem Sie sich auf Ihre Stärken konzentrieren, schaffen Sie sich ein wunderbares kognitives Bollwerk gegen Kritiker, Nörgler und Wadenbeißer. |106|Kognitiv heißt, dass Ihr Bewusstsein von den eigenen Stärken felsenfest überzeugt ist. Sie werden sich fragen: »Warum, zum Teufel, wird an mir herumgenörgelt, kritisiert und sich festgebissen? Warum werden meine offensichtlichen Stärken ignoriert?« Diese Frage bewirkt einen wohltuenden Perspektivenwechsel: Kritik löst bei Ihnen nicht mehr als erste Reaktion Selbstzweifel aus. Stattdessen haben Sie die innere Souveränität, sich zu fragen, was der Kritiker mit seinen Attacken eigentlich bezweckt und welche Gemeinheiten vielleicht noch folgen könnten. Das heißt, die Kritik schwächt Sie nicht, sondern sensibilisiert Ihr eigenes Frühwarn-System! Für den Kritiker wird sein Geschwätz so zum Bumerang, denn Sie können entspannt Gegenmaßnahmen in aller Ruhe entwickeln!

Das Bewusstmachen der eigenen Stärken hat einen weiteren wunderbaren Effekt, dem sich gerade die Deutschen mit ihrer (Selbst-)Kritiksucht mehr öffnen sollten: Es macht schlicht gute Laune, selbst an trüben Tagen …

 

Viele können mit dem Berliner Mittelständler mitfühlen: Er sitzt an einem Montagmorgen im November im Büro. Er hat schwierige Gespräche vor sich. Eigentlich sollte er vor Kraft strotzen, um in diesen Gesprächen zu bestehen. Der Unternehmer sollte dem Gesprächspartner seinen klaren Willen vermitteln – aber er fühlt sich klein wie eine Kirchenmaus: Der pubertierende Sohn hat ihm am Wochenende den Marsch geblasen, die Ehefrau dem auch noch zugestimmt, und ein großer Auftraggeber hat noch am Freitag mitgeteilt, dass er mehr erwartet habe. Das Selbstbewusstsein liegt am Boden. Kurz und gut: Der Berliner fühlt sich miserabel, zweifelt an sich selbst und fühlt sich den bevorstehenden schwierigen Gesprächen nicht gewachsen. Am liebsten möchte er weglaufen!

 

Kritiker, Nörgler, Wadenbeißer und andere pessimistische Zeitgenossen fördern gerne diese Selbstzweifel, um ihr Gegenüber |107|weiter zu schwächen und auf ihr negatives Lebensgefühl herunter zu ziehen. Aber gerade dies sind die Momente, in denen es gilt, sich auf die eigenen Stärken, auf sein Positiv-Labeling, zu besinnen, denn das hat etwas wunderbar Aufbauendes: Es folgt dem schönen soziologischen Thomas-Theorem: »If men define situations as real, they are real in their consequences!« Auf Deutsch: Wenn man eine Situation als wirklich empfindet, dann ist sie real – in allen ihren Konsequenzen. Das heißt in unserem Fall: Wenn man fest genug an die eigenen Stärken glaubt, dann überzeugt das die Psyche und die Stimmung schlägt um ins Positive!

 

Bei unserem Berliner Mittelständler klappt das. Er setzt es ganz konsequent um, damit er sein Montag-Down-Szenario schnell in den Griff bekommen kann. Statt sich seinen Selbstzweifeln hinzugeben, öffnet er seine obere, schmale Schreibtischschublade. Die ist abschließbar – und das mit gutem Grund. Darin befindet sich ein DIN-A4-Blatt, in Folie eingeschweißt. Auf diesem Blatt hat der Unternehmer nicht nur seine Stärken notiert, sondern insgesamt seine tollen Seiten. Auch Lobeshymnen von Geschäftspartnern und Freunden. Die Liste umfasst über 30 Stichpunkte.

Unser Mann beginnt zu lesen.

Bei den ersten sechs tollen Eigenschaften denkt er: »Ganz schön dick aufgetragen. Schon peinlich.« Er liest Begriffe wie »feinsinnig«, »strukturiert«, »analytisch«, »ganz gut aussehend« …

Bei den Begriffen sieben bis zwölf sagt er sich: »Na ja, ist ja schon was dran. Ich hab ja nur notiert, was andere Nettes über mich gesagt haben …« Begriffe wie »verständnisvoll«, »kultiviert«, »großzügig« finden sich da. Die Komplimente und Stärken, die er bis zur Nummer zwanzig liest, fangen an, ihn zu überzeugen: »Ich will ja nicht angeben. Aber ehrlich gesagt, bin ich schon ein ziemlich toller Typ!« Zuschreibungen wie »erfolgreich«, »zuverlässiger Familienmensch«, »dynamischer Sportwagenfahrer« sind da zu lesen.

|108|Über das 25. Positiv-Labeling hinaus liest er gar nicht mehr, denn er weiß jetzt schon: Ganz realistisch gesehen ist er wirklich klasse! Er schließt die Schublade ab, damit Dritte sein nebenwirkungsfreies Aufbaupräparat nicht entdecken. Er fühlt sich gut und muss über sich schmunzeln. Jetzt hat er es eilig. Sein Telefon lacht ihn an. Er will die schwierigen Gespräche jetzt angehen. Er spürt, dass er gut drauf ist! Das wird sein Tag. Und die Geschichte mit seinem Sohn und seiner Frau vom Wochenende, die bespricht er mit den beiden heute Abend – vielleicht beim Wein.

 

Kritische Zeitgenossen merken an, dass dieses Positiv-Labeling nach Eigenlob stinkt. Das stimmt, und trotzdem ist es schön. Die Psychologie nennt diese Form der Selbstverliebtheit Narzissmus – ein Mensch, der sich vor lauter Begeisterung über sich selbst an seinem Spiegelbild ergötzt. Auch da ist was dran. Aber kritikwürdig ist das nicht. In meinen Management-Seminaren stelle ich am Ende gerne die Frage, was die Teilnehmer an den anderen so richtig toll finden. Das Brainstorming der Gruppe ist sehr differenziert und trifft die Stärken der Einzelnen häufig punktgenau. Dann passiert etwas Wunderbares: Die Gesichter der Gelobten beginnen zu leuchten. Selbst hart gesottene, grau melierte Manager strahlen. Sie erfahren eine wärmende verbale Dusche – und können in Sachen Selbstvertrauen und Energie unserem Berliner Mittelständler Konkurrenz machen!

In deutschen Firmen wird sowieso zu wenig gelobt – warum sollten Sie nicht bei sich selbst den Anfang machen? Sie können doch am besten einschätzen, welche lobenswerten Eigenschaften Sie haben.

|109|Wer fest an seine Stärken glaubt, der wird zum Macher, nicht zum Bedenkenträger. Der wird Projekte anschieben und vielleicht sogar die sprichwörtlichen Berge versetzen können!